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Bonn-Beuel

Pützchens Markt

Samstag, 10. September, 16:15 Uhr

»Warte, Till, lauf nicht allein so weit voraus!«, rief Janna ihrem achtjährigen Pflegesohn hinterher. »Ich möchte, dass wir alle beisammen bleiben, damit ich euch im Gewühl nicht verliere.«

»Ja, schon gut«, maulte der Junge und schüttelte seinen blonden Haarschopf. »Aber beeil dich ein bisschen, sonst müssen wir wieder ewig bei der Wilden Maus anstehen. Guck mal, wie lang die Warteschlange ist!« Er deutete auf die Menschentraube, die sich um das achterbahnähnliche Fahrgeschäft drängte.

»Na komm, gehen wir mal einen Schritt schneller als die Frauen«, antwortete Jannas Vater Bernhard gutmütig und legte Till eine Hand auf die Schulter. An seine Tochter gewandt fragte er: »Sollen wir für dich ebenfalls eine Fahrkarte kaufen?«

»Nein, lieber nicht. Die Wilde Maus ist nicht so mein Ding.« Janna hakte sich bei ihrer Mutter ein, die neben ihr her über den großen Jahrmarkt schlenderte. »Wir schauen euch lieber zu, nicht wahr, Mama?«

»Auf jeden Fall«, bestätigte Linda Berg.

»Aber ich will mitfahren«, befand Tills Zwillingsschwester Susanna und ergriff Bernhards Hand. »Los, Beeilung!«

Linda sah den dreien erheitert nach. »Erinnert dich das an jemanden? Du konntest es als Kind auch nie erwarten, auf diese scheußlichen Geräte zu steigen und dich durchschütteln zu lassen.«

Janna lachte. »Auf die Wilde Maus war ich nie besonders scharf.«

»Nein, aber auf dieses andere schaurige Karussell. Wie heißt es gleich? Südseewind?«

»Südseewellen«, korrigierte Janna. »Und dann gab es eins, das lief ähnlich, hieß allerdings Raupe. Und das Riesenrad habe ich geliebt – tue ich heute noch.«

»Was ist bloß aus dem guten alten Kettenkarussell geworden?«, fragte Linda seufzend und strich sich ihr kupferrotes schulterlanges Haar aus der Stirn. »Das waren noch Zeiten, als dein Vater und ich stundenlang darauf gefahren sind, Hand in Hand ...« Ein verträumter Ausdruck glitt über ihr Gesicht. »Und was findet man heute? Lauter entsetzliche Loopings und halsbrecherische Schleudergeräte.« Wie zum Beweis schrillte direkt neben ihnen ein Signalton, der den Start einer weiteren Runde des sogenannten Flugkarussells Turbo-Force ankündigte.

»Ach was, Mama.« Janna kicherte. »So arg ist es auch wieder nicht. Schau, da hinten gibt es noch immer ein großes Kettenkarussell. Und sobald Papa mit den Kindern von der Wilden Maus runter ist, gehen wir rüber zu Raths Autoscooter. Ich hoffe, Senta hat ein paar Minuten Zeit für mich. Sie schrieb in ihrer letzten E-Mail, dass der kleine David sie ziemlich auf Trab hält. Und sie muss ja halbtags an der Kasse sitzen, wenn ihr Mann anderweitig beschäftigt ist.«

»Sie ist ja so eine Nette!«, schwärmte Linda. »Ich erinnere mich, dass sie euch immer Freikarten für den Autoscooter mitgebracht hat, als ihr zusammen zur Schule gegangen seid.«

Janna ging mit ihrer Mutter etwas näher an die Wilde Maus heran, um die Kinder im Auge zu behalten, die inzwischen mit Bernhard einen der Wagen bestiegen hatten. Um Janna herum drängten sich Menschen unzähliger Nationalitäten. Rufe und Lachen mischten sich mit der von allen Seiten dröhnenden Technomusik und den markanten Ausrufen der Karussellbetreiber, die mit frechen und nicht selten anzüglichen Sprüchen die Fahrten kommentierten oder versuchten, mehr Gäste anzulocken. Wieder ertönte irgendwo ein Signalhorn. Janna hob ihre Stimme ein wenig, damit ihre Mutter sie besser verstehen konnte. »Wir haben immer jeweils drei Fahr-Chips geschenkt bekommen. Glaubst du, das hätte auch nur einem von uns gereicht? Ich bin sicher, Herr Rath hat allein an meiner Schulklasse ein halbes Vermögen verdient.«

Linda nickte lächelnd. »Da könntest du allerdings recht haben. Dein Vater und ich mussten stundenlang warten, bis du endlich keine Lust mehr hattest.«

»Das kann uns heute ebenfalls bevorstehen«, gab Janna zu bedenken. »Bestimmt steckt Senta den Zwillingen auch wieder Freikarten zu. O schau, da geht es los!« Sie winkte Susanna und Till zu, die ihrerseits eifrig zurückwinkten, sich dann aber rasch an den Griffen ihres Wagens festhielten, als das Gefährt mit einem Ruck anfuhr und in die Höhe gezogen wurde.

***

Bonn, Kaiserstraße

Institut für Europäische Meinungsforschung

Samstag, 10. September, 16:15 Uhr

»Was machst du denn noch hier?«, fragte Melanie Teubner, als sie das Großraumbüro betrat, in dem sich ihr Arbeitsplatz befand. Neugierig trat sie an Markus Neumanns Schreibtisch und beäugte das Durcheinander von Formularen, das sich darauf türmte.

Er blickte zu ihr auf und verzog genervt die Lippen. »Was schon – Papierkram, das siehst du doch. Dr. Schwartz ist heute Morgen im Dreieck gesprungen, weil ihm der Bericht über den Leitner-Fall noch nicht vorliegt. Und der zu meinem Einsatz vom vergangenen Dienstag in Brüssel muss ebenfalls fertig werden.«

Melanie kicherte und schüttelte ihr langes, schwarzes Haar. »Tja, auch Spitzenagenten haben eben keine Sonderrechte.«

»Haha.« Markus warf ihr einen finsteren Blick zu.

In diesem Moment öffnete sich die Glastür erneut und eine weitere Agentin kam herein. Markus verdrehte die Augen, widmete sich aber gleich wieder seiner Schreibarbeit und tat, als habe er sie nicht bemerkt.

Alexa Baumgartz trat an seinen Schreibtisch, stützte sich mit beiden Händen darauf und beugte sich so weit vor, dass er, als er doch den Kopf hob, direkt in ihr üppiges Dekolleté blickte. Sie lächelte ihm zu. »Ich hoffe, du bist allmählich fertig mit den Berichten. Es ist schon fast halb fünf und unser Tisch im Chez Manuel ist doch für sieben Uhr reserviert, nicht wahr?«

»Hm, ja, Alexa, ist er.« Markus riss seinen Blick von den tiefen Einblicken los, die ihr eng anliegendes silbernes Shirt mit V-Ausschnitt ihm gewährte. »Keine Sorge, ich hab’s nicht vergessen. Aber wenigstens dieser Bericht hier«, er deutete auf das Formular, das er gerade ausfüllte, »muss gleich noch in die Abteilung für interne Angelegenheiten. Ich hole dich wie vereinbart um halb sieben ab.«

»Okay, dann bis später.« Alexa hauchte ihm einen Luftkuss zu, warf ihr welliges honigblondes Haar grazil über die Schulter und stolzierte davon. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Ich freue mich schon auf den Abend«, säuselte sie.

Melanie runzelte die Stirn. »Ihr geht wieder miteinander?«

»Aus«, antwortete Markus, der sich bereits erneut dem Formular zugewandt hatte.

»Was?« Fragend hob Melanie die Augenbrauen.

»Wir gehen aus«, sagte er. »Nur aus.«

»Ach.« Es war deutlich, dass Melanie ihm nicht glaubte.

Markus stöhnte genervt. »Ich habe es ihr in einer unachtsamen Sekunde versprochen. Du kennst sie doch. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann sie schrecklich lästig werden.«

»Also bitte – lästig?« Melanie lachte. »Warum sagst du ihr nicht einfach, dass sie das Weite suchen soll? Wenn du doch immer wieder mit ihr ausgehst, kommt sie nie über dich hinweg.« Sie hielt kurz inne und zwinkerte ihm zu. »Bei mir hat es schließlich auch funktioniert.«

»Das ist was anderes.« Er grinste.

»Ist es das? Na, wenn du meinst. Aber du solltest ihr trotzdem keine Hoffnungen machen. Es sei denn, du hast mehr für sie übrig, als du zugibst ...« Bedeutungsvoll klimperte Melanie mit ihren langen getuschten Wimpern.

Markus schüttelte den Kopf. »Würdest du mich jetzt bitte hier weitermachen lassen? Ich habe nämlich keine Lust, nachher in diesem Aufzug«, er deutete auf seine Bluejeans und das weinrote, auf der Brust mit einem weißen Buchstabenmuster bedruckte Freizeithemd, »im Chez Manuel auflaufen zu müssen, nur weil ich hier nicht fertig geworden bin.«

»Schätzchen, in den Sachen lassen sie dich gar nicht erst über die Schwelle zu dem Nobelschuppen.«

»Eben.«

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