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Kapitel 4 - Friesische Karibik
ОглавлениеDie Möwen umflogen kreischend das Fährschiff und das Wasser schwappte in harten Schlägen gegen die Bootswände. Luisa stand an Deck, krallte sich am Geländer fest und hielt die Augen geschlossen.
Ihr war übel.
Eben hatte sie sich auf der Bordtoilette übergeben müssen. Viel war nicht herausgekommen, sie hatte ja seit fast zwei Tagen kaum etwas gegessen.
Wenigstens ist das gut für meine Figur, dachte sie.
Da legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Luisa zuckte zusammen und drehte sich um. Eine ältere Dame Mitte sechzig lächelte sie freundlich an. Sie war außerordentlich gut gekleidet und sah sehr gepflegt aus.
Das ist bestimmt eine Hamburgerin, dachte Luisa. Sie wurde sich auf einmal ihrer eigenen Erscheinung überdeutlich bewusst. Außer für das Minimum an Grundhygiene hatte sie in der letzten Zeit keine Energie aufbringen können. Geschweige denn, sich zu schminken. Sie hatte ihre Wohlfühlklamotten an, eine graue Leggings, einen grauen Oversize-Pullover und ihren olivgrünen Parker. Dazu hatte sie sich für ihre superteuren Marken-Regenstiefel entschieden, ebenfalls olivgrün, welche sie sonst jedoch etwas sorgsamer kombinierte. Nun sah sie aus, also würde sie auf die Jagd gehen wollen. Fehlten nur noch die Schrotflinte und ein gut abgerichteter Jagdhund namens Fritz.
„Ihnen geht es nicht gut, was, meine Liebe?“ Die ältere Dame sah sie mitfühlend an. „Ich bin auch immer froh, wenn wir endlich ankommen. Nun fahre ich schon seit dreißig Jahren regelmäßig nach Föhr, und mir macht die noch so kleinste Brise zu schaffen.“
Luisa konnte das nicht ganz glauben, denn die Dame sah frisch und erholt aus und keineswegs so, als würde sie ihr Schicksal teilen.
„Lassen Sie das man keinen Insulaner sehen, denn eigentlich haben wir ja kaum Wind.“ Die Dame zwinkerte ihr zu. „Was meinen Sie, sollen wir uns dort hinten in die geschützte Ecke setzen und ich hole uns einen Tee?“
Luisa nickte benommen und ließ sich an den Tisch führen. Die ältere Dame verschwand und kam kurze Zeit später mit zwei dampfenden Styroporbechern zurück, von denen sie einen vor Luisa platzierte, zusammen mit zwei Zuckertütchen und einem Holstäbchen zum Umrühren.
„Ist vielleicht kein Earl Grey, aber der wird es auch tun.“
Luisa riss die Zuckerpäckchen auf, streute den Zucker in den Tee und rührte ihn mit dem Holzstäbchen um. Dann umschloss sie den Becher mit beiden Händen und wartete, dass der Tee etwas abkühlte. Die Wärme an ihren Händen hatte etwas Tröstliches. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie noch kein einziges Wort gesagt hatte.
„Vielen Dank!“, beeilte sie sich daher zu sagen, „das ist sehr nett von Ihnen.“
„Ach, dafür doch nicht!“ Die Frau machte eine wegwerfende Bewegung mit ihrer perfekt manikürten Hand. Betreten sah Luisa auf ihre eigenen Hände. Kurz geschnitten und saubergeschruppt, so gehöre es sich für eine Köchin, hatte ihre Oma immer gesagt. Praktisch eben.
„Ich heiße Irene Matthiesen und komme aus Hamburg.“ Sie reichte ihr die manikürte Hand.
Hamburg, sag ich doch, dachte Luisa, nahm die angebotene Hand und schüttelte diese. „Ich bin Luisa Gerkens, ebenfalls aus Hamburg.“
Frau Matthiesen sah sie prüfend an. „Und, mal weg vom ganzen Trubel in Hamburg? Ein bisschen verschnaufen?“
Der freundliche Tonfall trieb Luisa die Tränen in die Augen. Nun nimm dich doch mal zusammen, du blöde Kuh, dachte sie. „Mhm“, presste sie hervor, mehr konnte sie nicht sagen.
Frau Matthiesen legte die Hand auf die ihre. „So ein bisschen Nordseeluft wirkt oft Wunder und das Meer rückt alles wieder in die entsprechenden Relationen, Sie werden schon sehen“.
Bei der ganzen Fürsorge konnte Luisa die Tränen nicht mehr zurückhalten, sie fingen einfach an zu laufen. Gott, was war ihr das peinlich. Frau Matthiesen öffnete ihre Handtasche und reichte ihr ein besticktes Stofftuch.
„Hier mein Liebe. Glauben Sie mir, Föhr wird Ihnen gut tun.“ Prüfend schaute sie Luisa an. „Was hat er denn getan?“
Luisa sah erstaunt auf. „Woher wissen Sie…?“
Frau Matthiesen lachte. „Dazu muss man nun wirklich kein Hellseher sein. Die jungen Frauen reisen entweder mit ihrem Partner, mit ihrer Familie oder mit Freundinnen. Wenn sie alleine zur Insel fahren, sehen sie fast immer unglücklich aus. Und ich habe gleich gesehen, dass Ihnen nicht nur einfach schlecht ist.“ Sie drückte Luisas Hand, ließ sie dann los, lehnte sich zurück und sah hinaus aufs Meer. „Wissen Sie, mein Mann und ich waren lange verheiratet, fast vierzig Jahre. Vor drei Jahren ist er dann gestorben.
„Das tut mir leid“, murmelte Luisa.
„Insgesamt war es eine gute Ehe, das kann ich so sagen“, fuhr Frau Matthiesen fort. „Aber er hat mir auch einmal schrecklich wehgetan. Ich habe mich damals entschieden, bei ihm zu bleiben. Es war sicherlich keine falsche Entscheidung, aber es hätte auch andere Optionen gegeben.“ Eine Zeitlang schauten beide Frauen wortlos auf die Nordsee.
„Es ist nur, es ist, es tut nur so schrecklich weh“, stammelte Luisa nach einer Weile, und ehe sie sich versah, erzählte sie dieser wildfremden Frau die ganze schreckliche Geschichte. Es sprudelte förmlich aus ihr heraus, sie ließ nichts aus, erzählte von ihrer Beziehung mit Enno, von ihrer Arbeit als Köchin im Chez Enno und den schrecklichen Ereignissen.
Frau Matthiesen nickte nur zwischendurch oder drückte mitfühlend ihre Hand. Sonst nichts. Es tat unheimlich gut, mal einfach alles erzählen zu können, ohne umgehend gutmeinte Ratschläge zu erhalten.
„Und nun sitze ich hier auf einer Fähre nach Föhr und habe keinen anderen Plan, als endlos am Wasser entlangzulaufen“, beendete Luisa ihren Bericht.
„Das ist doch fürs Erste ein sehr guter Plan“, lächelte Frau Matthiesen. „Haben Sie denn schon eine Unterkunft?“
Luisa schüttelte den Kopf.
„Na, das wird kein Problem sein“, sagte Frau Matthiesen, „Um diese Jahreszeit gibt sicher noch paar freie Zimmer auf Föhr, selbst um den ersten Mai herum.“ Sie hielt einen Augenblick inne. „Moment, ich habe da doch etwas im Insel-Boten gelesen“, sagte sie und holte eine Tageszeitung aus ihrer Handtasche hervor. „Den kaufe ich mir immer schon am Terminal, dann fängt der Urlaub für mich schon während der Wartezeit an“, erklärte sie lächelnd. „Ich fahre jetzt schon so lange nach Föhr, da interessiert mich alles, was auf der Insel passiert.“ Sie blätterte in der Zeitung. „Ich lese sogar die Todesanzeigen“, bekannte sie, „und die Stellenanzeigen auch, weiß der Herrgott, warum. Und hier“ - sie lege die Zeitung ausgebreitet auf den Tisch, drehte sie so, dass Luisa sie lesen konnte und tippte auf eine Anzeige – „ist das, was ich gesucht habe.“
Luisa las den Anzeigentext.
„Restaurant Blaue Kajüte in Fresum sucht Koch/Köchin, Unterkunft kann gestellt werden.“
Sie sah von der Anzeige auf. „Aber ich suche doch keine Arbeit, nur eine Unterkunft“, sagte sie.
Frau Matthiesen nickte. „Natürlich, das weiß ich. Ich dachte nur, ich zeige es ihnen trotzdem mal.“ Sie nahm die Seite mit den Stellenanzeigen, faltete sie und gab sie Luisa.
„Hier, nehmen Sie sie trotzdem. Vielleicht für später, wer weiß.“
Luisa wollte nicht unhöflich sein, nahm die gefaltete Seite und steckte sie in ihre Jackentasche. Niemals würde sie da anrufen, sie wollte jetzt an sich denken und nicht in irgendeiner Touristen-Bude arbeiten.
Frau Matthiesen erhob sich. „So jetzt haben Sie es gleich geschafft, wir legen in zehn Minuten an.“
Luisa erhob sich ebenfalls. Dank der Ablenkung durch Frau Matthiesen hatte sie ihre Übelkeit komplett vergessen. Sie reichte ihr die Hand. „Vielen Dank, Frau Matthiesen, fürs Zuhören und - ja, einfach für alles. Es ist sonst nicht meine Art, Fremden gleich meine ganze Lebensgeschichte auf die Nase zu binden, aber….“
„Papperlapapp“, unterbrach Frau Matthiesen sie, ignorierte ihre Hand und umarmte sie kurz, aber fest. „Es war nett, Sie kennen zu lernen. Machen Sie es gut, vielleicht begegnen wir uns ja mal beim Strandspaziergang.“ Mit diesen Worten nahm sie ihre Tasche und verschwand ins Innere der Fähre.
Luisa schaute ihr nach. Was für eine bemerkenswerte Frau, dache sie. In diesem Moment wurden die Passagiere aufgefordert, zu ihren Autos zu gehen und sich für die Abfahrt bereit zu machen. Luisa warf einen letzten Blick aufs Wasser. Sie konnte die Insel schon als diesige Silhouette ausmachen.
„Friesische Karibik, das ich nicht lache“, murmelte sie, dann verschwand sie ebenfalls im Inneren der Fähre.
***
In Wyk auf Föhr steuerte Luisa erst einmal den nächst gelegenen Parkplatz an. Mit festem Boden unter den Füßen fühlte sie sich gleich wohler und sie spürte, dass sie tatsächlich Hunger hatte. Sie ging zu einer nahegelegenen Imbissbude und bestellte sich ein Portion Pommes Frites und eine Cola. Dann stellte sie sich an einen der Stehtische und sah dem Fährbetrieb im Hafen zu. Es sah alles trist und grau und überhaupt nicht nach Urlaub aus.
Hoffentlich ist nicht die ganze Insel so zugebaut, dachte sie. Sie hatte sich das alles etwas pittoresker vorgestellt. Na, Westerland auf Sylt war ja auch keine Schönheit. Föhr war groß, da gab es bestimmt auch schöne Ecken, versuchte sie sich aufzumuntern.
„Einmal Pommes rot-weiß für die Jägersfru“, rief der Imbissbudenbesitzer fröhlich.
Luisa schaute sich um, außer ihr war kein anderer Gast zu sehen, also war sie wohl gemeint. Mit hochrotem Kopf lief sie zur Theke und nahm die Pommes in Empfang. „Danke“, quetschte sie heraus und verzog sich auf ihren Platz am Stehtisch. Sie kaute gedankenverloren und sah weiter dem Betrieb auf der Hafenmeile zu.
Zwei Frauen stellten sich an den Tisch neben sie und begannen eine leise Unterhaltung, während sie ihre Bratwürste aßen. Als Luisa fertig gegessen und die Pappschale weggeworfen hatte, hielt sie sich noch ein bisschen an ihrem Rest Cola fest. Was sollte sie denn jetzt machen? Leichte Panik überfiel sie.
Eigentlich hatte sie ja vorgehabt, zur Touristeninformation zu gehen und sich nach freien Zimmern oder Appartements zu erkundigen. Aber der Gedanke an stundenlange Strandspaziergänge hatte plötzlich seinen Reiz verloren. In ihren Gedanken hatte es nie so ausgesehen, vielleicht mal etwas stürmisch, okay, aber immer war irgendwo die Sonne zu sehen gewesen. Hier hing der Himmel bleischwer über ihr und schien alles erdrücken zu wollen.
Die vor ihr liegende Zeit breitete sich plötzlich ins Unendliche aus. Was hatte sie sich denn nur dabei gedacht, ans Meer zu fahren, auf unbestimmte Zeit? Um einfach nichts zu tun? Womit sollte sie die Stunden ausfüllen, in denen die Gedanken an Enno kamen? Sie war doch keine viktorianische Lady, die für drei Monate in die Sommerfrische fuhr! Sie war die lebenslustige, zupackende Luisa Gerkens. Die nie gern untätig rumsaß, auch etwas, was sie von ihrer rührigen Oma geerbt hatte, und die ihren Kummer - welcher Art er auch sei – bis jetzt immer mit Arbeit und Beschäftigung bekämpft hatte.
Warum sollte das jetzt anders sein? Wahrscheinlich hatten Adriana und Ben Recht gehabt und das alles hier war einfach eine hirnrissige, romantische Idee und sie hätte einfach in Hamburg bleiben sollen.
Nein, dachte Luisa, es war grundsätzlich richtig, dass sie gefahren war, sie wollte und brauchte Abstand zu Enno. Aber sie hätte daran denken müssen, dass sie nicht dafür geschaffen war, wochenlang alleine Ferien zu machen. Im Moment konnte sie sich nicht einmal vorstellen, dass sie das auch nur paar Tage aushalten könnte, jetzt, da sie wirklich hier war.
Also was tun? Gedankenverloren ging sie zum Imbisswagen und stellte ihr leeres Glas auf die Theke. „Danke und Tschüss“, sagte sie und ging langsam in Richtung Parkplatz.
„Danke auch und Waidmannsheil!“, rief ihr der Imbissbesitzer gut gelaunt hinterher. Die beiden Frauen am Stehtisch kicherten.
Jaja, habt ihr nur euren Spaß, ihr Landeier, dachte Luisa und beeilte sich, zu ihrem Wagen zu kommen. Doch dann packte es sie, sie drehte sich noch einmal um, winkte in Richtung Kiosk und rief laut:
„Waidmannsdank!“
Grinsend schlenderte sie zu ihrem Auto. Die Frauen und der Kioskbesitzer starrten ihr nach. Da war sie doch wieder, man konnte ganz deutlich etwas von der alten, heilen Luisa aufblitzen sehen! Sie wollte nicht mehr dieser schreckliche Trauerkloß sein, sie würde auf der Stelle etwas dafür tun, dass die richtige Luisa Stück für Stück wieder freigelegt wurde!
Nur was?
Vielleicht rufe ich einfach mal kurz Adriana an, dachte Luisa sehnsuchtsvoll. Sie griff in die tiefe Tasche ihres Parkers und suchte nach ihrem Handy. Dabei kam ihr die Zeitungsseite mit den Stellenanzeigen in die Finger.
Sollte sie vielleicht doch…? Auf einmal kam es ihr wie ein Wink des Schicksals vor, dass Irene Matthiesen ihr die Anzeige gezeigt hatte.
Luisa zögerte nur kurz, dann fischte sie ihr Handy aus der Jackentasche und tippte entschlossen die angegebene Rufnummer ein.