Читать книгу Ein Frosch zum Küssen - Mila Summers - Страница 7
Kapitel 2
Оглавление»Miss Havisham, ich bedaure sehr, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Sie zum Ende des Monats kündigen müssen.«
»Was? Ich meine … Wie bitte?«, erwiderte ich perplex auf den wenig einfühlsam verpackten Rausschmiss meines Chefs.
Mr. MacDoughall oder, wie ich ihn in Gedanken nannte, das Walross blickte stoisch auf das weiße Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag. Während er mit der einen Hand immer wieder über die ergrauten Spitzen seines Schnurrbartes strich, wiederholte er: »Ja, ohne Zweifel, Sie stehen auf der Liste. Emily Havisham. Ich habe es soeben noch einmal geprüft. Ihr Abteilungsleiter hatte die Vorgabe, seine Mitarbeiterzahl zu dezimieren, um die Ressourcen des Unternehmens besser ausschöpfen zu können. Es tut mir sehr leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie in diesem Fall auch von der Maßnahme betroffen sind. Aber nehmen Sie sich’s nicht allzu sehr zu Herzen, Kindchen.“
Kindchen? Ich hatte mich doch wohl hoffentlich verhört.
„Sie sind jung und haben das ganze Leben noch vor sich. Mr. Ferguson hat keinerlei Beanstandungen angebracht, die mit Ihrer Leistung einhergehen würden. Ihre Entlassung ist lediglich dem Zufall geschuldet. Kopf hoch, Miss Havisham! Da draußen gibt es noch unzählige Herausforderungen, denen Sie sich voller Mut und Tatendrang stellen können. Glauben Sie an sich!«, endete er seinen Wortschwall pathetisch, während er mich durchdringend ansah und sein Doppelkinn bedrohlich zu beben begann.
»Aber es ist doch bald Weihnachten«, stotterte ich. Dieses Gespräch mit dem Chef hatte ich mir definitiv anders vorgestellt.
»Papperlapapp, es gibt immer eine Möglichkeit, wenn man nur will. Miss Havisham, lassen Sie nicht zu, dass Sie in dieses tiefe, schwarze Loch hinabblicken, das ihre Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ablenkt. Bleiben Sie auf dem richtigen Pfad der Tugend und kämpfen Sie! Den Kopf in den Sand stecken, kann schließlich jeder. Erst gestern hab ich zu meinem Golfpartner gesagt: Arthur, es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber es ist auch nicht alles Scheiße, was stinkt.« Sein zufriedenes Röcheln ließ mich erschrocken zusammenfahren.
Abertausende Gedanken schossen mir durch den Kopf. Meine eigene Wohnung konnte ich mir nun endgültig abschminken. Nach dem Studium hatte ich gehofft, bald auf eigenen Füßen stehen zu können.
Ich wollte nicht undankbar klingen, aber mit Mitte zwanzig wäre ich wirklich gerne langsam flügge geworden. Meine Schwester war bereits verheiratet und hatte eine Tochter, mein Bruder hatte ebenfalls eine Familie gegründet.
So langsam musste ich echt schauen, dass ich aus den Puschen kam, wollte ich nicht als alte Jungfer enden. Doch jetzt musste ich erst mal einen neuen Job suchen. Damit hatte ich beim besten Willen nicht gerechnet.
Als mich Mr. MacDoughalls Sekretärin anrief und mir erklärte, ich hätte heute einen Termin mit dem Big Boss, hatte ich mir noch in den schillerndsten Farben ausgemalt, was für tolle Nachrichten er für mich haben könnte.
Verträumt hatte ich solch klangvollen Worten wie Gehaltserhöhung oder Beförderung nachgehangen und sah mich endlich am Ziel angelangt. Nur leider war des Walross’ Offenbarung so gar nicht mit meinen Wunschvorstellungen kompatibel.
»So müssen Sie es auch sehen. Nehmen Sie den Anlass dazu, Ihr Leben neu zu strukturieren. Steigen Sie wie Phönix aus der Asche und überraschen Sie all Ihre Kritiker. Lassen Sie sich von solch banalen Dingen wie Weihnachten nicht aus dem Konzept bringen. Schließlich findet das Fest alljährlich seit über sechzehnhundert Jahren statt.«
Wie Phönix aus der Asche. Pah, dass ich nicht lachte. Was waren das bloß für schwülstige Phrasen ohne jedweden Bezug zu dem Häufchen Elend, das sich da vor ihm im Staub suhlte.
Egal, was da aus der Asche aufsteigen würde, als Phönix würde ich sicher nicht wiedergeboren werden. Eher als Augenringe-bis-zum-Boden-Träger oder Talkshows-am-helllichten-Tag-Gucker. Reiß dich zusammen, ermahnte mich das letzte Fünkchen Stolz, das noch übrig geblieben war.
Ja, die Kugel war in den Brunnen gefallen, aber emanzipierte Frauen des einundzwanzigsten Jahrhunderts schafften es ja wohl selbst, dafür zu sorgen, dass sie da wieder rauskam, oder? Also, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen!
»Und soll ich Ihnen was sagen? Es wird sicher auch nächstes Jahr wieder ein Weihnachtsfest für Sie geben. Vielleicht schaffen Sie es bereits bis zum siebten Januar mit einer neuen Anstellung. Dann feiern Sie einfach mit den orthodoxen Christen das Fest. Man muss heutzutage flexibel sein in dieser Welt. Vor allem, wenn man Karriere machen möchte. Sie wollen doch Karriere machen, Miss Havisham? Sehe ich das richtig?«
Sie wollen doch Karriere machen, äffte ich den arroganten Saftsack innerlich nach. Was glaubte er eigentlich, wer er war? Hielt mir hier von seinem hohen Ross herab eine Rede darüber, wie das wirkliche Leben da draußen aussah, als sei ich ein abseits jedweder Zivilisation lebendes Steinzeitmädchen, das nur mit seiner Hilfe aus ihrer Höhle gefunden hatte. Hallo?
Ich hatte meinen Abschluss in Harvard mit Auszeichnung gemacht und hatte über LinkedIn bereits drei Jobangebote bekommen, noch ehe ich mich selbst auf die Suche gemacht hatte.
Dummerweise hatte ich keines davon angenommen. In meinem naiven Irrglauben, die ganze Welt läge mir zu Füßen, war ich auf die Suche nach der Werbeagentur gegangen, bei der ich mein Handwerk von der Pike auf lernen konnte.
Hammersmith & Porter war meine erste Wahl gewesen. Die renommierte Agentur war weit über die Stadtgrenzen Chicagos hinaus für ihre erfolgreichen Kampagnen bekannt.
Ein Politiker betrügt seine Frau? Das Verhältnis fliegt auf? Die Medien dürfen keinen Wind davon bekommen? Dann kommen Sie zu Hammersmith & Porter, um Ihr Image wieder aufzupolieren. Ihre Sportkarriere läuft ganz gut, könnte aber mehr Gewinn abwerfen in Form von lukrativen Werbeverträgen? Dann kommen Sie zu Hammersmith & Porter.
Nach nur wenigen Tagen in der Firma wusste ich genau, wie der Hase lief. Das Konzept der maßlos überschätzten Werbeagentur beruhte auf der Produktion von aberwitzigen Wunschvorstellungen und solchen, die ab und an Wirklichkeit wurden.
Was hier in großem Stil produziert wurde, war in über neunzig Prozent der Fälle heiße Luft und dennoch strömten immer mehr Menschen herbei, um sich hier Rat zu suchen. Verrückt.
»Jeder Rückschlag macht Sie nur härter. Denken Sie immer an meine Worte. So, nun muss ich aber ins nächste Meeting. Es hat mich sehr gefreut … ich meine, es ist natürlich sehr bedauerlich, dass wir uns unter diesen Umständen erst so richtig kennenlernen durften. Aber man sieht sich doch meist zweimal im Leben. Vielleicht beim nächsten Mal nur auf einer Charityveranstaltung am Büffet. Wer weiß das schon so genau.«
Oh, liebend gerne. Vielleicht kam ich dann in den Genuss, diesem Lackaffen ein Glas des teuersten Champagners ins Gesicht zu schütten. Wer weiß. Vielleicht hatte er ja recht und man traf sich wirklich noch einmal. Dann würde ich allerdings besser vorbereitet sein.
»Gut, Miss Havisham, die Papiere bekommen Sie die nächsten Tage per Post zugesandt. Für die kommenden vierzehn Tage erwarte ich dennoch ein Höchstmaß an Disziplin von Ihnen. Außerdem sollten Sie das Ausscheiden aus der Firma nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Ich dulde keinen Klatsch und Tratsch in meinem Unternehmen. Haben Sie mich verstanden?«
Endlich, meine Chance war gekommen. Und? Nutzte ich sie? Bot ich meinem Arbeitgeber endlich mal die Stirn und sagte ihm, was ich von seinen leeren Floskeln hielt? Warf ich alles in die Waagschale, um erhobenen Hauptes aus diesem Affenzirkus ausbrechen zu können?
Als ich all meinen Mut zusammengenommen hatte und gerade loslegen wollte, hörte ich das Walross sagen: »Schön, dass das geklärt ist. Dann können Sie ja wieder an die Arbeit gehen. Rachel braucht noch Unterstützung bei dem Rosemont-Projekt. Oder ist noch etwas?«, fragte er mich allen Ernstes, nachdem ich mich nicht gleich von meinem Platz erhob und ihn nach wie vor mit offenem Mund regungslos anstarrte.
Perplex antwortete ich schließlich: »Nein, alles in bester Ordnung.«