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Kapitel 4

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»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Jil Aimée und bezog sich wie selbstverständlich in die Problemlösung mit ein, nachdem ich ihr von meinem Rausschmiss berichtet hatte.

»Wir?«, fragte ich verdattert. Wieso denn nun wir? Schließlich war ich es doch, die in naher Zukunft ihren Schreibtisch räumen musste und nicht dieses freundliche Wesen, das mir gegenüberstand.

Ganz im Gegenteil. Sie hatte nämlich eines der begehrten Einzelbüros in der fünfundzwanzigsten Etage ergattert. Wer es bis dorthin geschafft hatte, brauchte sich eigentlich keine größeren Sorgen mehr machen.

Dort oben saßen diejenigen, die sich durch besondere Leistungen von all den anderen Mitarbeitern im Unternehmen abhoben und nur noch die ganz großen Projekte betreuten. Bei den Männern war es natürlich nur ihrem Ehrgeiz und der guten Leistung geschuldet, dass sie hier Platz nehmen durften.

Über die Frauen in der Firma, die ebenfalls diesen enormen Schritt auf der Karriereleiter vorangegangen waren, munkelte man hinter vorgehaltener Hand, sie hätten ganz andere Dienste erbringen müssen.

Wobei das Verhältnis zum Big Boss eine ganz bedeutende Rolle spielte. Unweigerlich schob sich mir ein Bild vor Augen, wie sich das Walross über die zierliche Jil Aimée schob und diese dabei fast plattmachte.

Ich schüttelte leicht mit dem Kopf, um die Vorstellung aus meinem Geist zu verbannen. Es war nicht fair, diese fremde Frau mit Vorurteilen zu strafen. Nicht, nachdem sie so nett zu mir gewesen war.

Geduldig hatte sie sich meine Geschichte angehört und mir ein Taschentuch gereicht, als wieder einzelne Tränen über meine Wangen kullerten. Zudem hatte sie einfühlsam ihre Hand auf meine gelegt und mir damit das Gefühl gegeben, nicht alleine zu sein. Das tat richtig gut.

»Aber sicher doch: Wir. Ich kann doch nicht tatenlos dabeistehen, wenn ich sehe, dass es dir nicht gutgeht. Was wäre ich denn dann für ein Mensch, wenn ich die Augen vor dem Leid meiner Mitmenschen verschließen würde? Außerdem würde mir meine Mum sicher eine Standpauke halten, wenn sie jemals davon erfahren würde.« Dabei schmunzelte sie mir aufmunternd zu.

»Ja, unsere Mütter haben eine weitaus größere Macht über uns, als wir es uns eingestehen wollen«, bestätigte ich Jil Aimées Aussage.

»Na ja, sie haben ja auch eine sehr lange Zeit die Möglichkeit gehabt, auf uns und unseren Charakter einzuwirken. Alles, was ich bin, verdanke ich meiner Mutter. Sie hat mich alleine großgezogen, musst du wissen. Das war nicht immer leicht. Als ich auf die Uni ging, begann sie, zusätzlich zu ihrem Job in der Apotheke nachts zu kellnern. Das werde ich ihr nie vergessen.«

Gerührt von Jil Aimées Vergangenheit stiegen mir erneut ein paar Tränchen in die Augen. Im Gegensatz zu ihr war ich mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden. Das musste man ganz klar so sagen.

Natürlich war es nicht toll, dass ich meinen Job verloren hatte, aber ich hatte ein heimeliges Zuhause, zu dem ich immer wieder zurück konnte, Eltern, die immer für mich sorgen würden, und keinerlei finanzielle Probleme.

Ich hatte keine Existenzängste, aber ich war zutiefst gekränkt und enttäuscht und wütend. Nachdem ich so viel Energie in die Werbeagentur gesteckt hatte, glaubte ich, ein Teil davon zu sein. Nicht nur die Arbeit, auch meine Kollegen waren mir in der Kürze der Zeit sehr ans Herz gewachsen.

Am Wochenende hatte ich mich das ein oder andere Mal mit Rachel und Sebastian aus meinem Team verabredet. Wir hatten richtig viel Spaß zusammen gehabt, vor allem in der Karaokebar.

Sebastian war kein begnadeter Sänger, aber er machte es mit Leidenschaft wett. Seine Version des AC-DC Klassikers Highway to Hell würde mir auf ewig im Gedächtnis haften bleiben.

Wann immer ich das Lied im Radio hörte, musste ich daran denken, wie gekonnt er die Luftgitarre auf der Bühne gespielt und sich dabei halbnackt ausgezogen hatte. Daraufhin war eine Horde Groupies zu ihm geeilt und hatte ihn beinahe per Stagediving in die Menge gezogen.

Die ausgehungerten älteren Damen in dem Pulk hatten Frischfleisch gerochen und wollten sich das Sahneschnittchen nicht entgehen lassen. Das leicht ausgeprägte Sixpack und die muskulösen Oberarme waren sicher mit ein Grund dafür gewesen, dass Rachel und ich plötzlich mehr oder minder alleine im Publikum gesessen hatten.

Wir beide hatten uns bei einem Cocktail an der Show erfreut und betrachteten amüsiert das Schauspiel, das sich uns bot. Als schließlich Streit in der Menge ausgebrochen war und die Frauen, die bei genauerer Betrachtung mindestens Sebastians Mütter hätten sein können, anfingen, ihm die Kleider vom Leib zu reißen, hatte Rachel Erbarmen mit dem Armen. Wagemutig hatte sie sich zur Bühne vorgekämpft und die eifersüchtige Freundin zum Besten gegeben.

Nachdem wir Sebastians Hemd irgendwo halbzerrissen am Boden wiedergefunden hatten, sahen wir zu, dass wir Land gewannen und verabschiedeten uns überhastet aus Joes Moonlightbar.

Als wir bereits einige Meter gelaufen waren, zog er etwas aus seiner derangierten Hemdtasche und streckte es uns fragend entgegen. Kichernd blickten Rachel und ich uns an, ehe schließlich auch bei Sebastian der Groschen gefallen war.

In guter alter Rockstarmanier hatte Sebastian seinen ersten Schlüpfer zugesteckt bekommen. Respekt, das hatten bestimmt noch nicht viele vor ihm in einer Karaokebar erlebt.

Natürlich zogen Rachel und ich ihn, wann immer es ging, mit dem Teil auf. Von Mal zu Mal wurde es immer schlimmer und man sah ihm deutlich an, was er von unseren Späßen auf seine Kosten hielt.

Das lag nicht nur an der Tatsache, dass das Modell in seiner Hemdtasche nicht unbedingt einer Frau mit Konfektionsgröße XS oder S zugeordnet werden konnte. Nein, der Umstand, dass auf der weißen Unterhose unzählige Blumen in zartem Blau und Rosa überdeutlich auf das Alter der Eigentümerin schließen ließ, traf ihn hart.

Er gab es zwar nicht offen zu, aber ein roter String wäre ihm eindeutig lieber gewesen. Rachel und ich hatten überlegt, ihm zum Geburtstag ein ebensolches Exemplar zu schenken, um ihn über den Abend hinwegzutrösten oder ihn noch etwas weiter aufs Korn zu nehmen.

Jetzt würde ich allerdings nicht mehr in dieser Firma beschäftigt sein, meine Mittagspausen nicht mehr mit den beiden verbringen können und eigene Wege gehen müssen.

Als ich mir darüber im Klaren war, dass meine Gedanken ziemlich weite Kreise gezogen hatten, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Jil Aimée sah mich noch immer mitleidig an, während ich in schönen Erinnerungen schwelgte.

So beeilte ich mich, ihr die Sorgenfalte zu nehmen, die sich bereits tief in ihre Stirn gefurcht hatte: »Ich schaff das schon, aber vielen Dank, dass du mir zugehört hast.«

»Aber gerne doch.« Dabei erhob sie sich von dem cremefarbenen, ledernen Sessel, der mir gegenüberstand und eilte zu ihrem Schreibtisch. Dort wühlte sie sich durch einige Aktenberge, bis sie schließlich fündig wurde: »Ruf mal meinen alten Freund Liam Morris an. Der hat mir erst vor Kurzem gesagt, dass er dringend Unterstützung für seine Marketingabteilung sucht. Vielleicht ist die Stelle ja noch zu haben. Ich werde ihn fragen, wenn du möchtest, und ihm ausrichten, ich hätte da eine sehr talentierte und ehrgeizige Kollegin, die sich nach einer anderen Herausforderung umsieht. Kopf hoch, das wird schon! Wo ist denn nur … ah, da ist ja seine Visitenkarte. Die geb ich dir einfach mal mit. Überleg es dir und sag mir rechtzeitig Bescheid, wenn ich dir helfen kann.«

Jetzt wusste ich, warum Jil Aimée im fünfundzwanzigsten Stockwerk saß: Weil sie es sich durch ihre Liebenswürdigkeit und ihre Fähigkeit zur Empathie mehr als redlich verdient hatte. Außerdem waren Engel dem Himmel meist nicht fern.

Ein Frosch zum Küssen

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