Читать книгу Von Möpsen und Rosinen - Miriam Pharo - Страница 11
5. Gesalzen und gepfeffert
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Punkt halb neun stehe ich am anderen Morgen bereit. Laserwaffen sind in den Biosphären verboten, weil ihre Strahlen die empfindlichen Hüllen schädigen könnten, deshalb trage ich unter der Kleidung eine Beretta Silverfire, eine altmodische, und was noch wichtiger ist, signaturfreie Schusswaffe. Neben praktischem Zubehör wie ein Laserskalpell und mein Hacker-Tablet habe ich ein ausfahrbares Head-Up-Display mit zusätzlichem Pod dabei, das ich mit den Daten aus dem Analyzing Pocket System gefüttert habe.
Das dralle Blumenmädchen im karierten Kleid reagiert auf meine anzüglichen Avancen mit einem unsicheren Lächeln. Ich trage eine Weste, deren Nanobots mich korpulent aussehen lassen sowie einen breitkrempigen Hut, den ich halb ins Gesicht gezogen habe. Auffälligstes Merkmal ist meine ungleichmäßige Zahnprothese. Ein billiger, wenn auch sehr wirkungsvoller Trick.
„Ein Sträußchen Veilchen, bitte.“
Wäre ich ein Psychopath, würde ich dem Blumenmädchen, während es nach seinem Korb greift, eine tödliche Injektion verpassen und hinter eine niedrige Mauer schleifen, um sein Erkennungs-Implantat über dem ersten Nackenwirbel herauszuschneiden. Doch zum einen bin ich kein Psychopath und zum anderen halte ich meinen wertvollsten Besitz im rechten Handschuh versteckt: einen Modular Mobile Chip – der Schlüssel zu neuen Identitäten. In weniger als dreißig Sekunden ist dieser Prototyp in der Lage, den ID-Code jedes Transponders zu kopieren, auch wenn dieser in einem Körper implantiert ist. Ich muss nur nah genug herankommen. Also lehne ich mich nach vorn und sülze etwas von „Hübsches Kind, lass uns dort ins Café gehen“ und „Ich werde mich erkenntlich zeigen“, während ich ihm mit der rechten Hand durch den Nacken streiche. Zwar haben die Nanozellen in der polymeren Haut des Blumenmädchens ganze Arbeit geleistet, dennoch ist es ein Leichtes, den Security anhand der Geruchspartikel eben dieser künstlichen Pigmente zu lokalisieren. Seine Verwandlung jedenfalls ist vollkommen und ich könnte nicht sagen, ob er männlich oder weiblich ist, zumal Stimmtransformatoren zur Standardausrüstung gehören. Um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen, lässt mir der Security einige Freiheiten, die ich nutze, um ihm Intimitäten ins Ohr zu flüstern, bis er schließlich zur Tat schreitet und meinen Arm packt. Sein Griff ist erwartungsgemäß hart.
„Benehmen Sie sich, mein Herr!“, ruft er mit erboster Mädchenstimme. „Wofür halten Sie mich?“
„Autsch! Sie brechen mir ja den Arm! Ich bitte Sie, lassen Sie mich los …“, stammele ich sichtlich verwirrt, bevor ich mit schmerzverzerrtem Gesicht davon trotte.
Vor genau zehn Sekunden habe ich per InterCom die Nachricht erhalten, dass der Download abgeschlossen ist. Ich bin also hier fertig.
Mit dem überspielten Modular Mobile Chip am Körper begebe ich mich zur Rückseite des betreffenden Gebäudes und überwinde als „Security“ die Sicherheitssperre zum Innenhof, ohne dass der Alarm losgeht. Es ist wichtig, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Bei einer Überprüfung würde die doppelte ID sofort auffallen. Der Hintereingang zum Zielobjekt befindet sich rechts vor mir. Aus der Entfernung erkenne ich das typische Grau einer Dura-Liquid-Legierung. Im Normalfall ein unüberwindbares Hindernis, doch mithilfe meines Hacker-Tablets gelingt es mir, den semipermeablen Verbundstoff aus Aluminium und Nano-Kunststoffen umzuprogrammieren, so dass ich bequem hindurch schreiten kann. Die Apartmenteinheit, in der ich gerade einbreche, besteht aus einem einzigen langen Raum, der durch bewegliche Luftkissenwände, die bei Bedarf in den Boden eingezogen werden, in gleich große Nischen unterteilt ist. Von der Form her dem Seitenschiff einer Kirche nicht unähnlich. In der Ferne höre ich Stimmen, die definitiv nicht aus der Wohnung kommen. Wie zu erwarten ist, bin ich allein. Ich packe den Hut weg, aktiviere mein Head-Up-Display und setze vorsichtig einen Schritt vor den anderen. In der nächsten Minute passiere ich mehrere Räume, ohne dass die optischen Sensoren anschlagen. Erst als ich das Ende des Gangs beinahe erreicht habe, flackert es im Display zum ersten Mal auf. Unschlüssig bleibe ich stehen, dann drehe ich mich um die eigene Achse, als es erneut aufflackert. Langsam gehe ich weiter. Das Flackern wird immer stärker, bis es zu einem konturlosen Klecks erstarrt. Mit einem Kribbeln der Erregung im Nacken nähere ich mich dem Klecks, der sich nach und nach als längliches Objekt entpuppt. Daraufhin aktiviere ich den Multispektralscanner und vor meinen Augen füllt sich der Gegenstand mit gelber Farbe und dunklen Punkten. Die Bestätigung kommt per InterCom. „Kongruenz mit Objekt 1014: hundert Prozent.“ Ein warmes Gefühl der Zufriedenheit breitet sich in mir aus. Ich bin am Ziel angelangt. Ein Knopfdruck und das Head-Up-Display faltet sich auf die Größe einer Streichholzschachtel zusammen, so dass ich es mühelos von meiner rechten Schläfe abziehen kann.
Neugierig schaue ich mich um. Ich stehe vor einem dunklen GCS-Screen und kann meine angespannte Gestalt darin erkennen. Der gesuchte Gegenstand befindet sich genau dahinter, nur wenige Zentimeter entfernt. Mit zusammengekniffenen Augen unterziehe ich den Screen und seine unmittelbare Umgebung einer Prüfung, doch ich finde keinen versteckten Mechanismus. Wahrscheinlich wird der Screen per Sprachbefehl aktiviert. Sollte der rückseitige Hohlraum ebenfalls auf diese Weise geöffnet werden, ist mein Weg hier zu Ende. Ich denke nach und in genau diesem Moment passiert es.
Mich überkommt das ungute Gefühl, wie durch ein Nanomikroskop betrachtet zu werden: eine Ameise, die man im Begriff ist, mit dem Daumen zu zerquetschen. Ich bewege mich keinen Millimeter, während meine Gedanken rasen. Entweder ich verschaffe mir mit Gewalt Zugang zum Hohlraum und riskiere ein wildes Tohuwabohu oder ich trete den Rückzug an – auf die Gefahr hin, dass ich damit meinen ersten Fall in den Sand setze. Die Zeit zerrinnt mir zwischen den Fingern. Ich muss eine schnelle Entscheidung treffen, also greife ich nach dem Laserskalpell, schalte auf Stufe 5 und setze an. Es fährt durch den Screen wie durch Butter und schon bald habe ich ein Loch herausgeschnitten, durch das ich einen Blick in den Hohlraum werfen kann. Mein Puls beschleunigt sich, als ich eine Buchausgabe von Wilhelm Buschs „Leben und Werk“ ausmache sowie eine Metallröhre, in der sich die gesuchten Papierrollen befinden. Beide liegen adrett nebeneinander, als wären sie für mich dort deponiert worden. Stünde da jetzt noch ein Tintenfass, bekäme ich glatt einen Lachanfall! Die Erkenntnis, gerade in eine Falle getappt zu sein, lässt meinen Verstand auf eine einzige Sache fokussieren und ich ziehe blitzschnell die Beretta Silverfire aus der Tasche.
„Forsch und ehrgeizig! Das gefällt mir.“
Die Stimme in meinem Rücken ist wohlklingend und distinguiert. Ich wirbele herum, die Waffe im Anschlag. Vor mir steht Jimmy der Mops – in feinstem Zwirn gekleidet, mit perfekt onduliertem Haar und einem breiten Grinsen im Gesicht.
„Na, na, na! Sie werden doch nicht …“ In abwehrender Haltung hebt er die Hände. „Nehmen Sie Ihre Waffe herunter und reichen Sie mir die Hand.“
Sein Friedensangebot ignorierend starre ich ihn nur an.
„Schauen Sie nicht so griesgrämig drein, Lucio Verdict.“ Sein Blick heischt um Verständnis. „Das Ganze war lediglich ein Test, den Sie mit Bravour bestanden haben. Sie haben den Fall in nicht einmal 24 Stunden gelöst. Saubere Arbeit!“
„Für mich ist der Fall nicht gelöst, solange Wannabees wie Sie noch aufrecht stehen!“, zische ich zurück. Ich bin wirklich sauer.
Doch Jimmy ist weit davon entfernt, beleidigt zu sein. „Das Gesicht eines Engels, aber abgebrüht bis auf die Knochen.“
Ich halte die Waffe immer noch auf ihn gerichtet. „Was ist mit dem Bolzen?“
„Eine Attrappe. Sagen Sie, was hat mich verraten?“
Er schaut mich mit einem Ausdruck kindlicher Neugierde an und ich spüre, wie die Anspannung im Nacken langsam nachlässt.
„Ihre Handschrift in Quintessenzen. Sie ähnelt auffällig der Schrift auf der Drohung. Das kleine ‚m‘ hat Sie überführt.“
„Hmm … Wie gedankenlos von mir. Und dabei habe ich versucht, die Spur auf diese grässliche Wittgenstein zu lenken.“
Betont langsam senke ich die Waffe. „Warum das alles? Ist Ihnen langweilig? “
Da wird Jimmy schlagartig ernst. „Mitnichten. Das alles hat einen rechtschaffenen Hintergrund. Wir wollten uns davon überzeugen, dass Sie kein Aufschneider sind.“
„Wer ist wir?“
„Die Mitglieder des hiesigen Konsortiums für die Verteidigung des guten Geschmacks. Vorrangig Coiffeure, Couturiers und Parfumeure.“
Ich werfe Jimmy einen langen Blick zu, bis er beginnt, nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten. „Gegen guten Geschmack habe ich nichts einzuwenden“, erwidere ich mit einem dünnen Lächeln. „Sagen Sie also Ihren Freunden, meine Spesenrechnung wird gesalzen und gepfeffert sein.“
Nach diesen Worten wende ich mich ab und verlasse die Bibliothek durch die Vordertür.