Читать книгу Die Nachtwache - Mina Bialcone - Страница 3

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Bella saß auf der von der Sonne noch aufgeheizten Stufe vor dem hübschen zweistöckigen Haus in der Pembrose Street. Das Haus hatte Blumenkästen vor den Fenstern, in denen sie Jasmin und Bolder Kräuter zogen. Im Erdgeschoss befanden sich das Wohnzimmer, Küche und Badezimmer. Ein heller, luftiger Raum, der mit einem guten Auge möbliert war und von zwei hohen und breiten Fenstern zur Straße hin erhellt wurde. Die Zimmer waren großzügig und der Flur war breit. In ihrer Wohnung roch es nach Lavendel und dank farbiger Lichtfenster in der Wohnungstür sah man die Staubflocken nicht in der Luft tanzen. Ihre Schuhe standen ordentlich unter dem Schuhschrank, wobei sie lieber barfuß ging und nur bei der Arbeit Schuhwerk trug. Sie bewohnte die Wohnung seit drei Monaten und hatte es in der kurzen Zeit bereits geschafft, dass die Menschen der Gegend einen Bogen um sie schlugen, aber das lag daran das sie einen komischen Beruf ausübte. An ihren ersten Auftrag konnte sie sich kaum erinnern, sie hatte einfach schon zu lange mit diesen Dingern zu tun, ihr ganzes Leben war von diesen Kreaturen umgeben, der Sinn ihrer Existenz auf ihre Vernichtung aufgebaut. Nicht – das sie sich nichts Besseres vorstellen konnte oder ihr die Träume und Ziele abhandengekommen waren. Aber wer in ihrem Metier arbeitet, kommt nur schwer aus der Tretmühle heraus. Womit sie keinesfalls behaupten würde die Aufgabe sein nicht wichtig, oder es gefiel ihr nur nicht, weil Opfer und Täter unter allen Umständen geheim bleiben mussten. Eine schöne Panik würde ausbrechen, wenn Mithras die Wahrheit ausplaudern und die Beweise auf den Tisch legen sollte. Wenn man anfängt, für ihn im Außendienst zu arbeiten kommt es einem zuerst grausam vor, einer kompletten Familie: Vater, Mutter und Kind einen Silberpfahl durch die Herzen zu rammen, einem nach den anderem, als stempelt man ein Dokument. Hat man diese Hemmschwelle überwunden, indem man nur an die Opfer denkt, flutscht die Arbeit von alleine und man erledigt ein Nest in einem Aufwasch. Nach vier Jahren Ausbildung hatte sie das zum ersten Mal unter Aufsicht von Fortlebe gemacht. Einem schlafenden Vampir, der wie eine nette ältere Dame aussah den Silberdorn durchs Herz gehämmert und sich über das viele Blut erschrocken, das aus dem Loch in ihrer Brust schoss und an die Wände und über ihr Gesicht klatschte. Fortleben hatte sie zur Seite genommen und gesagt: irgendwer muss schließlich dafür Sorgen das London zu keinem Totenhaus wird. Wer konnte, voraussehen das 1855 mit der Ankunft der Besatzungslosen Demeter im Londoner Hafen der Ärger mit Vampiren begann. Bei der Jagd nach diesen Kreaturen kann einem schon hin und wieder ein Fehler unterlaufen. Man erschreckt den Falschen mit Hammer in der Hand und das spitze Ende des Silberpfahles direkt über seinem Herz, weil der Vampir weitergezogen ist. Es ist ein Schock, wenn ein gesetzestreuer Bürger seine Augen aufschlägt und eine junge Dame mit erhobener Waffe über sich knien sieht. Oft sind die Berichte nicht auf dem neusten Stand und das Ding, das man seit Wochen jagte, war weitergezogen. Sie blickte auf eine ölige Pfütze in denen Kartoffelschalen und Abfall schwammen, die sich am verstopften Gullydeckel gesammelt hatten. Das Thermometer zeigte immer noch 34 Grad und ihre Arbeitsschuhe waren seit gut einer halben Stunde ungebunden. »Weißt du«, sagte sie zu sich, »und das sage ich nicht, weil ich es nicht verstehe, aber warum muss ich mich immer dann mit Mithras treffen, wenn es mir nun überhaupt nicht passt?« Einer der wartenden jungen Männer pfiff einem Mädchen hinterher und Bella hätte ihm die Zunge herausgeschnitten, hätte er ihr irgendwas anzügliches hinterhergeschrien. Menschen bis auf wenige Ausnahmen nervten sie furchtbar. Bella knotete die Schnürsenkel ihrer Arbeitsschuhe zu und stand auf. Sie ließ einen Boten passieren und überquerte die Straße und machte sich auf den Weg nach Clapham.

2

Die Kutsche scherte aus dem zähfließenden Verkehr und hielt vor dem Haus Nummer 166 A, mit seinen schlanken hohen Säulen und der klassischen Fassade. Minister Finstburn, stieg aus und drehte sich zu seinem Kutscher und blinzelte ihn an, als sei ihm gerade aufgegangen das er sich aus seinem Amtszimmer fortbewegt hatte. »Ah schon da. Gehe in die Küche und esse, Tom. Es wird vermutlich nicht sehr lange dauern. Ich lasse dich rufen, wenn ich dich brauche.«

»Nachdem ich Betty versorgt habe, Sir.«

»Verstehe«, Finstburn nickte, »erst die Pflicht.«

Der Fahrer, mit dem tätowierten Gesicht schnalzte mit der Zunge und die Kutsche fuhr zu einem nahegelegenen Mietstall. Minister Finstburn überquerte, eine Melodie summend, die ihm seit dem Vormittag im Kopf festsaß den Bürgersteig und stieg energisch die sechs Marmorstufen bis zur Eichentür. Er musste nicht mit seinem Gehstock klopfen oder die Klingelschnur ziehen. Ein Diener, breit wie ein Berg und nicht höher als ein Tisch im weißen Hemd, mit schräg sitzendem Zylinderhut auf dem Kopf und schlecht verwachsenen Narben im tätowierten Gesicht, öffnete die schwere Tür und verneigte sich. Alte Kameraden, die sich nur zu Bürostunden an die Regeln der Höflichkeit hielten. Finstburn betrachtete seinen alten Freund und dachte wieder, dass die Tätowierungen sie alle zu Sklaven machte. Auch sein Gesicht wies die wilden Ornamente auf, die verhindern sollten, das man jemals ein bürgerliches Leben führen konnte. Bluthunde des Ministeriums heirateten einander und zeugten medial begabte Kinder, deren Lebensweg vorherbestimmt war. Sie waren ausgestoßen und empfanden sich deshalb als Familie.

»Minister«, sagte Fortlebe mit französischen Akzent, er war in Soho unter Hugenotten, Spaniern und russischen Anarchisten groß geworden. Vielleicht hatte er deswegen Sympathie mit den Juden die vor den mörderischen Pogromen in Russland und Polen flohen und täglich in der Stadt strandeten. Fünfzig oder einhunderttausend allein in diesem Jahr. So genau wusste das niemand, außer den Narren, die glaubten Religion oder Rasse habe etwas mit der Qualität von Menschen zu tun. Fortlebe, wusste es viel besser. Oft waren die Monster, die er vernichtet hatte, von besserer Qualität gewesen, als die Menschen die er vor ihnen zu schützen hatte. Minister Finstburn lächelte genauso flüchtig, wie Louis Fortlebe sich verneigte. Er strich Finstburns Anzug glatt. »Schon wieder neue Garderobe und dann diese schwarzen Schatten unter deinen Augen. Du stolzierst herum, wie einer dieser versnobten Vampire aus dem West End.«

Der Minister unterdrückte ein Seufzen. Nur in Nähe von Fortlebe hatte er das Gefühl nicht unter einem Berg Akten lebendig begraben und anstatt von Menschen von Automaten umgeben zu sein. »Ich muss mich hin und wieder im Parlament sehen lassen und meine Augen erklären sich aus der Art meiner Arbeit. Ich sitze vierzehn Stunden am Tag über Akten und manche sind so alt, das sie in Frühlatein verfasst wurden. Und was hast du nur gegen Vampire?«

»Solange sie mich nur in Ruhe lassen und sich an die Regeln halten nur in den Slums und unseren Gefängnissen zu speisen«, grummelte der Wächter. Die furchtbaren Narben in seinem Gesicht stammten von einem Kampf mit einem Vampir, der sich nicht seinem Schicksal ergeben wollte. Das in Fetzen gerissene Gesicht und der hohe Blutverlust hatte Fortlebe fast mit dem Leben bezahlt, ärgerlicher war, die Flucht des Vampirs hatte ihm die makellose Bilanz ruiniert. »Du wirst erwartet, Minister. Wenn, du mir folgst bringe ich dich jetzt zu deiner Besucherin.«

»Wenn es wichtiger ist, als das Dorf Midhurst in Sussex dessen Einwohner seit einer Woche fehlen. Die Reporter der Zeitungen wittern schon eine Sensation und schnüffeln in der Gegend herum.«

»Ich habe es gehört, das Essen stand auf gedeckten Tischen, als kommen alle gleich wieder. Ich glaube nicht, sie hat alle Punkt Mitternacht das Reisefieber gepackt.«

»Nein, davon ist leider nicht auszugehen.«

»Ich werde meine gute Gesichtshälfte fressen, wenn nicht Vampire dahinterstecken! Kaum treffen sich drei haben wir es mit einer neuen Sekte zu tun die ihren Göttern Blutopfer darbieten.«

»Oder es ist eine neue Form von Spuk!«

»Ein Nekromant der eine offene Rechnung mit den Bewohnern hatte?«, schlug Fortlebe vor.

»Mit allen hundert Bewohnern? Dann hat der arme Kerl Jahre seines Lebens damit verschwendet sich Feinde zu machen.«

»Ja und es muss ihn harte Arbeit gekostet haben. Ich bleibe beim Vampirkult.«

Sie durchschritten die mit rotem Teppich ausgelegte Halle in denen Ritterrüstungen und aufgestellte Banner die Illusion erzeugten es mit einem normalen Ministerium zu tun zu haben. Sie gingen durch hohe von Säulen getragene Räume, in denen Beamte des Ministeriums Berichte schrieben, Akten stempelten und von Pult zu Pult wandern ließen. Die Beiden folgten labyrinthischen Korridoren in denen sich Akten und Zeitungsbündel stapelten, sie benutzten schließlich eine unscheinbare Hintertreppe und kamen in der obersten Etage an.

»Ist es nicht sehr viel angenehmer seine Besucher im Erdgeschoss zu empfangen und ihnen den mühsamen Aufstieg zu ersparen?«, fragte Fortlebe, der seit der Schließung von Clapham nicht mehr für die Ausbildung der jungen Generationen von Bluthunden zuständig war, sondern für die Sicherheit der Außenstelle des Ministeriums für Seuchenkontrolle nahe der Waterloo Bridge gegenüber dem größten Bahnhof der Welt. Nach einem kurzen Blick von Fortlebe traten die beiden bulligen Wachen zur Seite und Finstburn und Fortlebe traten an die letzte Tür, über der auf einem Relief ein Langbogenschütze seine Zeige und Mittelfinger dem Besucher entgegenstreckte.

»Molon labe, kommt und holt sie euch. Ein Motto aus dem Hundertjährigen Krieg, damals schworen die Franzosen jedem englischen Langbogenschützen Zeige- und Mittelfinger abzuschneiden. Ich sollte Mittel aus dem Haushalt abzweigen und in die Renovierung stecken. Ist es ein Wunder, das alle meine Mitarbeiter staubtrocken sind, das man sich nach einem Glas Wasser sehnt, wenn man länger als eine Minute mit ihnen redet?«

»In Clapham hatten wir mehr Spaß bei der Jagd. Ich frage mich, wann es begonnen hat, wie in einem richtigen Ministerium bei uns zuzugehen?« Fortlebe schob mit dem linken Arm, unter seiner Haut rollten die Muskeln wie Bowlingkugel umher, den Vorhang auseinander.

»Es ist vielleicht die Arbeit«, seufzte Finstburn, »mir wird Silber unerträglich.« Er spielte mit einer Schnur und ließ die Silberperlen, wie einen Rosenkranz durch seine Finger gleiten. »Allein der blässliche Glanz, wie die Haut eines Wiedergängers«, sagte er und trat durch die kleine komplett aus Silber bestehende Tür, die hinter dem Vorhang verborgen gewesen war.

Victoria Buckingham kontrollierte seit Jahrzehnten die Auslandsabteilung des Ministeriums und war eine der wichtigsten politischen Personen in der Stadt. Sie hatte in einem roten Ledersessel am Fenster Platz genommen und sah mit übereinandergeschlagenen Beinen der rot glühenden Abendsonne über Waterloo beim untergehenden zu. Die Dampfwolken der vielen Lokomotiven vermischten sich mit dem Pfeifen von Zügen die im Minuten Takt ein und ausfuhren. Wenn, sie ihr überaus feines Gehör anstrengte konnte sie die Rufe der Gepäckträger unterscheiden. Die erste Kammerzofe der Königin schien jedes Mal von dem Spektakel fasziniert zu sein. Ihre langen schneeweißen Finger spielten dann völlig gedankenverloren mit einem mit Juwelen geschmückten Silberkreuz aus dem 15. Jahrhundert in ihrem Schoss. Finstburn betrachtete sie von der Tür aus und brachte es nicht fertig sie zu stören. Die Abendsonne reflektierte sich in ihrem seidigen Haar und ihre zarte Haut schien milchig zu leuchten.

»Es ist ein Schauspiel, Minister«, sagte sie, ohne sich einmal umzudrehen. »Die Menschen streben alle zu einem Ort. Warum scheint ihr immer auf einen Weg irgendwohin zu sein?« Buckingham, wer wusste, wie ihr wirklicher Name lautete und wie viele sie in ihrem langen Leben schon angenommen hatte, machte anstalten sich aus dem Sessel zu erheben. Der Minister schloss lautlos die Tür hinter sich. »Bleiben Sie ruhig sitzen.« Finstburn trug mit Leichtigkeit einen schweren Lehnsessel vom Kamin an das Fenster und setzte sich an den Tisch zu ihr. Victoria hob überrascht die Augenbrauen, sie war es von den vielen Bällen und Empfängen gewohnt, von den Männern umschwärmt zu werden, vor allem junge Militärs umkreisten sie, wie Motten das Kerzenlicht, aber der Minister hatte es überraschenderweise nie für nötig gehalten ihr gefallen zu wollen. Genauso wenig, wie sich besser herzurichten, wenn eine Dame nach ihm rief. Als er sich seines Mantels entledigt hatte und ihn ungeschickt auf die Sessellehne warf, sah sie die Kreide und Tintenflecken an den Manschetten seines Hemdes. Er setzte sich ihr gegenüber und betrachtete die feinen blauen Venen am Unterarm und ihrer Schläfe die unter ihrer porzellanweißen Haut schimmerten. Ihr weizenblondes Haar verschwand in Kaskaden von Wellen unter der weißen Spitzenhaube, wie sie nur noch alte Jungfern trugen. Um als modischer Akzent zu wirken, trug sie ein gelbes Satinkleid mit gewagtem Ausschnitt das eng an den Hüften saß, bevor es glockenförmig zu Boden fiel und mindesten im Radius von einem Meter allen Platz für sich beanspruchte. Er kam sich jetzt einfach und hemdsärmelig vor. Wie ein Pächter vor seinem Grundherren. Er trug ein weißes Hemd, wie es jeder Arbeiter für drei Schilling bei Harrods in der Brompton Road bekam, eine Weste und eine schwarze Hose, die an den Knien bereits fadenscheinig glänzte. Er saß einfach zu oft mit den Händen auf den Knien in seinem Büro herum und langweilte sich. Nicht immer beschworen Nekromanten eine Katastrophe herauf oder kamen hinter die Geheimnisse der Regierung, die besser unbekannt blieben. Er sah nicht aus, wie ein Politiker aussehen sollte, selbst die Amtsschreiber hier achteten mehr auf ihre Kleidung. Die Frau fixierte den Minister mit einem langen Blick, der jeden anderen hätte rot werden lassen, aber den Finstburn nur nebenbei wahrzunehmen schien.

»Ich hörte, Sie erwarten mich und es geht bestimmt um Leben und Tod? Die Existenz unserer Monarchie steht auf dem Spiel? Ein Skandal, in die eine prominente Person verwickelt ist und der vertuscht werden muss?«

Sie lachte. »Ich neige nicht mehr zu Dramen, wie in meiner Jugend. Wäre es nicht wichtig und ginge es nur um diese Dinge, würde ich Sie beim Ball nächste Woche empfangen.« Sie lächelte ihn an und sah in ein völlig ratloses Gesicht. »Sie haben es doch nicht vergessen, Minister?«

»Niemals«, protestierte Finstburn. »Der Ball am Freitag oder Samstag …?«

Einer der Assistenten tauchte aus dem Schatten auf und rettete ihn aus der Verlegenheit, er brachte ein Tablett mit Wein. Er stellte das Silbertablett auf den Mahagonitisch und verschwand genauso lautlos, wie er gekommen war. Victoria Buckingham nahm das Glas in ihre schlanke Hand und trank einen Schluck und sah sich dabei im Raum um. Lederne Möbel, ein alter Kamin und kleine runde Tische. Es sah aus wie im Rauchersalon eines unbedeutenden Clubs. Nichts deutete daraufhin das von hier aus ein Netz aus Nachtwachen und Agenten dirigiert wurde, die über der Stadt verteilt waren. Hier wurden Entscheidungen getroffen, die das Schicksal jedes Londoners und die Welt betrafen. An diesem Ort trafen Politiker auf Unternehmer, Militärs auf Diplomaten. In diesem unscheinbaren Raum, selbst der blaue Teppich war nichts Besonderes, wurde Victorias Wille umgesetzt.

»Sie ignorieren völlig, dass ich Lügen sehen kann. Ihr Gesicht ist verräterisch, wie die Augen eines Verliebten. Ich meinte den Ball zum Geburtstag des Lord Mayors auf dem wir uns großartig amüsieren werden.« Victoria lachte ihn an und ihre schneeweißen Perlenzähne blitzten auf. Vielleicht war es der Wein, der eine leichte Röte auf ihre marmornen Wangen zauberte. »Zur Strafe werde ich Sie zwingen den ganzen Abend nur mit mir zu tanzen!«

Finstburn sah sie verwirrt an. »Es ist mir eine Ehre, aber ich bin nicht gerade das, was man einen Salontiger nennt und meine Tanzkenntnisse sind eingerostet. Ich bezweifle, dass Sie mit mir viel Spaß haben werden oder es ihre Tanzkarte zulässt.«

»Ich trage einfach nur Ihren Namen in meine Tanzkarte ein.«

»Dann dürften wir beide für den Skandal der Saison sorgen.«

»Seien Sie kein Spielverderber, es ist keine Bitte, Minister. Es ist der Befehl einer Dame. Wir werden uns beide köstlich amüsieren und wenn es Ihnen mit dem Walzer zu anstrengend wird, sitzen wir zusammen und sie erzählen mir gruselige Geschichten.«

»Als könnten Sie mir nicht viel gruselige erzählen. Aber ich werde natürlich dem Willen einer Dame gehorchen. Aber was bringt Sie her, gibt es Ärger wegen meines Etats?«

»Nein.«

Finstburn wirkte eine Spur entspannter. »Darf ich meinen Sonderermittler nach Sussex schicken, der nach der Ursache des Verschwindens einer ganzen Dorfeinwohnerschaft forscht mein Kamerad Fortlebe lechzt nach Abwechslung!«

»Die Königin will ihre Agenten in der Stadt behalten, bis der Ball zu ende ist. Ich lasse gerade von unseren Mitarbeitern das Gerücht verbreiten die Bewohner sind nach Amerika ausgewandert, um Zeit zu schinden. Aber natürlich werden wir uns auch darum kümmern und darum geht es indirekt. Wir brauchen eine Abteilung spezialisierter Agenten der Nachtwache, die schnell von einem Ort zum anderen können und unabhängig agieren ohne lange auf Anweisungen warten zu müssen. Ich habe mir die Clapham Akten kommen lassen und mir das eine Mädchen angesehen. Nach den Unterlagen die Einzige, die jemals die ganze Ausbildung in Clapham überlebte.«

»Und der damalige Direktor gab sich jede Mühe das zu verhindern. Schade das man solange nicht bemerkte, das er von einem Dämon besessen war.« Finstburn wurde es kalt, die Erinnerung lag drei Jahre zurück, aber war immer noch präsent. »Wer hätte geahnt das ein verdammter Geist soviel Einfluss auf ihn nehmen konnte und er uns zwang mit seinen irrsinnigen Test die Absolventen zu opfern. Warum auch immer sie atmend überstand, wecken wir keine schlafenden Hunde und geben ihr nicht zu viel freie Hand bei Entscheidungen. Bestimmte Mitarbeiter behalte ich lieber im Auge.« Finstburn sah aus dem Fenster auf das Dach von Waterloo Station, als sammle er Worte und Gedanken. Victoria beobachtete Finstburns Gesicht während sie ihre beiden Weingläser nachfüllte. Sie stand so dicht bei Finstburn das ihm ihr Parfüm in die Nase stieg, was ihn zu den schrecklichen Erinnerungen zusätzlich verwirrte. Die Treffen der Beiden waren immer so speziell, dass es nicht einmal der Diener es wagte sie jetzt noch zu stören. »Trinken Sie mit mir!« Miss Buckingham drückte Finstburn ein Glas in die Hand. »In den vielen Jahren in London habe ich mich an den Geschmack von Wein gewöhnt und man nennt ihn nicht umsonst auf einigen Inseln Griechenlands das Blut der Götter.«

»Danke.« Der Minister benetzte aus Höflichkeit seine Lippen und stellte das Glas auf den Tisch ab.

»Ich glaube die Nachtwache Whitechapel macht sich gut in meine Pläne für eine schnelle Eingreiftruppe. Gilbert of Breden, seine Stiefmutter gehört zu meinem menschlichen Freundeskreis, der jüngste Inspektor einer Nachtwache seit Gründung des Ministeriums. Seine Diplomarbeit zum Thema Binnengewässer und Bewegungsradius von unnatürlichen Belästigungen ist eine der Besten, die ich jemals las. Er klebt nicht an die orthodoxen Methoden und sie ist begabt und nach ihren Einsatz Notizen nicht mit Skrupel belastet.«

»Skrupel standen nie auf dem Unterrichtsplan in Clapham. Wir sollten nur aus Londons Waisenkinder die eine Begabung zum Okkultismus zeigen Bluthunde erziehen, damit London nicht im Chaos versinkt.«

»Eine schreckliche doch notwendige Aufgabe.«

»Ich war ihr Lehrer. Selbst Fortlebe hat erkannt, das sie etwas Besonderes ist, als sie das erste Mal einen Schritt in die Akademie setzte. Es gelang ihr mehrmals aus der Quarantänestation auszubrechen und wir wissen immer noch nicht, wie das ein 6-jähriges Kind konnte. Unsere Mitarbeiter fanden sie, von einem Geist besessen, ohne das ihr Körper Anzeichen der Abstoßung zeigte. Sie wissen Besessene sterben meist nach kurzer Zeit an der Auszehrung, aber bei ihr schien es umgekehrt zu sein. Als beziehe sie aus dem Kontakt mit Geistern besondere Vitalstoffe. Man hat ihr Blut untersucht, ihren Körper ihren verstand, aber kein Arzt war in der Lage uns das zu erklären.« Finstburn verschwieg das der leitende Anstaltsarzt Doktor Brown Hestings vorschlug ihre Leiche zu sezieren, um ihr Gehirn zu untersuchen. Nur sein Sturz aus dem Fenster im vierten Stockwerk verhinderte, dass er einen offiziellen Antrag stellte. Brown Hastings Selbstmord war ungewöhnlich gewesen, Selbstmörder öffneten meistens die Fenster vor einem Sprung in die Tiefe. In seinem Büro herrschten auch Kampfspuren, Stühle waren umgeworfen und Dokumente vom Tisch gefegt, als hätte man ihn durch die Scheiben geworfen. Was nicht sein konnte, die Wachen vor seiner Tür sagten aus, es sei die ganze Zeit leise im Zimmer gewesen und niemand hatte in der fraglichen Zeit den Raum betreten oder verlassen.

Miss Buckingham nickte, ein Lächeln auf ihrem Mund. »Ich habe sie mir auf dem Weg hierher kurz angesehen, sie war nicht für meine Hypnose anfällig. Ihr Geist, ihre Gedanken waren für mich verschlossen und das habe ich in meinem langen Leben selten erlebt. Wenn ich es nicht konnte ihr meinen Willen aufzuzwingen, wird kein Geist es schaffen sie zu seiner Waffe zu machen, außer es geschieht mit ihrem eigenen Willen.«

»Sie sollten vorsichtiger sein und nicht immer der Neugier folgen. Denken Sie an Claphams Direktor. Er ist in seinem bewachten Haus mitten im August erfroren und ich bin mir absolut nicht sicher, dass es nicht ihr Werk war. Das Mädchen ist speziell, es scheint sie kann Geister benutzen. Ihre ganze Kommunikation mit ihnen scheint anders zu verlaufen. Als seien sie in ihrer Gegenwart nicht nur Schatten gefüllt mit der Illusion des Lebens.«

Victoria sah auf. »Ist sie meiner Art?« Sie schüttelte schnell den Kopf. »Nein ich hätte es selbst aus der Kutsche heraus gerochen, ihre Aura war nur furchtbar von Ektoplasma umgeben. In welchen Zeiten leben wir, das Mädchen ihre kostbare Jugend mit Geistern verschwenden?«

»Vielleicht waren ihre Eltern begabte Totenbeschwörer? Leider entdeckten unsere Mitarbeiter keinerlei Zeichen für ihre Herkunft oder Abstammung. Es scheint, als war sie eines Tages plötzlich in Limehouse. Und ich kenne es aus meiner aktiven Zeit, der Geruch von Ektoplasma will einfach nicht verschwinden. Es ist, wie der Geruch von feuchter Erde der den Totengräber umgibt.« Victoria hielt sich die zartgliedrige Hand vor den Mund und lachte. Finstburn ergriff ihre Rechte und zog sie sanft hinunter. »Das müssen Sie nicht.« Victoria spürte bei der Berührung ein rebellisches Pochen ihres Herzens. Der Minister, der noch nicht die fünfzig überschritten hatte, war ein faszinierender Mann. Mit seinen Tätowierungen im Gesicht verströmte er wildes und sein Benehmen war untadelhaft und herausfordernd zugleich. Sie hätte nur zu gerne gewusst zu welcher Leidenschaft der Mann fähig war. »Auch wenn ich Ihre Schwäche für die Mitarbeiter der Nachtwachen kenne. Wir brauchen im Moment besonders fähige Köpfe.«

»Ein Feind?« Finstburn sah nicht besonders besorgt aus.

»Im vorigen Monat trieb ein leeres Handelsschiff aus Odessa an die Küste von Sussex. Danach erhielten wir Meldungen von häufiger auftretende Sichtungen und Erscheinungen, die Straße folgend bis nach London. Ich vermute, jemand Unangenehmes plant einen Aufenthalt bei uns.«

»Es ist schon hier, war es schon immer. Haben Sie die Berichte in den Zeitungen verfolgt? Schattenwandler in den Gassen von Whitechapel, die Angriffe auf Menschen haben sich allein seit voriges Jahr verdreifacht. Das gefährlichste für London sind seine Bewohner.«

»Unterschätzen wir ihn nicht.«

»Wen? Einen mächtigen Nekromanten? Einen Hexer oder haben wir es mit Vampiradel zu tun. Was ich höre, sind nichts, als Gerüchte. Man wispert von einem Hexer der die Toten aus ihren Gräbern steigen lassen und zu seinen willenlosen Werkzeugen machen kann. Bei einer solch nebulösen Gefahr verstehe ich Victorias Wunsch nach der Hilfe aber, wie kann die Nachtwache Whitechapel dabei helfen Gerüchte zu bekämpfen?«

»Mein lieber Finstburn Sie verstehen nichts von der Natur, die uns umgibt.«

»Eine konkrete Gefahr? Haben wir mehr als Gerüchte?« Er war immer sehr skeptisch, was das betraf.

»Ist Ihnen der Name Balthasar de Balzac bekannt?«

»Natürlich, der letzte vom alten Vampiradel der Jahrhundertelang Paris in Angst und Schrecken versetzte, bis ihn die Nachtwache auf Bitten Napoleon des III zusammen mit der Pariser Geheimpolizei zur Strecke brachte und vernichtete.«

»Vernichtete ist übertrieben, immerhin ist er der letzte seiner Art. Der Letzte, dessen infektiöses Blut Menschen verwandeln kann.«

»Ist?«

»Er ist vor drei Monaten aus dem Geheimgefängnis der Surete in Marseille ausgebrochen und hat Frankreich mit der Eisenbahn in Richtung Odessa verlassen, nachdem er die verfolgende Agenten ermordete bestieg er ein unbekanntes Schiff in unbekannte Richtung und vermutlich kommt er zu uns.«

»Warum sollte er das?«

»Habe ich vergessen es zu erwähnen«, Victoria strahlte den Minister an. »Unser Ministerium betreibt zusammen mit unseren Freunden von den französischen Behörden eine Versuchseinrichtung. Ich schlug vor an so einem seltenen Exemplar zu experimentieren bevor wir ihn vernichten und das taten wir.« Miss Buckingham zuckte mit den Achseln. »Wer weiß schon was ich mir damals dachte. Jedenfalls ist er gefährlich und brennt vor Rachsucht. Einem sechshundert Jahre alten Vampir zuzusehen, wie sein Körper die schwersten Wunden heilt, wie er auf Elektrizität reagiert ist sehr verlockend. Dank ihm haben unsere Ärzte viele Einblicke gewonnen. Aber am meisten interessierte es uns seine Urinstinkt zu beobachten. Wir hungerten ihn wochenlang aus und sperrten dann Menschen zu ihm.«

»Was für Menschen?«

Victoria lächelte amüsiert. »Seine Freunde.«

»Freunde? Ein solches Wesen hatte Freunde?«

»Er war keine Gefahr,wie es die französische Regierung ausgibt, aber einige Minister waren bei ihm verschuldet. Er lehrte an der Sorbonne Vogelkunde und er verkehrte in diesen Kreisen.«

»Und unsere Ärzte waren daran beteiligt?«

»Natürlich. London ist federführend auf dem Gebieten der okkulten Wissenschaften und des Vampirismus.« Victoria sah auf die Standuhr. »Haben Sie schon gegessen? In der Todeszelle von Pentonville wartet ein Giftmörder auf mich.«

»Ich könnte wirklich etwas vertragen, wenn Sie es nicht stört, dass ich mir Pastete mitbringe, werde ich ihnen gerne Gesellschaft leisten.«

»Sie wissen, was für ein Liebesbeweis das ist, Minister? Es ist mehr, als erlaubte ich ihnen mir beim Baden zuzusehen.« Sie reichte ihre schlanke Hand dem erröteten Minister, der ihr aus dem Sessel half. »Stellen wir uns die Katastrophe vor, wenn er Londoner Bürger zu Vampiren macht oder er anfängt unsere Existenz zu beweisen. Er die Geister weckt, die wir mit so viel Mühe vergraben«, sagte sie. »Kann man nicht mit ihm verhandeln?«

»Ihm seine Freunde und seine Würde wiedergeben? Ich fürchte, dazu ist es zu spät. Wenn er sich in den Kopf gesetzt hat sich an uns zu rächen, wird er das tun. Vielleicht kommt er als Tourist?«

»Vielleicht ist er schon hier. Wir müssen nach ihm Suchen lassen und ich weiß nicht einmal wie er aussieht.«


Die Nachtwache

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