Читать книгу Wolkenschwäne - Mila Brenner - Страница 4

Was ich wirklich vermisse

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„Hi“, ich öffnete Sephie die Tür. „Gut siehst du aus.“

„Danke. Du auch.“

Ich quittierte ihre Antwort mit einem Lächeln, denn ich sah kaputt und müde aus. Sephie war die ganze Woche krankgeschrieben gewesen. Ich liebte zwar meine Arbeit in der Buchhandlung, aber es war schon etwas ganz anderes allein dort zu sein. Und sowohl den Kunden, als auch den sonst so anfallenden Aufgaben gerecht zu werden, ohne dabei den Kopf zu verlieren.

„Zum Glück sieht man nichts mehr von der hässlichen Erkältung.“

„Nein, absolut nicht. Du siehst aus wie das blühende Leben.“

Sephie lachte. Sie wusste, dass ich die Wahrheit sagte. Ihr dunkelbraunes Haar, das fast genau den gleichen Ton wie mein eigenes hatte, glänzte und fiel ihr glatt bis zu den Hüften. Ich beneidete sie um ihr langes Haar. Aber immer, wenn ich versuchte, es mir auch so lang wachsen zu lassen, verlor ich die Geduld. Oder vielmehr die Nerven. Schließlich schnitt ich sie mir wieder kurz, sobald sie über meine Schulterblätter hinaus gingen und ich mehr als eine halbe Stunde brauchte, um sie mit dem Lockenstab und dem Föhn zu frisieren.

„Ich bin das blühende Leben, Schätzchen.“ Sephies dunkelbraune Augen blitzten, und das breite Lächeln zeigte ihre weißen Zähne.

„Gibt es einen bestimmten Grund dafür? Einen der zwei Beine hat, männlich ist und dessen Namen ich bisher noch nicht kenne?“

Sephie war meistens Single. Ihre Beziehungen dauerten nie länger als drei Wochen und das Verrückte war, dass sie das nicht störte. Sie fand Ehen völlig überbewertet, wollte keine Kinder und erklärte mir seit Monaten, dass das Leben als freie Frau das größte Glück auf Erden war. Natürlich nur, wenn man es auch so lebte wie sie es tat. Mir fiel das jedoch wesentlich schwerer.

„Du kennst mich einfach zu gut, Eden.“

„Nein, ich kenne dich nicht zu gut. Du bist nur leicht zu durchschauen.“

„Ach ja?“, konterte sie und setzte sich auf mein Sofa.

Es war Samstagabend und nachdem ich ihr erklärt hatte, dass ich keine Lust hatte wegzugehen, hatte sie beschlossen, spontan vorbeizukommen. Sie sah jedoch so aus, als wollte sie nicht allzu lange bleiben. Ihre Jeans saß eng auf den weiblichen Kurven und ihr schwarzes Top funkelte vor Glitzersteinen, die nur in einer Disco so richtig ihre Wirkung entfalteten. Hoffentlich hatte sie nicht vor, mich zu überreden. Ich wollte wirklich nicht ausgehen. Nicht ohne Grund trug ich einen bequemen Jogginganzug und hatte weder meine Haare gemacht, noch mich geschminkt. Daher war ihr Spruch, ich sähe gut aus, auch so zum Lachen gewesen.

„Willst du was trinken?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Ein paar Snacks?“

„Nein danke. Jetzt setz dich schon. Dieses Gastgebergehabe immer. Du machst mich ganz kirre damit.“

Ich lächelte und setzte mich neben sie. „Das liegt noch an gestern.“

„Was war gestern?“

„Kochclubtreffen.“

„Ach ja, der erste Freitag im Juli und dein zweites Kochclubtreffen, seitdem du wieder hier bist. Wie war es diesmal?“

„Schön.“ Ich stupste sie in die Seite. „Doch wirklich“, erwiderte ich bei ihrem skeptischen Blick.

Ich war das erste Mal vor vier Wochen wieder bei Grace gewesen und hatte sie und die anderen Mädels wiedergesehen. Natürlich kannte ich Grace und Tamsyn schon sehr lange. Wir waren in eine Schulklasse gegangen. Zwar hatte ich in der Schule mit Sephie rumgehangen, aber befreundet waren wir trotzdem gewesen. Und später dann, als Grace mich gefragt hatte, ob ich nicht Mitglied werden wollte, hatte ich ja gesagt. Das war vor ein paar Jahren gewesen. Ich mochte das Kochen und ich mochte auch die anderen Frauen. Wir waren eine tolle Truppe. Allerdings hatte es sich das letzte Mal merkwürdig angefühlt. Es waren nicht alle verheiratet, Tamsyn zum Beispiel war Single und als solcher so lebenslustig wie Sephie, doch alle anderen waren Ehefrauen und hatten Familie.

Ich war zudem nicht bloß Single, ich war nicht geschieden, ich war Witwe. Die Mädels hatten mich das nicht spüren lassen. Aber als Alec dann abends nach Hause gekommen war und sich das Thema unweigerlich Männern zugewandt hatte, hatte ich deutlich gespürt, dass es dafür bei mir noch zu früh war.

„Diesmal habe ich mich besser geschlagen. Ich hatte viel Spaß. Und du glaubst nicht, was alles los war.“

„Was? Hat sich Tammy ausgezogen und auf dem Tisch getanzt?“ Sephie lachte über den Scherz.

„Nein, hat sie nicht.“

Ihre Vermutung war nicht mal weit hergeholt. Tamsyn hatte auf einer unserer Stufenpartys im letzten Jahr der Highschool zu viel getrunken und sich tatsächlich das T-Shirt und die Jeans ausgezogen und hatte dann in Unterwäsche auf dem Tisch getanzt. Seitdem war sie Sephie sympathisch gewesen, obwohl sie vorher nur Konkurrenz in ihr gesehen hatte. Tammy und Sephie standen damals immer auf die gleichen Jungs, was es auch schwer gemacht hatte, zusammen wegzugehen.

Mittlerweile war der Geschmack der beiden aber garantiert ein anderer. Jedenfalls glaubte ich nicht, dass Tammy auf die Männer stand, die Sephie so abschleppte. Das waren meistens nur Männer für eine Nacht, maximal drei Wochen und Tamsyn suchte tatsächlich einen festen Partner. Sie hatte darin nur kein Glück. Bestimmt schreckte ihr Anwaltstitel so manchen Mann ab.

„Was gab es dann für wilde Eskapaden?“

„Es gab gar keine Eskapaden. Nur ziemlich viele Neuigkeiten.“

„Ach ja?“

„Abygail und Jim trennen sich.“

„Wirklich? So richtig mit Scheidung und allem Drum und Dran?“

„Vermutlich schon. Aber das ist noch nicht einmal das Heftigste.“

„Oh, jetzt wird es interessant.“

Ich sah Sephie an. „Ich bin nicht mal sicher, ob ich dir das alles erzählen sollte.“

„Wenn du mich darum bittest, werde ich es nicht gleich jedem Kunden erzählen, ob er es hören will oder nicht.“ Sie sah mich herausfordernd an und ich lachte.

„Na schön. Jim ist nicht Elises Vater. Abby war früher wie du und weiß nicht, von wem sie schwanger wurde. Ihre Eltern hätten ihr die Hölle heißgemacht und sie war finanziell von ihnen abhängig.“

„Bei Zeus“, sie unterbrach mich mit großen Augen. „Wer hätte das gedacht. Meine Hausärztin ist eine Seelenverwandte.“

Bei Zeus. Ja, so fluchte Sephie nur, wenn sie richtig begeistert war. Ansonsten versuchte sie, die Familienwurzeln zu ignorieren. Sephies Oma und ihre Mutter lebten in Griechenland. Genau wie ihr Bruder mit seiner Familie. Sephie fühlte sich als Amerikanerin. Sie war mit ihrem Vater nach Denver gekommen, als sie 10 Jahre alt gewesen war. Sie fuhr nur einmal im Jahr, meistens für einen Badeurlaub im Sommer nach Griechenland. Ihr Bruder führte direkt am Meer ein Hotel. Er war vier Jahre älter und bei der Mutter geblieben, als die Eltern sich hatten scheiden lassen. Sephie war mit ihrer sechs Jahre jüngeren Schwester Fayne mit dem Vater gegangen. Fayne lebte fünf Häuser von mir entfernt ebenfalls in der Walnutstreet und arbeitete in der Verwaltung des Polizeireviers. Im Gegensatz zu Sephie liebte sie das Kochen, weswegen Sephie vorzugsweise bei ihrer Schwester oder bei mir aß.

„Jedenfalls hat sie Jim all die Jahre glauben lassen, er sei der Vater und deswegen hat er sie auch damals geheiratet. Weil er davon ausging, sie geschwängert zu haben.“

„Das ist ja der Wahnsinn. Die Frau hat echt Nerven.“

Bei Sephie klang das bewundernd. Ich war mir nicht wirklich sicher, dass das die richtige Einstellung war.

„Ich weiß nicht. Sie hätte ihrem Mann und ihrer Tochter die Wahrheit sagen müssen, findest du nicht?“

„Wem hätte das denn geholfen? Das Mädchen wäre immer mit der Frage belastet gewesen, wer ihr wirklicher Vater ist, und Jim hätte das nur als Chance gesehen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das machen Männer gerne so.“

Woher ihr Misstrauen gegenüber Männern kam, hatte sie mir schon hundert Mal versucht zu erklären, aber ich hatte es nie verstanden. An ihrem Vater lag es sicher nicht, denn den liebte sie heiß und innig.

„Vielleicht hast du recht“, stimmte ich ohne Überzeugung zu. „Auf jeden Fall zieht Jim nun aus. Er hat eine Neue und Abygail scheint sehr getroffen davon.“

„Sag ich ja. Auf Männer sollte man sich nie verlassen.“ Sie sah mich an. „Gab es sonst noch was? Das klingt nach einer tragischen Eskapade und nicht gerade nach einem typischen Klatschthema. Ihr redet doch sonst immer nur über nette und schöne Sachen.“

„Stimmt ja gar nicht.“

„Natürlich stimmt das. Ich meine das nicht als Vorwurf“, sie sah mich ernst an. „Aber es hat dich niemand nach Simon gefragt, danach wie du das letzte Jahr verlebt hast, wie du damit zurechtgekommen bist, dass sein Todestag vor ein paar Wochen war. Über diese Dinge eben.“

„Ich weiß“, gab ich zu. Allerdings bedauerte ich das nicht. „Worüber ich auch sehr froh bin.“

Sephie seufzte.

„Ich möchte nicht darüber reden. Das habe ich dir schon gesagt. Außerdem wäre das nun wirklich kein Thema für so einen geselligen Abend.“

„Genau das war es, was ich gesagt habe.“ Sie grinste und fühlte sich offensichtlich bestätigt.

Wie sie das wieder hinbekommen hatte, war mir ein Rätsel. Aber so kannte ich sie. Sie war wie ein Wirbelwind und meistens trieb sie mich vor sich her, statt mich nur mitzuziehen. Sie tat mir viel besser, als ich ihr. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass sie meine Bodenhaftung gerne abschüttelte und nichts von der Bodenständigkeit hielt, die ich lebte. Ob nun, weil sie mir anerzogen war, oder weil ich ein langweiliger Mensch war. Vielleicht war ich das. Ich liebte die Natur und Spaziergänge, ich mochte kochen und essen und ich las gerne. Ja, vermutlich war ich tatsächlich langweilig, wenn man mich mit Sephie verglich. Sie war im Winter im Ski Resort gewesen und hatte sich dort eine Rippe gebrochen. Im Herbst hatte sie sich für ein Kanutraining angemeldet, nachdem sie im Frühjahr festgestellt hatte, das Westernreiten nichts für sie war. Oder Pferde im Allgemeinen.

Sie probierte ständig Neues aus und zeigte dabei keine Angst. Falls sie was nicht konnte, schüttelte sie es ab und ging zur nächsten Aktivität über. Lesen war das einzige langweilige Hobby, was Sephie besaß. Allerdings las sie auch nur Sachbücher, Biografien, Horrorromane und Thriller. Ich kümmerte mich um die anderen Bereiche. Wir ergänzten uns beruflich perfekt. Wie das innerhalb unserer Freundschaft funktionierte, war mir ein Rätsel. Aber wenigstens mochten wir dieselben Filme und Serien und so trafen wir uns eigentlich regelmäßig, um einen gemeinsamen Filmabend zu machen oder um zusammen ins Kino zu gehen.

„Also gab es noch was Interessantes, was ich wissen müsste?“

„Grace befindet sich in einer Ehekrise. Alec ist abgehauen und sie weiß nicht, was aus ihnen wird.“

„Ist ja krass.“ Sephie sah mich überrascht an. „Grace und Alec? Ich dachte immer das seien die Vorbilder für diese perfekte große Liebe. Normalerweise funktionieren Collegelieben nie. Aber bei den beiden endete alles in einer glücklichen Ehe, zwei Kindern und ...“

„Drei.“

„Drei?“

„Das war die andere Neuigkeit in dem ganzen Chaos. Grace ist schwanger.“

„Schwanger und eventuell bald alleinerziehend? Ach du scheiße!“

Ich verzog mein Gesicht. „Dein Optimismus ist unschlagbar, Sephie.“

„Was denn? Du hast doch selbst gesagt, dass er abgehauen ist.“

„Er muss über ein paar Dinge nachdenken. Laut Grace ist das nur seine Art, ein Problem mit sich allein auszumachen.“

„Sie glaubt also er kommt zurück?“

„Er sagt, es ginge nicht um sie beide.“

„Aha.“ Meine Freundin sah nicht überzeugt aus und machte eine wegwischende Handbewegung. „Ich sag dir was. Das ist viel zu kompliziert für uns. Wir Singles sollten nicht über die Eheprobleme von anderen nachdenken. Das ist ein Dschungel bei Nacht, dem wir nicht zu nahe kommen sollten. Es wimmelt in der Ehe nur so von Schlangen und anderem giftigen Getier.“

Obwohl ich ihre Meinung weder teilte noch besonders witzig fand, musste ich trotzdem lachen.

Sephie sah zufrieden zu mir. „Gefällt mir schon viel besser, wenn du lachst, statt hier herumzugammeln und Trübsal zu blasen.“ Sie zog die Brauen streng ins Gesicht und sah mir direkt in die Augen. „Bist du sicher, dass du dich nicht rasch fertigmachen und mit mir ausgehen willst?“

Als ich meinen Kopf daraufhin schüttelte, seufzte sie hilflos.

„Du weißt ja nicht, was du verpasst.“

„Mir ist eben nicht danach.“ Ich deutete auf das Buch und die Kuscheldecke, die ich mir bereitgelegt hatte. „Ich möchte den Abend lieber mit einer kalten Limonade, Zitronenkeksen und lesen verbringen.“

Sephie schielte auf den Titel und schnaubte unwillig. „Du willst dir wirklich dieses Buch antun? Abgesehen davon, dass du es schon zwei Mal gelesen hast, glaube ich nicht, dass das gut für dich ist.“

P.S. Ich liebe dich war mein Lieblingsbuch. Ich hatte es sogar schon mehr als zweimal gelesen und es ihr nur nie verraten.

„Mag sein. Aber ich liebe es und mir ist nun mal danach.“

Sephie schüttelte den Kopf und ich deutete ihren Blick als ihren typischen ‚Ich gebe es auf‘- Blick. Als sie aufstand, wusste ich, dass ich recht gehabt hatte.

„Na schön. Bist du mir böse, wenn ich dann jetzt aufbreche?“

„Nein überhaupt nicht.“

Von mir aus hätte sie mich auch am Telefon fragen können, wie es mir ging. Aber sie traute meinen Worten nicht. Zu Recht. Ich hatte sie schon viel zu oft angeschwindelt, wenn es um meine Gefühle oder meinen Gemütszustand ging. Seit sie das mitbekommen hatte, kam sie lieber direkt vorbei, um sich ein eigenes Bild von meinem Elend zu machen.

Heute Abend schlug ich mich wohl ganz gut, andernfalls wäre sie trotz ihres Wunschs wegzugehen, hiergeblieben. Sie war oft anderer Meinung und wir hatten nur wenige Gemeinsamkeiten, aber sie war trotzdem meine beste Freundin und passte immer auf mich auf.

Ich brachte Sephie bis zur Tür, und als sie gegangen war, holte ich mir aus der Küche die kaltgestellte Limonade und stellte einen Teller mit Zitronen- und Orangenkeksen zusammen. Ich trug beides ins Wohnzimmer, machte es mir dort in meinem Lesesessel gemütlich.

Die Wohnung war schön geworden. Ich hatte seit meinem Einzug viel verändert. Nach und nach hatte ich die Einrichtung verkauft oder rausgeworfen und durch Neue ersetzt. Jetzt hatten die Räume meinen persönlichen Charme. Ich hätte gerne die kalten Fliesen im Wohnzimmer oder das Linoleum in der Küche und den Teppich im Schlafzimmer ausgetauscht. Auch die Tapeten hätte ich gerne abgelöst und neu tapeziert. Aber da ich mich weder mit dem einen noch dem anderen auskannte, hatte ich die Böden und Wände gelassen, wie sie waren. Für Handwerkliches war immer Simon zuständig gewesen. Ich hatte absolut keine Begabung, was das anging. Stattdessen schaffte ich es schon mich zu verletzen, wenn ich einen Nagel in die Wand schlug. Zum Anbringen der Lampen und Regale hatte ich Sephies Hilfe benötigt. Die war ebenso unbegabt wie ich, aber als ich eingezogen war, traf sie sich mit einem Kerl, der wusste, wie man mit einer Bohrmaschine umging. Er hatte wohl angenommen, er könnte bei ihr Punkte sammeln, indem er ihrer besten Freundin in der Not zur Seite stand. Leider gab sie ihm trotzdem vier Tage später den Laufpass.

Ich grinste bei der Erinnerung an Paul. Denn ein Tag danach hatte er vor meiner Tür gestanden und gefragt, ob ich nicht Lust hätte mit ihm ins Kino zu gehen. Sephie hatte allen Ernstes wissen wollen, ob ich zugesagt hatte. Als ich sie ungläubig gefragt hatte, wie sie darauf kam, ich hätte seine Einladung angenommen, hatte meine Freundin locker die Achseln gezuckt.

Meinetwegen hättest du mit ihm ausgehen können. Er ist gar nicht so schlecht im Bett. Sanft und vorsichtig. Genau das Richtige, um wieder ins Spiel einzusteigen.“

Das war ihre Antwort gewesen. Danach war das Thema für sie beendet. Sie brauchte nicht erwähnen, dass es ihr ernst damit war.

Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Damals hatte ich entrüstet, für meine Verhältnisse sogar wütend reagiert. Jetzt sechs Wochen später gelang es mir, über Sephies Reaktion zu lachen. Wahrscheinlich hatte sie Recht und es war unmöglich zu behaupten, ich könnte für den Rest meines Lebens enthaltsam und ohne Mann leben. Aber sie verstand einfach nicht, dass ich noch nicht so weit war, mir überhaupt nur vorzustellen, mit einem anderen Mann auszugehen. Bei der Vorstellung ein Date zu haben, Händchen zu halten, oder gar jemanden zu küssen, schauderte es mich. Wenn ich meine Augen zumachte, spürte ich Simons Berührungen auf meiner Haut. Wenn ich mich konzentrierte, schaffte ich es auch ein Jahr nach seinem Tod noch, seinen Duft in der Nase und sein Lachen im Ohr zu haben. Dieses laute, schiefe Lachen, was zu seiner offenen, redseligen Art gepasst und mir sofort gefallen hatte.

Ich öffnete die Augen, wischte mir die Tränen von der Wange. Für einen neuen Mann, ein Rendezvous oder ein One-Night-Stand war ich ganz klar noch nicht bereit. Ich vermisste all das nicht.

Was ich wirklich vermisste, war meinen Ehemann. Ich vermisste Simon. Wie wir zusammen gewesen waren. Wie er meinem Alltag Farbe gegeben hatte. Danach sehnte ich mich und das konnte mir kein Date mit einem Fremden wiedergeben. Also kuschelte ich mich unter meine Decke in meinen Lesesessel, ignorierte den Fakt, dass es zu warm dafür war und griff nach meiner Abendlektüre. Das Buch hatte den großen Vorteil, dass es so traurig war, dass ich behaupten konnte, meine Tränen kämen von der Geschichte und nicht vom Kummer, der schwer wie Blei auf meinem Herz lastete.


Wolkenschwäne

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