Читать книгу Ein Anwalt zum Verlieben - Millie Criswell - Страница 3
1 Was ist der Unterschied zwischen einer Rechtsanwältin und einem wilden Stier? Lippenstift.
ОглавлениеAngela DeNero hatte einen ausgesprochen abstoßenden Tag.
Wenn man’s genau nahm, war nicht nur dieser Tag abscheulich, sondern ihr ganzes Leben.
Ebenso gut hätte sie Zellulite haben können, im Kühlschrank nichts als Kaninchenfutter und im Schrank nur Jeans, in die sie nicht mehr hineinpasste.
Was Schlimmeres gab’s nicht.
Wenn man ihr Leben außer Acht ließ.
Das war nämlich der reinste Albtraum.
Na ja, mit der Zeit würde es sicher besser werden. Sie war schließlich kein Mimöschen. Sie war zäh, sie würde es durchstehen, bis bessere Zeiten anbrachen.
Was mit Sicherheit nicht heute geschehen würde.
Ihre Vermieterin, dieser Drachen namens Mrs. Foragi, hinterließ ihr andauernd Heftnotizen an der Haustür. Es waren Beschwerden – eine weniger großzügige Seele hätte sie als massive Drohungen bezeichnet – über ihre etwas übereifrige Bulldogge Winston. Ihre neu eröffnete Anwaltspraxis lag noch in den Geburtswehen – Klienten hatte sie zwar, doch die Zahlungsmoral war mau. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, fühlte sie sich seit Anfang der Woche hundsmiserabel, als ob sie eine schwere Grippe ausbrütete. Da fiel es schon kaum mehr ins Gewicht, dass ihre Haare, in der Früh noch dicht und glänzend, sich beim ersten Schritt ins regnerische Wetter in eine krause Zottelfrisur verwandelt hatten. Sie hätte Harpo Marx Konkurrenz machen können.
Das auch noch.
Es war daher kein Wunder, dass Angelas Stimmung beim Betreten des Polizeireviers so mies war wie das Wetter. Eigentlich war ihre Laune schon in dem Moment in den Keller gepurzelt, als sie am Morgen diesen Anruf von Sophia Russo erhielt.
Sophia war die schlimmste Klatschbase von ganz Little Italy und obendrein die unausstehlichste Person, der Angela je begegnet war, voreingenommen und tyrannisch. Angelas Mutter war im Vergleich zu ihr die reinste Heilige, und das wollte schon etwas heißen, wenn man bedachte, dass Rosalie DeNero auch nicht gerade ein verschämtes Veilchen war. Sobald es darum ging, eine Meinung zu äußern oder ungebetene Ratschläge zu verteilen, war sie zur Stelle. Sie war allerdings damit ein bisschen subtiler.
»Sie haben meine Schwiegermutter, diese Irre, verhaftet, weil sie in einem Laden was geklaut hat! Dio mio! Wir sind entehrt. Du musst sofort bei der Polizei vorbeifahren und sie rausholen. Meinetwegen kann sie ruhig dort verrotten, aber mein Mann macht sich große Sorgen und hat mich gebeten, dich zu benachrichtigen. Er zahlt alles, was du verlangst.«
Ah, das Zauberwort: Geld.
Dollarzeichen vor Augen, überlegte Angela, dass Flora Russo, ein passionierter Langfinger, höchstwahrscheinlich nicht zu Unrecht in ihrem derzeitigen Schlamassel steckte. Das war auch nicht das erste Mal, dass die alte Dame wegen solcher Delikte mit der Polizei in Konflikt geriet. Bisher jedoch hatten sie die Gesetzeshüter, die Floras unselige Neigung, sich gelegentlich anderer Leute Eigentum »auszuborgen«, kannten, stets direkt ihrem Sohn übergeben. Diesmal offenbar nicht.
Oma Flora besaß eine Gaunerseele, auch wenn sie nur selten etwas für sich selbst klaute. Aber sie war Joes Großmutter, und Joe Russo hatte ihr immerhin die Stelle als Teilzeit-Rechtsberaterin in dem Krisenzentrum, das er leitete, gegeben. Sie konnte ihn also schlecht hängen lassen.
Außerdem, wie sähe das aus, wenn die Großmutter eines Expriesters wegen Ladendiebstahls verhaftet würde? Nicht gut, fand sie.
Angela erspähte Oma Flora gleich beim Eintreten. Die alte Frau, wie üblich von Kopf bis Fuß in Witwenschwarz gehüllt, saß auf einem Klappstuhl, eine Handtasche auf dem Schoß, in die ganz Minnesota reingepasst hätte, den Gehstock zwischen die Knie geklemmt. Sie wirkte eher einschüchternd als eingeschüchtert und alles andere als erfreut. Neben ihr stand der Polizeibeamte, der sie verhaftet hatte.
»Vaffanculo! Bastardo! Wie können Sie es wagen, eine alte Dame wie eine gemeine Kriminelle zu behandeln! Ich werde den Präsidenten der Vereinigten Staaten anrufen. Ich hab für ihn gestimmt. Er schuldet mir was.«
»Beruhigen Sie sich, Ma’am«, beschwichtigte sie der Beamte. »Und Sie sollten aufhören, mich auf Italienisch zu beschimpfen, denn ich spreche diese Sprache und mag es nicht, wenn man mir den Stinkefinger zeigt, auch wenn’s nur verbal ist.«
»Oma Flora«, rief Angela warnend, als diese schon den Mund aufmachte, um etwas zu erwidern. Zweifellos etwas, das einer Etiketteprüfung nicht standgehalten hätte.
Oma Flora schaute zu Angela auf. »Die haben mich verknackt. Diese Bullenschweine wollen mich in den Knast stecken.« Oma Flora hatte offensichtlich zu viele Mafiaserien geguckt. »Ich hab überhaupt nichts getan. Ich will jetzt nach Hause. Sprich mal mit denen, Angela, die sollen mich nach Hause lassen. Capisce?«
Angela seufzte tief auf. Sie verstand durchaus, aber das hieß noch lange nicht, dass sie so einfach wegzaubern konnte, was Oma da angerichtet hatte. Obwohl, sie würde sich alle Mühe geben. Sie wandte sich Bobby Malcuso, dem »Bullenschwein«, zu, der Joes Oma aufs Revier gebracht hatte. »Hier liegt bestimmt nur ein Missverständnis vor, Officer Malcuso. Das lässt sich sicher leicht klären.« Missverständnis war Rechtskauderwelsch für »Meine Klientin hat Scheiße gebaut, wie kriegen wir das wieder hin?«
Der Mann schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, Ma’am. Mrs. Russo wurde auf frischer Tat ertappt, als sie versuchte, etwas in Gepettos Spielwarenladen mitgehen zu lassen. Der Inhaber hat Anzeige erstattet. Mir blieb keine Wahl, ich musste sie festnehmen. Es tut mir wirklich Leid, Miss DeNero, ich habe selbst eine Großmutter. Aber Mrs. Russo hat gegen das Gesetz verstoßen, ich musste sie aufs Revier mitnehmen.«
Angela, die die Sachlage sehr gut verstand, nickte und erklärte: »Mrs. Russos Schwiegertochter meint, dass Mrs. Russo öfter etwas in Gepettos Spielwarenladen mitgehen lässt. Der frühere Besitzer hat immer aufgepasst, was sie sich nahm, und Mrs. Russos Sohn ist dann später vorbeigekommen und hat dafür bezahlt. So haben sie das normalerweise gehandhabt. Anscheinend wusste sie nicht, dass der Inhaber gewechselt hat.« Sie wünschte, dass Sohn und Schwiegertochter der alten Dame jetzt hier wären, um ihre Geschichte zu bestätigen, aber Floras Schwiegertochter hatte am Telefon erklärt, dass Frank krank war, und sie, Sophia, konnte nicht Auto fahren.
Der junge Beamte strich sich das schon schütter werdende hellblonde Haar zurück. »Mr. Patels Anwalt will mit dem Staatsanwalt sprechen; er ist auf dem Weg hierher. Wenn Mr. Patel die Anzeige danach nicht fallen lassen will ...« Er zuckte mit den Schultern und deutete damit an, dass die Angelegenheit dann nicht mehr in seinen Händen läge.
Angela setzte sich neben die alte Dame, um sie ein wenig zu beruhigen, obwohl diese mehr sauer als ängstlich schien. »Ich fürchte, wir stecken in der Klemme, Oma Flora. Wir müssen noch ein bisschen hier warten, bis der Anwalt des Ladenbesitzers kommt.«
»Nazis sind das! Alles Nazis! Haben die denn nichts Besseres zu tun, als einer alten Frau das Leben schwer zu machen? He, Sie Hitler«, sagte sie zu dem Beamten, »bringen Sie mir ein Glas Wasser, ich muss meine Tabletten nehmen. Vielleicht falle ich ja tot um, und dann wird Sie mein Sohn verklagen, dass es sich gewaschen hat. Das wünsche ich mir bei Gott.«
Der Beamte, sichtlich erleichtert, von dem Feuer speienden Drachen wegzukommen, eilte fort, um zu tun, wie ihm geheißen, doch Angela bezweifelte, dass sie ihn so bald wieder sehen würden. Sie holte Oma Flora eine kalte Limo aus dem Getränkeautomaten.
Einige Minuten später betrat ein großer, dunkelhaariger Mann das Revier. Er trug eine braune Lederjacke, darunter ein marineblaues T-Shirt, ausgewaschene Jeans und einen Drei-Tage-Bart. Angela erkannte ihn sofort und wurde von jäher Freude erfasst.
John Franco war kein Mann, den man so schnell vergaß, selbst wenn man süße achtzehn war, als man ihn zuletzt gesehen hatte. Sie und John waren zusammen auf der Highschool gewesen, und Angela war eine Zeit lang mit Tony Stefano, seinem besten Freund, gegangen.
Tony war ein ausgesprochen netter Kerl gewesen, eine viel bessere – und sicherere! – Wahl für ein Mädchen, das in sehr behüteten Verhältnissen aufwuchs und noch keinerlei Erfahrung mit Männern besaß. Und obwohl Angela insgeheim für John Franco geschwärmt hatte, obwohl sie sich die verbotensten Dinge ausgemalt hatte, erotische Dinge, die sich kein anständiges Mädchen ausmalen sollte, hätte sie es nie gewagt, ihm zu zeigen, dass er ihr gefiel.
John Franco war das, was man eine verbotene Frucht nennt.
Er war der Bad Boy der Bridgemont High gewesen – ein richtiger Unruhestifter ohne Manieren. Und er hatte sie nie auch nur im Geringsten beachtet. Tatsächlich war er ihr gegenüber immer ein wenig feindselig gewesen, obwohl sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, warum.
Er sah nach wie vor verflucht gut aus, nicht wie ein Schönling, sondern robust und viril, eher wie Russel Crowe. Der Mann war ein Ausbund an Männlichkeit.
»Ach, da ist ja Johnny. Der wird dir helfen, das in Ordnung zu bringen. Ein guter Junge, mein Enkel Johnny.«
Enkel! Angela klappte den weit aufgerissenen Mund zu, riss den Blick von dem Ausbund an Männlichkeit los – lechz! – und konnte nur hoffen, dass sie sich nicht vollständig besabbert hatte.
Verdammt! Wieso hab ich nicht gleich daran gedacht, dass John Franco mit den Russos verwandt ist?
Er trat zu ihnen und gab seiner Oma einen Schmatz auf die Wange. Ein liebevoller Ausdruck lag in seinen Augen, wohl auch ein wenig Bewunderung. »Du warst ein böses Mädchen, stimmt’s, Oma Flora?«
Flora zwinkerte ihm zu, und er grinste. Offenbar war ihm ein solches Verhalten nichts Neues. »Sprich mit meiner Anwältin, Johnny. Angela bringt das wieder in Ordnung. Ist sie nicht bellissima? Und blitzgescheit noch dazu. Sie hat studiert wie du.«
John musterte Angela ein paar Sekunden lang, und sie konnte exakt sagen, wann bei ihm der Groschen fiel. Er schenkte ihr ein 100-Watt-Lächeln, bei dem ihr Puls in nie geahnte Höhen schnellte. Angela musste ihren ersten Eindruck korrigieren. Floras Johnny sah nicht nur gut aus. Er war das reinste Sahnestück, mit Nougat gefüllt und auch außen alles dran, was man sich nur wünschen konnte.
»Sehr sogar«, meinte er auf die Frage seiner Oma und sagte dann zu Angela: »Freut mich sehr, dich wieder zu sehen, Angela.« Er gab ihr die Hand, und dreihundert Volt Starkstrom rasten ihr den Arm rauf. »John Franco. Wir waren zusammen auf der Highschool, weißt du noch?« Als sie stumm nickte, fuhr er fort: »Ich bin wegen meines Klienten hier. Mr. Patel gehört das Geschäft, das Oma ausgeraubt hat.«
Angelas Begeisterung zerbröselte wie eine trockene Sandburg. Einen Moment lang starrte sie ihn mit offenem Mund an, dann fand sie ihre Fassung wieder. »Du bist sein Anwalt? Aber wie ist das möglich? Die Frau, gegen die dein Klient Anzeige erstattet hat, ist deine Großmutter. Und ›ausgeraubt‹ ist wohl ziemlich übertrieben, findest du nicht?« Herr des Himmels! Das Ganze wurde ja von Minute zu Minute schlimmer.
Jetzt käme eine gute Ohnmacht gerade recht.
Komapatienten wussten ja gar nicht, wie gut sie es hatten. Sie brauchten sich nicht darum zu scheren, ob sie noch in ihre Jeans hineinpassten oder ob ihre Haare zerrupft aussahen. Und verrückte alte Damen, die aus reinem Vergnügen alles Mögliche mitgehen ließen, stellten auch kein Problem für sie dar, ebenso wenig wie Highschool-Bad-Boys, aus denen respektable Anwälte geworden waren. Die schwelgten einfach im süßen Vergessen, ohne zu merken, welche Prüfungen und Torturen das Leben für die armen Schweine, die wach sein mussten, bereithielt.
Angela seufzte. Zweifellos war sie die einzige Komapatientin der Geschichte, die unter Schlaflosigkeit litt.
John rieb sich unbehaglich den Nacken. »Das ist mir klar, Angela. Aber hier liegt ein Gesetzesverstoß vor, und es ist meine Pflicht als Mr. Patels Anwalt ...«
»Sie ist deine Großmutter, verdammt noch mal! Kennst du kein Mitgefühl? Keine Loyalität? Sie ist ’ne alte Frau, Menschenskind.«
»Und ob, Johnny«, warf Oma Flora ihren Senf dazu, das Kinn kampflüstern vorreckend. »Wie kannst du dich gegen dein eigen Fleisch und Blut verschwören? Was wird deine Mutter sagen, wenn sie das erfährt? Adele ist ’ne gute Tochter. Hat zwar eine ziemlich große Klappe, aber sie behandelt ihre Mutter mit Respekt. Das wird sie gar nicht freuen. La Familia! Die Familie ist alles.«
Sie schüttelte ihren grauen Lockenkopf. Die Korkenzieherlöckchen waren so eng aufgedreht, dass man ihre rosa Kopfhaut durchschimmern sah. »Die jungen Leute heutzutage sind so dumm. Stupido. Keine Achtung vor dem Alter. Wer weiß, wie lange ich noch lebe? Und du tust mir das an! Pah!«
»Jetzt sei doch mal vernünftig, Oma«, versuchte John sie zu beschwichtigen, ging vor ihr in die Hocke und nahm ihre runzligen Hände in die seinen. Angela konnte nicht umhin, seine Geste zu bemerken, und sie gefiel ihr, sosehr er ihr sonst auf den Geist ging. »Ich habe mit meinem Klienten geredet. Mr. Patel ist ziemlich aufgebracht und besteht auf der Anzeige. Ich werde mit dem Staatsanwalt reden und ...«
»Und was? Sie auf den elektrischen Stuhl schicken? Was bist du nur für ein Mensch?« Angela wurde zunehmend wütender. John Franco war ein Peiniger alter Damen. Das sagte sie ihm auch.
Seine blauen Augen wurden eisig. »Ich benehme mich wie ein vernünftiger Mensch, was man von dir nicht gerade behaupten kann, Angela DeNero. Hast du auf deiner schicken Uni denn gar nichts gelernt?«
Ihre Wangen wurden flammend rot. »Wie kannst du es wagen! Ich bin nicht unvernünftig. Ich bin ...« Angela merkte, wie ihr die Galle hochkam, und presste rasch die Hand auf den Mund. Auf seinen fragenden Blick schüttelte sie nur den Kopf und zischte in Richtung Toilette davon. Dass die Leute hinter ihr herstarrten, kümmerte sie wenig. Sie schaffte es gerade noch, bevor ihr das Frühstück hochkam.
Mein Gott! Ich muss schon wieder kotzen!
John Franco hatte ihr buchstäblich den Magen umgedreht. Kein sehr viel versprechender Anfang eines Arbeitsverhältnisses. Passte aber zu diesem ausgesprochen schwarzen Tag.
Einige Minuten später stand sie am Waschbecken und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Es ging ihr zwar schon wieder besser, aber eine peinliche Demütigung war der Vorfall trotzdem. Sie spülte sich den Mund mit dem minzfrischen Mundwasser aus, das sie für solche Notfälle dabeihatte. Als sie zurückkam, sah sie, dass dieser unmögliche Mensch – dieser Verräter! – den Arm um ihre Klientin gelegt hatte. Er war größer, als sie es in Erinnerung hatte, und neben ihm wirkte Oma Flora noch verhutzelter als gewöhnlich.
»Tut mir Leid«, entschuldigte sie sich, atemlos vor den beiden stehen bleibend. »Ich glaube, ich brüte was aus. In letzter Zeit geht’s mir nicht so gut.«
Oma schürzte besorgt die Lippen. »Du musst mehr essen, Angela. Du bist viel zu dünn. Eine dünne Frau wird leicht krank. Dein Blut ist viel zu dünn. Du musst mehr Fleisch essen.«
In italienischen Familien war Essen das Allheilmittel. Wenn man krank war, aß man, um schneller wieder gesund zu werden. Wenn es etwas zu feiern gab, dann traf man sich zu einem opulenten Essen. Und wenn man deprimiert war ... tja, Essen half da zuverlässig, besonders wenn es sich dabei um etwas Süßes handelte.
So gesehen hätte Angela eigentlich hundertfünfzig Kilo wiegen müssen und nicht die fünfundfünfzig, die sie tatsächlich auf die Waage brachte.
Flora wandte sich an ihren Enkelsohn. »Johnny, warum lädst du Angela nicht auf ein saftiges Steak ein? Ich mag sie. Sie ist Anwältin, und du bist Anwalt. Ihr kennt euch von früher. Was könnte besser sein?«
John lächelte amüsiert, und Angela wurde rot wie eine Tomate. Abermals drohte ihr der Mageninhalt hochzukommen, aber es gelang ihr, die Anwandlung niederzukämpfen und so zu tun, als hätte sie den durchsichtigen Verkupplungsversuch überhaupt nicht mitbekommen. Sich der Würde ihres Berufsstands entsinnend sagte sie: »Wenn Ihr Klient auf seiner Vorgehensweise besteht, Mr. Franco, dann sehen wir uns eben vor Gericht.«
Er überragte beide Frauen wie der Fujijama, und Angela sah sich gezwungen, zu ihm aufzuspähen. »Würde mich freuen, Miss DeNero«, sagte er, über ihre Förmlichkeit grinsend. »Aber ich bezweifle, dass es dazu kommt. Wir bleiben in Verbindung.« Er beugte sich vor und gab seiner Großmutter einen Kuss aufs Lockenhaar. »Auf bald, Oma. Grüß Onkel Frank und Tante Sophia von mir.«
»Pah!« Die alte Dame schüttelte empört den Kopf. »Sophia Grazianos Herz ist vergiftet. Ich spreche nur mit ihr, wenn ich unbedingt muss. Der wäre es nur recht, wenn ich im Knast vergammeln würde. Sie sagte, ich bin pazzesca nella testa. Jetzt sagt mir eins, wer könnte verrückter sein als meine Schwiegertochter?«
John schwieg dazu, schien seiner Großmutter jedoch im Stillen beizupflichten.
Angela machte große Augen. Kopfschüttelnd dachte sie, dass Oma Flora ihr viel normaler vorkam als die meisten Leute, die sie kannte, einschließlich ihres eigenen Vaters, aber daran wollte sie jetzt lieber nicht denken. Das hieße, in die Twilight Zone einzudringen – Akte X mit einem schlechten Drehbuch.
»Ach, Mrs. Russo war sicher nur erschrocken über das alles. Ich rede mit ihr.«
»Meine Schwiegertochter ist eine herzlose puttana. Ich verfluche den Tag, an dem sie meinen Frank geheiratet hat. Er ist viel zu gut für sie. Der Mann ist ein Heiliger. Nur ein Heiliger konnte es all die Jahre mit ihr aushalten.«
John verschwand für einen Moment, sprach kurz mit Officer Malcuso und kam dann mit einem Nicken wieder zu ihnen zurück. Ja, Oma durfte gehen.
Angela ergriff die alte Dame bei der Hand, eine winzige, dürre, kleine Hand, die sich anfühlte, als könne sie bei der kleinsten Berührung brechen, und sagte: »Komm, Oma Flora. Ich fahre dich nach Hause. Du siehst völlig fertig aus.« Dank Johns Intervention beim Staatsanwalt wurde Flora vorläufig auf freien Fuß gesetzt.
Die Augen der alten Dame blitzten fröhlich. Es war klar, dass sie ihr Abenteuer genossen hatte, auch wenn sie jetzt erschöpft war. »Haut ihr mit mir ab wie in den Filmen? Das ist toll, denn ihr müsst wissen, ich hab in der alten Heimat so meine Verbindungen. Habt ihr Goodfellas gesehen? Oder Der Pate? Luca Brasi ist jetzt Fischfutter.« Sie fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. »Das heißt, der Mann kann sein Testament machen.«
Eindeutig zu viele Mafiafilme.
Angela und John tauschten ein nachsichtiges Lächeln, und Angela vergaß kurzfristig, wie sehr er ihr auf den Keks ging. Ihr Puls beschleunigte sich, und in ihrem Kopf erklang ein gewisser Marsch von John Philip Sousa. »Äh ... man lässt dich erst mal gehen.«
»Und keine Gaunereien mehr, Oma, capisce?«, ermahnte John sie von der Tür aus, wobei er Angela keck zuzwinkerte, die prompt erneut eine reife Tomatenfarbe annahm.
Die alte Dame lächelte mysteriös, was für die Einzelhändler von Little Italy nichts Gutes verhieß.
»Wir sehen uns sicher bald wieder, Angela«, sagte er.
»Das will ich doch nicht hoffen«, konnte diese es sich nicht verkneifen zu antworten.
John fiel es schwer, sich auf das zu konzentrieren, was Tony zu ihm sagte. Immer wieder tauchte Angela DeNero vor seinem geistigen Auge auf. Die schwarzäugige Schönheit hatte ihn von Anfang an fasziniert. Auch fand er ihre Empörung über die Verhaftung seiner Großmutter recht amüsant – das heißt, wenn sie nicht so anmaßend und voreingenommen ihm gegenüber aufgetreten wäre. Das ging ihm nämlich gewaltig gegen den Strich.
Anmaßende Frauen waren ein rotes Tuch für ihn. Davon hatte er zu Hause schon genug.
Hält sie mich wirklich für ein solches Ekelpaket, dass sie mir zutraut, meine eigene Oma im Knast schmoren zu lassen?
Patel würde die Anklage fallen lassen. Dafür würde er sorgen. Er brauchte keine besserwisserischen Bemerkungen von hochnäsigen Harvard-Absolventinnen. Er wusste selbst, was er seiner Verwandtschaft schuldig war.
»Hörst du mir überhaupt zu, John? Ich sagte, wir müssen über Rothburg gegen Gallagher reden. Du weißt schon, der Sorgerechtsfall. Rothburg besteht darauf, dass wir ihn vertreten. Das ist der größte Fisch, den wir je an Land gezogen haben, Mann. Ich hab ihm bereits zugesagt.«
Aus seinen Tagträumen gerissen, widmete John nun seinem Freund und Geschäftspartner, Tony Stefano, seine volle Aufmerksamkeit. Tony saß hinter seinem Schreibtisch und rauchte. John schüttelte entschieden den Kopf und versuchte, sich von dem verführerischen Duft der Zigarette nicht allzu sehr ablenken zu lassen. »Ich hab’s dir doch schon mal gesagt, Tony, ich will nichts mit diesem Fall zu tun haben. Himmel, Mary ist schließlich meine Kusine! Ich kann mich doch nicht gegen meine eigene Verwandtschaft stellen. Hast du sie nicht mehr alle? Meine Tante Sophia wäre imstande, mir einen Killer auf den Hals zu hetzen. Sie hat doch diesen verrückten Bruder, du weißt schon. Onkel Alfredo behauptet, gewisse Verbindungen zu haben.« John glaubte kein Wort von dem, was Onkel Alfredo sagte. Angeblich hatte er gute Connections zum Gotti-Clan.
»Jetzt sei doch vernünftig, John. Sharon Gallagher-Rothburg will ihr Kind wiederhaben. Du weißt, dass Charles sich in diesem Fall nicht selbst vertreten kann. Damit käme er in einen schweren Interessenskonflikt.« Er drückte seine Zigarette aus und zündete sich prompt eine neue an, die er an den Rand des Aschenbechers legte und qualmen ließ. Auf dem nicht gerade geschmackvollen Kippenfänger prangte in großen Lettern FRANCOS SCHNELLREINIGUNG.
»Und ich etwa nicht? Nein, ich will mit der Sache nichts zu tun haben. Das musst du schon allein durchziehen, alter Knabe.«
Tonys Gesicht lief dunkelrot an. Der Schweiß stand ihm in dicken Tropfen auf der Stirn, und er rieb sich die Brust, als hätte er Schmerzen. »Aber ich brauche nun mal deine Hilfe. Außerdem sind wir wohl kaum in einer Position, den hübschen Vorschuss zurückzuweisen, den Rothburg hat rüberwachsen lassen. Wir kommen doch so schon kaum über die Runden, und ich muss an meine Familie denken. Ich hab zwei Kinder zu ernähren, und Rothburg bedeutet Futter.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Wir übernehmen diesen gottverdammten Fall, und damit hat sich’s!«
John, der merkte, wie sehr Tony sich in Rage geredet hatte, versuchte es mit Vernunftargumenten. »Sharon Rothburg hat das Sorgerecht für ihren Sohn schon vor Monaten an ihren Exmann abgetreten. Hat ihren Sohn wie einen Sack Müll vor der Türschwelle ihres Göttergatten abgeladen und sich mit ihrem Aerobictrainer, diesem dämlichen Muskelpaket, aus dem Staub gemacht. Welche Mutter tut so was?«
Tony lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und lockerte den Knoten seiner grünen Seidenkrawatte und den obersten Knopf seines Hemds. Erst dann erwiderte er: »Du weißt doch, wie das ist. Sie hat sich gelangweilt, sich nach ein bisschen Aufregung gesehnt. Diese männliche Hupfdohle hat ihr ein paar süße Worte ins Ohr gezwitschert, und ab ging sie. Sie hat mir versichert, dass sie nie vorhatte, ihren Sohn ganz wegzugeben. Das mit dem Sorgerecht sollte von vornherein eine vorübergehende Sache sein.«
»Das ist ausgemachter Blödsinn, und das weißt du sehr gut! Dan Gallagher ist ein verantwortungsbewusster Mensch, er sorgt gut für seinen Sohn, bietet ihm ein stabiles Zuhause. Und eine liebevollere Stiefmutter als Mary gibt es nicht. Der Anwalt der Gegenpartei macht dich zur Schnecke, wenn du ihm damit kommst. Und ich werde im Publikum sitzen und ihm applaudieren.«
Tonys Gesicht verzerrte sich vor Wut, und er rieb sich erneut die Brust, was Johns Stirnrunzeln vertiefte. Tonys Cholesterinspiegel hatte ungeahnte Höhen erklommen, er rauchte wie ein Schlot, und seinen letzten Gesundheitscheck hatte er übersprungen. Die Ärzte hatten ihm klipp und klar gesagt, dass er unbedingt abspecken und auf seinen Blutdruck achten musste. Aber natürlich hatte Tony den Rat ignoriert. Sein Freund hatte die unangenehme Eigenart, nicht hinzuhören, wenn er etwas nicht hören wollte, so wie jetzt, wo John ihm beizubringen versuchte, dass er den Fall unter keinen Umständen übernehmen wollte.
»He, Mann, geht’s dir gut? Du siehst nicht danach aus.«
Tony ignorierte Johns Frage. »Diesen Fall zu gewinnen wird kein Zuckerschlecken, das ist mir klar. Aber mit uns geht’s bergauf, John. Man hält uns für Gewinner. Wenn wir Rothburg versus Gallagher gewinnen, haben wir alle Chancen, die Topklienten zu kriegen. Rothburg wird uns sicher weiterempfehlen.«
John verzog verächtlich das Gesicht. »Rothburg ist ein Halunke, das weiß jeder. Er ist ein Blutsauger, das ist er. Von einem wie ihm sollten wir sowieso die Finger lassen.«
»Mag sein, aber er ist unser Blutsauger. Wir brauchen ihn. Hast du in letzter Zeit einen Blick in unsere Finanzen geworfen? Wir stecken bis zum Hals in Schulden.«
John, der wusste, wie Recht sein Partner damit hatte, versuchte es mit einer anderen Taktik. »Weißt du überhaupt, wer der Vertreter der Gegenpartei ist?«
»Man munkelt, dass es Angela DeNero sein soll. Sie ist aus Boston wieder hierher gezogen. Erinnerst du dich noch an Angela? Bin in der Highschool ’ne Zeit lang mit ihr gegangen. Mann, die war vielleicht heiß!« Tony lächelte nostalgisch, was John auf die Palme brachte.
»Na, jedenfalls, sie hat in Harvard studiert, war unter den Besten ihres Jahrgangs, und sie hat Erfahrung mit solchen Fällen.«
Miss Harvard würde also die Vertreterin der Gegenpartei in Rothburg versus Gallagher sein? Höchst interessant.
Im Gegensatz zu John, der sich jeden Cent seines Studiums selbst hatte verdienen müssen und es daher nur zur schnöden University of Maryland gebracht hatte, hatte Angela nach dem Abschluss der Highschool ein Stipendium für Harvard bekommen. Das hatte ihm für lange Zeit die Laune verhagelt. Nicht, weil sie das Stipendium nicht verdient hätte – Angela war stets unter den Klassenbesten gewesen –, sondern weil er sie hatte fragen wollen, ob sie mit ihm gehen würde, nachdem es zwischen ihr und Tony aus gewesen war. Aber sie war verschwunden, bevor er dazu die Gelegenheit gehabt hatte. Was ihn bis heute wurmte.
Er war während der ganzen Schulzeit in sie verknallt gewesen, hatte aber nie etwas unternommen, weil Angela ihm immer viel zu perfekt erschienen war – zu klug, zu hübsch, zu jungfräulich und zu verflucht einschüchternd mit ihren Einsern und den Fremdwörtern, mit denen sie um sich schmiss.
John war zu keiner Zeit unter den Klassenbesten. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte er sich ja ebenfalls um ein Stipendium bewerben können. Aber die Schule und das Lernen waren ihm nie leicht gefallen. Eigentlich hatte er es nur Tony zu verdanken, dass er es am Ende doch geschafft hatte. Tony hatte ihm unermüdlich geholfen, hatte ihn immer wieder ermutigt. Dafür stand er ewig in seiner Schuld.
Sein Bruder Michael, Tausendsassa und Herzchirurg, hatte die ganze Intelligenz geerbt – und auch den ganzen Ruhm abgesahnt –, aber John hatte dafür das sture Durchhaltevermögen und den unbeugsamen Willen der Francos mitbekommen.
»Ja, ich erinnere mich an sie«, sagte er. »Hab sie sogar heute früh zufällig auf dem Polizeirevier getroffen. Scheint mir mehr der emotionale Typ zu sein. Wahrscheinlich werden ihr die Nerven durchgehen, und sie wird vor dem Richter und den Geschworenen ihr Frühstück rückwärts essen, so wie heute auf dem Revier.« Jeder Mensch hatte Schwächen. Angelas Knackpunkt war wohl ein nervöser Magen. Es war offensichtlich, dass sie mit Stress nicht besonders gut fertig wurde.
Tony erhob sich mit einem zuversichtlichen Lächeln und begann auf und ab zu gehen. »Na, siehst du? Das wird ein Kinderspiel für uns.«
John unterdrückte einen Fluch, riss sein Jackett von der Stuhllehne seines Stuhls und fuhr hinein. »Hast du mir denn nicht zugehört, Stefano? Es gibt kein ›Wir‹. Ich helfe dir nicht bei diesem Fall. Und damit basta!« Er strebte eilig zur Tür.
»Verflucht noch mal, John!«
»Du bist Italiener, Tony. Du weißt sehr gut, dass Italiener eins nicht verzeihen: Und das ist Untreue und Illoyalität. Und es wäre definitiv illoyal von mir, mich gegen meine Kusine und ihren Mann zu stellen.«
»Dann fahr doch zur Hölle. Ich mach’s selbst und ...« Tony griff sich mit einem Mal an die Brust, sein Gesicht verkrampfte sich vor Schmerzen und wurde so weiß wie sein Hemd. »Ich ...«
Erschrocken hastete John auf ihn zu. »Tony!« Noch bevor er ihn auffangen konnte, fiel sein Freund mit einem dumpfen Aufprall zu Boden und hätte sich dabei noch um ein Haar den Kopf an der Ecke des massiven Schreibtischs angeschlagen. John hockte sich neben ihn und fühlte seinen Puls. Als er spürte, dass er noch schwach schlug, atmete er erleichtert auf. »Halt durch, Stefano.«
Mit zitternden Fingern holte John sein Handy aus der Jacketttasche und wählte die Notrufnummer, wobei er Tonys Kopf in seinen Schoß legte. »Dass du mir ja nicht stirbst, du blöder Mistkerl! Dass du mir ja nicht stirbst!«