Читать книгу Liebe nach Rezept - Insulaner küssen besser - Mira Schwarz - Страница 7
Kapitel 3 - Ein Hauch von Aufbruch
ОглавлениеLuisas roter Mini flitze über die Autobahn Richtung Norden. Es war ein trüber Tag, und die Wolken hingen bleischwer am Himmel. Die Bäume, die am Straßenrand vorbeischossen, zeigten schon ein zaghaftes erstes Grün, doch es wirkte so, als könnten sie nicht ganz glauben, dass wirklich schon Frühling sein sollte.
Das trübe Wetter passte hervorragend zu Luisas Stimmung. Stumpfsinnig starrte sie auf die Fahrbahn, im Mini war nur das Motorengeräusch zu hören, das Radio hatte sie schon kurz hinter Pinneberg entnervt ausgeschaltet. Zu viele Liebeslieder! Schon bei den ersten Takten von I will always love you von Whitney Houston waren ihr wieder die Tränen gekommen, dabei hatte sie es doch geschafft, ganze zwei Stunden nicht zu weinen!
Sie war heute am späten Vormittag mit dem Bus zu ihrer Wohnung gefahren und hatte zwei große Koffer gepackt. Mit so vielen Klamotten würde sie ewig wegbleiben können, wenn es sein musste. Es hatte furchtbar wehgetan, in der gemeinsamen Wohnung zu sein.
Alles schrie förmlich: Enno, Enno, Enno!
Sie hatte sich nicht zurückhalten können, an einem Pullover zu riechen, der über dem Badewannenrand lag. Er roch so gut…! Ansonsten war die Wohnung tadellos aufgeräumt, keine Spuren eines kummervollen Besäufnisses oder ähnlichem.
Und selbst wenn, er hätte eh wieder alles pikobello aufgeräumt, der blöde Spießer, hatte sie noch gehässig gedacht.
Dann hatte sie ihre fristlose Kündigung auf den Küchentisch gelegt. Erst wollte sie das Schreiben mit Sehr geehrter Herr Mistkerl beginnen und auch noch einige andere Nettigkeiten mit einbinden, aber Ben und Adriana hatten sie überzeugen können, dass das bei einer offiziellen Kündigung dann doch nicht so eine gute Idee war. Dann hatte sie sich noch ein letztes Mal in der Wohnung umgeschaut und schweren Herzens die Tür hinter sich zugezogen.
Luisa seufzte. Gerade, als sie den Nord-Ostsee-Kanal hinter sich gelassen hatte, klingelte ihr Handy. Sie hangelte nach ihrer Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag und fischte das Handy heraus. Das Klingeln verstummte. Mit einem flüchtigem Blick schaute auf das Display: Unbeantworteter Anruf Enno.
„Lass mich doch einfach in Ruhe“, murmelte Luisa. Sie überlegte kurz, ob sie sich geschmeichelt fühlen sollte, dass Enno unbedingt mit ihr sprechen wollte, entschied dann aber, dass es doch etwas armselig sei, sich über Anrufe eines untreuen, reuigen Verlobten zu freuen. Wenigstens hatte sie ihr Handy wieder.
Adriana war so nett gewesen und hatte Luisas Tasche noch am gestrigen Abend aus deren Spint im Chez Enno geholt. Da gestern keine Feier ausgerichtet worden war, wusste Luisa, dass nur Enno da sein würde, der solche ruhigen Abende gern für seine Buchführung nutzte. Sie hatte ungeduldig und Nägel kauend zusammen mit Ben auf Adrianas Rückkehr gewartet und die Arme sofort mit Fragen bombardiert, sobald diese die Wohnungstür geöffnet hatte:
Sah Enno fertig aus? Hatte er nach ihr gefragt?
Adriana hatte geduldig berichtet, dass Enno gefragt hatte, ob er mit ihr kommen könne, um Luisa zu sehen. Als sie ihm jedoch zu verstehen gegeben hatte, dass Luisa das auf keinen Fall wolle, hatte er nicht etwas angefangen zu betteln, zu weinen und zu flehen, nein, er hatte das einfach akzeptiert und war wieder an die Arbeit gegangen! Luisa war furchtbar enttäuscht, versuchte aber, es vor Ben und Adriana zu verbergen.
Wenig später war Ben zu seiner Schicht in der Bar Mieze aufgebrochen, ein unheimlich hipper Schuppen mit unheimlich schönen Menschen - und die Männer waren sogar nicht einmal alle schwul! Ben mixte nach Luisas Ansicht die besten Cocktails der Stadt und die Frauen waren hingerissen von ihm, und das förderte natürlich den Umsatz, was wiederum Bens Chef freute.
Ben hatte Luisa zum Abschied noch einmal ganz fest in den Arm genommen und sie gebeten, sich die Reise ans Meer noch einmal zu überlegen.
„Du brauchst doch deine Freunde, gerade jetzt“, hatte er gesagt und seinen berühmten Dackelblick aufgesetzt, dem man eigentlich nicht wiederstehen konnte. Luisa hatte einmal kräftig geschluckt, ihm einen herzhaften Schmatzer auf die Wange gegeben und versprochen, sich regelmäßig bei ihm zu melden.
Als er gegangen war, hatte sie mit Adriana noch ein Glas Rotwein getrunken und war dann erschöpft in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.
Und nun saß sie hier im Auto und fuhr tatsächlich ans Meer, einfach so, ohne bestimmtes Ziel.
Schon verrückt.
Was wollte sie überhaupt machen? Wo wohnen? In ein Hotel wollte sie für so eine lange Zeit nicht ziehen, selbst, wenn ihre Ersparnisse dafür ausreichen würden. Das kam ihr doch zu verschwenderisch vor, da war sie ganz wie ihre sparsame Oma Josi. Die hatte sich nie irgendwelche Extravaganzen gegönnt, das war für sie alles nur Schnick Schnack.
Appartements waren in den Urlaubsorten am Meer auch nicht gerade günstig, aber zurzeit war ja Nebensaison, da würde das schon gehen. Und arbeiten müsste sie über kurz oder lang auch, aber das hatte noch Zeit. Und als Köchin war dies bestimmt kein Problem, zumal es jetzt - zumindest rein nach dem Kalender - auf die schöne Jahreszeit zuging und Leute wie sie dann immer gesucht wurden. Vielleicht sollte sie sich erst einmal Gedanken machen, wohin sie überhaupt fahren wollte, sonst war sie in Dänemark, bevor sie sich entschieden hatte.
Luisa schaute auf das nächste Straßenschild:
Friedrichskoog 35 km.
Schnell trat sie aufs Gas. Oh nein, nach Friedrichskoog wollte sie nun wirklich nicht. Als Kind hatte sie mit ihrem Vater und ihrer Oma dort für eine Woche Urlaub gemacht. Ihre Oma hatte die ganze Zeit gejammert, dass sie doch eigentlich in ihrem Restaurant stehen müsste und hatte sich überhaupt nicht entspannen können. Ihr Vater war schon allein von der Tatsache genervt gewesen, dass er zusammen mit seiner Mutter Urlaub machte, und Luisa hatte ziemlich enttäuscht dreingeschaut, als sie entdeckte, dass es gar keinen Sandstrand gab. Nur Gras. Sonst war es dort eigentlich sehr schön gewesen, aber es gab halt eben nur einen Grasstrand.
„Gras! Das geht nun wirklich nicht!“, sagte Luisa laut. Sie hatte sich nämlich bereits vorgestellt, wie sie stundenlange Spaziergänge am Sandstrand machen würde, immer an der Wasserlinie entlang, natürlich barfuß. Eine Wolke aus Schwermut würde sie umhüllen, und die Einheimischen würden sich fragen, wer diese traurige Frau war, die jeden Tag dutzende von Kilometern allein am Strand entlang lief. Und da passte Gras nun einmal nicht ins Bild. Auch das mit den vielen Kilometern könnte schwierig werden, da Luisa schon nach einem kurzen Sprint zum Bus die Puste ausging. Egal.
Die nächsten zwanzig Minuten fuhr Luisa mit gleichbleibender Geschwindigkeit auf der wenig befahrenen Autobahn, starrte stur geradeaus und hing ihren trüben Gedanken nach. Hinter Heide war die Autobahn zu Ende und sie fuhr auf einer Landstraße weiter, die von unzähligen Windrädern gesäumt wurde. Schön war das nicht, fand Luisa. Aber sicher ökologisch wertvoll.
Da kam auch schon das nächste Straßenschild in Sicht:
Tönning 11 km, Husum 30 km, St. Peter-Ording 31 km.
St.-Peter-Ording, das war es doch! Sandstrand ohne Ende. Und neuerdings bei Hamburgern richtig angesagt. Luisa überlegte. Es fühlte sich irgendwie nicht richtig an. Es war so - so nah. Sie wollte weiter weg, weiter weg von Enno.
„Eine Insel!“, rief Luisa und schlug mit der flachen Hand auf ihr Lenkrad. Genau, eine Insel sollte es sein. Sylt fiel ihr als erstes ein. Die nördlichste Insel Deutschlands, weiter weg ging es nicht, ansonsten musste sie nach Dänemark. Das Problem war, dass sie einmal einen unglaublich schönen Urlaub mit Enno auf Sylt gemacht hatte, noch ziemlich am Anfang ihrer Beziehung. Es war so romantisch gewesen. Alles war perfekt, das kleine Reetdach-Häuschen, die Spaziergänge am Strand, das Essen, das Feiern in den Bars…. Nein, dort konnte sie auf keinen Fall hin, es würde sie alles nur an ihn erinnern. Wohin also dann?
Luisa setzte den Blinker und fuhr auf einen kleinen Rastplatz. Sie hielt an, schaltete den Motor aus und beugte sich rüber zum Handschuhfach und fand das, wonach sie suchte, einen zerfledderten Autoatlas. Enno hatte sie deswegen immer ausgelacht, er war der Meinung, dass in Zeiten von Navis, Smartphones und Tablets kein Mensch mehr einen Straßenatlas brauchte. Aber Luisa hasste es, sich den Weg von einer Computerstimme erklären zu lassen, und es machte sie wahnsinnig, auf einem kleinen Bildschirm nach den Straßen zu suchen.
Sie suchte die schleswig-holsteinische Nordseeküste heraus. Sylt also nicht, darunter lagen Föhr und Amrum. Irgendwo hatte sie einmal gehört, das Föhr auch die Grüne Insel genannt wurde und sie nahm an, dass damit Deiche und Grasstrände gemeint waren. Also lieber nicht.
Dann also Amrum?
Sie hatte einmal eine Arbeitskollegin gehabt, die jedes Jahr nach Amrum zum Reiterurlaub gefahren war, und Luisa hatte sich immer vorgestellt, wie diese den Sandstrand entlanggalloperiert war. Diese Vorstellung sicherte natürlich nicht die Existenz von Sandstränden, aber irgendwie musste sie ja zu einer Entscheidung kommen.
Also Amrum.
Sie studierte die Karte und legte sie auf den Beifahrersitz, für alle Fälle. Mit gespielter Fröhlichkeit rief sie: „Amrum, ich komme!“ und startete den Wagen.
***
Luisa reihte sich mit ihrem Auto in die Schlange vor dem Ticketschalter ein. Es war nicht viel Betrieb, da Ostern schon vorbei war und die Hauptsaison noch nicht begonnen hatte. Hier in Dagebüll legten die Fähren nach Amrum und Föhr ab. Sie sah aus dem Fenster. Zwar konnte sie aufs Meer schauen, aber die graue Nordsee hob sich kaum von dem noch graueren Himmel ab.
Vielleicht hätte ich doch einfach in den Süden fliegen sollen, dachte sie trübsinnig. Hinter ihr hupte ein Auto und sie schrak zusammen. Sie war an der Reihe, zum Schalter vorzufahren und hatte nicht einmal bemerkt, dass die beiden Autos vor ihr schon abgefertigt worden waren.
Ob sie überhaupt Autofahren durfte? Sagte man in Filmen nicht immer zu Leuten, die Traumatisches erlebt hatten: So darfst du aber nicht ins Auto steigen? Ben und Adriana hatten einiges versucht, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, aber dieser Satz war nicht gefallen.
Das Auto hinter ihr hupte erneut.
„Jaja, ist ja schon gut!“, rief sie und fuhr zum Ticketschalter vor. Drinnen saß ein gemütlich wirkender Mann mit Vollbart und grinste sie an.
„Na mien Deern, wo soll es denn hingehen?“
„Einmal nach Amrum bitte“, antwortete Luisa. „Oneway!“, rutschte es ihr noch heraus. Das fand sie jetzt selbst ein bisschen dick aufgetragen. Oneway, als ob sie ein gesuchter Meisterdieb auf der Flucht wäre oder so was. Wobei Flucht stimmte ja nun auch wieder irgendwie.
„Tja Deern, nicht einmal Oneway“ – der Mann am Ticketschalter zog das Wort übertrieben in die Länge, wie Luisa fand – „kann ich dir für die nächsten drei Fähren anbieten, alles ausgebucht. Hättest du dir mal vorher ein Ticket im Internet reserviert. Montag ist doch erster Mai, das nutzen viele Hamburger aus.“
Luisa stöhnte auf. „Aber es ist doch gar nicht viel los hier“, jammerte sie und machte eine ausladende Geste, die den ganzen Fährterminal umfasste.
„Jaa, noch nicht“, sagte der Kassenwart gedehnt und grinste wieder. „Die nächste Fähre nach Amrum fährt erst um 16:00 Uhr, dann trudeln die ersten aus dem Süden ein, die müssen nämlich noch arbeiten, die haben das nicht so gut wie du.“
Er zwinkerte ihr zu, und Luisa wollte etwas Scharfes erwidern, ließ es dann aber doch bleiben. Auch das Duzen störte sie nicht besonders, im Gegenteil, bei Menschen, die ihr einigermaßen sympathisch waren, empfand sie es immer als Kompliment, geduzt zu werden, weil sie sich dann so herrlich jung fühlte.
„Und wann geht dann die Fähre, auf der noch ein Platz frei ist?“, fragte sie bange.
„Um exakt 20:00 Uhr“, sagte der bärtige Kassenwart.
„Was, erst um 20:00 Uhr?“ In Luisas Kopf ratterte es. Dann würde sie ja viel zu spät auf der Insel sein, sie musste sich auch noch ein Unterkunft suchen, und dann hier die ganze Zeit an diesem trostlosen Terminal warten.
Sie spürte, wie der Rest ihrer ohnehin sehr dürftigen Energie zu entweichen drohte und ein dicker Kloß sich ihren Hals hochschob.
Der Kassenwart sah sie aufmunternd an. „Na, wie wäre es denn mit Föhr? Die Fähre fährt in einer halben Stunde und es sind noch ein paar Plätze frei.“
Bitte nicht Föhr, dachte Luisa. Hinter ihr in der Schlange begannen die Autos zu hupen.
„Gibt es dort einen Sandstrand?“, beeilte sie sich zu fragen und hielt abwartend die Luft an.
Der Ticketmann stieß einen Laut der Empörung aus. „Ob wir einen Sandstrand auf Föhr haben?“, wiederholte er ihre Frage entrüstet. „Junge Dame, Föhr gehört zur friesischen Karibik, natürlich haben wir einen Sandstrand. Kilometerlang!“ Er schüttelte den Kopf. „Ihr Städter seit echt zum Piepen.“
Luisa atmete erleichtert auf. Nun würde sie doch noch zu ihrem Sandstrand kommen. „Dann einmal friesische Karibik bitte“, sagte sie lächelnd.
„Oneway?“, fragte der Bärtige verschmitzt.
„Oneway!“, antwortete Luisa mit fester Stimme.