Читать книгу Wolkenschwäne - Mila Brenner - Страница 6
Mein poetischer Teddybär
Оглавление„Edie!“, mein Vater nahm mich in den Arm und ich gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Schön, dass du gekommen bist.“
„Wenn du mich nicht nur mit Moms Erdbeerkuchen, sondern auch noch mit einem Spaziergang durch den Park herlockst, kann ich doch unmöglich nein sagen.“
Mein Vater lachte leise. Natürlich hatte ich Recht und er hatte gewusst, dass er mich so aus der Wohnung locken konnte. Dabei hatte ich mir schon genau ausgemalt, was ich mit diesem warmen Sommersonntag anfangen wollte. Zuerst wollte ich meine Wäsche waschen und aufhängen, die trocknete bei den Temperaturen nämlich wunderbar. Danach hätte ich einen kleinen Stadtbummel gemacht und irgendwo in einem Bistro auf der Pearl einen leichten Salat gegessen. Den restlichen Tag hätte ich mit meinem aktuellen Buch auf dem Sofa verbracht. Als ich gerade die Waschmaschine angestellt hatte und ins Bad gehen wollte, um mich fertigzumachen, hatte mein Vater angerufen.
Nun folgte ich ihm am Haus vorbei zum Garten, wo meine Mutter das Mittagessen auftischte.
„Eden.“ Sie küsste mich über die große Schüssel, die sie in der Hand hielt.
„Kann ich dir noch helfen?“
Sie warf einen Blick auf den Tisch und schüttelte den Kopf.
„Nein, setz dich zu deinem Vater. Ich gehe nur schnell die Limonade holen.“
„Das sieht alles ganz toll aus.“ Ich warf meinem Vater einen Blick zu und er lächelte.
„Nachdem ich deiner Mom sagte, dass du schon zum Mittagessen kommst, ist sie gleich in der Küche verschwunden.“
„Du hast das geschickt geplant. Mom wollte mich wohl nur zum Kaffee einladen, was?“
„Sie dachte, wenn sie dich fragt, ob du den Tag mit uns verbringen willst, hast du eine Ausrede parat und kommst gar nicht. Sie hat immer noch nicht gelernt, dass man nur die richtigen Worte finden muss.“
„Du meinst, sie weiß nicht, wie man mich besticht?“
Er grinste unverschämt und sah dabei aus, als sei er sich keiner Schuld bewusst. Ich schüttelte lächelnd den Kopf.
„So da bin ich.“ Meine Mutter schenkte uns ein. „Warum habt ihr euch noch nicht aufgetan?“
„Du machst das viel besser, Liebling.“ Mein Vater lehnte sich in seinem Gartenstuhl zurück und meine Mutter nickte ernst.
„Das stimmt. Was darf ich dir geben?“
Sie meinte mich und ich sah auf die verschiedenen Schüsseln und Schalen. „Was ist das alles, Mom?“
„Das hier ist Salat mit frisch gerösteten Pinienkernen und Ziegenkäse. Das da ist Salat mit Heidelbeeren und Linsen und der Feldsalat ist mit Erdbeerdressing gemacht.“
Ich warf meinem Vater einen Blick zu und er erwiderte ihn. In seinen Augen las ich die eindeutige Botschaft: „Ich habe es dir ja gesagt.“
„Weißt du Mom, das sieht alles hervorragend aus und ich habe nicht gefrühstückt. Ich nehme von allen drei Salaten ein bisschen.“
Meine Mutter lächelte glücklich, schnitt mir danach von dem noch warmen Brot zwei große Scheiben ab und schob den Ziegenfrischkäse und die Erdbeermarmelade in meine Richtung.
Wir aßen über eine Stunde, saßen dabei zusammen im Garten und unterhielten uns. Mein Vater erzählte mir von der Ernte, seinem Kampf gegen freche Vögel und Käfer und seinen neuen Eigenkreationen, wie der Erdbeer-Ingwer Marmelade und dem Birnen-Quitten Gelee mit einer kleinen Note von Cranberry. Ich versprach zu kosten, und ihm danach meine ehrliche Meinung zu sagen. Allerdings klang der Name bereits so lecker, dass ich schon jetzt wusste, dass es mir schmecken würde.
Nachdem wir eingesehen hatten, dass keiner von uns in der Lage war, auch nur eine Gabel mehr zu essen, half ich meiner Mutter beim Abräumen. Während sie die Salate umfüllte und in den Kühlschrank stellte, spülte ich.
„Und wie geht es dir Schatz?“
Ich warf einen Blick über die Schulter und sah, wie meine Mom mich beobachtete.
„Gut. Warum fragst du? Ich habe euch doch eben erzählt ...“
„Du hast von deiner Wohnung erzählt, die Fotos auf deinem Handy gezeigt und von der Arbeit und Lila berichtet. Ich freue mich, dass ihr gut miteinander auskommt, deine Wohnung sieht wirklich schön aus und Vater und ich besuchen dich bestimmt gerne, um uns alles selbst anzusehen. Aber du hast uns trotzdem nichts von dir erzählt.“
So wie sie das betonte, konnte ich die Intention dahinter nicht missverstehen. Ich seufzte. „Und ich dachte schon, du hättest es nicht gemerkt.“
Meine Mutter schnaubte. „Ich bin deine Ma. Natürlich merke ich so was.“ Sie kam zu mir, lehnte sich an die Küchenzeile und sah mir von der Seite her in die Augen. „Es tut immer noch sehr weh, nicht wahr?“
Ich nickte, unfähig etwas zu sagen.
Sie streichelte meinen Arm und ich hörte, wie sie seufzte. „Ach mein armer Schatz.“
„Nicht.“ Ich hob den Kopf und sah sie an. „Kein Mitleid, Mom. Wir müssen damit aufhören. Es hilft mir kein bisschen, wenn du genau so traurig bist, wie ich.“
„Ja, ich weiß.“ Sie lächelte unsicher. „Aber ich weiß nicht, was ich machen kann, um dir zu helfen. Und das macht mich wahnsinnig, Kind.“
„Das braucht es nicht. Mit der Zeit wird es besser.“ Das musste es einfach. „Es ist schön bei euch zu sein und zu reden. Lass uns so tun, als wäre das der Grund dafür, dass ich hier bin und nicht, weil ihr euch immer noch Sorgen um mich macht. Meinst du das geht?“
„Ja.“ Sie nickte. „Ja, natürlich, Schatz.“
„Edie?“
Ich sah an meiner Mutter vorbei. Mein Vater stand im Flur und warf mir einen fragenden Blick zu. „Hast du Lust auf einen Spaziergang? Wir können bis zum See gehen und sind bestimmt rechtzeitig zum Kaffee wieder hier. Außerdem haben wir nach dem Laufen bestimmt mehr Hunger als jetzt.“
„Müssen wir denn viel Hunger haben?“ Ich sah von ihm zu meiner Mom, die verlegen errötete.
„Es gab da dieses neue Rezept, was ich ausprobieren wollte.“
Ich lachte auf. „Und das heißt?“
„Deine Mutter hat Erdbeerkuchen gemacht, einen Obststreuselblechkuchen und noch Torteletts. Du siehst, wir müssen unbedingt bis zum See laufen, bevor wir uns wieder zurück in den Garten trauen.“
„Du bist wirklich unmöglich, Mom.“
„Ach was. Das, was übrig bleibt, kann dein Vater morgen mit in den Laden nehmen. Wenn es nach unseren Kunden geht, könnte ich glatt noch eine Bäckerei oder ein Café aufmachen.“
Mein Vater nickte. „Sie lieben das Gebäck deiner Ma.“
„Natürlich lieben sie es.“ Daran zweifelte ich kein bisschen. Meine Mutter war eine ausgefallene Köchin, aber sie tat es mit so viel Liebe und Leidenschaft, dass jede ihrer Kreationen dennoch gelang, und zudem unglaublich lecker war.
„Vielleicht sollte ich mir die Idee ernsthaft überlegen. Wäre zur Abwechslung doch mal schön, mein eigener Chef zu sein, statt für deinen Vater zu arbeiten.“
Mein Vater schüttelte den Kopf. „Kommt gar nicht in Frage. Wir haben genug Arbeit.“
Es war schön, zu sehen, wie meine Eltern sich nach so vielen Jahren einander immer noch mit liebevollen Neckereien bedachten. Bevor mein Herz schwer wurde und die Traurigkeit mich zu verschlucken drohte, wandte ich mich an meinen Vater.
„Komm schon, Dad. Lass uns gehen. Sonst wird es zu spät und du weißt ja, wie Mom es hasst, wenn der Tee kalt wird.“
Denn vier Uhr war ihre feste Teezeit und sie duldete es nicht, dass man früher damit anfing oder zu spät kam. Als ich noch zuhause gewohnt hatte, hatte ich um vier Uhr alles stehen und liegen lassen und im Wohnzimmer oder im Garten erscheinen müssen. Während des Tees unterhielten wir uns über den Tag und egal wie blöd ich es fand, an so einer kindischen Regel festzuhalten, war ich am Ende glücklich gewesen, dass meine Mutter keine Gnade kannte. Denn irgendwie war es doch immer schön, zusammenzukommen, zu reden und sich daran zu erinnern, dass es mehr gab als sich selbst. Gerade als Teenager war das eine merkwürdige Erfahrung gewesen und meine Mutter behauptete bis heute, dass sie meine Pubertät anders nie überstanden hätte. Statt mit Strafen und strengen Regeln hatte meine Mutter es geschafft, zu meiner Freundin zu werden, indem sie mich dazu brachte, sie nicht aus meinem Leben auszugrenzen. Sei es auch nur durch diese halbe Stunde am Tag, die ich ihr zuhören musste, oder die sie mich überredete, über die Dinge zu sprechen, über die ich sonst nicht reden wollte. Heute war ich ihr dankbar dafür, denn trotzdem ich viele Freundinnen hatte, konnte niemand meine Mom ersetzen. Ich liebte meine Eltern und sie würden für mich immer die wichtigsten Menschen auf der Welt sein.
Genau deswegen antwortete ich meinem Vater ehrlich auf die Frage, ob es okay sei, dass ich meinen freien Sonntag mit ihnen verbrachte.
„Das ist schon okay, Dad.“ Ich hakte mich bei ihm ein und gemeinsam liefen wir den schmalen Kiesweg bis zur Straße entlang. Die Sonne brannte hoch am Himmel und ich hatte mir einen von Moms Strohhüten geliehen, so dass ich keinen Sonnenstich bekam. Dad trug seinen Anglerhut und brachte mich auf eine Idee.
„Warum hast du nicht deine Angelrute mitgenommen?“
„Ach Edie. Ich war schon eine Ewigkeit nicht mehr angeln.“
„Wieso nicht?“
„Die Zeit, Liebes. Ich wüsste nicht, wann ich das machen soll. Um ehrlich zu sein, hat deine Mutter dich nur eingeladen, damit ich mal nicht arbeite.“
Obwohl in seiner Stimme die Heiterkeit lag, die ich von meinem Vater gewohnt war, hörte ich doch heraus, dass er die Wahrheit sagte.
„Dad!“, schimpfte ich. „Du sollst dir doch wenigstens einen freien Tag in der Woche gönnen.“
„Als Obst- und Gemüsebauer und Geschäftsbetreiber gibt es keine freien Tage.“ Er sah mich an. „Das war schon immer so und ich habe Glück. Ich liebe meine Arbeit. Würde im Leben nie was anderes machen wollen.“
Ich seufzte, weil es keinen Sinn machte, mit ihm darüber zu streiten. Mein Vater liebte seine Arbeit und deswegen war es sinnlos ihm klarmachen zu wollen, dass er sich mit sechzig ruhig mal einen freien Tag in der Woche gönnen durfte. Zum Glück war er kerngesund und es gab keinen Grund, dass er kürzertreten musste. Meine Mutter sagte manchmal scherzhaft, wie traurig sie es fand, dass er so gesund war. Er handelte sich im ganzen Jahr vielleicht eine Erkältung ein. Und diese eine Woche Bettruhe trieb meine Mutter eher in den Wahnsinn, als dass sie sie genießen konnte. Denn es gab nur eines was schlimmer war, als ein kranker Mann. Einer, der es nicht gewohnt war krank zu sein, und Bettruhe auf den Tod nicht ausstehen konnte. Manchmal hätte Mom ihn sicher gerne ans Bett gefesselt. Insofern waren es wirklich nur Scherze, wenn sie sich wünschte, Dad würde häufiger krank sein, um frei zu machen.
„Wie geht es denn Mom?“, fragte ich meinen Dad und kehrte damit zurück in die Gegenwart. Meine Mutter hatte Anfang des Jahres anfängliche Osteoporose und Rheuma diagnostiziert bekommen. Ihr taten jetzt häufiger die Knochen weh. Gerade bei Wetterumschwüngen war es schlimm und immer öfter hatte sie am Abend dann angeschwollene Füße und kam in keine Schuhe mehr.
„Der Sommer tut ihr gut. Sie klagt nicht so oft über steife Finger, wie im Winter und sie kann barfuß laufen, was es ihr unheimlich leicht macht, zu verbergen, ob sie wieder Elefantenfüße hat.“
„Dad!“, ermahnte ich ihn und musste dennoch lächeln. Ich wusste ja, dass er es liebevoll meinte. „Ruht sie sich ab und an aus?“
„Na du kennst sie doch. Ich versuche mein Bestes. Manchmal kann ich sie zu Handarbeiten überreden. Oder ich gebe ihr den Auftrag, für den Laden ein bisschen neue Dekoration zu basteln. Dann hat sie eine sinnvolle Aufgabe und setzt sich auch mal hin. Aber die meiste Zeit ist sie genau so lang auf den Beinen und klettert mit mir auf Leitern herum, wie ich.“ Er lächelte. „Ohne sie würde ich es nicht schaffen, Edie. Sie weiß das. Macht also keinen Sinn ihr was anderes vormachen zu wollen. 36 Jahre sind eine lange Zeit.“
36 Jahre kannten sich meine Eltern. Das war so eine verdammt lange Zeit. „Ihr habt bald 35-jährigen Hochzeitstag. Macht ihr was Besonderes?“
„Wir haben nie was Besonderes gemacht, warum sollten wir das dieses Jahr ändern?“
„Weil du nicht weißt, wie viele Gelegenheiten du noch bekommst. Niemand weiß, wie viele Jahre er hat. Ihr solltet etwas Schönes machen.“
Mein Vater schwieg, aber ich spürte deutlich, wie er mich nach meinen Worten ansah. Trotzdem blickte ich stur auf den Weg. Wir verließen gerade den Gehweg, um in den Wald einzubiegen. Die Bäume spendeten hier Schatten und es war dadurch ein wenig kühler.
„Hier lässt es sich gleich viel besser aushalten“, lenkte ich ab. Als mein Vater immer noch nichts sagte, sah ich ihn schließlich an. „Sag schon, was du sagen willst, Dad.“
Er blieb stehen. „Ich möchte nichts sagen, Edie. Glaub mir, ich wollte keines dieser Gespräche führen. Welcher Vater will seiner wundervollen Tochter Tipps geben, wie sie über den Tod ihres Ehemanns hinwegkommt? Abgesehen davon habe ich keine Erfahrung damit. Wie gut können meine Ratschläge da schon sein?“
„Deine Ratschläge sind immer gut. Du gibst sie mir nur viel zu selten.“
Er lachte und eine Weile gingen wir schweigend weiter. Schließlich räusperte er sich.
„Was würdest du denn vorschlagen? Was würde deiner Mutter gefallen?“
Ich überlegte einen Moment. Das war gar nicht so einfach. Meine Mutter hatte sich meinem Vater so sehr angepasst, dass sie ihr ganzes Leben nach ihm ausgerichtet hatte. So wie sie früher ihr Leben nach mir ausgerichtet hatte. Ich war ihr Mittelpunkt gewesen. Ihre Aufgabe.
„Ganz schön schwer, deine Mutter zu ergründen, was?“
„Wenn es dir nach 36 Jahren nicht gelingt, frage ich mich, wie du von mir Hilfe erwarten kannst.“ Ich schmunzelte und suchte nach einer Eingebung. Wenn ich meinem Vater vorschlug, etwas Besonderes zum Hochzeitstag zu machen, durfte ich ihn jetzt nicht im Stich lassen. Irgendwas musste mir doch einfallen, womit er sie überraschen und ihr gleichzeitig eine große Freude machen konnte.
„Na schön. Mom liebt die ausgefallene, gute Küche. Sie braucht ein wenig Erholung, was euch beiden gut täte. Wie wäre es mit einem Wochenende in einem schönen Wellnesshotel?“
„Wellnesshotel? Aber nicht so was Glamouröses, Liebes. Wir sind keine feinen Leute. Deine Mutter mag es nicht einmal, sich übermäßig herauszuputzen.“
„Weiß ich ja, Dad. Ich gucke mich im Internet mal um und bestimmt finde ich was Passendes. Lass mich nur machen. Die Hauptsache ist doch, ihr kommt mal raus. Habt mal ein bisschen Zeit nur für euch zusammen, ohne dass ihr dabei an den Laden denkt.“
„Stimmt schon, Edie.“
Mein Vater lenkte das Gespräch geschickt weg von dem Thema und ich war ihm nicht mal böse. Auch mein Hochzeitstag näherte sich. Simon und ich hatten am ersten September geheiratet. Vier Jahre war das her. Während es mir so vorkam, als habe er erst gestern noch mit mir zusammen gefrühstückt, lagen die Erinnerungen an diesen Tag, an dem wir uns das Ja-Wort gegeben hatten, tatsächlich weit zurück. Vielleicht hatte ich sie im Unterbewusstsein verdrängt, um mich vor noch mehr Kummer zu bewahren. Mir wollte jedenfalls nicht mehr einfallen, was der Pfarrer bei der Trauung gesagt hatte, oder zu welchem Lied wir getanzt hatten. Ich wusste, dass Sephie an dem Abend auch eine sehr witzige Rede gehalten hatte. Sie war meine Trauzeugin gewesen. Doch selbst an ihre Worte konnte ich mich nicht mehr erinnern.
„Warum erinnern wir uns eigentlich viel besser an die schlimmen Dinge im Leben? Wieso ist das so, Dad?“
„Ach Liebes.“ Er legte seinen Arm um mich, ging aber weiter. „Ich schätze das liegt einfach daran, dass wir Menschen uns viel zu oft an Erinnerungen hängen.“
Als er daraufhin schwieg, knuffte ich ihn in die Seite. „Wie meinst du das? Erklär mir das genauer. Denn ich begreife das Prinzip nicht.“
„Ich bin nicht so gut mit Worten, Edie.“
„Doch bist du. Du weißt, dass du es bist. Du ziehst es vor zu schweigen, statt viel zu reden. Aber wenn du willst, kannst du ganz wunderbar mit Worten umgehen.“
Meine romantische Ader, mein Hang zu träumen und meine Liebe zum Lesen, all das hatte ich jedenfalls von ihm. Und nicht von meiner Mom, die im Leben immer allen praktischen Dingen den Vorzug gab, und nur auf ihre pragmatische Stimme hörte.
„Komm schon Dad. Für mich“, flehte ich und diesmal tat ich es bewusst. Ich wusste ja, dass er meinem Flehen nicht widerstehen konnte. Eine Tatsache, die ich nur im Notfall gegen ihn verwendete. Aber das gerade war so ein Moment, der das Mittel rechtfertigte. Ich musste einfach wissen, wie er das gemeint hatte. Es beschäftigte mich bereits eine ganze Weile, dass ich mich so detailliert an den Tag erinnerte, als die Polizei mich über Simons Unfall informiert hatte. Auch den Tag seiner Beisetzung konnte ich mir ganz genau in Erinnerung rufen. Ich wusste sogar, welcher Psalm gesprochen worden war und was für Blumen auf seinem Sarg gelegen hatten. An all das erinnerte ich mich viel zu klar und deutlich, während unsere Hochzeit oder der Tag, an dem wir uns das erste Mal begegneten, immer mehr verblassten.
„Na schön“, seufzte mein Vater und ich sah zu ihm auf, froh, dass er seinen Arm nicht von meiner Schulter nahm. „Ich finde einfach, dass wir uns zu sehr an Erinnerungen hängen, statt das Glück, was wir so krampfhaft festzuhalten versuchen, jeden Tag aufs Neue da draußen zu suchen.“
Er sah mir nun in die Augen und hielt meinen Blick. „Das Schlimme begleitet uns, weil es unsere Angst widerspiegelt. Es sind oft Erinnerungen von denen wir hoffen, wir hätten sie nie erlebt. Wenn wir traurig sind, wenn wir Angst haben oder es uns schlecht geht, kommen sie in uns hoch. Die Angst beschwört sie herauf. Aber das Glück lässt sich nicht so leicht heraufbeschwören, nur weil wir in dem Moment nach etwas suchen, um die Angst zu vertreiben. Du musst erkennen, dass das Glück ebenfalls dein täglicher Begleiter ist. Alles was du machen musst, ist die Augen öffnen und danach suchen, Edie. Simons Tod war ein schrecklicher Schicksalsschlag und glaube mir, ich habe mehr als einmal mit dem Leben gehadert, dass es so grausam zu euch beiden sein musste. Aber diese Dinge liegen nicht in unserer Macht. Doch nur weil das Leben einmal grausam zu dir war, heißt es nicht, dass es nicht dennoch wunderschöne Wege für dich bereithält. Du kannst wieder genauso glücklich sein, wie vor Simons Tod, wenn du nur danach suchst und dem Glück die Möglichkeit gibst, dich zu finden.“
„Das ...“ Mir fehlten die Worte und ich merkte erst, dass ich weinte, als mein Vater stehen blieb und mir aus seiner Hosentasche ein Stofftaschentuch reichte. Allein der Anblick brachte mich zu einem kleinen Lächeln. Mom änderte sich nie. Sie hielt Taschentücher zum Wegwerfen für unnötigen Müll und weigerte sich diesen neumodernen Unsinn mitzumachen. Sie sah keinen Grund, der gegen die Verwendung von Stofftaschentüchern sprach. Immerhin gab es den Luxus von Waschmaschinen und Trocknern.
Als ich meine Tränen getrocknet und mir die Nase geputzt hatte, lächelte ich meinen Vater dankbar an. „Du hättest auch Therapeut werden können, weißt du das?“
„Nein hätte ich nicht.“ Mein Vater grunzte. Ich konnte nicht sagen, ob es ein Lachen war oder Ärger, der sich dahinter verbarg. Vermutlich war er beschämt. Er hatte die witzige Angewohnheit seltsam mit Situationen umzugehen, die ihn verlegen machten.
„Warum denn nicht?“, hakte ich nach.
„Weil ich es hasse, mir die Probleme der Leute anzuhören.“
„Aber meine Probleme hast du dir angehört?“
„Das ist etwas anderes. Du bist meine Tochter.“ Er lächelte mich an. „Du darfst mir immer alles sagen. Deinen Ärger und deine Wut an mir auslassen, mir deinen Kummer geben. Liebes, wenn ich könnte, würde ich dir gern den Schmerz abnehmen. Doch leider habe auch ich Grenzen, denen ich mich beugen muss. Wünsche hin oder her.“
„Ich liebe dich Dad. Dich und Mom.“
Er zog mich in eine feste Umarmung und danach gingen wir weiter. Schweigend und so nah beieinander, dass es sich anfühlte, als könnte kein schlechter Gedanke, kein Schatten von Kummer an der warmen und starken Präsenz meines Vaters vorbeigelangen.
„Zumindest mit einer Sache hatte ich recht“, durchbrach ich die Stille, als wir den schmalen Weg hinunter zum See gingen. Wir mussten uns dafür trennen und hintereinandergehen.
„Womit Liebes?“, fragte mein Vater über die Schulter.
„Das in dir ein richtig einfühlsamer und weiser Poet steckt.“
Er lachte laut und heiter und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Einfühlsam vielleicht. Du weißt doch, ich bin in Wahrheit nur ein großer, kuscheliger Teddybär. Aber weise bin ich kein bisschen. Sonst wäre mir längst selbst eingefallen, wie ich Isabel dazu bekomme, sich mehr zu schonen. Oder wie ich meine Angst vor Fremden verliere, so dass deine Mutter nicht nur für mich mitarbeiten muss, sondern auch die Chance erhält, ihre eigenen Wünsche zu verwirklichen. Wäre ich ein Poet, würde ich statt Marmeladen zu kreieren, Bücher schreiben.“
„Das wäre ziemlich interessant, wenn ich die Bücher meines eigenen Vaters verkaufen würde, oder was findest du?“
Mein Dad lachte wieder. „Nein, nein. Die hohe Kunst der Poesie und des Bücher Schreibens überlasse ich anderen Menschen. Ich will meinen Laden für nichts auf der Welt eintauschen. Ich bin sehr glücklich mit meiner Arbeit und meinem Leben. Genau so, wie es ist.“
In seinen Augen stand deutlich, wie wahr seine Worte waren. Er strahlte regelrecht und ich dachte wehmütig, dass ich mir genau das auch für mein eigenes Leben wünschte. Das Gefühl glücklich zu sein, und mein Leben gegen kein anderes eintauschen zu wollen.
Natürlich war ich mit meiner Arbeit und meiner Buchhandlung zufrieden. Da ging es mir wie meinem Vater. Für nichts auf der Welt würde ich meinen Job gegen einen anderen eintauschen wollen. Es war ohnehin der perfekte Beruf für mich, das hatte ich schließlich schon sehr früh gewusst, obwohl Simon das nie richtig verstanden hatte. Er hatte immer nur die harte Arbeit gesehen. Das Schleppen von zu schweren Bücherkisten, die Stunden, die ich stehen musste und die viele Zeit, die ich mit dem Lesen von Büchern verbrachte. Er hatte mein Klagen über Rückenschmerzen, nach einer harten Woche, missverstanden und mir so manches Mal erklärt, dass ich als Geschäftsführerin einfach eine Buchhändlerin einstellen und mich selbst um andere Dinge kümmern konnte. Dinge, bei denen ich keine Rückenschmerzen bekam und nicht jeden zweiten Samstag arbeiten musste. Aber das war auch so ziemlich der einzige Punkt bei dem wir uns nicht einig gewesen waren. Und ich hatte dennoch das Glück gehabt, dass er nicht versucht hatte, mich zu ändern, nur weil er die Liebe zu meinem Beruf nicht verstand.
Es war nicht das, was mir Kummer bereitete. Was mir fehlte war ein Mensch, der sein Leben mit mir teilte. Einen Mann, der mich liebte und den ich liebte. Die Einsamkeit war erdrückend. Die Leere in der Wohnung beunruhigend und die Tatsache, dass ich mich weder bereit für einen neuen Mann fühlte, noch wusste wo und wie ich jemanden kennenlernen sollte, machte das Ganze nicht einfacher für mich. Ich hatte Angst, alleine zu bleiben, gefangen in einer Vergangenheit, die für immer verloren war. Hatte ich all meine Wünsche von Familie begraben, als ich Simon verloren hatte? War das so, wenn man einmal liebte und der gemeinsame Weg dann vom Schicksal getrennt wurde? Gab es keine zweite Chance?
Ich wollte es meinem Vater nicht eingestehen, weil ich ahnte, welche Sorgen er sich sonst machte, aber manchmal kam es mir so vor. Selbst nach seinen lieben Worten fühlte es sich so an, als gäbe es für mich keine zweite Chance auf dieses Glück. Als wäre mein Leben an einem Punkt, an dem es in Eis gefroren war, zum Stillstand gezwungen. Und das machte mir größere Angst, als ich bereit war, irgendwem zu gestehen.
Wir erreichten das schmale Stück Wiese, das zur Uferböschung hinabführte. Der Anglersteg lag ein Stück weiter rechts von uns. Da mein Vater seine Ausrüstung nicht mithatte, wollte ich vorschlagen links um den See herumzugehen, aber er führte mich trotzdem in Richtung Steg und ich folgte ihm.
Es war so heiß, dass die Bienen, Wespen und Hummeln träge von Blume zu Blume flogen. Nur den Mücken schien das alles nichts auszumachen. Sie fühlten sich in der Nähe des Wassers und bei der Wärme pudelwohl. Ich machte mir nicht die Mühe sie zu verscheuchen. Ich war nicht so naturbezogen aufgewachsen, aber hatte mich in den letzten Jahren daran gewöhnt.
„Weißt du noch, wie wir hierher gezogen sind?“, fragte mein Vater als hätte er meine Gedanken in meinem Gesicht gelesen. Vermutlich hatte er das. Er war ein aufmerksamer Beobachter, was daran lag, dass er sich bei Gesprächsrunden mit mehr als einer Person gerne zurückhielt und lieber anderen das Reden überließ. Meiner Mutter zum Beispiel, die sehr gerne redete und zu jeder Gelegenheit das passende Thema fand.
„Ja, daran erinnere ich mich sehr gut“, antwortete ich verspätet. „Ich war siebzehn und die Highschool war von reiner Notwendigkeit zu etwas Coolem mutiert. Seit es Partys, Proms und Jungs gab, die Football spielten und dabei plötzlich erwachsen aussahen und nicht wie pubertierende, pickelige, zu schlaksige oder zu bullige Teenies.“
Wie erwartet, brachte ich meinen Vater mit meinen Worten zum Lachen.
„Und dann kam ich und habe dich in diese Provinz geführt.“
„So viel kleiner ist Greeley nicht.“ Das war wahr. Boulder wirkte größer und der Fläche nach war das auch so. Es gab eine zentrale, große Einkaufsmeile, die Pearl Street. Parallel dahinter verlief die Walnutstreet, eine schnuckelige Straße mit alten Geschäften, in der ich jetzt wohnte. Die Sprucestreet umgab das beeindruckende Campusgelände und die Studenten waren es auch, die Boulder so groß und belebt wirken ließen. Am Rand der Stadt gab es auf der einen Seite die 13th Street und 14th Street mit ihren Einfamilienhäusern. Dort war Tamsyn aufgewachsen und Grace und Alec wohnten auch da. Auf der anderen Seite lag die 15th Street und Mahahoe Street, in dem die etwas besser betuchten Bewohner Boulders lebten. In der 15th Street lag zum Beispiel das Gebäude der Stadtverwaltung, ein Kindergarten und eine Primary School und Abygails Praxis. Auch mein Zahnarzt hatte da seine Praxis. Direkt gegenüber von Abby, weswegen ich es gerne hatte, wenn ich meinen jährlichen Check-up bei Abby mit der Kontrolle bei Dr. Warner auf denselben Tag legen konnte.
Greeley war kleiner. Es gab eine kleine Altstadt mit wenigen Geschäften, darum herum Straßen mit Häusern und Wohnungen und am äußeren Rand ein paar Industrieausläufer und dann eben der ländliche Teil. Dort wo jetzt auch meine Eltern ein Haus hatten.
„Als wir hierhergezogen sind, fühlte es sich nicht unbedingt wie die Provinz an. Eigentlich mochte ich Greeley sofort.“
„Wirklich?“ Mein Vater sah mich überrascht an. „Da erinnere ich mich aber anders. Du warst so wütend auf mich, dass du über eine Woche nicht mit mir geredet hast. Die längste und schwierigste Zeit. Deswegen habe ich das auch nicht vergessen.“
„Habe ich dir ein schlechtes Gewissen gemacht?“
„Sehr.“
„Das hast du dir nie anmerken lassen.“
Auch ich erinnerte mich, wie sauer ich gewesen war. Wie Dads dämlicher Traum von einem eigenen Obstgarten und Laden, mich zur Weißglut getrieben hatten.
„Das lag aber nicht an Greeley. Oder an dir. Ich war wütend, weil ich Sephie und meine Freunde verlassen musste.“
„Deswegen hast du dann auch wieder mit mir gesprochen, als ich zugestimmt habe, dass du ein eigenes Auto bekommst und weiterhin in Boulder zur Schule gehen darfst, wenn du selbst dahin fährst.“
„Ja.“ Ich lächelte. Ich hatte Glück, dass ich immer eine vorbildliche Schülerin gewesen war. Meine Lehrer hatten mich geliebt und meinen Wunsch weiter auf der Schule zu bleiben unterstützt, obwohl ich nun nicht mehr in Boulder wohnte. Außerdem war es nur noch ein Jahr gewesen und ein Schulwechsel hätte sich nicht mehr gelohnt.
„Und dann bist du ausgezogen.“
Ich lachte auf. „Ich bin nach meinem Schulabschluss ausgezogen, als klar war, dass ich an der Universität angenommen bin.“
Mein Vater sah mich an. „Das war nach einem Jahr. Für mich war das damals 'sofort'. Es fühlte sich wenigstens so an.“
„Ich war schon immer sehr unabhängig, oder?“
„Ja, das warst du. Deine Mutter hatte immer Angst, dass du einmal einen reichen, gutaussehenden Mann triffst, der aus Denver oder von außerhalb Colorados zum Skifahren herkommt, und das er dich dann wegbringt, sobald ihr geheiratet habt.“
„Wirklich?“
„Ja, sie war der Meinung, irgendwann lebst du mal in einer Großstadt und siehst und erlebst all die Dinge, die wir beide nie erlebt haben.“
„Und nie erleben wolltet“, fügte ich an. „Das stimmt doch, oder?“
„Ja, richtig. Uns hat das Großstadtleben nie gereizt. Um ehrlich zu sein, war mir selbst Boulder immer zu groß und hektisch.“
Das überraschte mich nicht wirklich. Mein Vater mochte seine Ruhe, seine Einsamkeit. Man konnte es sich nur schwer vorstellen, aber für ihn konnte es nicht abgeschieden genug sein. Es war mir immer schon ein Rätsel gewesen, wie ein Mann wie er, den Wunsch haben konnte, einen Laden zu eröffnen.
„Und Isabel liebt es, dass die Tornadogefahr hier geringer ist. Wir hatten schon ein paar Jahre Glück.“ Er sah zum sommerlich blauen Himmel. „Wenn wir Glück haben, hält das noch bis zum Herbst an.“
„Und dann?“
„Dann bekommen wir so richtig was ab. Ich spüre das in den Knochen.“
Das war der Nachteil, der uns umgebenden, wunderschönen Natur. Die Tornadogefahr war in Colorado nicht zu vernachlässigen. Gerade im Landstrich um Denver herum kam es bis zu zwei Mal im Jahr zu einem Tornado. Zwar war die Schwere der Stürme in den letzten Jahren geringer als anderswo in den USA und die Schäden hielten sich im Rahmen. Aber die Gefahr in Boulder mitbetroffen zu sein, war höher, als in Greeley, das besser im Schutz der Rocky Mountains lag.
„Dafür habt ihr alle paar Jahre so heftigen Schneefall, dass ihr nicht vor eure eigene Tür kommt.“
Ich erinnerte mich genau wie meine Eltern damals eingeschneit waren. Da war ich gerade 21 Jahre alt und stand vor dem 3. Weihnachten in meiner eigenen Wohnung.
„Wir wollten bei dir Weihnachten feiern.“
„Richtig. Mom hatte endlich zugestimmt, bei mir zu Abend zu essen. Allerdings wart ihr zwei Tage vor Weihnachten so heftig eingeschneit, dass sogar die Telefone ausfielen. Ich wusste tagelang nicht, was mit euch los ist, weil die Nachrichten nur im Schneckentempo vorankamen.“
Am 26. Dezember schließlich riefen meine Eltern mich an und beruhigten mich, dass sie lebten und es ihnen gut ging. Sie hatten genug Vorräte gehabt, um noch zwei Wochen gut durchzukommen. Was sich nicht als notwendig herausstellte. Bereits zu Silvester waren die Wege geräumt, so dass sie bis in den Ort kamen. Und da meine Eltern immer schon pragmatisch gewesen waren, hatten sie den Laden am gleichen Tag aufgemacht und statt mich zu besuchen und mit mir ins neue Jahr zu feiern, hatten sie gearbeitet.
„Vielleicht holen wir das nach.“
„Was?“
„Das Weihnachten bei dir. Simon und du, ihr beide seid entweder zu uns gekommen oder wir haben getrennt gefeiert und uns erst am Weihnachtsmorgen getroffen. Wir sollten dieses Jahr bei dir in der neuen Wohnung feiern.“
Ich sah meinem Vater in die Augen. „Weihnachten ist noch so lange hin.“
„Eine halbe Ewigkeit. Aber lass es dir von deinem weisen, poetischen Vater gesagt sein, Ewigkeiten sind auch nicht mehr das, was sie waren. In unserer modernen Welt vergehen sie mit einem Blinzeln.“
Ich lachte bei seinen Worten, ließ mich in seinen Arm ziehen und auf den Steg hinaus führen. Dort setzten wir uns an eine ruhige Stelle. Es war wunderbares Sommerwetter. In einiger Entfernung tobten Kinder am See, Familien saßen zum Picknick zusammen und natürlich bellten Hunde in der Menge der Menschen. Sie jagten Bälle, Stöcke oder wahlweise auch die Vögel, die versuchten, sich was von den vielen Backwaren auf den Picknickdecken zu ergattern.
Mein Vater folgte meinem Blick. „Ist dir das zu viel?“, fragte er mich dann.
Ich wusste, dass es sein Plan gewesen war. Dass er mich deswegen hierher geführt hatte. Es ging ihm nicht, wie sonst, um den friedlichen Spaziergang, den wir in Abgeschiedenheit unternahmen und des Wanderns wegen. Es ging um das hier. Mich mitten ins Leben zu platzieren, in der Hoffnung irgendwas in mir erinnerte sich daran, dass ich ein Teil davon war. Und das dieser Teil wieder dahin zurück wollte.
Aber alles, was ich fühlte, war der ohnmächtige Wunsch wegzurennen. Soweit ich konnte. Ich verkrampfte meine rechte Hand und schob sie unter meinen Oberschenkel, so dass mein Dad es nicht sehen konnte. Dann zwang ich mich zu einem Lächeln.
„Nein, es geht schon.“
Ich spürte die angespannte Haut um meine Wangen, als ich mir ein Lächeln aufzwang, das sich wie eine Maske anfühlte. Darunter lag Leere und ein kühler Schauder rann mir über den Rücken, als mir klar wurde, wie weit weg ich in Wirklichkeit von diesen fröhlichen Bildern war.