Читать книгу Ein Frosch zum Küssen - Mila Summers - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеTja, und nun? Was sollte ich bloß machen? Am liebsten hätte ich meine Sachen gepackt und wäre einfach abgehauen. Wie sollte ich mich denn auf das Rosemont-Projekt konzentrieren, während in mir ein Sturm toste, der jederzeit zu einem Hurrikan mutieren konnte?
Schließlich entschied ich mich dazu, die Damentoilette im fünfundzwanzigsten Stockwerk aufzusuchen, nachdem ich mir eine Schachtel Zigaretten besorgt hatte. Dumm nur, dass mir das Feuerzeug fehlte und ich gar keine Raucherin war. Aber irgendwie hatte ich urplötzlich das dringende Bedürfnis, eine zu qualmen.
Seit einem halben Jahr arbeitete ich in dieser Firma, hatte unzählige Überstunden angehäuft, auf Urlaub verzichtet und hatte immer bereitgestanden, wenn Not am Mann war. Und wie dankte sie es mir? Mit einem Arschtritt kurz vor Weihnachten.
Da wurde ich meiner Rolle als schwarzes Schaf der Familie mal wieder vollends gerecht. Mitch, der brave Anwalt, und Sue, die treuliebende Ehefrau und Mutter, meine Geschwister waren in allem, was sie taten, perfekt. Sie waren immer auf dem rechten Pfad der Tugend geblieben und hatten sich nie von den abzweigenden Gabelungen verführen lassen.
Wobei Mitchs Image in letzter Zeit etwas gelitten hatte, als er uns eine Anhalterin, die er nur wenige Stunden vorher in seinem Wagen mitgenommen hatte, als seine Freundin präsentierte, um seiner Familie das verliebte Paar vorzuspielen.
Aber auch aus dieser Geschichte hatte mein ach so charmanter Bruder ein Happy End gezaubert, indem er sich einfach in seine gekaufte, vorgetäuschte Freundin verliebte, sie heiratete und ein Kind mit ihr bekam. Und wenn sie nicht gestorben sind, bla, bla, bla.
Ich war da ganz anders. Klar, ich hatte meinen Abschluss in Harvard gemacht und war eine der Jahrgangsbesten, dennoch hatte ich alles mitgenommen, was rechts und links des Weges gelegen hatte: wilde Partys, die Mitgliedschaft bei der Studentenverbindung der Delta Phis, Haschkekse und einiges mehr. Nur keine Männer. Das hatte sich irgendwie nie so recht ergeben, nachdem ich mich nach der High School von Matthew getrennt hatte.
Die erste große Liebe vergisst man wohl nie. In meinem Fall hatte ich die Trennung nie verwunden. Meiner Ansicht nach waren Matthew und ich Seelenverwandte. Als wir auf unterschiedliche Universitäten wechselten, hielt es mein Freund jedoch für sinnvoll, die Beziehung zu beenden, damit wir uns beide frei entfalten konnten.
Was so viel hieß wie, dass jedem die Möglichkeit gegeben war, möglichst viele Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht zu sammeln. Dabei wäre ein Partner am anderen Ende des Landes nur hinderlich gewesen. So seine These.
Ich sah das Ganze natürlich etwas anders. Damals war ich allerdings – ebenso wie gerade eben im Büro meines Chefs – vollkommen überfordert mit der Situation gewesen. Wenn es brenzlich wurde und ich eigentlich einen kühlen Kopf bewahren sollte, legte sich irgendwo in mir ein Schalter um und setzte mein Sprachzentrum außer Gefecht.
Sonst war ich eigentlich recht eloquent. Wirklich. Für die ein oder andere Präsentation, die ich bisher in diesem Haus hatte durchführen dürfen, hatte ich sogar Standing Ovations erhalten. Okay, vielleicht war es nur ein einziges Mal gewesen und die Leute waren nicht unbedingt aus den Sitzen gesprungen. Aber dennoch, es kam vor.
Das war eine meiner großen Schwächen, an der ich dringend arbeiten musste. Aber nicht jetzt und hier. Vielmehr galt es jetzt, eine Zigarette ohne Feuerzeug zu entflammen und dann all meinen Kummer wegzupaffen.
Glücklicherweise war ich in der Damentoilette im fünfundzwanzigsten Stockwerk allein. Nachdem ich gecheckt hatte, dass alle drei Kabinen frei waren, hatte ich mich in die mittlere verkrümelt, den Deckel heruntergeklappt und darauf Platz genommen.
Was für ein beschissener Tag! Wutschnaubend zerquetschte ich die Glimmstängel in meiner Hand, die noch immer jungfräulich in der Schachtel ruhten.
Mittlerweile liefen mir die ersten Tränen über die Wangen und ich verfluchte das World Wide Web dafür, dass es mich auf die versnobte Werbeagentur Hammersmith & Porter aufmerksam gemacht hatte.
In meinem Kopf spulte ich all die Abende ab, an denen ich mir von Mr. Song Hühnchen süß-sauer hatte liefern lassen, um nicht einmal dafür meinen Arbeitsplatz verlassen zu müssen. Bis zu sechzehn Stunden hatte ich an meinem Schreibtisch gesessen, hatte überlegt, geplant und recherchiert, nur um dann alles wieder über den Haufen zu werfen und von vorne zu beginnen.
Auch das war eines meiner Probleme: Perfektionismus. Doofes Wort und noch viel doofer die Bedeutung, die dahintersteckt. Aus diesem Grund war ich nicht in der Lage, einfach mal spontan meine Meinung zu sagen. Nein, jedes Wort musste wohlüberlegt sein. Schließlich musste man ja präzise äußern, was sein Anliegen war. Blödsinniges Geschwafel und Small Talk waren definitiv keine meiner Meisterdisziplinen.
Das Päckchen in meiner Hand war aufgeplatzt. Langsam strömte dieser unnachahmliche Geruch aus Nikotin, Filter, Teer und den anderen mehr als dreitausendachthundert chemischen Verbindungen in meine Kabine.
Das unerwartete Quietschen der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Ich war nicht mehr allein. Mühsam versuchte ich das Schluchzen zu unterbinden, das sich ungewollt zu den Tränen gesellt hatte.
Mit dem Handrücken trocknete ich die Tränen. Anschließend fuhr ich mit dem Zeigefinger unter das Auge, um die Wimperntuscherückstände zu beseitigen, die die Wassermassen mit sich gerissen hatten.
»Ist alles okay mit Ihnen?«, meldete sich eine mir unbekannte weibliche Stimme zu Wort.
»Hm«, antwortete ich einsilbig, in der Hoffnung, sie würde mir glauben und wieder gehen.
»In Ordnung. Ich hatte mir Sorgen gemacht, da ich durch die Glasscheibe meines Office mitbekommen habe, wie Sie zur Toilette gegangen sind und nicht mehr herauskamen. Sind Sie sicher, dass es Ihnen gutgeht? Soll ich vielleicht jemanden rufen? Brauchen Sie etwas? Mein Name ist Jil Aimée. Falls ich etwas für Sie tun kann, geben Sie mir ein Zeichen, ja?«
Es war ja wirklich nett von ihr, dass sie sich offensichtlich um eine Wildfremde derart sorgte, dennoch war ich momentan überhaupt nicht dazu aufgelegt, mich mit dieser Frau zu unterhalten oder gar meine Probleme hier im Restroom zu wälzen. Schmutzige Wäsche würde ich hier eh nicht waschen wollen, also war es besser, den Mund zu halten und freundlich zu winken.
»Nein, machen Sie sich keine Sorgen. Es ist alles bestens. Danke Ihnen. Ich komm gleich raus«, erwiderte ich in der Hoffnung, sie würde dann das Feld räumen und mir die Möglichkeit geben, heimlich, still und leise abzuhauen.
»Oh, schön, dann kann ich mich ja selbst gleich davon überzeugen, dass es Ihnen gut geht. Wissen Sie, meine Mutter hat immer gesagt: Wenn wir aufhören, darauf zu achten, wie es unseren Mitmenschen geht, dann haben wir verlernt, Mensch zu sein.«
Na, prima. Was sollte ich denn nun machen? Erhobenen Hauptes verheult aus der Kabine marschieren, Hände waschen und einen Grund vortäuschen, warum ich ganz schnell weg musste? Würde nicht klappen, da ich mich mit mir selbst nicht auf die stimmigste Ursache einigen könnte.
Außerdem war ich eine furchtbar schlechte Lügnerin. Mum erkannte meine Ausreden sogar am Telefon. Sie musste mir nicht mal gegenüberstehen, um zu erkennen, dass ich geflunkert hatte.
Vielleicht brachte es ja was, wenn ich Magen-Darm-Probleme vortäuschte? Wie genau sollte das aussehen? Nein, darüber konnte ich mir jetzt wirklich keine Gedanken machen. Das war einfach zu entwürdigend, um auch nur eine Sekunde länger darüber nachzudenken.
Also trat ich die Flucht nach vorne an, schwang mich wenig enthusiastisch von dem Klodeckel, legte den Hebel des Schlosses um und öffnete die Kabinentür. Vor mir stand ein zierliches Wesen, das mir nicht mal bis zur Schulter reichte.
Mit braunen Knopfaugen blickte sie mich mitleidig an, ehe sie sich am Papierhandtuchspender bediente und mir kommentarlos das Bündel hinstreckte. Dankend nahm ich es entgegen. Im Spiegel warf ich einen ersten Blick auf mein derangiertes Äußeres.
Warum sah man eigentlich nach dem Heulen immer so total verquollen aus, als hätte man sich mit Mohammed Ali einen Boxkampf geliefert? Okay, nach einem solchen Aufeinandertreffen wäre mein Gesicht sicher von Blessuren übersät und nicht nur aufgedunsen.
Eilig schritt ich zum Waschbecken, um mit einer Ladung kalten Wassers die verlaufene Schminke zu entfernen und die Schwellungen zu kühlen.
»Magst du darüber reden?«, meldete sich Jil Aimée leise zu Wort.
»Sei mir nicht böse. Ich hatte einen verdammt beschissenen Tag und wäre einfach gerne ein paar Minuten für mich alleine«, blaffte ich wenig freundlich.
Im selben Moment, als die Worte meinen Mund verließen, taten sie mir auch schon wieder leid. Was konnte Jil Aimée denn dazu, dass ich von meinem Chef gekündigt worden war? Sie war der einzige Mensch, der heute nett zu mir gewesen war, und ich stieß sie dermaßen schroff vor den Kopf, dass sie eigentlich wütend auf mich hätte sein müssen. War sie aber nicht.
»Ist schon gut. Das Gefühl kenne ich ganz gut. Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid. Ich bin, wie gesagt, gleich überm Flur hinter der Glasscheibe. Komm vorbei, wenn du reden möchtest.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.
Ich hob meinen Blick und starrte in den Spiegel. Es blieben mir nun genau zwei Optionen: entweder weiterhin in Mitleid zerfließen und die Flinte ins Korn werfen oder aufstehen, den Staub von den Schultern klopfen und weitergehen. Ich entschied mich für Letzteres und eilte, warum auch immer, Jil Aimée hinterher.