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Bonn-Beuel

Pützchens Markt

Samstag, 10. September, 17:18 Uhr

»Stimmt etwas nicht, Janna? Du wirkst ein bisschen blass. Geht es dir nicht gut?« Besorgt legte Linda ihrer Tochter eine Hand auf die Stirn. »In solchen Menschenmengen kann man leicht ...«

»Nein, schon gut, Mama. Es ist alles in Ordnung.« Mit einem gezwungenen Lächeln wehrte Janna die tastenden Finger ihrer Mutter ab. »Ich glaube, ich muss nur einen Schluck trinken und vielleicht auch einen Happen essen.« Sie schaute zu den Kindern hinüber, die noch immer mit Feuereifer ihre Runden drehten. »Ich schaue mal, was es hier Leckeres gibt. Möchtet ihr auch etwas?«

Linda wechselte einen fragenden Blick mit ihrem Mann, der den Kopf schüttelte. »Nein, danke, mein Schatz. Wir wollen ja nachher mit den Kindern in die Pizzeria. Bist du sicher, dass du jetzt essen willst? Damit verdirbst du dir doch den Appetit.«

»Ich, äh ...« In diesem Moment sah Janna Markus auf sich zukommen. Er suchte ihren Blick und deutete unauffällig in Richtung eines anderen Karussells. Ihre Erleichterung war so groß, dass sie heftig die Luft ausstieß. »Ich wollte euch gerade erzählen, dass ich eben einen Bekannten aus ... von früher getroffen habe. Er hat mich eingeladen, später noch mit ihm über den Platz zu gehen.« Sie schluckte und hoffte, dass ihre Mutter das leichte Zittern in ihrer Stimme nicht bemerkte. »Wäre es sehr schlimm, wenn ihr ohne mich zur Pizzeria fahren würdet?«

Erneut wechselten ihre Eltern einen Blick, dann antwortete Bernhard: »Aber nein, Janna. Geh nur und amüsier dich ein bisschen. Du kommst ja sonst nicht oft raus. Wer ist denn dieser alte Bekannte? Kennen wir ihn?«

»Äh, nein, ich glaube nicht.« Janna hob die Schultern.

»Wie kommst du denn später nach Hause?«, wollte Linda wissen. »Sollen wir dich abholen?«

»Ach nein, das braucht ihr nicht. Ich nehme einfach den Bus zum Hauptbahnhof und fahre mit dem Zug nach Rheinbach. Von dort aus kann ich leicht ein Taxi nehmen; ist ja dann nicht mehr weit.«

»Hatte Sander nicht vor, heute Abend noch anzurufen?«, hakte Linda nach. »Er wird enttäuscht sein, wenn du nicht da bist.«

Janna nickte. »Ich schicke ihm eine SMS, dass ich mich morgen bei ihm melde. Er ist auch bestimmt erschöpft nach einem langen Tag auf dem Zahnärzte-Kongress. Also ... ich gehe mal was essen und dann zu ... unserem Treffpunkt.«

»Viel Spaß, mein Schatz!«, rief Linda ihr nach.

Janna winkte und eilte zu dem Fahrgeschäft Flashdance, hinter dem Markus Neumann verschwunden war. Dort sah sie sich um, konnte ihn aber nirgends sehen. Unsicher drehte sie sich einmal um die eigene Achse und erschrak, als er plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihr stand und sie anlächelte.

»Huch, haben Sie mich erschreckt!«, rief sie und musterte ihn neugierig. Er wirkte so anders auf sie, bis sie erkannte, dass sie ihn bisher immer nur in korrekten, todschicken Anzügen gesehen hatte – außer bei ihrem ersten Zusammentreffen, bei dem er in einer zu kleinen Putzmann-Uniform gesteckt hatte. In Bluejeans, dem weinroten Hemd mit dem wirren Buchstabenmuster und der Lederjacke wirkte er nicht nur lässiger, sondern auch wesentlich zugänglicher. Gut sah er sowieso aus, ganz gleich, was er trug. Sein dunkelbraunes Haar war etwas kürzer als noch vor einer Woche, offenbar hatte er erst kürzlich den Friseur aufgesucht. Seine graubraunen Augen waren fragend auf sie gerichtet, und sie wurde sich bewusst, dass sie ihn für einen Moment angestarrt hatte. Verlegen senkte sie den Blick, bekam aber noch mit, dass sein Lächeln sich eine Spur vertiefte.

»Jetzt erzählen Sie mir ganz genau, was passiert ist und wo sie Alim und Abida gesehen haben.«

»Alim und Abida?« Sie hob den Blick wieder.

»So heißen die beiden, falls es sich tatsächlich um dieses Pärchen handelt«, erklärte er. »Abida und Alim bin Salama sind Geschwister und waren bis vor zwei, drei Jahren nur wegen kleinerer Delikte aktenkundig. Diebstahl und Betrügereien. Dann haben sie sich offenbar den Söhnen der Sonne angeschlossen und damit gleich mehrere Stufen auf der Karriereleiter genommen.«

»Karriereleiter?« Sie zog die Stirn kraus.

Markus zuckte die Achseln. »Von Kleinkriminellen zu Terroristen ist schon eine deutliche Beförderung, finden Sie nicht? Die beiden stammen aus Tunesien, sind aber hier in Deutschland aufgewachsen. Allerdings nicht in den besten Kreisen, wie Sie sich denken können.« Als in diesem Moment The Final Countdown aus den Lautsprechern des Fahrgeschäfts dröhnte, bedeutete er ihr, sich ein wenig von dem Lärm zu entfernen. Sie ging ihm voraus bis zu einem Imbissstand, wo es zumindest etwas ruhiger zuging, dafür aber verführerisch nach Bratwurst und Reibekuchen roch. Jannas Magen knurrte, doch sie ignorierte ihn und erzählte, was sie nach dem Treffen mit Senta beim Autoscooter erlebt hatte.

Konzentriert hörte Markus ihr zu, stellte hier und da eine Zwischenfrage und schwieg nachdenklich, nachdem sie ihren Bericht beendet hatte. Er schaute sich aufmerksam um, bevor er den Blick wieder auf sie richtete. »Sie haben nicht gesehen, wohin die beiden verschwunden sind?«

»Nein, leider nicht. Sie waren von einem Moment zum nächsten weg. Genauso wie der Mann, mit dem sie gesprochen haben. Aber ich glaube, ich weiß, wo er arbeitet.«

»Ach ja?«

»Ich habe ihn schon öfters bei Sentas Autoscooter gesehen und … Hey, was soll das?«, unterbrach sie sich, als Markus sie unvermittelt an den Oberarmen fasste und mit einem Ruck herumdrehte, sodass sie fast gegen die Glasabtrennung des Imbisswagens geprallt wäre. Der Koch zwinkerte ihr fröhlich zu.

Markus legte ihr seinen Arm um die Schultern und raunte: »Nicht bewegen, mit etwas Glück sehen sie uns nicht.«

»Wer?« Janna erstarrte vor Schreck. »Alim und Abida?«

Markus antwortete erst, nachdem er unauffällig auf die vorbeiflanierende Menge geschaut hatte. »Nein.« Er ließ sie so rasch wieder los, dass sie erneut beinahe gestrauchelt wäre. »Ihre Eltern und die Kinder.«

»Oh.« Nun schaute auch Janna sich um und sah gerade noch das rote Haar ihrer Mutter im Trubel verschwinden. Gleichzeitig umwehte sie der Duft von Markus’ Rasierwasser, und das irritierte sie mehr, als ihr lieb war. Entschlossen ignorierte sie diese merkwürdige Anwandlung und räusperte sich. »Also, was machen wir denn jetzt?«

»Sie zeigen mir jetzt den Mann, mit dem unsere beiden Terroristen sich getroffen haben.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Gehen wir.«

Er ließ ihr den Vortritt, war aber gleich wieder an ihrer Seite. Sie spürte, dass er ihr seine rechte Hand leicht auf den Rücken legte, wie um sie zu führen. Eine umsichtige Geste, die sie für einen Moment erneut verwirrte. Mit der linken Hand hatte er sein Handy aus der Jacke gefischt und wählte eine Nummer im Kurzwahlspeicher. »Alexa? Ich bin’s. Hör mal, das wird heute nichts mit unserem Abendessen. Ich habe noch was zu erledigen. Wie? Nein, ein Einsatz.« Janna sah ihn von der Seite an und bemerkte, dass er die Augen verdrehte. »Auf Pützchens Markt«, redete er weiter und beantwortete damit offenbar die Frage der Frau am anderen Ende der Leitung. »Nein, ich will dich nicht verscheißern. Frau Berg hat mich angerufen, weil sie – Was? Hast du einen Vogel?« Er verzog verärgert die Lippen. »Hör zu, Alexa, ich habe jetzt keine Zeit für so was. Wir holen das Essen ein andermal nach, okay? Ich melde mich.« Er unterbrach die Verbindung und schob das Handy wieder in die Innentasche seiner Jacke.

Janna knabberte an ihrer Unterlippe. »Ihre Freundin? Es tut mir leid, wenn ich Ihre Pläne für heute Abend durchkreuzt ...«

»Vergessen Sie es.« Er winkte ab. »Alexa wird es verkraften.«

»Sie hätten aber ruhig etwas netter zu ihr sein können«, befand Janna. »Ihre Freundin kann schließlich nichts dafür, dass ...«

»Frau Berg.« Markus blieb stehen und zwang damit auch sie zum Anhalten. »Alexa ist nicht meine Freundin, sondern eine Kollegin, und sie wird darüber wegkommen. Können wir uns jetzt bitte auf das Hier und Jetzt konzentrieren?«

»Okay, schon gut. Ich dachte ja nur ...« Janna zuckte die Achseln. Sie ging noch ein paar Schritte weiter in Richtung des Autoscooters und blieb dann erneut stehen. »Da, sehen Sie den grauhaarigen Mann, der die Fahrzeuge an den Rand der Fahrfläche schiebt? Das ist er.«

Markus folgte mit Blicken ihrem ausgestreckten Arm und zog ihn gleichzeitig mit einem Ruck nach unten. »Nicht so auffällig«, zischte er. Rasch holte er sein Smartphone hervor und machte ein Foto von dem Arbeiter. »Also gut, ich werde checken, ob er aktenkundig ist. Jetzt zeigen Sie mir noch, wo Sie ihn mit Abida und Alim gesehen haben.«

»Hier.« Sie führte ihn um den Autoscooter herum zu der Absperrung, hinter der sich die Wohnwagen der Schausteller befanden. Als sie hinter sich eine ihr nur zu bekannte Stimme vernahm, erschrak sie.

»Janna? Bist du das? Ich dachte, du wärst längst weg.« Senta Rath kam, ein etwa sechs Monate altes Baby auf dem Arm, auf sie zu und beäugte Markus dabei neugierig. »Wen hast du denn da mitgebracht? Bist du nicht mehr mit Sander zusammen?«

»Senta ...« Janna räusperte sich entsetzt und suchte verzweifelt nach einer Ausrede.

Doch Markus hatte schon ein breites Lächeln aufgesetzt und streckte Senta seine rechte Hand hin, die diese sogleich ergriff. »Guten Tag. Ich bin Markus Neumann, ein Kollege von Janna. Wir sind uns eben zufällig hier begegnet und ein paar Schritte zusammen über den Markt gegangen.«

»Ach so, Entschuldigung.« Senta schüttelte seine Hand; gleichzeitig runzelte sie die Stirn. »Kollege? Ich dachte, du wärest selbstständig?« Fragend blickte sie Janna an und wieder antwortete Markus, bevor sie reagieren konnte.

»Sie hilft uns ab und zu im Institut aus.« Er warf ihr einen kurzen, aber durchdringenden Blick zu und sprach weiter. »Das Institut für Europäische Meinungsforschung, wissen Sie? Wir führen Umfragen und statistische Erhebungen zu allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens durch.«

»Na, so was.« Senta war sichtlich überrascht. »Davon hast du ja noch nie was erzählt, Janna. Das ist doch bestimmt spannend.«

»Na ja, es ist nur ... ein kleiner Nebenjob«, antwortete Janna etwas unbehaglich.

»Und ihr geht zusammen ein bisschen über den Markt? Wo sind denn deine Eltern und die Kinder? Oder hast du die einfach nach Hause geschickt?« Sie lachte erheitert und zwinkerte ihr zu.

Janna lächelte. »Nein, meine Eltern sind mit den Zwillingen Pizza essen gefahren.«

Da in diesem Augenblick das Baby zu greinen begann, hob Senta die Hand zum Gruß. »Tut mir leid, aber wir waren gerade auf dem Weg in den Wohnwagen. David braucht eine neue Windel. Ich wünsche euch noch viel Spaß. Und vielleicht macht ihr ja mal eine Umfrage zum Thema Schaustellerleben. Da wäre ich sofort dabei.«

Markus lächelte ihr zu. »Vielleicht machen wir das wirklich. Dann komme ich auf Ihr Angebot gerne zurück. Auf Wiedersehen!«

»Tschüss!« Senta winkte noch einmal und verschwand eilig mit dem weinenden David im Wohnwagen.

»Gut.« Markus grinste zufrieden.

»Was meinen Sie?« Überrascht sah Janna ihn an. »Ich dachte schon, mich trifft der Schlag, als Senta plötzlich aufgetaucht ist.«

»Warum? Das ist doch ausgezeichnet gelaufen. Wir haben die perfekte Cover-Story.«

»Die perfekte was?«

»Tarnung«, erklärte er, noch immer mit einem äußerst zufriedenen Gesichtsausdruck. »Morgen kommen wir wieder her und führen eine Umfrage durch. Eine bessere Gelegenheit, mit den Angestellten der Firma Rath zu sprechen, werden wir so leicht nicht mehr bekommen. Auch bei den anderen Schaustellern werden wir auf diese Weise mehr Glück haben. Und das Beste daran ist, dass es nicht mal unsere Idee war, sondern dass Ihre Freundin uns auf den Gedanken gebracht hat. Einfach ideal.«

Janna starrte ihn verblüfft an. »Sie meinen, wir sollen so tun, als wären wir ...«

»… tatsächlich an der Umfrage unter Schaustellern interessiert«, vervollständigte er den Satz. »Jawohl. Die Details lasse ich von unseren Leuten ausarbeiten. Morgen Vormittag kommen wir wieder her und können Fragen stellen, ohne Verdacht zu erregen.«

»Aber ...« Janna schüttelte den Kopf. »Morgen ist Sonntag.«

»Und?«

»Ich habe eine Familie, die erwartet, dass ich sonntags für sie da bin.«

»Diesen Sonntag eben mal nicht.« Markus zuckte die Schultern. Als er ihr empörtes Gesicht sah, seufzte er. »Hören Sie, Frau Berg, es ist wichtig, dass Sie mit dabei sind. Frau Rath kennt Sie und vertraut Ihnen. Sind Sie anwesend, wird sie sich kooperativer zeigen – und ihre Mitarbeiter wahrscheinlich ebenfalls. Außerdem waren Sie es, die Alim und Abida zuerst gesehen haben. Wir müssen herausfinden, ob es sich wirklich um die beiden handelt, und das geht nur, wenn Sie dabei sind, nicht wahr?«

Janna verzog unbehaglich die Lippen. »Ja, schon. Aber was soll ich meinen Eltern erzählen, wenn ich ihnen einfach morgen die Kinder aufs Auge drücke? Das ist sonst nicht meine Art.«

»Was ist denn mit Ihrem Freund, diesem Sandro?«

»Sander«, verbesserte sie. »Er ist bis Montagabend auf einem Zahnärzte-Kongress.«

»Und Ihre Schwester? Könnte die nicht aushelfen?«

Sie runzelte die Stirn. »Sie kennen meine Familie ja mittlerweile ganz gut, was?«

»Das ist mein Job. Außerdem war das nicht schwierig. Sie haben Ihre Familie ja ständig um sich.«

»Sie nicht?«

»Ich habe keine Familie.«

»Gar keine?« Neugierig musterte sie ihn. Markus’ Gesicht war eine Maske aus Gleichmut.

Er schüttelte den Kopf. »Hatte ich das nicht schon mal erwähnt?«

»Aber ... etwas Familie hat doch jeder«, gab Janna zu bedenken. »Eltern?«

»Vorhanden«, brummte er.

»Haben Sie keinen Kontakt zu ihnen?«

»Kaum. Und glauben Sie mir«, er lächelte kühl, »das ist auch besser so.«

Janna ließ ihren Blick forschend über sein Gesicht gleiten, konnte jedoch nicht feststellen, was genau er damit meinte. Er verstand es, seine Gefühle und Gedanken vollständig vor ihr zu verbergen. Lediglich die Farbe seiner Augen schien sich ein wenig verändert zu haben. Die grauen und grünen Einsprengsel in der braunen Iris traten deutlicher hervor. Dieses Phänomen hatte sie schon früher bei ihm erlebt, kannte ihn aber nicht gut genug, um einschätzen zu können, ob das etwas zu bedeuten hatte.

»Geschwister?«, hakte sie weiter nach.

»Keine.«

»Tanten, Onkel, Großeltern? Ich meine ...«

»Janna, hören Sie auf!« Er schnaubte unwillig und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare. »Mein Familienstand tut doch hier nichts zur Sache. Sind Sie nun morgen mit von der Partie – ja oder nein?«

Janna verschränkte die Arme vor dem Bauch. »Entschuldigen Sie, dass ich gefragt habe. Aber ich finde, wenn Sie schon so gut wie alles über mich wissen, wäre es nur höflich, wenn Sie mir wenigstens auch ein paar Kleinigkeiten über sich erzählen würden. Ich arbeite nicht gerne mit Fremden zusammen.«

»Wir arbeiten nicht zu...« Er stockte und fluchte tonlos. »Also gut, wir arbeiten ausnahmsweise zusammen«, schränkte er ein. »Deshalb brauchen Sie doch keinen Lebenslauf von mir, oder?«

»Das nicht, aber ich weiß rein gar nichts über Sie. Wenn ich nicht wenigstens wüsste, dass Sie ein«, sie senkte die Stimme ein wenig, »Agent sind«, nun sprach sie wieder in normaler Lautstärke weiter, »dann könnten Sie genauso gut auch ein Kettensägenmörder sein.«

»Ein Kettensägenwas?« Verständnislos blickte er auf sie herab.

Sie ärgerte sich, dass seine 1,92 m sie zwangen, zu ihm aufzublicken, und seufzte übertrieben genervt. »Also gut, Sie wollen nichts über sich erzählen. Unfair ist es trotzdem. Vermutlich hat Ihnen Ihre Geheimdienstdatenbank sogar die Angaben zu meiner letzten Steuererklärung ausgespuckt oder wie meine Ururgroßmutter mit Mädchennamen hieß. Aber umgekehrt darf ich mich mit einem Phantom ohne Eltern, Verwandte, Freunde oder sonstige Beziehungen herumschlagen. Ganz toll. Ich weiß nicht mal, ob Markus Neumann Ihr richtiger Name ist.«

»Ist er.«

»Schön, ein Durchbruch in unserer zwischenmenschlichen Kommunikation«, spottete sie. Sie wusste selbst nicht, weshalb sie plötzlich so heftig reagierte. Etwas an seiner selbstsicheren Art, mit der er einfach davon ausging, dass sie ihm zur Verfügung stand, regte sie auf.

Er warf ihr einen verärgerten Blick zu. »Sie wollen also mehr über mich wissen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie es. Ich glaube, ich will jetzt nach Hause.« Sie wandte sich zum Gehen, doch er hielt sie am Arm zurück.

»Also gut, wenn es Ihnen so wichtig ist.« Erneut fuhr er sich durch die Haare und schoss einen zornigen Blick auf sie ab. »Meine Mutter ist eine drogensüchtige Alkoholikerin und mein Vater Kriminaldirektor und Dezernatsleiter beim BKA in Meckenheim. Wo sie sich herumtreibt, weiß ich nicht, und es ist mir auch egal. Ihn und seine Frau sehe ich einmal im Monat zum obligatorischen Familiensonntagsbraten. Ist Ihnen das genug oder soll ich noch ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern?«

Erschrocken über seinen Wutausbruch starrte sie ihn für einen Moment nur an, dann schüttelte sie den Kopf. »Tut mir leid. Ich hätte nicht ...« Sie löste ihre verschränkten Arme und machte einen Schritt auf ihn zu. Instinktiv wollte sie ihm eine Hand auf den Arm legen, um ihn zu beruhigen, aber sie ließ es bleiben. Wer wusste schon, wie dieser Mann auf eine solche Geste reagieren würde. »Ich hatte nicht vor, Sie zu verletzten, Herr Neumann.«

Seine Gesichtszüge entspannten sich etwas. »Das haben Sie nicht«, sagte er, nun wieder in seinem gewohnt ruhigen Tonfall. »Nur zufällig ist meine Familie nicht gerade ein Thema für leichte Konversation.«

»Anscheinend nicht.« Sie nickte. »Ihr Vater ist also beim BKA?«

»Er wollte immer, dass ich auch dorthin gehe«, bestätigte Markus.

»Aber das wollten Sie nicht.«

Er hob die Schultern. »Es ist besser so, wie es jetzt ist. Klaus Scherhag ist ein karrieregetriebener Workaholic. Wir kommen so schon nicht besonders gut miteinander aus. An eine Zusammenarbeit unter demselben Dach ist überhaupt nicht zu denken.«

»Klaus Scherhag ist Ihr Vater?« Janna machte große Augen. Der Kriminaldirektor war schon des Öfteren in Fernsehen und Presse porträtiert worden, vor allem wegen seiner Verdienste im Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Markus grinste schief. »Ich bin zur Hälfte seinem Genpool entsprungen, ja. Leider ist er ebenso wenig ein Mustervater wie ich ein Mustersohn. Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?«

»Ja, natürlich, Herr Neumann.« Verlegen blickte Janna auf ihre Schuhspitzen.

»Markus«, sagte er. »Wir sollten uns angewöhnen, einander beim Vornamen zu nennen. Es wirkt glaubwürdiger, vor allem, wenn wir als Arbeitskollegen auftreten.«

»Ja, da haben Sie wohl recht.« Janna hob den Kopf und erwiderte sein Lächeln, wurde aber gleich wieder ernst. »Haben Sie keine Angst, dass Alim und Abida etwas planen könnten – einen Anschlag vielleicht?« Rasch sah sie sich um, doch da sie sich noch immer in der Nähe der Absperrung befanden, waren sie relativ ungestört.

»Möglich ist alles«, antwortete Markus nachdenklich. »Ich habe unsere Leute hier vor Ort verständigt und eine Code-Gelb-Alarmierung ausrufen lassen. Das bedeutet, dass auch die anderen Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft versetzt werden. Sie können sicher sein, dass in diesem Augenblick mindestens hundert Agenten und Polizisten in Zivil auf dem Markt unterwegs sind und nach Sprengsätzen oder anderen Gefahrenquellen Ausschau halten.«

»Wirklich?« Janna atmete auf. »Das ist gut.« Sie zögerte. »Oder, na ja, was man in so einer Situation eben gut nennen kann.« In diesem Moment knurrte ihr Magen vernehmlich.

Markus schmunzelte. »Hunger?«

»Eigentlich hatte ich ja mit meiner Familie zu unserer Stammpizzeria fahren wollen.« Sie lächelte ebenfalls wieder. »Und Sie wollten auch essen gehen.«

Nach einem Blick auf seine Uhr winkte er ab. »Halb so wild. In den Sachen hätte mich der Oberkellner des Chez Manuel sowieso gleich an der Türschwelle abgewiesen.«

»Da wollten Sie hin?« Überrascht musterte sie ihn. »Mit Ihrer Kollegin?«

»Sie hat mich vergangene Woche darauf festgenagelt, nachdem wir Sie und Leitner dort beschattet hatten«, erklärte er mit einem Achselzucken.

»Und stattdessen sind Sie jetzt hier auf Pützchens Markt und müssen Terroristen jagen.«

»Finden müssen wir sie erst einmal«, bestätigte er grinsend. »Kommen Sie, ich weiß, wo wir was essen können. Aber halten Sie auf dem Weg immer die Augen offen. Vielleicht entdecken Sie unsere beiden Freunde ja irgendwo.«

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