Читать книгу Ein Anwalt zum Verlieben - Millie Criswell - Страница 5

3 Woher weiß man, wann ein Anwalt lügt? Wenn sich seine Lippen bewegen.

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John betrat Tonys Krankenzimmer. Es war der erste Tag nach seiner Operation. John hatte einen großen bunten Blumenstrauß dabei und trug ein erleichtertes Grinsen zur Schau.

Der Patient saß an die aufgestellten Kissen gelehnt und sah sich ein Footballspiel im Fernsehen an. Doch sein verärgerter Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass es ihn von Minute zu Minute mehr aufregte.

Tony und Football, das war keine sehr gute Kombination, ebenso wenig wie Tony und Baseball, Tony und Wrestling ...

»Du solltest dir wirklich kein Spiel ansehen, Stefano. Du weißt, wie dich Football regelmäßig auf die Palme bringt. Das ist alles andere als ’ne beruhigende Aktivität, selbst wenn die Ravens mit zwei Touchdowns vorne liegen.«

Beim Klang von Johns Stimme wandte Tony den Kopf und strahlte so erleichtert, als hätte man ihn aus dem Fegefeuer geholt. »Hallo, Johnny! Mann, bin ich froh, dich zu sehen. Mir ist so langweilig, dass ich’s kaum aushalte, dabei ist die Operation erst einen Tag her. Gott sei Dank leistest du mir jetzt Gesellschaft. Meine eigene ist nämlich kaum zu ertragen.«

Sein Freund schaute derart bekümmert drein, dass John ein Lächeln nicht ganz unterdrücken konnte. »Das sage ich dir doch schon die ganze Zeit, Stefano.«

»Ja, aber ich hätt’s nicht geglaubt.«

»Du hast mir eine Scheißangst eingejagt, weißt du das? Ich sollte dir die Hucke voll hauen. Bin um zehn Jahre gealtert, du Idiot!«

Tony versuchte Johns Lächeln zu erwidern, doch es wurde eher eine Grimasse daraus. »Danke für das nette Angebot, Franco, aber ich glaube, da ist dir schon jemand zuvorgekommen. Meine Brust sieht aus, als hätte Dr. Frankenstein oder Jack the Ripper dran rumgesäbelt. Hab mal von einem Wunderheiler gehört, der den Leuten die Brust mit bloßen Händen öffnet. So was in der Art müssen die mit mir auch gemacht haben. Mensch, das tut vielleicht weh.«

Mit einer schmerzlichen Grimasse griff er sich an die dick einbandagierte Brust. »Dein Bruder ist ’n Metzger. Die müssen verrückt sein, ihn ständig so über den grünen Klee zu loben. Sogar Lou Santini hätte es besser gemacht, und der hätte mir wahrscheinlich noch ein paar Pfund Salami und Mortadella dazu spendiert.«

»Mike musste deine Rippen aufsägen«, erklärte John und zuckte allein bei der Vorstellung zusammen. »Wird sicher ’ne Weile recht unbequem sein.« Dass es obendrein höllisch jucken würde, sobald die Heilung begann, wie Mike ihm versichert hatte, das verschwieg John wohlweislich.

»Du siehst auf jeden Fall besser aus als beim letzten Mal. Hab schon geglaubt, du würdest mir von der Schippe springen, Kumpel.« Blicke, die tiefe Zuneigung und Erleichterung ausdrückten, wechselten zwischen den beiden, doch ging selbstverständlich keiner direkt darauf ein. Ein Mann sagt nicht zu dem anderen »ich hab dich gern«, was auch gar nicht nötig war. John und Tony wussten um die Gefühle des anderen.

»Marie sagt, du wärst während der Operation da gewesen und auch später im Aufwachraum. Hab ich gar nicht mitgekriegt. War wohl anderweitig beschäftigt.«

»Michael hat dir Morphium gegeben. Du warst ganz schön abgereist. Aber die gute Nachricht ist, mein Bruderherz sagt, dass du’s überlebst, vorausgesetzt, du achtest auf deine Ernährung, treibst ein bisschen Sport und hörst mit dem Rauchen auf. Und du darfst dir nicht mehr alles so zu Herzen nehmen, darfst dich nicht mehr so aufregen, besonders was den Sport angeht.«

Tony griff nach der Fernbedienung und schaltete verächtlich schnaubend den Fernseher ab. »Was das Rauchen betrifft, damit geht mir Marie schon genug auf die Nerven. Und das ist nicht das Einzige. Sie hat ’ne Million Beschwerdepunkte. Und dann diese verdammten Schwestern. Zerren mich jede Stunde aus dem Bett und zwingen mich rumzugehen. Diese Weißhaarige ist die Schlimmste. Andauernd versucht sie, mir beim Pinkeln zu helfen. Typisch, kaum liegt ein Mann auf Eis, reißen sich die Weiber drum, ihm an den Schwanz zu gehen.«

John grinste, unterbrach die Tirade aber nicht.

»Hier kriegt man keine Nacht richtig Schlaf. Kann’s kaum erwarten, hier rauszukommen und mich ein bisschen zu erholen.«

Tony warf einen Blick auf den Strauß, den John in einer Vase auf dem Nachtkästchen abgestellt hatte, und versuchte erst gar nicht, seinen Unmut zu verbergen. »Hier sieht’s schon aus wie in ’nem beschissenen Blumenladen. Könnte ebenso gut tot sein, denn ich liege ja hier schon wie aufgebahrt. Wer immer den Spruch ›Sag’s mit Blumen‹ geprägt hat, war ein Sadist.« Ein schwerer, betäubender Geruch nach Rosen und Gardenien hing im Raum und verlieh den Worten einige Glaubwürdigkeit.

Tony war nie ein besonders guter Patient gewesen. Schon mit zehn, als ihm die Mandeln rausgenommen wurden, war er der Albtraum jeder Schwester und jedes Doktors auf der Station gewesen, hatte mit Dingen um sich geworfen und sich geweigert zu essen, ja, hatte sogar ins Bett gekotzt, um seinen Standpunkt klar zu machen. Der alte Doc Colombo hatte ihn zwei Tage früher entlassen, da sonst sämtliche Schwestern auf der Kinderstation in Streik getreten wären.

»John«, sagte Tony, auf einmal ernst werdend, »Marie hat mir erzählt, dass du dich um den Rothburg-Fall kümmerst. Ich wollte nur, dass du weißt, wie dankbar ich dir dafür bin. Ich weiß, du wolltest nicht und ... na ja, ich bin dir sehr dankbar, das ist alles.«

Tony war kein Mensch, der Gefühle offen zeigte, es fiel ihm schwer zuzugeben, wenn er Unrecht hatte. Und sich verwundbar zu zeigen, indem er Dankbarkeit eingestand, geschah höchst selten. Das war halt nicht seine Art. John wusste also, dass die Worte seines Freundes von Herzen kamen. Was seine Schuldgefühle nur noch verschlimmerte. »Tony ...«

»Ich wollte es dir nicht sagen – war zu stolz, schätze ich –, aber wir haben ein paar finanzielle Probleme, seit Marie ihre Stellung in der Bücherei verloren hat«, fuhr Tony fort, ohne John die Gelegenheit zu geben, sein Gewissen zu erleichtern. »Nichts Ernstes. Wir kommen schon zurecht, aber ...«

John schluckte. Tonys Geständnis traf ihn total unvorbereitet. »Wieso hast du nichts gesagt? Ich hätte euch helfen können.« Kein Wunder, dass Tony derart versessen auf diesen Sorgerechtsfall war. Jetzt begriff er.

»Nicht nötig. Wir lernen, uns nach der Decke zu strecken. Und jetzt, wo du Rothburg gegen Gallagher übernimmst, fällt mir ein großer Stein vom Herzen. Es geht mir schon viel besser.«

Hitze kroch in Johns Hals. Er kam gerade vom Gericht, wo er um eine Vertagung ersucht hatte, aber das würde er seinem Freund nicht auf die Nase binden. Tony durfte sich nicht aufregen, durfte überhaupt nicht an die Arbeit denken. »Ich kümmere mich um alles. Du brauchst dir keine Sorgen um Rothburg oder sonst wen zu machen. Werde einfach wieder gesund. Das ist alles, woran du im Moment denken solltest.«

»Ich weiß zu schätzen, dass du das sagst, John, aber ...« Tonys dunkle Brauen zogen sich zusammen, und er zögerte kurz, bevor er weitersprach. »Es kann ’ne Weile dauern, bis ich wieder hinter meinem Schreibtisch sitze. Marie besteht darauf, dass ich mir nach der Entlassung aus dem Krankenhaus noch eine Weile freinehme. Bist du sicher, dass du bis dahin allein fertig wirst? Ich fühle mich richtig schuftig, dir das alles auf die Schultern zu packen.«

»Meine Schultern sind breit, keine Sorge. Und Marie hat absolut Recht. Du hast viel zu hart gearbeitet und musst leiser treten. Dieser Herzanfall war ein Warnschuss. Nutze die Zeit, um über dein Leben und deine Prioritäten nachzudenken. Man hat nur ein Leben, Tony, und sollte das Beste draus machen.« John beugte sich über seinen Freund und gab ihm eine verlegene Umarmung. »Ich muss weiter. Und sieh zu, dass du auf die Beine kommst, du Mistkerl, verstanden?«

Tonys Grinsen war voller Zuneigung. »Ja, hab verstanden, Franco. Und, Johnny ...« John, der schon an der Tür war, drehte sich mit fragend hochgezogenen Brauen zu seinem Freund um. »Danke, dass du mir das Leben gerettet hast.«

Als John die Tür hinter sich zuzog, kam er sich vor wie der größte Halunke auf Gottes Erdboden. Tony glaubte, er würde den Rothburg-Fall übernehmen. Er wollte seinen Partner nicht in einem falschen Glauben lassen, aber die Wahrheit konnte er Tony ebenso wenig sagen, sonst bekam er möglicherweise einen zweiten Herzanfall.

»Wenn ich’s ihm sage, sitze ich in der Scheiße, und wenn ich’s ihm nicht sage, ebenso«, murmelte er, während er durch den Krankenhauskorridor zum Ausgang ging und sich dabei wünschte, aus dem Rothburg-Fall ebenso leicht rauskommen zu können.

Er konnte nur verlieren, egal wie er die Sache drehte und wendete.

Und John hasste es, zu verlieren.

Angela saß in der Cafeteria des Krankenhauses, deren mausgraue Wände einen zu ersticken drohten, und dachte über ihre neueste Klientin, Mrs. Thomas, eine ältere Dame, nach, die heute Morgen einen schrecklichen Autounfall erlitten hatte.

Sie kam gerade von der Intensivstation und war sich nicht sicher, ob Mrs. Thomas die Nacht überstehen würde. Offenbar dachte Mrs. Thomas dasselbe, denn sie hatte Angela gebeten, ihren Nachlass zu ordnen – eine äußerst unangenehme Aufgabe für jeden Rechtsanwalt.

Diesen Gedanken noch im Kopf, blickte Angela auf, weil plötzlich ein Schatten auf ihren Tisch gefallen war. Vor ihr stand John Franco, dieses sexy Grinsen auf dem Gesicht, die großen blauen Augen funkelnd auf sie gerichtet. Ihr Herz machte unwillkürlich einen Hüpfer. Es schien sich nichts geändert zu haben. Trotz all der Jahre, die seitdem vergangen waren: Sie war dämlicherweise nach wie vor in ihn verliebt.

»Darf ich mich setzen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er einen Stuhl heran und setzte sich, als wäre es sein gottgegebenes Recht, sich ihr aufzudrängen.

»Hätte nicht erwartet, Sie so schnell wieder zu sehen«, grummelte sie.

»Na ja, ich war oben auf der Kardiologie und hab Tony Stefano besucht. Er hatte neulich einen Herzanfall.«

Angela riss entsetzt die Augen auf und rief: »Mein Gott, wie schrecklich! Wie geht es ihm? Hat er einen bleibenden Schaden davongetragen, Mr. Franco?«

John grinste. »Nein. Und ich denke, diese Förmlichkeiten können wir beiseite lassen, findest du nicht, Angela? Immerhin kennen wir uns schon eine ganze Weile.«

»Ja, aber nur flüchtig. Hast mich in der Highschool ja nie beachtet.«

Seine Braue schoss in die Höhe. »Hättest du das denn gewollt? Du warst mit einer ganz anderen Clique zusammen als ich, bis auf Tony. Allerdings konnte ich nie begreifen, was ihr aneinander gefunden habt. Du warst doch überhaupt nicht Stefanos Typ.« Tony hatte Angela selbstverständlich für den Inbegriff der perfekten Frau gehalten. Stundenlang hatte er ihm von ihr vorgeschwärmt, während er, John, dasaß und mit knirschenden Zähnen zuhörte. Er war eifersüchtig gewesen, hatte das aber bis heute für sich behalten.

Sie versteifte sich. »Ach ja? Und wer wäre Tonys Typ?« Sie und Tony hatten keinerlei Gemeinsamkeiten gehabt, außer der Tatsache, dass sie beide Anwälte werden wollten. Aber sie hatte nicht vor, das zuzugeben.

»Na die, die er geheiratet hat. Marie hat nichts dagegen, nur Hausfrau zu spielen und Tony ihr Ein und Alles sein zu lassen. Er ist in dieser Hinsicht ziemlich altmodisch. Hätte nie eine Karrierefrau geheiratet. Dafür ist ihm die Familie viel zu wichtig.«

»Im Gegensatz zu dir, ja?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich war ’ne Zeit lang verheiratet, aber es hat nicht funktioniert. Zwei Anwälte in der Ehe waren einer zu viel. Macht keinen Spaß, dauernd mit der eigenen Frau konkurrieren zu müssen. Grace war, gelinde gesagt, sehr ehrgeizig.« Tatsächlich war sie ein egoistisches, selbstsüchtiges Miststück gewesen, aber das verschwieg er. Er wollte keine alten Wunden aufreißen. Auch ihm war die Familie sehr wichtig oder wäre es gewesen, wenn Grace nicht ... Er schob diesen schmerzlichen Gedanken rasch beiseite.

»Was ist daran so falsch?«, fragte Angela, die sich über seine archaische Einstellung ärgerte. Sie stand dazu, dass sie ehrgeizig war und Karriere machen wollte.

»Ansichtssache.«

Konnte eventuell ihr beruflicher Ehrgeiz am Scheitern ihrer Beziehung mit Bill schuld gewesen sein? Nein, dachte sie, er war ebenso besessen gewesen wie sie. Es war seine Unfähigkeit, die Hosen oben zu behalten, was ihrer Beziehung den Garaus gemacht hatte.

»Was hat dich dazu bewogen, nach Baltimore zurückzukehren? Soweit ich mich erinnere, konntest du gar nicht schnell genug diese Stadt verlassen. Alle in der Schule wussten, wie sehr dich Boston gereizt hat.«

»Ein Harvardstipendium lässt man nicht so schnell sausen. Außerdem war meinem Dad eine Stelle bei der Bostoner Polizei angeboten worden, und so hat sich alles perfekt gefügt.«

»Zu schade.«

Sie runzelte die Stirn und sagte spitz: »Ich zumindest war sehr froh über diese Entwicklung.«

»Kann ich mir vorstellen.«

»Was soll das nun wieder heißen?«

Kopfschüttelnd überlegte er, wieso er eigentlich dauernd versuchte, sie zu reizen. Sie hatte schließlich nicht geahnt, dass er in sie verliebt gewesen war. Selbst jetzt noch, nach all den Jahren. »Nichts. Es ist bloß ... na ja, das klingt jetzt vielleicht blöd, aber ich war in der Schule in dich verknallt. Ich hatte vor, dich zu fragen, ob du mit mir gehen würdest, nachdem zwischen dir und Tony Schluss war. Dann bist du jedoch weggezogen, und ich kam nie dazu.«

Angela fiel schier die Kinnlade herunter. »Du machst Witze! Also das hat man dir jedenfalls nie angemerkt.« Wieso wummerte ihr Herz auf einmal so? Die Schule war so lange her. Eine Menge war seitdem passiert – und dennoch: zu denken, dass er in sie verknallt war, sie fragen wollte, ob sie mit ihm ging ...

»Na ja, ich war damals wohl der Meinung, du wärst ’ne Nummer zu groß für mich. Außerdem musste ich meinen Ruf als Bad Boy schützen. Es ging das Gerücht, du wärst ein Blümchen Rührmichnichtan.«

Sie fuhr auf. »Das wird sicher Tony verbreitet haben.«

»Was soll ich sagen? Männer reden nun mal. Und du kannst es Tony nicht verübeln, dass er’s versucht hat. Es wurde ja geradezu von uns Typen erwartet, uns an die eisernen Jungfrauen ranzumachen.« Ein breites Grinsen erhellte sein Gesicht.

Angela rang mit knallroter Birne nach Luft. »Willst du damit sagen, dass Tony nur mit mir gegangen ist, um rauszufinden, ob was bei mir läuft?«

»Ich kann nicht für Tony reden, aber wir Kerle sehen die Dinge anders als ihr Mädels, besonders als Teenager, wenn die Hormone Purzelbäume schlagen.«

Da sie nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte, warf Angela einen Blick auf ihre Uhr. »Tja, das war zwar eine höchst erleuchtende Unterhaltung, Mr. Franco, aber jetzt muss ich wieder an die Arbeit.« Sie schob ihren Stuhl zurück und erhob sich.

»Es heißt John.«

Sie schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. »Ich weiß, Mr. Franco.« Als er schon den Mund aufmachte, um ihr zu widersprechen, fügte sie hinzu: »Und was die Schule betrifft, Mr. Franco, kann ich nur eins sagen: Sie hätten sich mehr anstrengen sollen. Guten Tag.«

Es war schon fast fünf, als Angela Mr. Moressis Apotheke in der Albermarle Street betrat.

Das alte Sandsteingebäude gehörte, wie übrigens die meisten Häuser in Little Italy, schon seit Ewigkeiten zum Stadtbild. Einige wenige Blocks weiter lag der Inner Harbor mit seinen schicken Boutiquen, trendigen Restaurants und hoch aufragenden Hotels. Aber in Little Italy blieben die Dinge meist so, wie sie seit Jahrzehnten waren. Neuerungen gingen nur langsam vonstatten, obwohl es sie durchaus gab – Goldman’s Department Store gehörte beispielsweise dazu. Es war nach wie vor ein Viertel, in dem jeder jeden kannte, in dem die Leute – meist Italiener – zusammenhielten, in dem man noch auf den Charme der Alten Welt traf und in dem es, wie es hieß, das beste italienische Essen in der ganzen mittleren Atlantikregion gab.

Angela war in Moressis Laden gekommen, weil sie sich etwas gegen ihre chronische Übelkeit und Erschöpfung kaufen wollte. Es schien mit jedem Tag ärger zu werden, anstatt sich zu bessern.

Der Laden war menschenleer, worüber sie heilfroh war. Sie war nicht in der Stimmung für einen Schwatz unter Nachbarn. Angela erblickte Mr. Moressi, der hinter der Kasse stand und in einer Zeitschrift las. Er sah genauso müde aus, wie sie sich fühlte. Sie winkte ihm grüßend zu, doch er bemerkte sie nicht.

Sie ging durch die Regalreihen, vorbei an den Lippenstiften, den Haartönungen, Nagellack und Gesichtscreme und den zahllosen anderen Kosmetikprodukten. Angela ging normalerweise für ihr Leben gern shoppen. Heute hatte sie nur ein Ziel: den Gang mit den Erkältungsmedikamenten zu erreichen. Mit einem erleichterten Aufatmen blieb sie stehen: Hilfe nahte. Bevor sie jedoch ihre Wahl treffen konnte, hörte sie eine vertraute Stimme, die sie erstarren ließ.

John Franco befand sich auf der anderen Seite des Regals mit den Hustensäften, und sie hoffte inbrünstig, hinter den dicht bepackten Regalen unsichtbar zu bleiben. Sie verspürte nicht den geringsten Wunsch, mit ihm zu reden, besonders nicht jetzt, wo sie sich so mies fühlte und noch mieser aussah. Und nach ihrem letzten peinlichen Gespräch – dem Abstecher in Jugendzeiten – war sie absolut bedient.

Es war besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Unglücklicherweise sah John geradezu verboten lecker aus.

Die herrliche Packung zu bewundern war ja nicht strafbar, oder? Was spielte es für eine Rolle, dass er ein arroganter Schnösel, geradezu überirdisch gut aussehend und definitiv der Falsche für sie war? Schokoriegel waren ja auch nicht die ideale Nahrungsergänzung, aber lecker.

Angela konnte nicht widerstehen und schob ein paar Schachteln mit Dimetapp Elixier und Triaminic auseinander und spähte dann durch den schmalen Spalt, um zu sehen, wo erstand.

Und wünschte sofort, es nicht getan zu haben.

»Wie geht’s Tony? Eine schlimme Geschichte«, sagte Mr. Moressi gerade zu John. »Er ist viel zu jung für so etwas.«

»Tony geht’s schon viel besser, danke der Nachfrage. Mein Bruder hat einen Dreifach-Bypass vorgenommen, und er ist auf dem Wege der Besserung.«

Ein Dreifach-Bypass! Das hatte er gar nicht erwähnt. Tony Stefano und seine Familie taten ihr mit einem Mal sehr Leid, auch wenn die Motive des Mannes, damals mit ihr auszugehen, widerwärtig gewesen waren.

»Gott segne Michael Franco!« Der weißhaarige Apotheker bekreuzigte sich. »Er hat meine Estelle letztes Jahr operiert und ihr das Leben gerettet. Ist ein wundervoller Doktor, dein Bruder. Deine Eltern sind sicher sehr stolz auf ihn, no

Mit einer ebenso gereizten wie resignierten Stimme erwiderte John: »Ja, unheimlich stolz.«

Offensichtlich ging ihm die Bewunderung, die man seinem – älteren? jüngeren? – Bruder entgegenbrachte, ziemlich auf den Geist.

Angela hatte nie das Gefühl gehabt, mit ihrer jüngeren Schwester konkurrieren zu müssen. Mia war nicht sehr ehrgeizig und wollte nicht dauernd die Beste sein, so wie Angela. Sie war ein lockerer, großherziger Mensch, ein wenig unkonzentriert und schlampig vielleicht, aber unheimlich liebenswert.

Mia war eine Frau, die machte, wonach ihr der Sinn stand – und das mit aller Leidenschaft und Hingabe. Keine halben Sachen für Mia. Sie stürzte sich kopfüber ins Leben, und es war ihr egal, was dabei herauskam.

Ihr jüngster Versuch in Sachen Job war eine Stelle als Bulldozerfahrerin bei einer Straßenbaufirma. Es war ein Rätsel, wie sie diese Stelle bekommen hatte. Mia war eine grottenschlechte Fahrerin, und was das Bulldozen anging, da schauderte Angela schon beim bloßen Gedanken. Ganz zu schweigen davon, dass Mia ein Floh war; sie brachte kaum fünfzig Kilo auf die Waage, und das auch nur, wenn sie gerade viel gegessen hatte und dazu tropfnass war. Kaum eine geeignete Statur für den Straßenbau. Aber Mia hatte einen eisernen Willen; wenn sie sich einmal für etwas entschieden hatte, konnte nichts und niemand sie davon abbringen. Sie verfügte allerdings nur über ein begrenztes Durchhaltevermögen. Die Dinge langweilten sie schnell wieder.

»Was brauchst du denn heute, Johnny?«, fragte Mr. Moressi und kicherte dann vergnügt, als handele es sich um einen Witz, was John in der Hand hielt. Angela, die das Erworbene nicht sehen konnte, kochte fast über vor Neugier.

»Hast wohl ’ne heiße Verabredung, wie?«

Bei John Francos Glucksen lief ihr ein Kribbeln übers Rückgrat, so als würde ihr jemand mit einer Feder über die nackte Haut streichen. Ihr Interesse katapultierte etliche Grade höher.

Zurückhaltung war nicht gerade eine ihrer herausragenden Stärken. Unbedingt wollte sie nun wissen, was Franco hier gekauft hatte. Vielleicht hatte er ja Hämorrhoiden oder sonst so was Grässliches. Oder seine Haare waren gefärbt. Sie sahen viel zu schwarz aus, um echt zu sein.

Sie stellte sich daher auf die Zehenspitzen, beugte sich interessiert vor, verlor die Balance und stieß versehentlich ein paar Flaschen Hustensaft auf der anderen Seite herunter, wo sie mit lautem Klirren auf dem Boden in Scherben gingen. Angela hielt japsend die Luft an. Zu ihrem Glück war der Apotheker gerade im Hinterzimmer am Telefon.

Doch plötzlich merkte sie, dass sie nicht nur hör-, sondern auch sichtbar geworden war. Mit weit aufgerissenen Augen und angehaltenem Atem stand sie da wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

Kondome!

Auf einigen von den Päckchen waren drei x abgebildet. War damit die Größe gemeint? Und wieso nur musste er sie dabei ertappen, wie sie hinter ihm herspionierte? Das war sicher Gottes Strafe für die Unterstellung mit den Hämorrhoiden. Und kleine Sünden strafte der liebe Gott ja bekanntermaßen sofort.

Angela erwachte aus ihrer Erstarrung und duckte sich, aber es war natürlich zu spät. John Franco hatte bei dem unüberhörbaren Scheppern über den Tresen gespäht, um nach der Ursache des Lärms zu forschen, und hatte sie prompt entdeckt. Er lächelte, als er sie sah.

»Na, wenn das kein Zufall ist! So sieht man sich wieder, Angela.«

»Mir ist die Handtasche runtergefallen«, erklärte sie, doch sein selbstgefälliger Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass er ihr diese reichlich lahme Ausrede nicht abkaufte. »War gerade dabei, sie aufzuheben.«

»Ich glaube, diese Entschuldigung hat Oma Flora auch des Öfteren verwendet, Frau Rechtsanwältin.«

Sie keuchte empört auf und erleuchtete in sattem Rot. »Ich wollte nichts stehlen, falls Sie das damit andeuten wollten, Mr. Franco. Wie können Sie es wagen, mir so etwas zu unterstellen? Ich war nur auf der Suche nach ... nach ein paar persönlichen Hygieneartikeln.«

Er hob in Ich-ergebe-mich-Manier die Hände hoch und hielt ihr dabei die Lümmeltüten geradezu unter die Augen. Wieso um Himmels willen kauft er so viele? Braucht er für ein Wochenende wirklich ganze zwei Dutzend? Ihr wurde schon bei dem bloßen Gedanken daran ganz heiß.

Jetzt reiß dich mal am Riemen, DeNero!

Mr. Moressi kam auf sie zu, doch da schellte erneut das Telefon, und er verschwand seufzend wieder im Hinterzimmer. Gott sei Dank. Dieser ganze Vorfall war so schon peinlich genug, ohne dass auch er noch Zeuge ihrer Demütigungen wurde.

»Wie geht’s dem Magen?«, erkundigte er sich scheinheilig und ließ dabei seine Augen auf eine Weise über sie spazieren, dass sie unwillkürlich das Bedürfnis hatte, sich zu bedecken, obwohl sie vollkommen angezogen war. Im Fokus dieser stahlblauen Augen kam sie sich nackt und unvollständig vor.

»Schon besser«, log sie. »Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss meine Erledigungen machen.«

»Und was suchst du genau? Kondome scheinen dich ja geradezu magisch zu interessieren. Möchtest du dir vielleicht mal das betreffende Regal anschauen? Der alte Moressi hat eine gute Auswahl an den Dingern: aus Lammhaut, gerippt, mit Geschmack, in den verschiedensten Farben und ...«

»Sie wissen ganz genau, dass ich nicht hier bin, um irgendwelche Verhütungsmittel zu kaufen. Ich habe im Moment keine Verwendung dafür und ...«

Halt die Klappe, halt bloß die Klappe!

»Und woher soll ich das wissen? Du bist jung. Und ich nehme an, auch sexuell aktiv, und die nötige Vorsicht würde ich dir ebenfalls zutrauen.«

Angela merkte, wie sie von Sekunde zu Sekunde röter wurde. Wenn sie wirklich so »sexuell aktiv« war, warum wusste sie dann nicht, dass es Kondome auch mit Geschmack gab? »Lassen Sie mich bitte in Ruhe. Sie bereiten mir Kopfschmerzen.«

Da ließ John endlich das Grinsen vom Stapel, das er schon die ganze Zeit mühsam unterdrückt hatte, und sie rang unwillkürlich nach Luft. Der Mann sah sogar noch besser aus als Russel Crowe! Wie war das möglich? Sie schwärmte für den Schauspieler, seit sie ihn in L.A. Confidential gesehen hatte.

Bill hatte ziemlich gereizt auf ihr Theater um den Schauspieler reagiert. Natürlich war ihr zu der Zeit nicht klar gewesen, dass Bill seinerseits eine Traumfrau anbetete, die allerdings nichts mit der Kino-Traumwelt zu tun hatte.

Angela fand es unfair, dass er und diese Schnepfe sich um den Verstand gebumst hatten, während sie von einem Mann träumte, den sie eh nie haben konnte.

Ob er farbige Kondome benutzt hat oder noch schlimmer, welche mit Geschmack?

»Sorry«, sagte John, sah aber gar nicht danach aus. »Das hab ich schon öfter gehört. Aber ich würde das sehr gerne wieder gutmachen. Gehen wir doch irgendwo hin und trinken was. Ich lade dich ein. Na, wie war’s?«

Dieses Anerbieten verschlug ihr die Sprache. Franco musste Hintergedanken dabei haben, ganz besonders nach ihrem Gespräch im Krankenhaus. Vielleicht hielt er sie ja für leicht zu haben und fasste ihre Bemerkung, er hätte sich in der Schule ihretwegen mehr anstrengen müssen, als Wink mit dem Zaunpfahl auf. »Ich nehme an, du bist sexuell aktiv.« Oder vielleicht dachte er ja – ach, zum Teufel, sie wusste nicht, was er dachte, und es war ihr auch total schnuppe.

Lügnerin!, brüllte die Stimme ihres Gewissens.

»Ach, halt die Klappe!«

John riss die Augen auf. »Wie bitte?«

Entschuldigend schüttelte sie den Kopf. »Das war nicht für dich gedacht.« Sie war versucht, seine Einladung anzunehmen – sie war gern mit ihm zusammen, wenn er sie nicht gerade bis aufs Blut reizte –, aber sie hatte im Moment viel zu viel zu tun. Rausfinden, ob sie schwanger war, zum Beispiel. »Tut mir Leid, aber das geht nicht. Ich habe schon was vor. Aber trotzdem danke.«

»Hältst es wohl für einen Interessenkonflikt, wie?«

Sie suchte in seiner Miene nach Anzeichen von Enttäuschung über ihre Ablehnung, fand aber keine. Was sie, um ehrlich zu sein, störte. »Ich dachte, die Sache mit deiner Großmutter wäre geklärt. Ich habe einen Anruf vom Büro des Staatsanwalts bekommen; die Anklage gegen Mrs. Russo wird fallen gelassen.«

»Ich rede nicht von Oma Flora. Ich meine damit die Tatsache, dass du die Gallaghers in dem Sorgerechtsstreit gegen Charles und Sharon Rothburg vertrittst.«

»Ich wüsste nicht, was dich das ...«Sie ächzte leise. Zehn Pfund Blei landeten in ihrem ohnehin überempfindlichen Magen. »Sag bloß nicht, du vertrittst die Rothburgs.« Sie konnte sich kaum vorstellen, wie es wäre, dem schönen John Franco jeden Tag vor Gericht gegenübertreten zu müssen. Wie sollte sie sich konzentrieren, wenn ihr sein süßer Knackarsch ...

Reiß dich am Riemen, DeNero!

»Meine Firma vertritt zwar Charles Rothburg, aber es ist Tonys Fall.«

»Und nachdem Tony im Krankenhaus ist, übernehmen Sie ihn?«, fragte sie, und ihr graute vor der Antwort. Man sagte ihm nach, dass er in der Regel auf der Gewinnerseite stand, aber, so ermahnte sie sich, das behauptete man von mir auch.

John zuckte die Schultern. »Wird sich zeigen.«

Angela hatte genug Erfahrung, um zu wissen, dass in jeder ausweichenden Antwort meist ein Körnchen Wahrheit steckte. Der schlitzohrige Anwalt hatte wahrscheinlich ein ganzes Kartenspiel von Assen im Ärmel. »Das mit Tony tut mir sehr Leid, aber ich hoffe, Sie haben nicht vor, um eine Verschiebung anzusuchen, denn lassen Sie sich versichert sein, ich werde mit aller Macht dagegen angehen. Die Gallaghers verdienen es nicht, noch länger hingehalten zu werden. Eine Verschleppung des Prozesses kommt überhaupt nicht in Frage.«

Typisch Harvardzicke, dachte John. Es wäre wahrscheinlich sogar ganz amüsant, ihr mal vor Gericht zu begegnen und sie bis aufs Hemd zu entblößen. Woraufhin ihm prompt ein Bild von Angela DeNero einfiel, wie sie, nur in BH und Slip, im Gerichtssaal stand, und er schluckte trocken.

Was für Höschen sie wohl trägt?, fragte er sich. Keine Stringtangas jedenfalls. Sie war nicht der Typ dafür. Aber Seidenhöschen, ja, definitiv, knappe Seidenhöschen mit jeder Menge Spitze in kräftigen Farben, was gut zu ihren schwarzen Haaren und ihrem dunklen, olivfarbenen Teint passte.

Er musterte sie genauer. Sie besaß wunderschöne lange und wohl geformte Beine. Und nicht nur die, ihre ganze Figur war ein Meisterwerk – feste Brüste, nicht zu groß, aber auch nicht zu klein. Jep, Angela DeNero hatte alles: einen scharfen Verstand und einen scharfen Körper. Köpfchen gepaart mit Schönheit. Aber das war ja nichts Neues.

Als er merkte, dass er sie die ganze Zeit wortlos angestarrt hatte – ihr Gesicht hatte die Farbe eines prachtvollen Rotweins angenommen –, räusperte er sich verlegen. »Ach, tatsächlich?«

»Ja, Mr. Franco, tatsächlich.«

»Johnny«, rief Mr. Moressi da fröhlich, »ich hab die Gummis, die du wolltest.«

Angelas Gesicht glühte nun wie eine rote Ampel, und John grinste, bevor er antwortete: »Bin gleich da.«

»Bitte lassen Sie sich von mir nicht von einem so überaus wichtigen Kauf abhalten, Mr. Franco.« Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn es keine weiteren John Francos darin gäbe, entschied sie, verzichtete jedoch darauf, das laut zu äußern. Sie hatte eh schon zu viel gesagt.

Angela hatte die lästige Angewohnheit, sich zu verplappern, wenn sie nervös war. Besonders schlimm wurde es, wenn sie mit einem Mann ausging. Sobald die Dinge in eine bestimmte Richtung steuerten, fing sie an, das belangloseste Zeug zu quasseln. Wirklich peinlich, ganz zu schweigen davon, dass es das Aus fürs zweite Date bedeutete.

»Du musst was gegen deine Grippe tun, Angela. Kommst mir ein bisschen fiebrig vor.«

Angela war zwar heiß, aber an einem Grippevirus lag’s bestimmt nicht. Sie schaute ihm nach, wie er zur Kasse ging, bezahlte und dann verschwand. Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus.

»Ich geh jetzt nach hinten zum Abendessen«, verkündete Mr. Moressi. »Brauchst nur auf die Glocke zu hauen, wenn du so weit bist, Angela.«

»Danke, Mr. Moressi, das werde ich.«

»Kann ich noch was für dich tun, bevor ich gehe?«

Sie winkte ab. »Nein, nein, ich finde schon alles. Guten Appetit wünsche ich.«

Als sie schließlich ganz allein war, nahm sich Angela eine Packung Tylenol und, um ganz sicherzugehen, noch eine Schachtel Theraflu. Dann jedoch konnte sie ihre nagenden Zweifel nicht mehr länger verdrängen und schlenderte in die Abteilung mit den weiblichen Hygieneartikeln, wo sie vor den Schwangerschaftstests stehen blieb. Sie musste an ihr Gespräch mit Mary Russo denken.

Ihr Herz begann wie wild zu klopfen; mit Grauen musterte sie die eigentlich unschuldig aussehenden Päckchen. Ihr jedoch kamen sie vor wie Zeitbomben.

Der Herrgott muss mir einen bösen Streich spielen. Ich kann nicht schwanger sein. Das ist unmöglich.

Aber Angela wusste, dass es sehr gut möglich sein konnte.

Zur Hölle mit dir, Bill McElroy! Und verflucht sei meine eigene bodenlose Dummheit! Diese eine Nacht, dieser letzte Versuch einer Versöhnung, konnte verheerende Folgen für sie gehabt haben.

Nun ja, es war besser, Bescheid zu wissen, als weiter im Ungewissen zu bleiben, entschied sie dann in einem Anfall von Pragmatismus. Ja, Pragmatismus war hier wirklich angesagt. Schwanger zu sein war schließlich nicht das Schlimmste, was einem passieren konnte. Es war ja kein Krebs oder Alzheimer. In weniger als neun Monaten wäre sie wieder »kuriert«.

Und wieso war dieser Gedanke alles andere als tröstlich?

Angela fragte sich, ob sie dieses Argument ihren Eltern gegenüber benutzen könnte. Wohl eher nicht. Ein uneheliches Kind war höchst unitalienisch, höchst unkatholisch und nicht zuletzt höchst unmoralisch. Nette Mädchen ließen sich nicht schwängern, selbst wenn sie fast dreiunddreißig waren.

Wenn es nach Sam DeNero ginge, würden seine beiden Töchter in Keuschheitsgürteln herumlaufen. Cops waren von Natur aus misstrauisch und neigten zum Überbehüten. Ihr Vater war darüber hinaus selbst für italienische Verhältnisse ein strenger Vater.

An einen Vorfall konnte sie sich gut aus ihrer Highschoolzeit erinnern: Sie war zu spät von einer Party heimgekommen; höchstens bis Mitternacht hätte sie ausbleiben dürfen, was an sich schon peinlich genug war. All ihre Freunde hatten bis zwei Uhr morgens Ausgang gehabt. Ihr Vater hatte sie in blauseidenen Boxershorts – an deren Saum ihre Mutter weiße Spitzenbordüren genäht hatte – im Hausgang erwartet, die muskulösen Arme über der breiten Brust verschränkt und mit einem ziemlich einschüchternden Ausdruck auf dem Gesicht ... na ja, so einschüchternd, wie ein Mann in spitzenbesetzter Unterwäsche eben aussehen konnte.

Er hatte sie mit einem einzigen strengen Blick durchbohrt, als ob ihm allein dieser Blick Aufschluss über den Zustand ihrer Jungfräulichkeit geben könnte, und knapp verkündet: »Wir sprechen uns morgen, junge Dame.« Dann war er zu Bett gegangen. Eine Viertelstunde später bebten die dünnen Wände von seinem Schnarchen, während sie den Rest der Nacht wach gelegen und sich ausgemalt hatte, was er wohl morgen mit ihr tun würde.

Mit ihrem Vater diskutieren zu wollen war schon immer zwecklos gewesen. Angela mochte eine noch so gute Anwältin sein, einem Rededuell mit ihrem Vater hielt sie nicht stand.

Angela nahm einen 20-Dollar-Schein aus ihrer Handtasche und legte ihn zusammen mit der Grippemedizin auf die Kassentheke. Den Schwangerschaftstest ließ sie in ihrer Handtasche verschwinden. Das ist kein Stehlen, sagte sie sich und schlug mit der flachen Hand auf die Glocke, denn sie hatte sowieso vor, das Geld dafür heimlich zu hinterlegen. Sie konnte es einfach nicht riskieren, dass Mr. Moressi jemandem erzählte, was sie da gekauft hatte ... Sophia Russo zum Beispiel, der größten Klatschbase von ganz Little Italy.

Sie wollte sich nicht ausmalen, wie ihre Eltern wohl reagieren würden, sollte der Test positiv sein. Eine grauenhafte Vorstellung. Um nicht zu sagen, Übelkeit erregend.

Als sie die Apotheke verließ, war ihr nicht nur speiübel, sondern auch schwindlig.

Aber Angela hätte sich noch viel schlechter gefühlt, wenn sie den hoch gewachsenen Mann bemerkt hätte, der ihr nachstarrte.

John Franco steckte die Sportzeitschrift, hinter der er sich versteckt hatte, erschüttert in den Ständer zurück. Er konnte kaum fassen, was sie da gekauft hatte. Einen Schwangerschaftstest!

Natürlich war es möglich, dass sie den Test für jemand anders, eine Freundin vielleicht, gekauft hatte, aber nach den Symptomen zu urteilen, die er bei ihr beobachtet hatte, war er für sie selbst.

Verdammt! Sie war mit jemandem zusammen, und wie es schien, war es eine ernste Sache.

Umso besser, beruhigte er sich. Er hatte im Moment ohnehin genug am Hals.

Aber wieso war er dann so enttäuscht?

Ein Anwalt zum Verlieben

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