Читать книгу Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik - Miriam Preußger - Страница 9
3. Manege frei: Zur gegenwärtigen Konstitution familientechnologischer Gesundheitsmelancholie
ОглавлениеDas folgende Kapitel nimmt seinen Ausgang in der Dokumentation Der Traum vom perfekten Kind1 (Deutschland 2013, Autor/Regie: Dr. Patrick Hünerfeld, Südwestrundfunk; DVD), um beispielorientiert in den Diskurs um pränatale Untersuchungen einsteigen zu können. Wenn die Dokumentation als Ausgangsbasis thematisiert und analysiert wird, dann sind damit zwei Aspekte verbunden. Zum einen kann die Dokumentation hinsichtlich diskursiver Elemente untersucht werden, was sich insofern als besonders fruchtbar erweist, als sie gerade spannungsreiche Antagonien über unterschiedliche Perspektivierungen bietet. Zum anderen kann ihr Design selbst wiederum beleuchtet werden. Die Dokumentation fungiert demnach sowohl als Objektebene, die verschiedene diskursive Elemente integriert, als auch als Metaprodukt. Im Hinblick auf Der Traum vom perfekten Kind als diskursive Objektebene richtet sich die Frage auf die dargebotenen Elemente innerhalb eines Wirkungszusammenhangs. Ganz basal stelle ich mit Foucault folgende Frage:
»Welches sind die für eine gegebene ›Problematisierung‹ relevanten Elemente?«2
Dargeboten werden in der Dokumentation im Kontext der pränatalen Untersuchungen verschiedene diskursive Elemente. Kommuniziert werden Elemente, die den Wunsch nach einem gesunden Kind als natürliche elterngemeinschaftliche Universalie nahelegen (Unterkapitel 3.1). So lauten die Worte einer Mutter: »Ich wünsche mir natürlich wie alle Eltern auch ein gesundes Kind.« In der Artikulation einer elterngemeinschaftlichen Universalie innerhalb einer vordergründig individuierten Welt werden Konstanten ins natürlich-unbezweifelte Abseits hineingeschoben, die gerade aufgrund der universell-natürlichen Abseitigkeit unhintergehbar erscheinen. Die Annahme unhintergehbarer Universalien, hier etwa des gesunden Kindes, sollte strenggenommen eo ipso Bedenken entgegenwirken. Allerdings werden in den Argumentationssträngen werdender Eltern im Umfeld von Pränataldiagnostik diskursive Elemente sichtbar, die Bedenkenlosigkeit drastisch unterlaufen. Aus diesem Grund untersuche ich Argumentationsfiguren und Begründungszusammenhänge im Umfeld pränataler Diagnostik (Unterkapitel 3.2). Der in den Diskursen um Pränataldiagnostik durchwegs unreflektiert verwendete Begriff Ratsuchende wird dabei kritisch in einen religiösen Kontext gestellt, wobei die Diskrepanz zwischen Ideal und Ist-Zustand in Verbindung mit Schuld und Unsicherheit zu konturieren sein wird. Aufgrund der Persistenz von Unsicherheit werden konkrete Spielarten derselben aufgezeigt (Unterkapitel 3.3). Neben den Konfigurationen von Unsicherheit (gedimmt, punktuell-verschleiernd, konzessiv, adversativ) werden auch wissenschaftliche Stimmen eingeflochten, die auf die Existenz von Unsicherheit verweisen. Die problematische Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität im Umfeld von Familialität wird an zwei zusätzlichen, über die Dokumentation hinausgehenden medienkulturellen Beispielen (Zeitungsartikel und Werbung) expliziert. Beide referieren auf gegenwärtige medienkulturelle Ausformulierungen von Mutterschaft (und indirekt von Vaterschaft). Zwar zeichnen sich die Beispiele nicht durch eine Nähe zur Pränataldiagnostik aus; allerdings sind über die diskursiven Elemente Unsicherheit und Schuld durchaus Anschlussmöglichkeiten gegeben. Der Rekurs auf weitere Beispiele soll gewährleisten, dass facettenreich Manifestationen von Familienpolitik beleuchtet werden. Über Unsicherheit/Schuldgefühle sind eben mehrere Wirkungskreise verbunden. Bisher existieren zwar zahlreiche Klassifikationen des diskursiven Feldes, wobei das Wort Unsicherheit wohl dasjenige ist, welches am häufigsten zu lesen ist. Eine diskursorientiert-inhaltliche Einordung der Deskription Unsicherheit steht jedoch noch aus. Die Frage lautet deshalb: In welchem diskursiven Rahmen erweisen sich Unsicherheit und Schuld als wirkmächtig? Aufbauend auf Bruner und anderen Vertreter_innen der Disability Studies werden die Diskurselemente Unsicherheit, Schuld, Ich-Verarmung, Narzissmus und Schamlosigkeit zusammen betrachtet (Unterkapitel 3.4).
Unter Zuhilfenahme von Butlers Konzept der Geschlechtermelancholie wird die These entfaltet, dass wir in einer Medienkultur familientechnologischer Gesundheitsmelancholie leben. Im deutlichen Rekurs auf die Dokumentation Der Traum vom perfekten Kind und auch auf Butler kann Trauer als Mittel konturiert werden, das Gesundheitsmelancholie unterbrechen kann.
Neben Bewusstheit für Trauer soll aber auch ein anderer Weg, der progressiv Veränderung ermöglichen kann, ausgearbeitet werden: Lachen (Unterkapitel 3.5). Ein knapper Exkurs zur Krankenhausserie Scrubs – die Anfänger3 (Scrubs, USA 2001–2010, NBC, Buena Vista Home Entertainment und Touchstone Television; DVD) lädt dazu ein, über diskursive Ideale und Entwicklungen rund um Schwangerschaft und Geburt zu lachen, freilich im Modus des Toleranten. Ich zeige, wie in den betreffenden Sequenzen Lachen durch persiflierende Momente evoziert wird. Verlacht werden mindestens sechs Hintergrundfolien: Diskursive Echtheits- und Authentizitätsansprüche rund um Geburt – dargeboten ist nämlich gerade die Medialität von Geburt (1). Tradiert-verklärende Vorstellungen von Geburt in artifiziellen Kontexten – inszeniert und herausgehoben ist dementsprechend die unromantisch-anstrengende und unangenehme Dimension der Geburt (2). Schamlose Veröffentlichung von intimen Angelegenheiten in einschlägigen Medienangeboten – fokussiert wird auch auf die mediale Persistenz intimer Rhetorik und Visualisierung (beispielsweise von Befruchtungsvorgängen oder Geburten) (3). Die Naturalisierung von Geschlechtlichkeit und politischer Gesinnung – exponiert wird nämlich der Herstellungscharakter (4). Schließlich erscheint allgemein unser Medizinsystem als Folie – welches in Scrubs facettenreich persifliert und dadurch sichtbar gemacht ist (5). Zuletzt wird auch omnipräsente Unsicherheit desavouiert – ausgestellt wird diese vielmehr als diskursives Produkt denn als objektives Gebot (6).