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4.
ОглавлениеHolly „The Order of the Talamadre is nothing I can figure out in a glimpse. It is much more complicated then I expected it to be.“
Miami, 04.03.2017
Holly räumte die letzten Sachen aus der Reisetasche in den Kleiderschrank, als ihr Handy klingelte. Die angezeigte Nummer gehörte Susan. Nervös nahm sie ab.
„Holly? Endlich! Du lieber Himmel! Ich versuche schon den ganzen Tag, dich zu erreichen!“
„Das tut mir leid“, gab sie spontan zu, weil ihr nichts Besseres einfiel. Sie sah auf die Uhr. Es war kurz nach drei.
„Was machst du denn? Ich dachte, du bist zuhause.“
„Nein, bin ich nicht. Das ist eine längere Geschichte. Egal, was gibt es denn Dringendes? Du sagtest, du hast schon ein paar Mal versucht anzurufen?“
„Ja, der Professor will gerne mit dir den Ablauf besprechen. Du weißt schon, wann du wieder anfängst und wie viele Stunden. So was eben. Schaffst du es bis um vier Uhr in der Fakultät zu sein?“
„Um vier schon? Das ist in einer Stunde“, erwiderte Holly verblüfft.
„Hast du mit dem Termin ein Problem?“
„Um ehrlich zu sein, ich bin gerade sehr beschäftigt.“
„Mit was?“
„Ich habe eine Verabredung.“ Was Besseres fiel Holly spontan nicht ein. Aber so richtig gelogen war es nicht. James wollte nachher noch mit ihr sprechen. Er hatte darauf bestanden, dass sie vorher in Ruhe auspackte und sich ein wenig eingewöhnte. Obwohl er es nicht ausgesprochen hatte, wusste sie über was er mit ihr reden wollte.
„Holly?“
„Entschuldige, Susan. Ich bin gerade wirklich etwas abwesend. Tut mir leid.“
„Hast du einen Rückfall? Bist du beim Psychologen? Mir kannst du es doch sagen. Ich meine, ich erfahre es doch sowieso, wenn du einen Krankenschein einreichst.“
„Nein, das ist es nicht. Ich bin nicht beim Arzt. Die Sache ist einfach nur ein bisschen kompliziert. Können wir nicht einen neuen Termin vereinbaren? Ich rufe dich noch mal deswegen an, ja?“
„Na schön. Ich werde es Professor Miller ausrichten. Aber glücklich wird er nicht darüber sein. Es hat fast den Anschein, als ...“
„Als was?“
„Als spielst du mit uns. Erst willst du nie wieder hier arbeiten. Jetzt plötzlich wieder so schnell wie möglich anfangen und nachdem ich dir einen Termin geben will, um deine Worte in die Tat umzusetzen, machst du erneut einen Rückzieher. Du weißt doch, dass der Professor immer hinter dir gestanden hat. Auch die letzte Zeit, als …“, jetzt kam selbst Susan ins Straucheln. „Na ja, du weißt schon. Als du Probleme hattest. Er wäre wirklich enttäuscht, wenn du ihn so hängen lässt.“
„Ich weiß! Aber du musst zugeben, das kommt ziemlich spontan. Warum hast du nicht etwas eher bescheid gesagt?“
„Weil der Professor bei seiner Planung keine Rücksicht auf dich nimmt. Mein Gott, Holly, du weißt doch, wie das läuft. Ruf mich wenigstens zurück. Vielleicht kannst du deine Verabredung ja doch verschieben.“
Holly lenkte seufzend ein. „Tut mir leid. Ich weiß ja, wie wichtig das ist. Ich will unbedingt zurückkommen. Wirklich.“ Die Lüge kam ihr aalglatt über die Lippen. „Ich rufe dich nachher noch mal an. Vielleicht kann ich wirklich was machen mit meinem ... anderen Termin.“ Holly verabschiedete sich von Susan und warf ihr Handy danach aufs Bett.
Warum musste in ihrem Leben alles kompliziert sein? Es ging nicht nur um James und darum, dass sie ihm schon zugesagt hatte. Das Problem bestand darin, dass sie keine Lust hatte, zu diesem Gespräch zu gehen. Sie wollte nicht jetzt über ihre Rückkehr an die Uni sprechen. Was gerade passierte, war schon verrückt genug. Es fühlte sich falsch an, jetzt mit ihrem Professor zu reden, der Satek auch für eine posttraumatische Einbildung hielt. Holly sah sich nicht in der Lage, Pläne für die Zukunft zu machen. Nicht nachdem sie gestern dem Tod ins Auge gesehen hatte. Wenn James ihr nicht gefolgt wäre, wäre sie jetzt vermutlich tot. So wäre es vielleicht einfacher. Keine Angst, keine dauerhafte Panik, keine grausamen Träume mehr. Aber sie wollte leben. Sie wollte es so sehr.
Doch auch wenn sie sich weigerte heute mit Professor Miller zu reden, erinnerte Susans Anruf Holly daran, dass sie mit James sprechen musste. Sie musste klären, wie das in Zukunft funktionieren sollte. Sie konnte sich nicht hier in dieser Luxusvilla verstecken und so tun, als gäbe es die reale Welt da draußen nicht. Eine Welt, in der sie ihre Rechnungen und ihre Miete bezahlen musste und einen Job hatte, der auf sie wartete. Was Holly jetzt brauchte, waren ein paar Antworten.
Sie verließ das Zimmer, lief den Flur der oberen Etage entlang und nahm die Treppe nach unten. Sie vermutete James’ Büro lag im Erdgeschoss. Das erschien ihr wahrscheinlicher, als das sich sein Büro auf der gleichen Etage befand, wie die Schlafzimmer.
James hatte das alles hier spontan organisiert. Seit sie gegen elf in der Villa angekommen waren, hatte Holly ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er hatte keine Zeit gefunden, ihr das Haus zu zeigen. Aber es stand ihr frei, es selbst zu erkunden. Sie durfte nur das Grundstück nicht verlassen. Was sie nicht vor hatte.
„Ms. Martin?“
Erschrocken zuckte Holly zusammen. Sie war so in Gedanken vertieft, dass sie gar nicht gehört hatte, wie jemand ihr gefolgt war. Da sie die Stimme nicht zuordnen konnte, drehte sie sich einmal um die eigene Achse und blickte in ein Paar freundlich graue Augen, die zu dem ergrauten Haar eines Mannes, ganz schick im schwarzen Anzug, gehörten. Er trug sogar eine Fliege.
„Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Sie scheinen, wenn es mir erlaubt ist das zu äußern, ein wenig verloren, Miss.“
„Ja, das stimmt.“ Holly nickte. „Sie … entschuldigen Sie, aber ich befürchte, ich kenne Sie nicht. Sie sind…?“
„Aldwyn Benning. Ich bin der Butler.“
„Der …“
Er war Aldwyn? Der Mann über den James mit Annabelle gesprochen hatte? Ihr war gut in Erinnerung, wie wichtig James gewesen war, dass Annabelle ihn informiert hatte und dass er bald zu ihnen stieß. Sie hatte jemand Wichtigen erwartet. Etwas … keine Ahnung was, aber ganz sicher nicht einen … „Butler. Sie sind … James Wescotts Butler?“, vergewisserte Holly sich. „Ich bin nicht Mr. Wescotts persönlicher Butler. Meine Dienste gelten dem Orden, den gesamten Mitarbeitern und ihrem Wohlergehen. Sagen Sie einfach, ich bin ein wandelndes Notiz- und Adressbuch, Organisator, Erinnerungsstütze, Seelentröster, Telefon und natürlich Koch.“ Sie lachte bei seinem Zwinkern. „Okay, ich glaube ich verstehe es. Sie sind unentbehrlich. Kein Wunder, dass James Wescott so erpicht darauf war, dass Sie bald hier ankommen. Sagen Sie, Aldwyn, wissen Sie wo ich Mr. Wescotts Büro finde? Ich war auf dem Weg zu ihm.“ „Natürlich. Folgen Sie mir bitte, Ms. Martin.“ „Sie können Holly sagen, wenn Sie möchten.“ „Nein, das gehört sich nicht. Ich bin Butler.“ „Ehrlich? Nehmen Sie Ihre Prinzipien so genau? Wir befinden uns doch nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert.“ „Gott lob nicht. Aber dennoch bin ich, was ich bin. Ich ziehe es vor, eine gewisse Etikette zu wahren. Unabhängig welches Jahr wir schreiben, werden diese Prinzipien doch von mir erwartet. Finden Sie nicht, Ms. Martin?“ „Das mag sein. Aber grenzen Sie sich so nicht selbst aus? Wenn Sie sich zu einem niederen Angestellten machen?“ „Ich habe meinen Platz. Manchmal ist die Suche nach seinem Platz in der Welt viel ausgrenzender, als der Platz, den man hat. Sei er nun untergeordnet oder an der Spitze eines Geheimordens.“ Holly musterte Aldwyn. Er wich ihrem Blick nicht aus, das konnte sie nicht behaupten. Aber er sah stur geradeaus, so dass sie ihm unmöglich in die Augen sehen konnte. Sie fragte sich, ob es bei seinen Worten um ihn ging, oder ob er nicht etwas anderes meinte. Hatte sie sich die Anspielung auf James nur eingebildet? „Sie sind am Ziel, Ms. Martin.“ Aldwyn deutete auf eine Tür und klopfte. „Herein.“ Er öffnete die Tür und trat in den Raum. Holly blieb stehen und lauschte. „Sir? Ich entschuldige die Unterbrechung, aber Ms. Martin wünscht Sie zu sprechen.“ „Danke, Aldwyn.“ Aldwyn verbeugte sich und trat zur Seite. Ein aufforderndes Nicken später ging Holly an ihm vorbei und sah über die Schulter, als er verschwand und die Tür hinter ihr schloss. „Ms. Martin, wie schön Sie zu sehen. Ich wollte schon vor einer Weile zu Ihnen kommen, aber meine Arbeiten nahmen mehr Zeit in Anspruch, als erwartet. Ich hoffe Sie nehmen es mir nicht übel?“ Holly beruhigte ihn mit einem offenen Lächeln. „Nicht doch. Ich komme zurecht. Und Aldwyn hat mir geholfen, Ihr Büro zu finden.“ „Schön. Sie wollten mich sprechen. Worum geht es denn?“ „Ich habe vorhin mit der Sekretärin der Fakultät telefoniert. Ich bin zwar noch bis Ende März beurlaubt, aber ich hatte in Erwägung gezogen, schon jetzt wieder zurück zu gehen. Ein wenig Ablenkung, verstehen Sie? Es könnte auch nicht schaden, wieder Geld zu verdienen. Professor Miller bat darum, dass ich ihn heute um vier Uhr treffe, um mit ihm die Details für meine Rückkehr zu klären. Ich wollte Sie fragen, ob es möglich ist, unseren Termin auf den Abend zu verschieben?“ James hatte sich während ihrer Erklärung in seinem Schreibtischstuhl zurückgelehnt. Sie saß ihm gegenüber, der massive Mahagonischreibtisch stand wie ein beeindruckendes Hindernis zwischen ihnen. Der ganze Raum wirkte wie der Rest der Villa stilvoll, jedoch dunkel und sachlich. „Sie wollen zurück an die Universität?“, fragte James sie und klang dabei überrascht. „Nun ja wollen, würde ich es nicht nennen. Ich möchte es gern versuchen.“ „Ich verstehe. Danke, dass Sie sofort zu mir gekommen sind. Ich werde mich darum kümmern.“ „Worum kümmern?“ Sie suchte in seinem Blick nach Hinweisen. „Stimmt etwas nicht? Sie sehen so ernst aus.“ Er sah nicht einfach nur ernst aus. Eher verkniffen. Sie fühlte die veränderte Stimmung im Raum deutlich. Bei ihrem Eintreten hatte James sie freundlich begrüßt, ja er schien ehrlich erfreut, sie zu sehen. Aber kaum hatte sie ihm von dem Gespräch mit Susan erzählt, wirkte er wie ausgewechselt. Abgeschottet, distanziert und unterkühlt. Jetzt war er der mysteriöse Anführer eines Geheimordens über den sie absolut nichts wusste. Dabei hatte sie sogar im Internet gesucht, als sie auf ihrem Zimmer gewesen war. Nichts. Rein gar nichts. Weder über die Talamadre, noch über James Wescott. Selbst bei Annabelle Cutforth hatte sie nur ein Foto auf der Website ihrer alten Schule in Brighton gefunden. Ein Abschlussfoto bei der Zeugnisübergabe. Annabelle sah aus wie heute. Genauso ernst und unnahbar. Sie war tatsächlich erst 23 und damit sogar zwei Jahre jünger als Holly. Wenn sie ihr Jahrgangsfoto nicht gesehen und Annabelle eindeutig darauf erkannt hätte, hätte Holly das nie für möglich gehalten. „Ms. Cutforth ist eine Spezialistin in diesen Angelegenheiten. Sie wird sich um eine wasserdichte Coverstory kümmern. Ich werde sie damit beauftragen, wenn ich später mit ihr spreche.“ „Um eine … Coverstory? Ich verstehe nicht, was Sie mir damit sagen wollen.“ Es war seltsam. Beinah so als hätte er ihre Gedanken gelesen. Ein Schauer lief über ihren Rücken und Holly zwang sich, sich zusammenzureißen. Das James gerade jetzt auf Annabelle lenkte war nur ein Zufall. „Sehen Sie, Ms. Martin, es ist unabdingbar, dass Sie sich an gewisse Regeln halten, während Ihres Aufenthalts. Sie dienen einzig und allein Ihrer Sicherheit.“ „Regeln …“, wiederholte sie langsam. „Was denn für Regeln?“ „Mit der Zusicherung, sich den Talamadre anzuvertrauen, ändert sich für Sie Einiges“, erklärte er sachlich. „Zu den Regeln gehört, dass Sie keinen Kontakt zur Außenwelt haben dürfen. Keine Telefongespräche ohne unsere Zustimmung. Sie verlassen das Haus nur in Begleitung eines Mitglieds. Und auch nur dann, wenn es notwendig ist. Niemand“, er sah sie eindringlich an. „Niemand darf wissen, wo Sie sich aufhalten.“ Holly blieb die Luft weg. Meinte er das wirklich ernst? „Als Sie davon sprachen, mir zu helfen, erwähnten Sie gar nicht, dass Sie mich in ein Gefängnis sperren.“ „Das habe ich nicht. Und das würde ich auch jetzt nicht tun. Es ist kein Gefängnis, Ms. Martin.“ „Als was würden Sie das hier dann bezeichnen?“, forderte sie ihn heraus. Die Enttäuschung hallte bitter in ihr wieder. Beinah konnte sie sie auf der Zunge schmecken. Sie fühlte sich verraten, weil er nicht von Anfang an ehrlich gewesen war. „Ich verstehe ja, dass Sie verärgert sind. Selbstverständlich haben Sie alles Recht dazu und jede Menge gute Gründe. Aber die habe ich auch, Ms. Martin. Ich möchte Ihnen helfen. Sie beschützen. Ich kann das nur, wenn Sie mich meine Arbeit machen lassen. So, wie ich gewohnt bin, sie zu machen. Es tut mir leid, dass ich Ihnen die Regeln nicht vorher erklärt habe. Wenn Sie möchten und denken, es bringt etwas, entschuldige ich mich dafür. Aber Sie sollten wissen, dass ich es nicht bereue.“ Sie wollte nicht glauben, was er ihr gerade sagte. Holly schluckte mehrmals, suchte nach Worten in dem Chaos, das in ihrem Kopf herrschte. Sie bemühte sich darum ebenso ruhig und rational zu reagieren und vor allen so zu sprechen wie er. Aber ihrer Stimme hörte sie nur all zu sehr an, wie aufgewühlt sie sich gerade fühlte. „Ich bin auf Ihre Hilfe angewiesen. Sie wissen das und ich weiß es auch. Ich bin keine Närrin, auch wenn ich langsam bezweifle, dass das hier Sinn macht. Sie stellen Regeln auf, ohne etwas zu erklären. Sie machen Versprechungen, Mr. Wescott, aber bisher sind das für mich nur leere Worte. Es fällt mir ausgesprochen schwer überhaupt zu akzeptieren, dass es dieses Wesen gibt. Dass er kein Märchen, keine Einbildung ist. Aber zu akzeptieren, dass es sogar Menschen gibt, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diese … Wesen zu jagen, vernichten, na was weiß ich. Das ist wirklich …“, sprachlos schüttelte sie den Kopf. „Es fällt Ihnen schwer zu glauben. Und das sollte es auch, Ms. Martin. Es ist nicht Ihre Aufgabe, unseren Orden zu verstehen. Sie sind kein Talamadre. Sie sollten von dem, was wir tun so wenig wie möglich wissen. Es ist sicherer und zudem wohl auch besser. Es bedarf Zeit bis man begreift, dass die Realität, in der wir leben vielschichtiger ist, als wir annehmen und mit dem bloßen Auge glauben, zu sehen.“ Sie erkannte den Hauch eines Lächelns auf seinen Lippen. „Das hier ist keiner dieser konstruierten Agentenfilme. Aber nachdem, was Sie in Ägypten erlebt haben, wissen Sie am allerbesten, dass die Welt nicht so einfach und ich möchte behaupten auch nicht so lächerlich ist.“ „Lächerlich?“ „Martini, geschüttelt nicht gerührt, schnelle Autos und in jedem Film eine andere Frau? Ich bitte Sie!“ Holly lächelte. Nicht so sehr, wegen dem was er sagte, sondern wegen seines Humors. „Wünschen Sie sich manchmal, es wäre so einfach?“ „Ich wünsche mir nie etwas, Ms. Martin. Wünsche, Träume, Hoffnung. Das sind alles ganz hübsch klingende Begriffe. Sie spenden Mut und Trost und ich will nicht leugnen, dass sie einer gewissen Motivation dienlich sind. Aber voran bringen sie einen nicht. Sie lösen keine Probleme. Dazu braucht es mehr.“ „Und was braucht es? Was haben die Talamadre, das Bond nicht hat?“ „Wir haben weder die schnellen Autos, noch die Drinks. Wir verfügen auch nicht über Wissenschaftler, die für uns seltsame, kleine, hochtechnologische Pistolen oder andere Gadgets entwickeln.“ Holly lachte erneut. „Und was ist mit den Frauen?“ „Den Frauen?“ „Na den gutaussehenden, toughen Frauen, die in keinem Bond Film fehlen dürfen.“ „Die“, James sah ihr in die Augen und sein Lächeln war nun eindeutig sichtbar. „Die gibt es wohl nicht nur in Bond Filmen. In allem steckt ein wahrer Kern, sagt man doch so, nicht wahr?“ „Sie überraschen mich immer wieder, Mr. Wescott.“ „Wie das?“ „In einem Moment sind Sie so geheimnisvoll und beinah … ich möchte nichts Falsches sagen.“ „Nein, bitte. Fahren Sie nur fort.“ „Unterkühlt?“ „Ah ja. Meine Mitarbeiter würden Ihnen da sicher beipflichten. Keine Sorge. Sie sagen mir nichts Neues, Ms. Martin.“ „Aber warum? Warum wirken Sie manchmal so auf die Menschen, wenn Sie stattdessen doch so …“ „So? Sie wollen doch nicht aufhören, wo es gerade interessant wird, oder?“ „Da! Sie machen es schon wieder.“ „Was mache ich?“ „Sie sind charmant. Und auf eben diese charmante Weise sind Sie zudem sehr witzig.“ „Witzig?“ James zog ein Gesicht, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen. „Tut mir leid. Ich sehe, das hätte ich besser nicht sagen sollen.“ „Unsinn, Ms. Martin. Ich bitte Sie inständig, ehrlich zu sein. Sprechen Sie offen aus, was Sie denken. Ich verspreche Ihnen, das gleiche zu tun.“ „Ehrlich zu sein?“ „Ehrlich mit Ihnen zu sein.“ „Und offen?“ „So offen es mir erlaubt ist und sicher erscheint.“ Bei seinen Worten blieb er ernst und Holly nickte schließlich. „In Ordnung. Ich denke damit kann ich gut leben.“ „Das freut mich zu hören. Haben Sie noch Fragen? Bezüglich der Regeln? Ich befürchte, wir sind ganz vom eigentlichen Thema abgekommen.“ „Stimmt. Ich weiß nicht. Ich hatte noch nicht all zu viel Zeit darüber nachzudenken. Aber natürlich frage ich mich, wie das nun genau läuft. Was werden Sie meinem Umfeld sagen? Wie lange wird das hier dauern?“ „Über die Dauer kann ich Ihnen noch keine Auskunft geben. Manchmal brauchen wir nur ein paar Tage, manchmal benötigt es mehr Zeit. Wochen, Monate bis wir die Gelegenheit haben, das Wesen zu fassen und die Gefahr zu eliminieren. Aber Ihr Fall hat oberste Priorität. Über den Rest brauchen Sie sich keine Sorgen machen. Ms. Cutforth wird Ihr Untertauchen offiziell verwischen und das so, dass Sie ohne Schwierigkeiten zurück können, sobald es wieder für Sie sicher ist. Sie ist eine Spezialistin auf dem Gebiet.“ „Ich traue mich gar nicht zu fragen, aber wie kann ich mir das alles leisten?“ „Leisten?“ Hollys Reserven waren fast aufgebraucht. Wovon sollte sie einen Geheimorden bezahlen? Gott, allein die Vorstellung klang völlig absurd. Auf der Kreditkartenabrechnung fände sie den Posten unter dem Betreff: Geheimorganisation für paranormale Aktivitäten. Den Begriff schnappte ihr Gehirn auf, weil er auf einem von James Ordnern stand, die er auf dem Tisch liegen hatte. Der Gedanke so etwas auf einer Abrechnung stehen zu haben, die ein Bankangestellter las, brachte sie fast dazu laut loszulachen. „Sie meinen, wie Sie uns bezahlen sollen?“ „Ja.“ Jetzt lachte James wirklich. Leise zwar, aber nicht lautlos. Sanft drang es an ihr Ohr und Holly glaubte beinah zu spüren, wie es ihr unter die Haut kroch und ein warmes Gefühl überall in ihrem Körper zurückließ. Pure Magie. „Ms. Martin, ich scheine die Sache mit Ihnen wirklich falsch angegangen zu sein.“ „Wie meinen Sie das?“ „Die meisten Menschen, denen ich geholfen habe, waren psychisch viel angeschlagener. Sie konnten selten in so rationalen Zusammenhängen denken. Die meisten Menschen übergebe ich unseren Psychologen, damit diese sich um sie kümmern, während sich unsere aktiven Teams um die Lösung eines Falls kümmern. Die Frage nach der Bezahlung habe ich an diesem Punkt der Unterhaltung noch nie gestellt bekommen.“ „Noch nie? Sie nehmen mich doch auf den Arm, Mr. Wescott.“ „Nein, mitnichten. Das würde sich schließlich ganz und gar nicht gehören.“ Er zwinkerte tatsächlich. „Ich meine es ganz ernst. In sechs Jahren höre ich diese Frage an diesem Punkt unserer gemeinsamen Arbeit zum ersten Mal.“ „Für alles gibt es ein erstes Mal.“ „So heißt es. Nun, Sie brauchen sich auch darum keine Sorgen machen. Der Orden arbeitet nicht gegen Bezahlung. Jedenfalls nicht gegen eine, die Sie zu leisten haben.“ „Sie haben also Geldgeber?“ „Ganz offensichtlich. Die Regierung unter anderem. Langweilige interne Geschichten, die ich Ihnen ohnehin nicht erzählen dürfte.“ „Fällt das unter die Geheimhaltung oder unter den Punkt, mich nicht in Gefahr zu bringen?“, scherzte Holly. „Dies ist eine der wenigen Fronten von denen aus Ihnen keine Gefahr droht, Ms. Martin.“ Und damit hatte er sie Ruckzuck wieder zurück zum Ernst der Lage gebracht. „Sie haben Recht. Es gibt keinen Grund zu lachen.“ „Das würde ich nicht behaupten. Aber die Situation ist sehr ernst und zudem gefährlich. Bisher hatten Sie ausgesprochenes Glück. An Zufälle und Glück glaube ich persönlich so wenig, wie an Wünsche, Träume und Hoffnung. Wir müssen herausfinden, weshalb Sie noch leben, Ms. Martin. Was Satek mit Ihnen vor hat. Was er überhaupt vor hat. Und wie wir ihn vernichten können.“ Holly schluckte. „Wie kann ich Ihnen dabei helfen? Gibt es nichts, das ich tun kann?“ James sah sie bei ihren letzten Worten an und seufzte. „Ich würde gerne behaupten, dass ich auf Ihre Hilfe verzichten kann. Leider wäre das gelogen und ich versprach Ihnen ja Ehrlichkeit.“ „Ja, das haben Sie.“ „Daher werde ich ehrlich sein und Ihnen sagen, dass ich unbedingt alles wissen muss, was damals passiert ist. Jedes noch so kleine Detail kann wichtig sein. Ich möchte Sie bitten, so schwer es Ihnen fällt, Ms. Martin, mir alles zu erzählen, an das Sie sich erinnern.“ Holly befeuchtete auf seine Worte hin die Lippen, die trocken geworden waren. Sie hatte im Grunde damit gerechnet und doch fühlte es sich ganz anders an, zu wissen, dass der Moment jetzt gekommen war. Ihre Hände wurden feucht und sie verschränkte ihre Arme. „Sie haben Angst, das kann ich sehen. Sie würden am liebsten jede Erinnerung an diese Zeit vergessen. Doch Ihre Erinnerungen werden nicht einfach verschwinden. Im Gegenteil, wenn Sie jetzt schweigen, wird der einzige Verbündete Ihrer Erinnerungen die Nacht sein. Der einzige Vertraute Ihrer Geheimnisse werden Ihre Träume sein. Begehen Sie nicht den Fehler, sich so einsam zu machen.“ Holly schossen Tränen in die Augen, als habe sie gerade Zwiebeln geschnitten. Sie brannten unter ihren geschlossenen Lidern und wollten sich an die Oberfläche kämpfen. Zusammen mit den schrecklichen Bildern, die sie weggesperrt hatte. Sie wollte nicht mehr weinen! Aber seine Worte hatten etwas tief in ihr berührt. Sie wollte nicht mehr allein mit diesen Erinnerungen sein. Sie wollte sie loswerden. Am liebsten ein für alle Mal. „Ich weiß, wie schwer der erste Schritt ist. Warum beginnen Sie nicht am Anfang? Es war der sechste September letzten Jahres. Da nahmen Sie den Flug nach Kairo.“ Er sah sie daraufhin erwartungsvoll an. „Das stimmt, ja. Wir waren 15 Forscher, mich eingeschlossen. Meine Forschungspartnerin Kate Davis und ich waren die Frischlinge. Der Rest des Teams arbeitete schon seit dem Frühjahr an der Ausgrabung. Die Expeditionsleiter Professor Hill und Dr. Jones wiesen uns ein. Die ersten Tage verliefen ohne besondere Ereignisse.“ „Und was passierte später?“ „Meine Partnerin und ich waren für den Nordkomplex eingeteilt worden. Das war im Grunde der langweiligste Teil der Ausgrabung, weil die Tunnel im Norden nur zu einer leeren Kammer führten. Es war eben das, was man den Frischlingen aufdrückt.“ Nervös spielte Holly mit ihren Haaren. Sie spürte die Angst vor den Erinnerungen, die mit einem Schlag so wirklich werden konnten. So als würde sie alles noch einmal erleben. „Kate und ich untersuchten die wenigen Hieroglyphen in diesem Tunnel. An diesem Tag fiel mir eine Schlange auf. Ein kleines Symbol, nicht größer als meine Hand. Ich hatte ein sehr seltsames Gefühl, schob es aber auf Übermüdung und die stickige Luft. Ich dachte mir jedenfalls zu Anfang nicht viel dabei. Kate amüsierte sich köstlich über meine von ihr so betitelte Besessenheit.“ Gott, ihren Namen so oft zu verwenden, beschwor ihr Bild herauf. Nicht das lebendige Lachen, ihre witzige Art und durch und durch romantische Ader. Sondern wie sie ganz still in ihrem Arm gelegen hatte. Die Augen geschlossen, die Lippen zu einem lautlosen Schrei geöffnet. Hollys Körper begann zu zittern. Wie aus weiter Ferne drang James’ Stimme zu ihr, die auf sie einredete. „Was für ein Gefühl? Beschreiben Sie es genauer“, hakte er nach. „Jedes Detail ist wichtig. Diese Empfindung könnte ausschlaggebend sein. Probieren Sie sich zu erinnern. Wie fühlte es sich an? Was löste es aus?“ Holly räusperte sich ein paar Mal, bevor sie die Kraft fand, weiterzusprechen. „Es war sehr widersprüchlich. Etwas in mir fühlte sich unwohl in den Gängen. Mir war immer sehr kalt. Das war merkwürdig, denn ich friere nicht sehr schnell und es war schrecklich heiß. Selbst in den unterirdischen Gängen war es schwül, stickig und entsetzlich warm. Ich hatte oft Kopfschmerzen und so eine bleierne Schwere im Magen. Gleichzeitig aber ...“ Holly stockte, weil ihr die Worte fehlten. Sie suchte in sich nach dem damaligen Gefühl der Zerrissenheit. „Es gab da diese andere Seite. Als wenn mich etwas immer wieder dorthin zog und sobald ich mich entfernen wollte, hallte es in mir wie ein Ruf.“ Sie unterbrach sich, weil ihr wieder etwas einfiel. „Kate sagte abends oft zu mir, dass ich zu vernarrt in diese Ausgrabungen sei. Sie meinte, ich würde diese Arbeit nicht ständig machen können, falls ich dabei jeden Abend so ein todunglückliches Gesicht zöge, sobald wir aufhörten. Ich weiß nicht, wieso, aber ich fühlte, mich schrecklich traurig, sobald ich den Gang und die Ausgrabungsstätte verließ.“ Sie spürte Tränen aufsteigen. Sie kniff die Augen zusammen. Sie wusste, welcher Teil der Geschichte jetzt folgte. Mit einmal waren die Erinnerungen wieder so klar, als erlebe Holly sie erneut. Sie sah genau vor sich, wie sie die Schlange untersuchte. Ihre Hand rutschte über eine scharfkantige Erhebung im Stein. So scharfkantig, dass sie sich in den Finger schnitt. Sie sah, wie sie den blutigen Finger in eine Vertiefung des Schlangenkörpers drückte und damit etwas ins Rollen brachte, was hätte nie passieren dürfen. Sie erzählte James davon und wie sie dadurch den Tunnel entdeckt hatten. „Es war eine Sensation und alle waren begierig herauszufinden, was am Ende des Tunnels lag. Mir selbst war er nicht geheuer. Es war nur ein Gefühl, aber ich wollte nicht wirklich in den Tunnel gehen. Ich tat es nur, weil alle gingen. Der Tunnel war mit unzähligen Gottheiten und ägyptischen Symbolen verziert. Ich konnte die Zeichen jedoch nicht deuten. Was immer an der Wand geschrieben stand, es waren keine normalen Hieroglyphen. Nichts dergleichen habe ich jemals in einem Buch gesehen. Als ich zurück kam, konnte ich mich an keines der Zeichen erinnern. Nicht an eines.“ Die Bilder verfolgten sie. Sie spürte, wie James sich neben sie setzte. „Es war so grauenvoll“, stotterte sie. Tränen rannen über ihre Wangen. Mit sanften Worten wollte er sie beruhigen. Aber sie verstand nicht eine Silbe. Trotzdem wirkte seine Anwesenheit. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und ließ den Tränen freien Lauf. Leise hörte sie seine Stimme. „Sie brauchen nichts mehr sagen, Holly. Ich weiß, dass sie alle tot waren. Doch Sie leben. Wie konnten Sie ihm entkommen?“ „Ich bin weggelaufen“, zwang sie sich zu antworten. „Ich rannte so schnell, wie nie zuvor. Ich wollte sie nicht im Stich lassen. Aber ich konnte nur noch daran denken, wegzurennen. Dann riss er mich um und ich sah ihn direkt vor mir. Er wirkte menschlich, beinah schön. Aber nicht seine Augen.“ „Was war mit ihnen?“ „Sie waren so erfüllt von Hass, von … Tod. Sie waren schwarz und kalt. So kalt, dass es sich anfühlte, als erfriere meine Seele, während ich ihn ansah.“ Sie war sicher gewesen, dass er sie töten würde. Doch er hatte es nicht getan. „Er sagte etwas zu mir, ließ mich los und ich lief. Ich lief wirklich. Bis alles einstürzte und ich von den Füßen gerissen wurde. Ich bekam einen Schlag auf den Kopf und kam erst im Krankenhaus wieder zu mir.“ „Wissen Sie noch, was er sagte?“ Seine Frage stellte James behutsam. „Nein, es tut mir leid. Es ist das Einzige, an das ich mich nicht erinnere. Ich weiß, dass er mir seinen Namen nannte, aber ich weiß seine Worte nicht mehr.“ Sie sah die Enttäuschung darüber in seinem Gesicht. Nicht lang, aber dennoch deutlich. Dann lächelte James aufbauend und sie bemerkte erst jetzt, dass er ihre Hände in seinen hielt. „Ich werde Sie von dieser Erinnerung befreien und dann können Sie endlich vergessen.“ Sie fühlte, wie er ihr Kinn anhob. Seine Berührung war vertraut und tröstend. „So wie ich Ihnen verspreche, Ihnen zu helfen, so versprechen Sie mir, sich zu vergeben. Tragen Sie nicht eine Schuld mit sich herum, die nicht Ihnen gehört. Lassen Sie los, Holly.“ Seine Augen strahlten in sanftem Grün. So tief. So unendlich tief. Sie wünschte sich in diesem Moment nichts mehr, als ihm glauben zu können. Das Klingeln des Telefons zerstörte das Gefühl der Sicherheit und warf sie beide zurück in die Realität. „Entschuldigen Sie“, bat James und erhob sich, um das Gespräch anzunehmen. „Wescott!“ Sie sah, wie er kurz innehielt. Dann entschuldigte er sich bei seinem Gesprächspartner. Zu ihr gewandt lächelte er. „Wir sind fertig. Gehen Sie auf Ihr Zimmer und ruhen sich aus. Sie haben es sich verdient.“ Holly wäre gerne bei ihm geblieben. In seiner Nähe, in der es sich anfühlte, als könne er die Erinnerungen von ihr fernhalten. Doch sie fühlte sich erschöpft und gab seiner Bitte nach. Holly ging zurück in ihr Zimmer. Dort legte sie sich aufs Bett und ließ den Tränen freien Lauf. Sie hoffte, dass sie alle Bilder mit sich wegschwemmten. Und vielleicht auch die Schuld, die sie sich gab. Wenn es nur so einfach wäre, zu vergessen und damit aufzuhören. Sie wünschte sich, er könnte ihr die Schuldgefühle einfach abnehmen. Doch so viel er ihr auch versprochen hatte, das hatte er nicht versprochen. James’ Augen tauchten in ihren Gedanken auf. Das faszinierende Grün, das Holly an eine Kleewiese erinnerte, auf die warmes Sonnenlicht fiel. Frei von Geheimnissen, frei von Schatten und Gefahr. Wenn er sie mit diesen Augen ansah, spürte Holly, dass es ehrliche Augen waren. Sie verrieten ihr, dass James sie beschützen wollte und für sie da war. In den Momenten vertraute sie ihm uneingeschränkt und das war, was sie wollte. Wenn das Licht verschwand und seine Augen eher den Schuppen der Schlange aus den Tunneln in Ägypten ähnelten, erkannte sie die Wahrheit, die sie verdrängte. Sie kannte James nicht und er versuchte in all ihren Gesprächen dafür zu sorgen, dass es so blieb.