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Pipes of Peace

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Colin beobachtete interessiert das Treiben vor sich auf der Tanzfläche. Mary Bittner, eine attraktive Blondine und alte Bekannte von ihm, tanzte eng umschlungen mit einem Herrn, dessen Gesichtszüge eine auffällige Ähnlichkeit mit einem niedlichen Ferkel hatten. Seine Hautfarbe sah zudem nach erhöhtem Blutdruck aus, was angesichts seiner Körperfülle auch keineswegs verwunderlich war. Das ungleiche Paar genoss seine Bewegungen, die nicht einmal im Entferntesten an Salsa erinnerten, sichtlich. Colin korrigierte ihren Tanzstil nicht. Die beiden waren glücklich und zufrieden und Salsa spielte dabei gerade eine eher untergeordnete Rolle. Das rosige Ferkel erfreute sich an seiner attraktiven Eroberung und Mary schien selig. Vermutlich verfügte der kurznasige Dicke über ein ebenso dickes Bankkonto. Colin wusste, dass Mary Wert auf solche Dinge legte.

Weit weniger glücklich wirkte an diesem Abend der junge Sergeant Mike Dieber, und das ärgerte Colin. Er hatte den schlaksigen jungen Mann mit dem Bürstenschnitt zu diesem Salsa-Abend überredet, damit Mike sich mal amüsierte, hatte ihm ein Blind Date mit einer Frau namens Shelby vermittelt und war nicht weniger nervös gewesen als Mike Dieber selbst, da auch er Shelby nur vom Telefon kannte. Solche ersten Begegnungen waren immer ein bisschen heikel. Auch wenn es sicher nicht darum ging, eine Eroberung zu machen (Dieber interessierte sich in dieser Hinsicht überhaupt nicht für Frauen), so musste die Chemie trotzdem stimmen. Und niemand konnte sagen, was sich Shelby von diesem Abend versprach. Jeder Mensch kam schließlich mit gewissen Erwartungen in einen Tanzsaal, und hätte Shelby einen reifen, männlichen Typ zum Verlieben erwartet, so wäre sie beim Anblick des Sergeants bitter enttäuscht worden. Einer selbstbewussten Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand, hätte Mike nichts zu bieten gehabt.

Doch als das zierliche Wesen mit den braunen Haaren in ihrer geblümten Bluse und dem bestimmt sehr gesunden Schuhwerk im Gemeindehaus erschienen war, hatte Colin aufgeatmet. Shelby war genau die richtige Frau und Tanzpartnerin für Mike, wenn es für den Polizisten denn überhaupt eine richtige Frau geben konnte. Sie wirkte wie das, was Colin gern ein Mäuschen nannte. Schüchtern, anspruchslos und eigentlich schon damit zufrieden, wenn man nur nett zu ihr war und ihre Gefühle nicht verletzte. Um ihr den Start in der fremden Umgebung so angenehm wie möglich zu machen, hatte Colin sie freudestrahlend begrüßt und sie mit ihrem Tanzpartner für diesen Abend bekannt gemacht.

Und dann hatte Mike es einfach versaut.

Er war nicht einmal aufgestanden, hatte kaum ein Wort der Begrüßung über die Lippen gebracht, geschweige denn gelächelt. Er hatte es sogar vermieden, das Mädchen auch nur anzusehen. Als die Musik für den ersten Tanz erklang, hatte er sich, statt Shelby aufzufordern, auf die Toilette verdrückt.

Colin hatte es übernommen, dem verunsicherten Mädchen einen Drink an der provisorischen Theke zu spendieren, und war Mike umgehend in die sanitären Anlagen gefolgt, um sich den jungen Mann vorzuknöpfen. Es waren von Colins Seite deutliche Worte wie »Höflichkeit« und »Benehmen« gefallen, und jetzt tanzte ein noch immer schamroter Mike Dieber mit einer stummen Shelby, die nicht einmal zu lächeln wagte.

Im Allgemeinen war es nicht Colins Art, seine Tanzschüler anzuschnauzen, doch Diebers Benehmen hatte auf ihn wie der klassische Auftritt des enttäuschten Mannes gewirkt, der mindestens eine Marilyn Monroe erwartet hatte, aber selbst nicht über einen Jerry Lewis hinauskam. Auch bei Shelby musste sich der Eindruck aufgedrängt haben, dass sie für Mike eine Enttäuschung darstellte. Und dabei ging es doch gerade im Falle dieser beiden ausschließlich um das gemeinsame Tanzen. Niemand erwartete von Dieber, dass er die Kleine heiratete. Colin ertappte sich seit Beginn des Abends immer wieder bei einem fassungslosen Kopfschütteln, das auch Dieber nicht entgehen konnte, obwohl er die meiste Zeit verlegen zur Decke hinaufschaute.

In diesem Moment wurde die Tür des Gemeindehauses aufgerissen und Jasper kam herein.

Auch wenn Colin ein ganz besonderes Gespür für seine Mitmenschen hatte und häufig aus ihren Bewegungen Rückschlüsse auf ihre Stimmung und die Lebensumstände ziehen konnte, brauchte er einen Moment, um Jaspers Auftritt richtig zu deuten.

Der Pfarrer schien außer Atem, seine Bewegungen wirkten fahrig, sein Blick unstet und er bewegte unablässig und anscheinend unbewusst die Lippen. Aus dem runden Gesicht mit der kleinen Nickelbrille unter dem angegrauten Kraushaar war alle Farbe gewichen.

Zu Tode erschrocken, war schließlich das erste, was Colin zum Erscheinungsbild des Pfarrers einfiel. Der Mann sah aus, als hätte er einen Schock erlitten.

In diesem Moment schien Jasper inmitten der tanzenden Paare denjenigen gefunden zu haben, nach dem er gesucht hatte. Sein Blick blieb an Colin selbst hängen. Dann begann er, wild zu gestikulieren. Colin kam seinem Freund sofort entgegen und packte ihn bei den Schultern, sobald er ihn erreicht hatte.

»Was ist los mit dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, stellte er fest.

»Keinen Geist, genau das nicht. Colin, ich fürchte, wir haben wieder einen Mord im Dorf. Kannst du dich für einen Augenblick freimachen?«

Colin sah sich unschlüssig um. Er konnte nicht einfach alles stehen und liegen lassen und die Tanzenden sich selbst überlassen. Er musste sie zumindest irgendwie für eine Weile beschäftigen. Da kam ihm auch schon der rettende Gedanke.

So gelassen wie möglich ging er zur Musikanlage hin­über und zog den Lautstärkeregler nach unten. Dann klatschte er demonstrativ in die Hände, um sich Gehör zu verschaffen.

»Tanzmarathon. Eine Flasche Schampus und eine Privatstunde bei mir gewinnt derjenige, der am Ende noch auf der Fläche steht!«

Einige johlten, andere klatschten, ein paar Fußlahme und Konditionsschwache flüchteten sich von der Tanzfläche an die provisorische Theke, an der heute Abend Ruth bediente. Ruth Dimbridge, seit einem Sprung in unbekanntes Gewässer an den Rollstuhl gebunden, warf Colin einen fragenden Blick zu. Er legte rasch eine Salsa-CD ein und bedeutete Ruth mit einem kurzen Schulterzucken, dass er zum jetzigen Zeitpunkt selbst über mehr Fragen als Antworten verfügte. Ihre Antwort bestand aus einem kurzen Wackeln mit den Augenbrauen.

Schon im Gehen begriffen fiel Colins Blick auf Mike und Shelby. Wenn Jasper mit seiner Vermutung recht und sich wirklich ein neuer Mord ereignet hatte, würde der Tanzabend für die beiden schnell beendet sein. Colin war sich nicht ganz sicher, wer von ihnen darüber mehr erleichtert sein würde.

In diesem Moment hatte auch der Pfarrer den Sergeant unter den Tanzenden entdeckt. »Da ist ja Mike. Ob wir ihn gleich mitnehmen sollten?«, schlug er vor.

»Das hat Zeit. Der Junge arbeitet gerade an seinem guten Benehmen, da wollen wir ihn doch nicht stören. Ich verschaffe mir erst einmal selbst einen Eindruck«, antwortete Colin.

Seite an Seite verließen sie das Gemeindehaus. Kaum draußen an der frischen Luft begannen beide wie auf ein geheimes Zeichen hin zu rennen. Das Portal der Kirche stand offen und schien sie zu erwarten.

»Das ist wirklich ganz unglaublich«, keuchte Colin leicht außer Atem, als sie das Gotteshaus erreichten. Es wurde anscheinend dringend Zeit, dass er mal wieder etwas für seine eigene Fitness tat. »Du hast einen Toten in deiner Kirche gefunden? Weißt du überhaupt, was das bedeutet?«

»Dass die Mörder in diesem Dorf wirklich vor gar nichts zurückschrecken? Oder dass der, den wir suchen, ein Freund der kurzen Wege ist?«, schlug Jasper nach kurzem Nachdenken vor.

»Nein, nein. Es bedeutet, dass der Fluch gebrochen ist. Endlich einmal hat jemand anderes die Leiche entdeckt. Zum ersten Mal bin nicht ich es, der über den Toten gestolpert ist.«

»Stimmt«, bestätigte Jasper. »Wahrscheinlich hat der Fluch seine Wirkung verloren, als du dich endlich entschlossen hast, als Detektiv zu arbeiten und nicht mehr widerwillig versucht hast, alle Ermittlungen auf andere abzuwälzen.«

»Abzuwälzen? Du bist doch derjenige, der kaum zu bremsen ist, wenn es darum geht, einen Mörder zu jagen«, widersprach Colin.

Jasper tupfte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Diesmal nicht. Gute Güte, ich bin noch immer ganz von der Rolle. Wenn ich es mir recht überlege, war es eigentlich ganz nett, dass du bisher immer über die Mordopfer gestolpert bist. Ich will diese Aufgabe nicht übernehmen. Die nächste Leiche ist bitte für Norma reserviert.«

»Wo steckt die überhaupt?«, fragte Colin. »Ich denke, sie spielt in deinem Krippenspiel den Melchior?«

»Erinnere mich bloß nicht daran. Sie scheint Melchior mit Rudolph dem rotnasigen Rentier zu verwechseln. Ich bin froh, wenn ich ihr blinkendes und dudelndes Elchgeweih für eine Weile nicht sehen muss. Hättest du ihr nicht ein anderes Andenken aus New York mitbringen können?«

»Es erschien mir passend für Norma. Es macht sie auch irgendwie größer, findest du nicht?«

»Norma ist und bleibt eine halbe Portion, da hilft auch ein Geweih nichts.«

Colin war Jasper während ihres Wortgeplänkels die Treppe hinauf auf die Empore gefolgt. Er erreichte den Raum hinter der Orgel und automatisch verlangsamte sich sein Schritt. Fast andächtig näherte er sich dem toten Clifford und betrachtete ihn dann eingehend.

»Wer war der arme Mann?«

»Clifford St. Clare, mein Organist. Wir kannten einander schon ewig. Seit ich diese Stelle hier angetreten habe, spielte Clifford regelmäßig für mich. Es gibt nur wenige gute Organisten in unserer Gegend«, erklärte Jasper. »Heute kam er her, um den morgigen Adventsgottesdienst vorzubereiten.«

»Und du bist dir sicher, dass es kein Unfall war? Die Orgelpfeife kann nicht von irgendwoher auf ihn herabgestürzt sein?«, fragte Colin und musterte die Pfeife, die noch immer halb auf Cliffords totem Körper lag. Das Ding war fast so lang wie der Tote selbst und hatte fast zehn Zentimeter Durchmesser. Ein langer Riss in ihrer Außenhülle wies darauf hin, dass auch die Pfeife die Begegnung mit Cliffords Schädel nicht unbeschadet überstanden hatte.

»Natürlich bin ich mir sicher«, sagte Jasper. »Oder siehst du über uns vielleicht irgendwelche Orgelpfeifen? Die befinden sich auf der anderen Seite dieser Wand. Im Kirchraum.«

»Aber wie ist dann diese Pfeife hierhergekommen?«, wollte Colin wissen.

»Die stand schon seit einer Ewigkeit auf dem Orgelboden herum. Wir wussten nicht, wohin damit. Sie wurde bei einer Reparatur gegen eine neue Pfeife ausgetauscht und vom Orgelbauer vergessen. Danach stand sie irgendwie immer im Weg und wanderte von einer Ecke in die andere.«

»Das heißt also, dass die Tatwaffe dem Mörder quasi auf einem Silbertablett serviert wurde. Sieht mir nicht nach einer geplanten Tat aus. Und du hast keine Ahnung, wer bei ihm hier oben gewesen sein könnte?«

»Clifford ist allein hier heraufgestiegen. Und ich habe auch nicht bemerkt, dass ihm irgendwer gefolgt ist. Die Schauspieler waren alle bei mir unten im Kirchraum«

»Gibt es einen anderen Weg hierher?«, fragte Colin und sah sich im Halbdunkel des Raumes um.

»Nein. Hierher führt nur diese eine Treppe, die wir beide gerade heraufgekommen sind.«

Colin zog eine Augenbraue hoch. »Das bedeutet, der Mörder muss durch den Kirchraum zu ihm heraufgekommen sein. Kann es sein, dass ein Fremder an allen Schauspielern der Krippenspielprobe vorbei unbemerkt bis hierher gelangt ist?«

Jasper legte die Stirn in Falten. »Nein, das kann ich mir kaum vorstellen. Natürlich ist denkbar, dass ich einen Fremden, der die Kirche betrat, übersehen habe. Ich kann meine Augen ja nicht überall haben. Aber er kann unmöglich von uns allen unbemerkt rein- und wieder rausgeschlichen sein. Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen.«

»Damit wäre der Täterkreis bereits klar einzugrenzen«, stellte Colin fest. »Der Mörder ist demnach unter deinen Darstellern zu finden. Er schlich sich in einem günstigen Moment die Treppe hinauf, erschlug den Organisten mit der Pfeife, kam wieder herunter und nahm seinen Platz im Krippenspiel wieder ein.«

»Ich kann das nicht glauben«, rief Jasper aus. »Ich kenne die meisten dieser Leute schon genauso lange wie Clifford. Nein. Ich will das auch gar nicht glauben.«

»Dann schlage ich dir eben ein anderes Szenario vor«, meinte Colin. »Der Orgelpfeife sind Flügel gewachsen, sie hat sich in die Lüfte geschwungen und ist über dem Schädel deines Organisten abgestürzt. Zufrieden damit?«

»Nicht wirklich«, antwortete Jasper und nahm seine tadellos saubere Brille ab, um die Gläser mit einem Taschentuch abzuwischen.

Übersprunghandlung, stellte Colin fest. Jasper war noch immer aufgeregt und nicht ganz bei sich. »Nun, ich fürchte, dann bleibt uns nur eine der ersten beiden Versionen. Und die wahrscheinlichere ist, dass der Mörder sich bereits in der Kirche befand und diese nach dem Mord auch nicht direkt wieder verließ. Jetzt sollten wir Mike Dieber dazubitten. Da es sich hier ganz eindeutig um einen Mord handelt, bringen wir uns nur in Schwierigkeiten, wenn wir die Polizei weiterhin außen vor lassen.«

»Gut.« Jasper setzte sich die Brille wieder auf die Nase. Colin bemerkte, dass die Hand seines Freundes leicht zitterte. »Holen wir Mike dazu. Nein, hol lieber du Mike dazu. Ich möchte hierbleiben. Ich sollte hierbleiben.«

Colin sah seinen Freund etwas beunruhigt an. Noch immer war der Pfarrer etwas blass um die Nase. »Jasper, bist du sicher, dass du in Ordnung bist? Vielleicht solltest du erst einmal einen Brandy oder so etwas trinken. Das beruhigt die Nerven.«

»Ich will meine Nerven jetzt nicht beruhigen. Und ich bin auch nicht in Ordnung. Der Mann, der hier vor uns liegt, ist Clifford. Er war mein Freund. Er liebte Mandarinen und Händels Wassermusik. Er ist nicht irgendein namenloser Toter. Er ist auch nicht irgendjemand, den ich gar nicht richtig leiden konnte. Clifford wird fehlen, wird in der Gemeinde eine nicht zu schließende Lücke hinterlassen. Ganz davon abgesehen, dass ich jetzt während der Gottesdienste wohl selbst die Mundharmonika spielen muss, bis sich ein Ersatz gefunden hat. Organisten wachsen schließlich nicht auf Bäumen. Schon gar nicht solche wie Clifford.«

»Er war gut in seinem Job?«, fragte Colin und sah auf den Toten herab, dessen mit Blut bespritzte Hände nie wieder eine Orgel zum Klingen bringen würden.

»Er war ein Profi der besonderen Art. Die meisten Organisten schätzen es nicht, wenn man in letzter Minute noch das Programm über den Haufen wirft und sie unvorbereitet spielen müssen. Ich hingegen schätze Spontaneität. Und Clifford konnte herrlich improvisieren, hat nie gemeckert und war stets mit allem einverstanden. Er war ein Vollblutmusiker und ein guter Mensch. Ich glaube, den Satz sollte ich mir für die Trauerfeier notieren.«

Während Jasper seine Taschen nach einem Stift und einem Stück Papier durchsuchte, studierte Colin weiter den Tatort.

Ein paar Notenblätter, ebenfalls blutbeschmiert, lagen um die Orgel verstreut. Colin entzifferte den Titel eines bekannten Weihnachtsstückes. Er lautete: Pipes of Peace. Mit Blick auf die Orgelpfeife und den Körper des Toten empfand er diese Worte als bittere Ironie. Laut sagte er: »Und doch muss irgendjemand diesen netten Menschen gehasst haben. Sein Mörder hat ziemlich brutal zugeschlagen. Was für einen Grund könnte jemand gehabt haben, ihn zu töten, was meinst du?«

»Niemand hat Clifford gehasst, und mir fällt auch niemand ein, der ihn hätte töten wollen. Er war das, was man einen charmanten Trottel nennen würde. Ein ewiger Junggeselle. Freundlich zu jedermann. Gutherzig und arglos. Ich weigere mich, etwas anderes zu glauben«, antwortete Jasper und klang ein wenig bockig.

Colin beschloss, das Gespräch über Clifford an diesem Punkt abzubrechen. Es war wirklich allerhöchste Zeit, Mike in die Geschehnisse einzuweihen. »Dann gehe ich jetzt Mike holen. Kann ich dich auch wirklich hier alleinlassen?«, fragte er, noch immer besorgt um seinen Freund.

»Ich bitte sogar darum. Im ersten Schrecken bin ich einfach davongelaufen. Dabei ist es an der Zeit, innezuhalten. Zeit für ein Gebet für Clifford. Geh jetzt und hole den Sergeant, Colin.« Mit diesen Worten senkte Jasper das Kinn auf die Brust und faltete die Hände.

Colin ging. Er selbst gehörte nicht zu den Menschen, die Frieden im Gebet fanden. Und fast beneidete er Jasper um seinen Glauben und seine Rituale, die ihm angesichts eines Mordopfers Halt gaben. Colin hatte diesen sicheren Halt nicht. Er balancierte sich immer wieder neu aus. Wie auf dem Tanzparkett.


Noch immer dröhnte der Salsa-Rhythmus aus den Boxen, als Colin in das Gemeindehaus zurückkehrte. Fast alle Anwesenden hatten auf Stühlen am Rand der Tanzfläche Platz genommen und feuerten die letzten verbliebenen beiden Paare an. Es handelte sich um das fidele Ferkel, in dessen Armen eine schweißnasse Mary Bittner glänzte, und um ein junges Paar aus einem Nachbardorf. Deren beider Vornamen hatte sich Colin beim besten Willen nicht merken können. Irgendetwas Skandinavisches.

Mike Dieber drückte sich nahe der Theke herum und versuchte, den Anschein zu erwecken, dass er Ruth Dimbridge bei der Getränkeausgabe unterstützen musste. Mit schmalen Augen sah Colin sich um. Mutterseelenallein stand eine enttäuschte Shelby zwischen den anderen Gästen. Colin hätte Mike am liebsten mit dem Kopf ins Spülwasser getunkt. Stattdessen packte er den jungen Mann am Ärmel und raunte ihm ins Ohr: »In der Kirche gibt es Arbeit für dich. Jasper erwartet dich auf dem Orgelboden. Ich löse hier die Versammlung auf.«

Mike, dankbar darüber, die Flucht ergreifen zu dürfen, eilte davon, während Colin die Musik abdrehte und die beiden letzten Paare zu Siegern erklärte. Die Menge jubelte und Colin schrieb die Gutscheine für Privatstunden und eine Flasche Sekt auf zwei Servietten, die er den Gewinnern feierlich überreichte.

Danach flunkerte er allen Anwesenden vor, dass die Anwohner der umliegenden Häuser ihn wegen der Lärmbelästigung um ein baldiges Ende der Party gebeten hätten, und legte, den Protest der Umstehenden ignorierend, leise Rausschmeißermusik auf. Die ersten Gäste brachen auch fast augenblicklich auf. Unter ihnen war auch Shelby, der Colin zum Abschied gerade noch zuwinken konnte, bevor sie mit zusammengepressten Lippen zur Tür hinaus floh. Colin hätte Mike Dieber den Hals umdrehen können. Er hasste es, wenn ein einsames Herz die Party mit einem schlechteren Gefühl verließ als bei der Ankunft. Es machte ihn traurig. Natürlich war die Welt unfair. Aber warum bekam ein Ferkel mit Kreditkarte eine Frau wie Mary Bittner und ein nettes Mädchen wie Shelby nicht einmal einen Trostpreis wie Mike? Nicht einmal für einen Abend?

Um Ruth und ihre letzten Bierflaschen hatte sich eine lustige Runde versammelt. Colin wusste, dass es sich noch eine Weile hinziehen konnte, bis auch die letzten aufgekratzten Tänzer aufbrachen. Also stellte er sich zu Ruth hinter den Tresen, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich muss nochmal weg. Kann ich dich wirklich alleinlassen?«

»Klar. Solange ich hier nicht übernachten muss. Du fährst mich doch heim, wenn du getan hast, was du tun musst, nicht wahr?«

Colin drückte seiner guten Freundin einen Kuss auf die Stirn, was ihm den spontanen Applaus der Umstehenden bescherte, und lief unter ihrem Gelächter zurück zur Kirche.

Die Melodie des Mörders

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