Читать книгу Sektion 3|Hanseapolis - Präludium - Miriam Pharo - Страница 14
Molto allegro
Оглавление„Nachdem Farouche am Airport angekommen ist, stieg er in eine Tube Richtung Osten. Am Brookdeich ist er wieder ausgestiegen“, klärte Elias seine Partnerin auf.
Louann, die zum Frühstück zwei handliche Portionen Fischragout mit Blaualgen besorgt hatte, warf sich neben Elias in den Sessel. „Woher weißt du das?“
„Der Airport ist mit Molekular-Scannern ausgestattet, die Tube mit NanoCams. So konnten wir seinen Weg bis zur Station Brookdeich verfolgen“, antwortete Elias und griff gierig nach der Portion, die ihm Louann reichte. „Nur schade, dass er da noch nicht auf der Fahndungsliste stand, dann hätten die Systeme gleich Alarm geschlagen.“
„Mal sehen, wohin er anschließend gegangen ist“, schlug Louann vor, bevor sie mit gesundem Appetit den ersten Bissen Fischragout verschlang.
Statt einer Antwort – er hatte ebenfalls den Mund voll – aktivierte Elias die Videosequenz. Die Cam im Inneren der Tube, die schräg nach unten auf den Eingang gerichtet war, zeigte, wie Farouche aus der Bahn stieg und nach links ging, bevor er aus dem Sichtfeld der Cam verschwand.
„Was sagt die Bildkomplettierung?“, fragte Louann neugierig kauend, woraufhin Elias über den Screen wischte und das entsprechende Programm aktivierte. Befehle per Stimmeingabe gestalteten sich in diesem Moment eher schwierig.
Auf dem Screen reduzierte sich das eingefrorene Bild mit dem davoneilenden Farouche auf rund zehn Prozent, während eine 3-D-Simulation rundum den wahrscheinlichsten Fluchtweg rekonstruierte. Anhand von Farouches Körperhaltung hatte das Programm berechnet, dass dieser mit einer Wahrscheinlichkeit von 98,7 Prozent den Weg Richtung Expresslift eingeschlagen hatte, der nach unten zur Null-Ebene führte.
„Vid-Aufzeichnung Lifteingang 8691, 2. September 2066, ab 06.02 Uhr“, befahl Elias mit fester Stimme, nachdem er den letzten Rest Fischragout hinuntergeschluckt hatte. Ein Fenster öffnete sich und zeigte den gewünschten Aufzug. Einige Minuten blieb die Kabine leer, dann stiegen zwei Männer ein – einer von ihnen trug einen Hut, eine braune Jacke und einen Rucksack: Aldo Farouche. Mit krächzender Stimme nannte er sein Ziel, wobei sich seine Brust heftig hob und senkte. Er schien zu hyperventilieren. Die Höhe, mutmaßte Louann. Währenddessen ertönte aus dem Kabinenlautsprecher eine emotionslose Frauenstimme mit der immer gleichen Botschaft in Endlosschleife: „Achtung, Sie verlassen Level 15. Betreten der unteren Levels auf eigene Gefahr. Für etwaige Zwischenfälle übernimmt die Stadt keine Haftung. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Trip.“
„Bingo!“, rief Elias und rieb sich freudig die Hände. „Zeit, mal wieder altmodische Polizeiarbeit zu leisten.“
„Altmodische Polizeiarbeit?“, echote Louann verwirrt.
„Ja. Von Tür zu Tür gehen und die Leute befragen.“
„Wieso das?“
„Unterhalb von Level 15 gibt’s keine Cams.“
„Ach ja, richtig.“
„Eben“, sagte Elias. „Ich hoffe, du bist gut zu Fuß. Und denk daran, keine Polizeiwaffen! Nachher klaut die uns noch einer.“ Dann gab er ein neues Ziel an und das MEC vollführte eine elegante Kehrtwende, bevor es Richtung Südosten flog.
An diesem Morgen traf sich Aldo mit Paavo und Cyd im Labor von Paavos Galaxie; einem winzigen Raum, in dem die drei nur mit Mühe Platz fanden. Überall standen Lebensmitteltanks und metallene Behälter mit Aufschriften herum, die verrieten, dass sie Zusatzstoffe enthielten, die je nach Bedarf die Nahrung verflüssigen, erhärten oder auch ausdehnen konnten. Aldo war äußerst angetan. Paavo gelang es offenbar, schmackhaftes Essen zu zaubern, ohne die Verwendung von Hightech-Geräten wie Zentrifugen oder Rotationsvaporatoren.
Nach den Worten „So, da wären wir!“ und einem Ausdruck breiter Freundlichkeit auf dem Gesicht machte Paavo die beiden anderen miteinander bekannt. Cyd, ein Baum von einer Frau, die den Finnen noch um einige Zentimeter überragte, kam schnell zur Sache. Sie stellte ihre tragbare GCS-Konsole auf eines der Regale, das Paavo für diesen Zweck freigeräumt hatte und gab einige Befehle ein. In der Luft baute sich ein schwebendes Konstrukt auf: schlank, weiß und sehr hoch.
„Was ist das?“, fragte Aldo und fuhr sich unsicher durchs Gesicht. Seine Haut unter den Fingern fühlte sich erschreckend nackt an.
„Die Marienthaler Nadel“, antwortete Cyd mit wohlklingendem Mezzosopran. Ihr rechter Zeigefinger stach auf einen Punkt unterhalb der Turmspitze. „Da musst du rein“, sagte sie bestimmend. „Dort befindet sich die Kunstgalerie von Malte Hill, dem Obermufti von Green Foundation. Du weißt schon, der Getränkeproduzent.“
Aldo brach der kalte Schweiß aus. Der Raum, auf den Cyd zeigte, hatte die Form einer Zwiebel und befand sich gut siebenhundert Meter über dem Boden. Dann versuchte er sich in Autosuggestion. Eigentlich war es egal, ob es sieben oder siebenhundert Meter waren.
„Vergrößern“, befahl Cyd und die Zwiebel wurde herangezoomt, so dass Aldo durch ein Fenster auf der Nordseite einen Blick ins Innere werfen konnte. Anschließend berührte sie mit Daumen und Zeigefinger besagtes Fenster und zog es auseinander. Die erweiterte Öffnung gewährte einen Blick auf eine Art Manege. In der Mitte befand sich ein voluminöses Bett mit vielen Extras; dazu gehörten eine Bar mit Bio-Chemikalien und eine Holo-Zelle mit taktilen Sensoren. Rund herum verliefen zwei erhöhte Sitzreihen. Das Bett war hell erleuchtet, während die Wände oberhalb der Sitzreihen in Tintenschwärze getaucht waren.
„Der Kerl mag Publikum“, bemerkte Cyd trocken, woraufhin Aldo die Stirn runzelte.
„Wonach suchen wir genau?“
„Danach“, antwortete Cyd, nachdem sie mit dem Finger auf eine dunkle Stelle oberhalb der Manage wies, die daraufhin aufflammte und eine Nische erkennen ließ.
Interessiert beugte sich Aldo nach vorne. „Ist das die …?“
„Ja. Das ist die Affrodite“, warf Paavo triumphierend ein.
Fast zeitgleich löste sich ein separates Hologramm aus der verblassenden Marienthaler Nadel und nahm Form an. Nach wenigen Sekunden rotierte vor aller Augen eine schwebende Lichtskulptur: ein sitzendes Berberaffenweibchen mit einem Fell, das verblüffend echt aussah und trotz des durchlässigen Materials zum Streicheln einlud. Die tief liegenden Augen über der grobschlächtigen Schnauze lagen im Dunkeln, dennoch schienen sie den Betrachter zu fixieren. Der Schädel war drohend nach vorne gerichtet. Ein mageres Junges mit einem übergroßen Kopf und einem alten Gesicht hing an ihren Zitzen. An der Skulptur war nichts Außergewöhnliches, wäre da nicht das grotesk überdimensionale Geschlecht des Affenweibchens gewesen, das fast ein Drittel der Figur einnahm. Aus der gewaltigen Öffnung quoll eine feste rotbraune Substanz, die an Sülze erinnerte, was Aldo in höchstem Maße befremdlich fand.
„Was für eine Abscheulichkeit!“, entfuhr es ihm.
Cyd zuckte mit den Schultern. „Mag sein, aber diese Abscheulichkeit bringt ’ne Menge Kohle. Sie wurde von Yuquo persönlich geschaffen.“
„Dem Yuquo?“
„Ja, dem Yuquo! Der größte Cyberstar, den es in der GCS jemals gegeben hat.“
Beeindruckt stieß Aldo einen leisen Pfiff aus. Yuquo war eine Berühmtheit. Nicht einmal Kyle, sein unmittelbarer Nachfolger, konnte ihn in Sachen Popularität übertreffen.
Info Break
Sechs Jahre nach seinem plötzlichen Verschwinden trauert die Welt noch immer um Yuquo. Wenn er seine wöchentliche Enthüllungsshow moderierte, hingen Milliarden Menschen an seinen programmierten Lippen. Bis heute kann ihm niemand das Wasser reichen. Vielleicht liegt es daran, dass er der letzte seiner Art war: aufrichtig und geradlinig in seiner Programmierung. Gerüchten zufolge hat sein Schüler Kyle, der von Ehrgeiz zerfressen war, dafür gesorgt, dass Yuquo gemeinsam mit seinen Systemen und Backups terminiert wurde, um den Weg für seine eigene Karriere freizumachen. Bewiesen wurde dies jedoch nie.
Quelle: Yahoogle Investigation Network YIN
Sollte Yuquo diese Monstrosität hier tatsächlich selbst ersonnen haben – natürlich war sein schöpferischer Einfall von einem Ghostartist umgesetzt worden –, war sie trotz ihrer Geschmacklosigkeit ein Vermögen wert.
„Ich soll dieses Ding also klauen“, sagte Aldo leise.
„Sicherstellen, ja“, antwortete Cyd und der Hauch eines Lächelns erschien auf ihrem scharf geschnittenen Gesicht. Das Auffälligste darin waren die grau-grünen Augen unter dichten Brauen. „Du bekommst 75.000 Eurodollar vorab. Den Rest, sobald du uns die Skulptur übergibst.“
Das reicht locker für ein Erste-Klasse-Ticket zur Strait of Dover, fuhr es Aldo durch den Kopf. „Wie komme ich da rein?“
Cyd stieß hörbar die Luft aus, scheinbar erleichtert darüber, dass sie Aldo zu nichts überreden musste. „Wir schleusen dich durch die Sicherheitssperre auf Level 15. Alles Weitere liegt bei dir. Im Gebäude befinden sich Wärme- und Bewegungssensoren hier, hier und hier, außerdem noch ein Molekularscanner am Haupteingang der Nadel und, nicht zu vergessen, die NanoCams innerhalb und außerhalb des Raums. Du musst sie irgendwie neutralisieren. Sag uns, was du brauchst. Wir besorgen es dir.“ Die große Frau machte eine Pause, bevor sie weitersprach. „Da wäre noch etwas …“
Sie wandte sich der GCS-Konsole zu und gab einen Befehl ein. Prompt erschien die Manege erneut auf dem Screen, doch diesmal tummelte sich in dem riesigen Bett eine Gruppe von nackten Menschen, die ineinander verknotet zu sein schienen. Wer Frau oder Mann war, konnte man nicht erkennen.
„Was soll das?“, knurrte Aldo. Und so etwas nennt sich Kunstgalerie. Aus unerfindlichem Grund machte ihn der Gedanke wütend.
„Abwarten.“ Cyd zwinkerte ihm zu, was ihn nicht wenig verblüffte.
Wie aufs Stichwort tat sich etwas in dem Fleischknoten vor ihnen; die Menschen legten sich rücklings nebeneinander und starrten gebannt nach oben. Aldo konnte jetzt sehen, dass es sich um drei Frauen und zwei Männer handelte. Als er sich fragend an Cyd wandte, forderte sie ihn mit einer Handbewegung auf, weiter auf den Screen zu schauen. Er kam der Bitte nach und sah, wie einer der nackten Männer an einer Minikonsole herumfummelte, unverkennbar der Regisseur der Show, denn unmittelbar danach tat sich über den Köpfen der Menschen die Decke auf. Aldo staunte nicht schlecht, als ein Käfig heruntergelassen wurde, der auf halber Höhe innehielt. Aber statt eines exotischen Raubtiers befand sich darin ein ausgemergelter Greis in einer weißen Unterhose.
„Wer ist das?“, fragte Aldo konsterniert. „Ein Sexsklave?“
„Nein“, erwiderte Cyd. „Ein Politiker.“
„Wie bitte?“
„Das ist Florian Parafin. Schon von ihm gehört?“ Als Aldo verneinte, sprach Cyd weiter. „Er war lange Jahre Senator in Hanseapolis, hat aber dann von einem Tag auf den anderen entschieden, seine Karriere an den Nagel zu hängen und Buße zu tun.“
Aldo brauchte einige Sekunden, um zu begreifen. „Der Typ ist freiwillig in dem Käfig?“
„Ja“, antwortete Cyd. „Malte Hill ist ein Freund von ihm.“
„Wie lang lebt er schon da drin?“
„Soweit wir wissen, um die zehn Jahre oder so.“
„Kommt er auch mal raus?“
„Nein. Das Lustigste kommt aber noch: Wenn Malte Hill wieder eine seiner Sexorgien feiert, was er ziemlich oft tut, muss Parafin zuschauen. Dabei ist es ihm ausdrücklich verboten, sich einen runterzuholen. Diese Strafe hat er sich selbst aufgebrummt.“
„Das ist ja krank.“
Cyd zuckte mit den Achseln. „Hab schon kränkere Sachen gesehen. Jedenfalls ist es eine Win-Win-Situation. Dass der Typ da oben hängt, macht die Leute in der Regel total an. Guck, geht schon los. Jetzt fallen sie alle übereinander her.“
„Woher habt ihr diese Aufnahme?“
Auf Cyds Gesicht erschien ein vielsagender Ausdruck. „Aus Hills Privatarchiv.“ „Und warum zeigst du mir das?“ „Weil Parafin Wachhund spielt, sobald niemand im Raum ist. Er hat einen Alarmknopf in seinem Käfig und benutzt ihn auch. Er ist Malte Hill absolut ergeben. “
Aldo verzog das Gesicht. „Super.“
„Wir brauchen einen guten Plan“, antwortete Cyd und lächelte etwas gequält, in dem vergeblichen Versuch, zuversichtlich auszusehen. „Deshalb ist die Wahl auf dich gefallen. Es heißt, du bist ein echter Profi. Besorg die Affrodite und wir überweisen dir die restlichen 225.000 Eurodollar auf ein Nummernkonto deiner Wahl.“
Aldo stockte der Atem. 3oo.ooo für einen einzigen Bruch. Mit dem Geld würde er sich eine neue Zukunft erkaufen können, auch wenn der Auftrag schwieriger schien als erwartet. Andererseits liebte er es, seine Kreativität unter Beweis zu stellen.
„Ich will die Kohle nicht auf einem Nummernkonto, sondern auf einer nicht registrierten Geldkarte“, forderte er.
Cyd überlegte kurz, dann nickte sie.
„Gut“, antwortete Aldo und studierte den 3-D-Plan vor ihm. Die oberen dreißig Levels gehörten der Green Foundation; die einzelnen Etagen waren über einen zentralen Expresslift erreichbar. Die „Kunstgalerie“ befand sich in einem gut gesicherten, separaten Bereich, dessen einziger Zugang eine schwere Stahltür war. Es würde schwierig werden hineinzugelangen. Und dann gab es noch die Spitze oberhalb der Zwiebel … Aldo begutachtete die spiegelglatte Fassade der holografischen Nadel – inzwischen hatte Cyd die Affrodite wieder verschwinden lassen – bevor er eine Stelle länger berührte und damit maximale Vergrößerung erreichte.
„Interessant“, murmelte er vor sich hin. Die scheinbar ebene Oberfläche unter seinen Fingern entpuppte sich als eine Ansammlung von winzigen Schuppen, die mit der geraden Seite nach oben angeordnet waren.
„Analysemodus“, befahl er leise.
Über das schwebende Konstrukt legte sich ein Layer mit Angaben zu Struktur, Material und Größe der Schuppen. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um weiße Aluminiumplatten von zwanzig Zentimetern Länge, auf denen ein Mann mit Todesverachtung und der entsprechenden Ausrüstung herumklettern konnte. Aldo schüttelte den Kopf, er war eindeutig nicht der Richtige für den Job. Schon holte er Luft, um mit Worten seinen Rückzug einzuläuten, als sich Paavo, der bis dato den Zuschauer gespielt hatte, einschaltete.
„Hey, schaut euch das mal an“, rief er und tippte auf ein kaum wahrnehmbares Flirren auf der Fassade etwas weiter darunter. „Analysieren“, befahl er. Schon erschien die entsprechende Information und Aldo wurde kreidebleich.
„Ich glaube, die Fassade könnt ihr vergessen“, bemerkte Paavo.
Aldo nickte nur. Mikrowellenimpulse. Die gesamte Nadel war mit einem Schutzgitter gegen organisches Material überzogen. Hätte er nur einen einzigen Fuß auf die Fassade gesetzt, wäre er wie ein Streichholz in Flammen aufgegangen.
„Na, toll“, bemerkte Cyd gereizt und ließ ihre Schultern kreisen, als müsste sie ihre verkrampften Muskeln lockern.
Dafür atmete Aldo befreit aus. Insgeheim war er erleichtert, nicht wie Spiderman an der Fassade hoch- und herunterklettern zu müssen. Abgesehen davon hätte er es schlichtweg nicht fertig gebracht. Höchstens mit verbundenen Augen.
„Ich muss durch die Stahltür“, verkündete er.
„Sieht so aus, aber wie?“, fragte Paavo.
„Keine Ahnung.“ Aldo zuckte mit den Schultern. „Ich muss nachdenken.“
„In fünf Tagen soll das Ganze über die Bühne gehen“, sagte Cyd. „Du musst also schnell nachdenken.“
„Wie bitte?“ Aldo kniff empört die Augen zusammen. „Das kann nicht euer Ernst sein! Für einen Job dieses Kalibers brauche ich mindestens drei Wochen Vorbereitungszeit.“ Der längste Monolog, den Paavo bisher von Aldo gehört hatte.
„Ich weiß und das tut mir auch ehrlich leid“, erklärte Cyd mit einer Miene, die eher das Gegenteil ausdrückte. „Aber jetzt ist der beste Zeitpunkt, um zuzuschlagen.“
„Warum?“, wollte Aldo wissen, doch die große Frau wich ihm aus.
„Das braucht dich nicht zu interessieren“, brummelte sie und schaute ihn ernst an. Aldo fiel auf, wie sanft ihre Augen waren. „Keine Sorge, du arbeitest mit einem fähigen Team zusammen. Egal, was du brauchst, du bekommst es.“
In ihrem Gesicht las Aldo zum ersten Mal Aufrichtigkeit und seine Gedanken rasten. Fünf Tage Vorbereitung, um sich auf einen solchen Coup vorzubereiten, das war purer Wahnsinn. Andererseits formten sich in seinem Kopf bereits erste Ideen. Er nickte, wenn auch zögerlich. „Wann lerne ich das restliche Team kennen?“
„Heute Abend stelle ich dich den anderen vor. Dann bekommst du auch deine Geldkarte.“ Jetzt lächelte sie. „Wir treffen uns um 22.30 Uhr am Rödingsmarkt. Am besten, du überlegst dir bis dahin einen groben Plan, alles Weitere besprichst du mit dem Team. Gemeinsam findet ihr sicher einen Weg. Alles klar?“
Wieder nickte Aldo wenig begeistert. Irgendwie mochte er Cyd mit ihren traurigen Augen und den großen Händen, die sie die ganze Zeit über zu verbergen versuchte. Trotzdem hatte er bei der Sache ein mulmiges Gefühl.
„Alles klar.“
Etwa zur selben Zeit hasteten Louann und Elias durch die Straßen des Distrikts Bergedorf, wo die Tower eng nebeneinanderstanden und den ganzen Tag über ein diffuses Licht herrschte. Louann trug ein weites Baumwollhemd, lange Hosen und eine blaue Kappe, die sie weit über die schwarzen Locken gezogen hatte, während sich Elias in einen schmutzigen brauen Overall gezwängt hatte. Darkglasses und Atemmaske bedeckten sein halbes Gesicht. Beide trugen CS/X-Geräte bei sich, die ein akustisches Signal an ihre Inter-Coms senden würden, sobald Aldo Farouches DNA irgendwo auftauchte. Außer Elias und Louann beteiligten sich noch vier weitere verdeckte Polizistenteams an der Suche nach dem mutmaßlichen Mörder.
Info Break
CS/X steht für Crime Scene plus X und bezeichnet tragbare, handflächengroße Tablets, die Ermittler der Polizei zur Tatortanalyse und Speicherung von Indiziendaten nutzen. Die Allround-Geräte sind unter anderem mit einem Infrarotscanner, einer holografischen Projektionsfläche und einem direkten Zugang zum Zentralserver ausgestattet.
Quelle: Yahoogle Investigation Network YIN
„Warum gibt es hier eigentlich keine Videoüberwachung?“, fragte Louann im Flüsterton. Sie fühlte sich in ihrer Kleidung unwohl, der harte Stoff kratzte unangenehm am Hals. Obwohl die Nanozellen in der polymeren Haut, die ihr Gesicht bedeckte, sie blass und kränklich aussehen ließen, kam es ihr so vor, als wären alle Blicke auf sie und Elias gerichtet. Als kämen wir von einem anderen Stern oder direkt vom Friseur!
„Weil die Cams immer wieder abmontiert und auf dem Schwarzmarkt vertickt wurden“, antwortete Elias betont heiter.
„Willst du mich veräppeln?“, erwiderte Louann. „Video-Cams sind fürs bloße Auge unsichtbar.“
„Die teure Nano-Version vielleicht. Hier unten wurde aber jahrelang Sicherheitstechnik von vorgestern eingesetzt. Im Senat interessiert es niemanden, was auf der Null-Ebene passiert, solange keine rechtschaffenen Bürger zu Schaden kommen. Die Leute hier sind mehr oder weniger auf sich allein gestellt.“
„Und wovon leben sie?“
„Viele schlagen sich in Gangs oder Großfamilien im Geiste durch. Auf diese Weise gelingt es ihnen zu überleben.“
„Das öffnet der Kriminalität doch Tür und Tor.“
„Sag bloß.“
„Und was ist, wenn die Kriminalität nach oben schwappt?“
„Keine Sorge“, bemerkte er sarkastisch. „Die kommen nur neunundfünfzig Meter weit. Auf dem sechzigsten Höhenmeter sind alle Gebäude im Zentrum mit Sicherheitsscannern versehen, während Viertel wie die HafenCity oder die Nobeladressen am Unteren Alsterkanal von Kraftfeldern umgeben sind. Öffentliche Plätze wie das Alsterauge in der Europapassage sind ausschließlich von oben aus zugänglich. Nur wer einen Wohnsitz ab Level 15 vorweisen kann, kommt durch die Sperren.“
„Was ist mit Lufttaxen?“
Elias warf ihr einen scheelen Blick zu. „Wo hast du eigentlich die letzten dreißig Jahre gelebt? In einer Höhle?“
„Das mit den Sicherheitssperren auf Level 15 wusste ich natürlich“, entgegnete Louann. In ihre Stirn hatte sich eine tiefe Falte gegraben. „Ich dachte nur, das seien die üblichen Kontrollpunkte, aber nicht, dass die Menschen … dass sie …“
„In ihrem Ghetto gefangen sind? Meinst du das?“
„Ja.“ Ihre Augenlider flatterten.
Elias, dem ihr Minenspiel nicht entgangen war, seufzte. „Na gut. Um deine Frage zu beantworten: Hast du den falschen Wohnsitz, bleibt das Lufttaxi verschlossen. So einfach ist das.“
„Ein paar schlüpfen doch garantiert durch die Sicherheitsmaschen“, flüsterte Louann.
Er stieß sein kurzes, raues Lachen aus. „Natürlich. Sofern sie das nötige Kleingeld haben oder die richtigen Connections. Die meisten Menschen auf der Null-Ebene haben aber weder das eine noch das andere.“
Louanns nachdenkliches Schweigen währte für die Überquerung einer staubigen Kreuzung. „Die Sicherheitsscanner kosten die Stadt sicher ein Vermögen …“
„Das tun sie, trotzdem ist das immer noch billiger, als den Bewohnern der Null-Ebene eine anständige Bildung und Zukunftsperspektiven anzubieten.“
Louann blieb abrupt stehen, um Elias anzuschauen. Die Darkglasses spiegelten ihren unsicheren Gesichtsausdruck wider. „Werden sie nicht irgendwann rebellieren?“
„Ach was“, antwortete ihr Partner wider seine Überzeugung. „Sie werden von der Stadt mit dem Nötigsten versorgt. Niemand muss vor Hunger oder Durst sterben. Allerdings macht das Leben hier unten natürlich nur halb so viel Spaß!“ Erneut ließ er sein freudloses Lachen hören.
Louanns Gesicht brannte unter der polymeren Haut vor Scham. Inzwischen lebte sie ein knappes Dreivierteljahr in Hanseapolis, doch sie musste sich eingestehen, dass sie sich über die Menschen auf der Null-Ebene nicht weiter Gedanken gemacht hatte. In ihrer Naivität hatte sie geglaubt, das Elend von Hanseapolis bereits in den stillgelegten U-Bahn-Tunneln unterhalb der Stadt gesehen zu haben, doch das hier war nicht weniger deprimierend. Jemand hatte ihr einmal erzählt, dass Schädlinge die Null-Ebene scheuten, weil die Luft Gift für sie war. Die Menschen aber mussten sich damit arrangieren. Mit ihren Atemmasken und ihren leicht nach vorne gebeugten Körpern, die sie gegen den Wind stemmten, wirkten sie selbst wie riesige Heuschrecken. Die unnatürlich glänzenden Augen, die vom Protektionsgel herrührten, verstärkten den Eindruck sogar noch. Schweigend setzte Louann einen Fuß vor den anderen und war froh, dass Elias nicht mehr auf das Thema zu sprechen kam.
Beide arbeiteten sich stundenlang durch den Distrikt Bergedorf, klapperten mühsam die Geschäfte ab – von Metallverschlägen bis hin zu requirierten Ladenflächen in ehemaligen Kaufhäusern war alles vertreten –, quälten sich durch übel riechende Treppenhäuser, um an fremde Türen zu klopfen und Aldo Farouches 3-D-Fotografie herumzureichen. Einmal schlugen die CS/X-Geräte an und brachten in Erwartung einer Spur Louanns neues Herz zum Rasen. Vor sechs Monaten war eine Laserwaffe auf sie abgefeuert worden und hatte ihr Inneres zu einem schwarzen Klumpen verkohlen lassen. Louann war buchstäblich in letzter Minute gerettet worden. Ärzte hatten ihr an der sauber ausgeschabten Stelle einen genetisch optimierten Extrakt aus Herz- und Muskelzellen injiziert, aus dem sich in nur vier Wochen neue, vollfunktionierende Herzkammern gebildet hatten. Louanns neues Herz lief wie ein Uhrwerk, fühlte sich aber auch genauso kalt und fremd an.
Die Geräte schlugen genau in dem Moment Alarm, als Elias und Louann auf der alten Rektor-Ritter-Straße an einem sonnenverbrannten Metrobus der Linie 12 mit verblasstem Hamburg Dungeon-Schriftzug und dem verschnörkelten Versprechen „Werden Sie Teil einer schaurigen Geschichte“ vorbeigingen. Im Schlund der herausgerissenen Fahrertür, zwischen Ha und urg, stand eine verwahrloste Frau und tauschte geflickte Kleidungsstücke gegen Nah rung und andere lebensnotwendige Güter. Louann hätte nicht sagen können, ob sie dreißig oder siebzig Jahre alt war.
„’Tschuldige, Schätzchen. Meine Schwester hier sucht ihren Ex!“, polterte Elias und deutete mit gestrecktem Finger auf Louann, die ihnen den Rücken zudrehte, um eine alte Armeehose zu begutachten, auf der sich laut CS/X-Gerät Farouches DNA befand. „Sie tickt zwar nicht richtig, trotzdem ist das für den Wichser kein Grund, sie mit zwei Bälgern sitzen zu lassen, um mit einem Hermaphroditen durchzubrennen!“ Ihr Partner schob seine Atemmaske beiseite, zog lautstark den Rotz durch die Nase, dann knallte er einen grüngelben Klumpen geradewegs vor seinen rechten Fuß, bevor er die Atemmaske mit einem hässlichen Grinsen wieder auf Mund und Nase drückte. „Hab’ ich recht oder hab’ ich recht?“
Louann verzog angewidert das Gesicht, sagte aber nichts, sondern studierte weiterhin scheinbar unbeteiligt die Hose in ihrer Hand.
Die Frau schaute Elias misstrauisch an, ihre Augäpfel zuckten nervös. „Zeig mal her das Bild“, murmelte sie mit tonloser Stimme. Lange stierte sie auf Aldo Farouches Gesicht, doch dann schüttelte sie den Kopf.
Enttäuscht legte Louann die Hose wieder an ihren Platz zurück, als die Frau plötzlich herumwirbelte und sie am Arm packte.
„Hoffentlich findet ihr den Mistkäfer!“, zischte sie zwischen den Stummeln in ihrem Mund hervor, wobei dicke Speicheltropfen das Innere ihrer Maske besprenkelten, um gleich darauf wieder von ihrem Mund weggesaugt zu werden, als sie heftig einatmete. „Solche Typen gehören kastriert!“
Louann versuchte, ein Würgen zu unterdrücken, während sie sich eilig von dem Metrobus entfernte. Ihr Atem pfiff durch die Maske.
„Alles klar?“, fragte Elias. Dann nach einer kurzen Pause: „Tut mir leid wegen eben, aber das gehört zur Tarnung.“
„Kein Problem.“ Unauffällig wischte sie sich die nasse Stirn. „Was hältst du davon? Sagt sie die Wahrheit?“, sprach sie schnell weiter.
Elias zuckte mit den Achseln. „Schwer zu sagen. Entweder verschweigt sie etwas oder aber sie kann sich tatsächlich nicht an Farouche erinnern. Gut möglich, dass er nur kurz dort war, um Kleidung mitgehen zu lassen. Heimlichkeit steht sicher ganz oben auf seiner Jobbeschreibung.“
„Zumindest wissen wir jetzt, dass er hier war“, sagte Louann und nahm kurz die Kappe ab, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. „Wir können von hier aus mit den anderen Teams ausschwärmen und weitersuchen.“ Sie seufzte. Ihre Füße taten höllisch weh. Zur Tarnung trug sie ausgelatschte Lederschuhe statt ihrer üblichen Boots, deren Nanobots dafür gesorgt hätten, dass sich das Gewebe ihren geschwollenen Füßen anpasste, während die winzigen Coolpads den brennenden Schmerz linderten.
Elias setzte gerade zur Antwort an, als sich eines der anderen Teams meldete. „Wir befinden uns in einem Laden namens Paavos Galaxie. Ein Volltreffer! Die DNA von diesem Farouche poppt hier überall auf. Wie ein Hautausschlag. Der Gesuchte war garantiert mehr als einmal hier. Der Besitzer des Ladens verneint allerdings, ihn zu kennen. Ein echt sturer Hund!“, krächzte eine Frauenstimme über InterCom.
„Habt ihr euch etwa als Polizisten zu erkennen gegeben?“
„Na ja … das mussten wir, als sich der Typ weigerte zu reden … um Druck zu machen.“
„Dilettanten!“, zischte Elias, so dass nur Louann ihn hören konnte. „Auf diese Weise werden wir aus dem Kerl garantiert nichts herausbekommen.“ Und dann lauter. „Wo finden wir diesen Laden?“
Im Töpferhof-Tunnel roch es unangenehm und bei jedem Schritt schmatzte es unter ihren Schuhsohlen. Louann schaute sich fröstelnd um, als Elias keine dreihundert Meter Luftlinie von Paavos Galaxie entfernt plötzlich nach ihrem Arm griff. Nur einen Augenblick später schälten sich zwei ungepflegte Kerle und ihre weiblichen Pendants aus dem Halbdunkel und stellten sich ihnen in den Weg. Einer der Männer postierte sich vor ihnen, während die drei anderen aus der Gruppe hinter ihnen in Stellung gingen. Elias und Louann blieben stehen.
„Hallo, ihr Süßen“, sagte der einzelne Mann, offenbar der Anführer. In seiner rechten Hand hielt er einen Laser; die drei roten Energiepunkte auf der Waffe zeigten an, dass sie auf Betäubung eingestellt war. Louann spürte, wie ihr Partner zu Stein wurde.
„Coole Boots hast du da“, knurrte der Mann Elias an. Bekleidet war er mit einer zerlumpten Jacke und einer fleckigen Hose, deren duftneutralisierenden Nanobots schon vor Jahren ihren Geist aufgegeben hatten.
Elias, dessen Schuhe weit davon entfernt waren, Begehrlichkeiten zu wecken, fluchte leise, während Louann kreidebleich wurde. Anscheinend war das Quartett auf einen Adrenalintrip aus. Auf die vier musste Elias wie ein Gegner wirken, der nicht sofort nach der ersten Runde k. o. gehen würde, mit dem man also eine Zeitlang herumspielen konnte. Der Laser war mit großer Wahrscheinlichkeit für Louann bestimmt. Nachdem sie ihren Partner fertig gemacht hätten, würden sie sich sie vornehmen und bedauerlicherweise hätte sie den vier Schlägern nichts entgegenzusetzen. Louann schämte sich ob ihrer Hilflosigkeit. Ihr blieb nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass der Schlagstock aus nanoverstärktem Titan, den Elias unter der Jacke versteckt hatte, sie beide vor einem schlimmen Schicksal bewahren würde.
Wie in Zeitlupe hob ihr Partner die Hand und nahm die Darkglasses ab. Louann konnte seine eiskalte Wut fühlen.
Der Mann vor ihnen zeigte sich unbeeindruckt. „Das verspricht, interessant zu werden“, kicherte er. „Ein verdammter Freak.“
Schon wieder das F-Wort.
Ein dünnes Lächeln verzog Elias’ Lippen und er straffte sich zum Sprung. Eine winzige Bewegung, doch sie genügte, um die schwarze Onyx-Schlange auf seinem linken Arm zu enthüllen. Die Stimmung änderte sich schlagartig. Der Anführer der Gruppe starrte ihn durchdringend an, dann wanderte sein Blick hinter seine vermeintlichen Opfer und sandte einen stummen Befehl. Anschließend steckte der Mann die Laserwaffe weg und trat einen Schritt zur Seite. Seine Gefolgschaft tat es ihm gleich.
„Schönen Tag noch“, knurrte er, dann war die Gruppe so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht war.
Vor Erleichterung bekam Louann weiche Knie. Als sie schwankte, legte Elias seinen Arm schützend um sie.
„Alles in Ordnung, Marino?“
Louann, die sich fühlte, als hätte sie einen Fünfzig-Kilometer-Marathon hinter sich, nickte nur.
„Lass uns weitergehen“, forderte er sie sanft auf. Der Druck seiner Hand auf ihrer Schulter nahm zu. „Du kannst dich gleich in dem Laden ein wenig ausruhen.“
„Ich schaff’ das schon!“, fauchte sie und riss sich von ihm los.
Stirnrunzelnd blickte Elias sie an, was ihre Laune nicht gerade besserte. Schon immer war sie für den Job zu empfindlich gewesen, doch seit sie ihren Dienst nach der schlimmen Verwundung wieder aufgenommen hatte, war ihre Haut dünn wie Seidenpapier.
Am Ende war es der Besitzer von Paavos Galaxie, ein riesiger Kerl mit Stiernacken, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Ich merk’ mir doch nicht jeden, der hier reinspaziert!“
„Als Wirt sollten Sie das aber“, erwiderte Louann gereizt. Hinter ihren Augäpfeln begann es zu pochen. „Wir wissen, dass der Gesuchte ein paar Mal hier war. An diesem Tisch dort haben wir sogar Ihre DNA mit seiner.“
„Wollen Sie mich verarschen? Der Laden gehört mir. Hier ist überall meine DNA.“
„Unsere Sensoren sagen aber, dass Ihre DNA mit seiner versetzt ist und beide nicht älter als ein paar Stunden sein können.“
„Was wollen Sie andeuten? Dass ich ihn befummelt habe?“ Der Hüne hob in gespielter Verblüffung die Augenbrauen. „Vor den anderen Gästen?“
Mit brennenden Augen starrte Louann ihr Gegenüber an, wobei sie den Kopf in den Nacken legen musste – der Typ verarscht mich! –, dann zerrte sie ihre elektrischen Handfesseln aus der Hosentasche und stellte sie auf Spannungsstufe 3 ein. So, dass Paavo es sehen konnte. Die elektrischen Impulse würden nicht nur einzelne Nerven lahmlegen und damit seine Arme paralysieren, sondern auch mittelschwere Verbrennungen verursachen.
„Hoho, Lady, entspannen Sie sich!“ Der Wirt hob abwehrend die Hände. „Hören Sie, ich schmeiße den Laden allein und meistens ist die Hölle los“, rief er, was Louann noch wütender machte, zumal in diesem Moment nur ein Tisch besetzt war. „Ich kann mir nicht jedes Gesicht merken, ehrlich.“
„Dann werde ich mir wohl etwas einfallen lassen müssen, um Ihr Gedächtnis etwas aufzufrischen!“, entgegnete Louann scharf.
„Ach ja. Was denn?“, kam es herausfordernd zurück.
Elias, der sich gerade zu ihnen gesellt hatte, half aus. „Ein Gedächtnisscan zum Beispiel.“
Der Wirt wurde blass. „Was? Das dürfen Sie nicht. Sie brauchen eine gerichtliche Verfügung!“
„Oh, das dürfte kein Problem sein“, erwiderte Louann giftig. „Geben Sie uns zehn Minuten.“
„Hören Sie“, versuchte der andere sie zu beschwichtigen. „Ich kann mich an den Typen wirklich nicht erinnern.“ Dabei schaute er sie mit feuchtem Dackelblick an und seine Stimme klang aufrichtig. „Ich verspreche Ihnen, dass ich die Augen offenhalte und Sie kontaktiere, sobald der hier auftaucht. In Ordnung?“
Louann wechselte einen kurzen Blick mit ihrem Partner. „In Ordnung“, antwortete sie widerwillig, während sich ihr Herzschlag langsam wieder beruhigte.
„Ich trau’ dem Kerl nicht. Was ist, wenn er uns anlügt?“, fragte sie Elias, kaum dass sie wieder draußen waren. Die Skepsis war ihr deutlich anzuhören.
„Der Typ scheint es ehrlich zu meinen, andererseits ist er ein Resto-Wirt. Flunkern gehört zum Geschäft“, antwortete dieser. Er klang unbekümmert. „Für alle Fälle haben wir drei Mini-Cams in seinem Laden angebracht. Zwischen dem ganzen bunten Krempel an der Wand fallen die nicht weiter auf.“
Louann brauchte einige Sekunden, um zu begreifen. „Willst du damit sagen, dass meine Befragung von eben lediglich der Ablenkung diente, damit ihr in Ruhe den Laden verwanzen konntet?“, stieß sie gefährlich leise hervor.
Verlegen strich sich Elias über die vernarbte Augenbraue. „Mach daraus kein Drama. Deine Befragung war nicht umsonst. Du hast ihn nervös gemacht und das ist gut so.“ Er versuchte zu grinsen. „Obwohl die Sache mit den Handschellen doch recht überzogen war!“
Louann starrte ihn lange an, dann holte sie tief Luft. „Du verdammtes Arschloch!“, zischte sie und wandte sich mit einer heftigen Bewegung ab; die schwarzen Locken folgten entrüstet.
Verblüfft über ihre ungewohnte verbale Entgleisung versäumte es Elias, sie dafür zu tadeln, dass sie ihn als Ranghöheren gerade aufs Gröbste beleidigt hatte.