Читать книгу Von Möpsen und Rosinen - Miriam Pharo - Страница 8
2. Sei willig, brüll’ bis vier
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Scharfe Sprengsätze verursachen bei mir gewöhnlich Juckreiz an schwer zugänglichen Stellen, und als Jimmy mein Büro verlässt, atme ich befreit auf. Eigenartig, dass die Detektoren im Gebäude nicht angeschlagen haben. Ob der Sprengsatz über eine Tantal-Ummantelung verfügt hat? Ich habe den Bolzen scannen wollen, doch Jimmy ist über die Tatsache, dass ich sein prominentestes Stück anfassen wollte, dermaßen in Panik geraten, dass ich mich schließlich mit einer 3-D-Aufnahme habe begnügen müssen.
Bei näherer Betrachtung des Bildes entpuppt sich der Bolzen als ein antikes Exemplar zur Verankerung von Metallteilen, und ein bildlicher Eins-zu-Eins-Vergleich mit einem Musterprodukt aus der GCS offenbart keinerlei äußerliche Unterschiede. Ich bin nicht wirklich überrascht und mache mich an die Analyse des handgeschriebenen Schriftstücks. Zu diesem Zweck krame ich aus der letzten Kiste einen Gegenstand heraus, einem Fingerhut nicht unähnlich, nur länger und aus weichem, netzartigen Gewebe: ein Analyzing Pocket System. Über den Neurokommunikator öffne ich das APC-Programm und aktiviere die entsprechenden Sensoren, dann stülpe ich mir den „Fingerhut“ über den rechten Zeigefinger und wische über das Blatt Papier. Schon werden die einzelnen Pigmente mikrochemisch untersucht, gleichzeitig wird die Struktur des Papiers abgetastet. Während die Analyse läuft, gebe ich gedanklich einen neuen Befehl ein und streiche über die blaue Tinte, dann nehme ich den „Hut“ vom Finger. Bis die Ergebnisse da sind, rufe ich Jimmys transkribierte Antworten auf dem Transfer ab.
„Ich kann mir nicht erklären, wie das passiert ist. Meine Wohnung besitzt ein Hightech-Sicherheitssystem, außerdem habe ich normalerweise einen leichten Schlaf. Mein Laden ist Bestandteil meiner Wohnung. Es war gar nicht so einfach, dafür eine Genehmigung zu erhalten. Ich verfüge über zweihundert Quadratmeter eigenen Raum.“ Obwohl die Worte gedanklich verfasst sind, glaube ich Jimmys Gebrüll immer noch zu hören. „Und das als Zugereister!"
Auf meine Frage, wie sein gestriger Tag verlaufen ist, hat er Folgendes geantwortet: „Ich war wie immer von 8 bis 21 Uhr im Laden.“
Ob es Ärger mit einem Kunden gegeben habe?
„Verdammt noch eins, nein! Ich bin bei meiner Kundschaft sehr beliebt!!!“
Trotz der drei Ausrufezeichen – wie zum Geier hat er sie zustande gebracht? – bezweifle ich das. Gutmenschen wachen selten mit einer Bombe auf der Brust auf. Dann habe ich wissen wollen, was er nach 21 Uhr gemacht hat.
„Ich habe mich frisch gemacht und bin zum Essen ins Leopold. Wie jeden Dienstag. Es ist ein exklusiver Privatklub auf dem Kaiserdamm. Einige meiner Kunden haben sich dafür eingesetzt, dass ich einmal die Woche dort einkehren darf. Ein großes Privileg!“
Ob dort irgendetwas Ungewöhnliches passiert sei?
„Eigentlich nicht. Außer, dass sich ein Mann an meinen Tisch gesetzt hat, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Er hat sich mir als Kenny vorgestellt. Ein gut aussehender Bursche. Tolle Haare! Lang und weiß, leicht wellig. Zu seinem gelb-orange gestreiften Anzug trug er eine dunkelrote Halsbinde. Hey, hören Sie mir überhaupt zu?“
Was dieser Kenny gewollt habe?
„Nur reden. Hauptsächlich über die wachsende Kriminalität.“
Das wundert mich nicht. Seit Bestehen der Biosphären ist die Verbrechensrate Hauptgesprächsthema. Die Menschen haben eine regelrechte Paranoia entwickelt, was die verstärkte Präsenz von Sicherheitskräften erklärt, auch wenn wir noch nicht solche Verhältnisse haben wie in Sphäre7. Der Polizeichef von Herrenchiemsee regiert dort mit eiserner Faust.
„Nach dem Essen bin ich nach Hause gegangen. Es muss so gegen elf Uhr gewesen sein. Mein Laden liegt am Löwenbrunnen, exakt dreihundertvierundfünfzig Meter vom Leopold entfernt. Ich hab’s mal abgezählt.“
Ob ihm dieser Kenny gefolgt sei?
„Keine Ahnung. Ich habe mich etwas schlapp gefühlt und war froh, als ich endlich zu Hause war.“
Was er mit schlapp meinte?
„Leicht duselig. Ich bin sofort ins Bett gefallen. Wenn ich es mir recht überlege, war das schon etwas ungewöhnlich.“
Ob ihm dieser Kenny etwas ins Essen oder in sein Getränk gemischt haben könnte?
„So ein vornehmer Herr? Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Ob er Feinde habe und schon einmal bedroht worden sei?
„Nein! Ich habe keine Familie, außerdem werde ich von meiner Kundschaft geachtet. Sie müssen mir aus diesem Schlamassel helfen, Verdict! Ich weiß nämlich nicht, wie lange ich das …“
Eine tonlose Stimme über InterCom, dem allgegenwärtigen Knopf im Ohr, reißt mich aus meiner Betrachtung heraus. „APC-Analyse von Papier und Tinte abgeschlossen.“
Der darauf folgende Bericht wartet mit einer kleinen Überraschung auf: Das Papier ist sehr alt und stammt aus der Zeit um 1880, vor allem aber weist es jede Menge DNA-Rückstände auf. Begierig über diesen Pool an Möglichkeiten gehe ich die Liste durch. Namen liefert das Programm nicht, dafür aber Jahreszahlen und ich werde in meiner Euphorie gebremst. Ich muss blinzeln. Die Bewohner von Sphäre5 mögen zwar ihre beste Zeit hinter sich haben, doch einen hundertachtzigjährigen Greis – der Junior auf der Liste – werde ich sogar hier schwerlich finden. Etwas enttäuscht lehne ich mich in meinem Sessel zurück. Das wäre auch zu einfach gewesen. Nach einer kurzen Pause wende ich mich der Tinte zu. Die königsblaue Paste ist gut hundertfünfzig Jahre jünger als das Papier und wurde, wie alle Tintenarten aus dieser Epoche, am Schwarzen Meer hergestellt.
Erneut halte ich inne und überlege. Alles in allem neigt der Schreiber zu Konservativismus, was auf die meisten hier zutrifft. Das Papier ist ein Vermögen wert, also geht es um einen tief gehegten Groll. Ich bin noch nicht lange hier, aber ich weiß, dass es drei Dinge gibt, bei denen die Sphärenbewohner wenig Spaß verstehen: Bonität, äußere Erscheinung und innere Sicherheit. Ich schaue mir die Botschaft näher an:
Sei willig, brüll‘ bis vier,
tust du‘s nicht, dann explodier‘.
Wenn dir dein erbärmliches Leben teuer ist,
versuche nicht, den Bolzen zu entfernen.
Die erste Zeile kommt mir entfernt bekannt vor. Ein kurzer Blick in der GCS bestätigt meine Vermutung. Da hat jemand Wilhelm Buschs bekannten Vers „Sei wütend, zähl‘ bis vier, tust du’s nicht, dann explodier‘“ kurzerhand umgedichtet. Die vertraute Anrede zeugt von mangelndem Respekt, das „erbärmlich“ spricht eine klare Sprache. Die Wortwahl „teuer“ statt „lieb“ lässt mich aufhorchen. Vielleicht hat Jimmy einen Kunden oder Bekannten geprellt. Routinegemäß gehe ich Buschs Biographie durch, ohne jedoch eine erkennbare Verbindung zu finden, also beschließe ich, dem Leopold einen Besuch abzustatten.
Beim Hinausgehen verriegele ich die transparente Eingangstür meiner Parzelle, die sich daraufhin automatisch verdunkelt und lasse mit einem dumpfen Gefühl des Versagens meinen Blick über die goldene Inschrift schweifen. „Lucio Verdict. Problemlöser“, steht da in schlichten Lettern. Problemlöser. Ich nehme an, Elias Kosloff hätte die Bezeichnung „Ausputzer“ bevorzugt ...
Die Nachbarbüros werden von einer stark schwitzenden Advokatin, einem cholerischen Spediteur und anderen interessanten Gestalten bevölkert. Bis dato hat mir mein perfektes Lächeln dort wenig Sympathiepunkte eingebracht und als ich an ihren offenen Türen vorbeischlendere, sonne ich mich in widerwilliger Bewunderung.
Sphäre5 ist wie eine Käseglocke, die von einem mächtigen Wall umschlossen wird, nur dass hier nicht Schimmelkäse und Gouda verderben, sondern Menschen. Der äußere Gürtel, in dem vorzugsweise Industrie und Gewerbe untergebracht sind, erinnert optisch an die geflochtene Lehne eines altmodischen Plastiksessels. Das aufgeblähte Dach ist von einem farbigen Polymerstreifen durchbrochen und während ich den Gang hinuntergehe, zeichnet die senkrecht strahlende Sonne eine Linie auf dem Boden. Ein kreischbunter Wegweiser in dieUnendlichkeit.
Durch eine der zahlreichen Passagen dringt Stimmengewirr an mein Ohr. Ich löse mich von der hypnotischen Linie, gehe dem Geräusch nach und gelange so auf die vordere Galerie, wo sich Menschenmassen drängen, um in den zahllosen 24/7-Restos und Geschäften ihr Geld zu verprassen. Im Vorübergehen mache ich einen Krämerladen aus, der vorgibt, Antiquitäten zu verkaufen, sowie eine große !NR! Filiale. In den Isar Auen ist die Marke !NR! des Topdesigners Nathan Rehm der Renner. Kaum jemand, der nicht mindestens ein gebrandetes Retrofit trägt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass !NR! für I.N.R.I. steht – Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren verkommt das Christentum in der Europäischen Föderation zur Bedeutungslosigkeit. Einer Kirche offen anzugehören, ist in diesem Teil der Welt verpönt, doch so leicht brechen die Menschen nicht mit alten Gewohnheiten, und wo früher einmal silberne Kreuze die Hälse der Gläubigen geschmückt haben, sind es jetzt sündhafte teure Seidentücher von !NR!.
Kurz verweile ich, die Hand auf der Balustrade, und schaue nach unten. Das Innere der Biosphäre ist terrassenförmig angeordnet, wobei mehrere Ringstraßen die Levels miteinander verbinden. Sie alle führen ins zentrale Prinzregenten-Viertel. Dort muss ich hin. Ich könnte eine Equipage nehmen – offene Inhouse-Scooter, die mit Helium-3 betrieben werden und Platz für bis zu zwanzig Personen bieten –, doch ich entscheide mich für den Hoverlift. Er ist nicht sehr bequem, dafür aber um ein Vielfaches schneller und schon bald rausche ich an verheißungsvoll klingenden Straßen und Plätzen vorbei: Ostersee-Boulevard, Tutzinger Dreieck, Alter Münchner Weg, Seeshaupter Rondell …Der Blick aus der verglasten Zelle ist halb so eindrucksvoll, wie man vielleicht glauben mag, was daran liegt, dass die Häuser aus quadratischen Hartgummimodulen bestehen, während billige Farne zu Grünanlagen zusammengeschart wurden, die jeder Fantasie entbehren. Als würde man durch das Eins-zu-eins-Modell einer Stadt wandeln, das niemals fertig gestellt wird. Der Gedanke deprimiert mich. Ich aktivere meinen Neurokommunikator, gebe den Zugriffscode für Regency ein, dem hiesigen Virtual-Environment-Programm, und plötzlich ist alles in Bewegung: Florale Mosaike kriechen über den grauen Beton, roter Sandstein kraxelt die Wände hoch, während sich Bougainvilleas über steinerne Balkone ergießen und kupferne Schornsteine nach den Wolken greifen. Der Himmel über meinem Kopf steht der Pracht am Boden in nichts nach: Pinselstriche in Hellgrün, Gelb und Orange leuchten auf tiefblauem Fond. Es vergehen nur wenige Sekunden, bis ich sehe, was alle sehen, und mein Herz zieht sich unwillkürlich zusammen. Ich vermisse den Schatten in den Gesichtern und Gassen der HafenCity …
Ursprünglich standen die Isar Auen nicht auf meiner Wunschliste für einen Neuanfang, doch nachdem mir einer meiner wenigen Freunde völlig überraschend seine Zweitwohnung kostengünstig angeboten hat, habe ich meine Pläne noch einmal überdacht. Zumal die hiesigen Schulen einen erstklassigen Ruf genießen und ich Kaori versprochen habe, mich gut um ihren Sohn zu kümmern. Ein Versprechen, das ich um jeden Preis zu halten gedenke.
Kaoris blutüberströmtes Gesicht drängt sich gewaltsam in meine Gedanken und ich richte schnell meinen Blick wieder nach draußen, wo ich zwischen zwei Häusern eine Wasserstelle entdecke, an deren Ufer sich Enten und Pfaue tummeln. Die Vögel sind genauso wenig real wie der Obstverkäufer an der Ecke davor. Mein Instinkt sagt mir, dass dort ein getarnter Security steht. Die sorgfältigen Sicherheitsmaßnahmen offen zur Schau zu stellen, wäre schier zu vulgär.
Als ich aus dem Lift steige, weist mir ein weißer Königspudel den Weg zum Leopold. Zur Auswahl stünden noch eine Libelle und ein englischer Bobby, doch der Pudel ist mein bevorzugter City-Guide. Sein kahl geschorenes Hinterteil heitert mich jedes Mal auf. Je näher ich dem Zentrum komme, desto erlesener mutet die Gesellschaft an. Menschliche Ausdünstungen sucht meine Nase hier vergeblich. Als wären die Herrschaften in Formaldehyd getränkt worden. Zu der gepflegten Erscheinung gehören regelmäßige Sitzungen im Defroisseur, einer hautstraffenden Photon-Kapsel, und die Gesichter, die mich umgeben, sind engelsgleich, wenn auch von vergreisten Augen durchlöchert. Viele von ihnen tragen Monokel oder Lorgnons, in denen ein Virtueller Kommunikator eingebaut ist, das Vorgängermodell meines Neurokommunikators.
Schon bald erreiche ich das Leopold. Vor dem schmiedeeisernen Portal fahre ich mir noch einmal durch die Haare, streiche meine Jacke glatt und rücke meinen !NR! Siegelring zurecht, dann trete ich einen Schritt vor, um gescannt zu werden.
„Sie haben keine Reservierung“, ertönt prompt eine Stimme aus dem Off.
„Ich bitte um Vergebung“, antworte ich der unsichtbaren Person am Monitor. „Aber ich möchte den Supervisor in einer wichtigen Angelegenheit sprechen. Es geht um die Sicherheit einer seiner Gäste.“
Wie zu erwarten war, öffnet sich bei meinen letzten Worten das Tor anstandslos. Unter meinen Füßen knirscht es leise, als ich den kurzen Weg zum Haus gehe. Obwohl ich weiß, dass der Kies nicht real ist, fühlt er sich echt an. VAs, Virtuality Architects, genießen zu Recht ein hohes Ansehen.
Im Vestibül, wo Gustav Klimts „Dame mit dem Fächer“ hängt, lasse ich meine Jacke zurück, bevor ich auf die breite marmorne Treppe mit den goldenen Verzierungen in der Mitte der Halle zuschreite. Wieder unterbreche ich Regency, um mich zu vergewissern, dass die Treppe wirklich existiert und ich nicht ins Leere trete. Ein absurder Reflex, aber ich kann nicht anders. Verblüfft muss ich feststellen, dass der ausschweifende Luxus um mich herum Fakt ist, deshalb beende ich fürs Erste das Virtual-Environment-Programm. Das Restaurant im ersten Level ist hell erleuchtet und schwirrt von heiterer und zusammenhangloser Konversation. An den Wänden hängen vergilbte Magazinseiten mit Fotos von deutschen Leinwandstars aus der längst vergangenen Ära des 2-D-Films mit Vornamen wie Til, Moritz oder Veronica, die außerhalb der Biosphären niemand mehr kennt. Einige der in Seide rauschenden Gäste speisen an Tischen, die von Silber und Porzellan nur so funkeln, andere sind um ein Buffet versammelt und nippen an ihren Gläsern. Als passionierter Koch, der ich bin, erkenne ich auf Anhieb hausgemachtes Birchermüsli, Avocado-Aufstrich und Stockfisch in Senfcrème. Sehnsüchtig denke ich an die letzten Monate zurück, als ich bei einem Millionär in Hanseapolis anstellig war und dort die teuersten Nahrungsmittel verarbeiten durfte. Und das in einer Stadt, in der gewöhnlich die Massen mit billigen Proteinriegeln und Algengratin abgespeist werden.
Durch eine Flügeltür rechts von mir erblicke ich einen kleinen Salon, der sofort geschlossen wird, als man meiner ansichtig wird. Etwas unschlüssig bummle ich herum, als sich mir eine spindeldürre Frau in einem fliederfarbenen Hosenanzug in den Weg stellt. Sie hat eine Haut wie Alabaster, dünne blutleere Lippen und einen harten Blick. In das graue Haar hat sie nach der neuesten Mode ein lila Tuch aus Gaze geflochten. Als ihre Augen beifällig über meine Erscheinung schweifen, frohlocke ich. Die erste Hürde wäre genommen.
„Kann ich Ihnen behilflich sein, Herr …?
„Verdict. Lucio Verdict. Ich möchte den Supervisor sprechen.“
„Ich bin Lena Wittgenstein“, kommt es schroff zurück, als ob damit alles erklärt sei. „Was kann ich für Sie tun?“
„Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Ich werde Sie auch nicht lange behelligen.“ Ich setze ein elfenhaftes Lächeln auf. „Gestern Abend gegen neun Uhr hat einer Ihrer Gäste beim Verlassen Ihres Etablissements versehentlich das Monokel meines Klienten eingesteckt. Der Herr hatte lange, weiße Haare und trug einen gelb-orange gestreiften Anzug mit dunkelroter Halsbinde. Mein Klient ist über den Verlust seines Kommunikators sehr betrübt. Vielleicht können Sie mir helfen, den Herrn ausfindig zu machen, damit ich die Affäre schnell und ohne Aufsehen bereinigen kann.“
„Das wird jemanden wie Sie vielleicht nicht interessieren, aber in unserem Haus herrscht Diskretion.“
„Selbstverständlich“, gebe ich mich zuvorkommend. „Aber bedenken Sie bitte, dass der Geschädigte ein ehrenwerter Gast Ihres Hauses ist.“
„Wer ist der Unglückselige?“
„Jimmy Marquard.“
„Dieser Haarfledderer?“ Ihrem Ton nach zu urteilen hält sie Jimmy für eine Lebensform, die knapp über einer Kakerlake rangiert. „Man kann ihn wohl kaum als ehrenwerten Gast des Leopold bezeichnen!“
„Und doch darf er hier speisen.“
Kurzes Schnauben, aber keine Antwort.
„Welchem Gönner verdankt er dieses Privileg?“
Ein argwöhnischer Blick trifft mich.
„Ich verstehe. Diskretion.“ Obwohl ich die Antwort bereits kenne, kann ich mir die folgende Frage nicht verkneifen. „Darf ich den gestrigen Video-Stream des Eingangs einsehen?“
Die Empörung steht der Gegenseite deutlich ins Gesicht geschrieben und ich beschließe, noch einen drauf zu setzen.
„Das braucht doch niemand zu erfahren“, flüstere ich und ziehe den Siegelring von meinem Finger, um ihn unauffällig zu überreichen.
Mit zusammengekniffenen Augen beugt sich Lena Wittgenstein nach vorne, bis sich unsere Nasen beinahe berühren. Ihr Parfum drängt sich mir gnadenlos auf und ich kann ein Niesen nur mit Mühe unterdrücken.
„Wagen Sie es nicht, mich zu beleidigen, Sie miese, kleine Ratte!“, entgegnet sie mit gefährlich leiser Stimme. „Oder dieses respektable Haus. Wenn Sie nicht sofort die Biege machen, rufe ich die Security!“
Interessante Wortwahl für die Leiterin eines altehrwürdigen Privatklubs. Ich stecke den Siegelring wieder an und verbeuge mich artig, bevor ich den Rückzug antrete. Die Xanthippe will ich etwas genauer unter die Lupe nehmen, und ich weiß auch schon, wer mir dabei helfen wird.
„Hallo Zuby.“
Über den Neurokommunikator könnte ich an jedem beliebigen Ort den Kontakt zu meiner Ex-Kollegin herstellen, doch in meinem Büro erscheint es mir am Klügsten, zumal es abhörsicher ist. Sofern so etwas überhaupt möglich ist, wenn man sich die GCS mit zehn Milliarden anderen Menschen teilt.
„Luc, was für eine nette Überraschung!“ Eine unscheinbare Frau mit warmen, dunklen Augen ist mitten im Zimmer aufgepoppt. Sie wirkt ehrlich erfreut.
„Lucio“, verbessere ich sie und lächele.
„Ich verstehe.“ Kurze Pause. „Wie geht’s dir? Ich habe gehört, du hast den Dienst quittiert.“
Ich zucke lediglich mit den Schultern. Quittiert worden wäre wohl die treffendere Bezeichnung.
Weil Zuby eine intelligente Frau ist, wechselt sie das Thema. „Wie lange ist es her? Drei Jahre? Haben wir damals nicht diesen Saukerl von Finanzminister mit der Hand in der Unterhose eines Jungen erwischt? Es war in Zürich, glaube ich.“ Sie lacht und ihre Augen blitzen hart auf.
Erneut verkneife ich mir die Antwort. Eine weitere Erinnerung, auf die ich gern verzichten würde.
„Mari hat’s gefreut“, setzt Zuby in heiterem Ton fort. „Ein Störenfried weniger auf ihrer roten Liste.“
Als ich den Namen der Frau höre, die mich eiskalt abserviert hat, nachdem ich ihr über zehn Jahre treu gedient habe, kommt mir die Galle hoch. Vielleicht ist Zuby doch nicht so intelligent, wie ich dachte. Andererseits hat sie schon immer gern Spielchen gespielt. Ich nehme es ihr nicht übel. Wir beide sind uns diesbezüglich sehr ähnlich.
Sie scheint mir die Gedanken von den Augen abzulesen, denn in diesem Moment huscht ein ernster Ausdruck über ihr Gesicht. „Ok, lassen wir den Smalltalk. Wie kann ich dir helfen?“
Das ist das Stichwort und ich lege los.