Читать книгу Der Tanz des Mörders - Miriam Rademacher - Страница 6

Samba Nicht du tanzt sie, sondern sie tanzt dich

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»Nur noch einmal hat er gesagt. Bitte. In Ordnung. Einmal noch«, sagte Colin zu sich selbst, als er im Frühnebel die Straße zu Mrs Summers’ Haus hinaufstieg.

Natürlich war der Pfarrer aus allen Dartspielen des vergangenen Abends als Sieger hervorgegangen. Und natürlich war Colin wieder zur Einlösung eines Spieleinsatzes verpflichtet worden. Wenigstens Norma freute sich auf seinen erneuten Besuch im Cottage. Sicher war sie schon da und half der garstigen Alten auf die Récamiere.

Colin schritt langsam und bedächtig voran. Seine Rückenschmerzen hielten sich an diesem Morgen in Grenzen, aber er wollte, dass es auch so blieb. Als das Cottage in seinem Sichtfeld erschien, wäre er am liebsten wieder umgedreht, aber »ein Mann ein Wort«, sagte er sich, schritt über den Gartenweg und klopfte an die Tür. Stille. Er klopfte erneut. Im Innern des Hauses schlug einer der drei Spaniels an. Sonst rührte sich nichts.

»Norma? Mrs Summers?«

Keine Antwort. Colin beschlich ein seltsames Gefühl. Sicher konnten die beiden Frauen ein Taxi zum nächsten Arzt genommen haben. Möglicherweise ging es der alten Dame nicht gut. Doch hätte Norma ihm dann nicht eine Nachricht hinterlassen? Eine Notiz an der Haustür?

Colin klopfte ein weiteres Mal, und als sich wieder nichts außer dem Hund regte, drückte er die Klinke nieder und stellte fest, dass die Tür unverschlossen war.

Er trat in den Flur. Sein Unbehagen wurde stärker.

»Norma? Mrs Summers?«

Die Tür des Wohnzimmers wurde aufgeschoben und ein aufgeregt mit dem Schwanz wedelnder Spaniel tapste auf Colin zu. Er ging in die Hocke und kraulte den Dicken hinter den Ohren.

»Wo sind denn Frauchen und Norma, hm?«

Der Spaniel rollte sich auf den Rücken und präsentierte Colin sein Bäuchlein.

»Nein, ich werde dich nicht weiter streicheln, ich werde mich jetzt mal hier drinnen umsehen. Irgendetwas stimmt hier nicht, ich kann es fühlen.«

Mit diesen Worten erhob er sich, stieg über den Hund hinweg und betrat das Wohnzimmer. Es sah aus wie am Tag zuvor. Auf dem Cordsofa lagen zwei faule Spaniels und zuckten mit den Lidern. Colin sah hinüber zum Wintergarten und hielt überrascht inne. Mit dem Rücken zu ihm saß in jenem Korbsessel, in dem er gestern gesessen hatte, Mrs Summers. Ihr violetter Hinterkopf ragte leicht über die Lehne und eine Hand hing kraftlos herab. Sie schien zu schlafen. Irritiert bemerkte Colin einen ungewöhnlich großen Ohrschmuck an ihrer rechten Kopfseite.

»Mrs Summers?«

Langsam trat er näher. Einer der Hunde gab ein leises Winseln von sich.

Colin hatte schon viele Krimis im Fernseher verfolgt und oft schien ihm der Moment, in dem die Leiche entdeckt wurde, schlecht umgesetzt worden zu sein. Doch jetzt spielte es sich alles genau so ab, wie er es schon aus der Zuschauerperspektive erlebt hatte. Er sah und roch das Blut, bemerkte die schreckgeweiteten, leblosen Augen und fühlte, wie sein Gehirn in einen Stand-by-Modus wechselte. Er vergaß zu atmen. Er vergaß zu blinzeln. Und in dem Moment, in dem sein Körper sich wieder seiner Pflichten erinnerte, schrie er, wie er seit Kindertagen nicht mehr geschrien hatte.

Er schrie noch eine Weile weiter, bis er begriff, dass niemand da war, um ihn fürsorglich in die Arme zu schließen und ins Freie zu führen. Irgendwann verstummte er und starrte auf das geronnene Blut auf Hals und Bluse, starrte auf die Mordwaffe, die noch immer in Mrs Summers’ rechtem Ohr steckte. Der rote Zeiger stand auf Huhn. Mrs Summers’ seltener Ohrschmuck war ein Bratenthermometer, das tief in ihren Schädel eingedrungen war, und die gut zehn Zentimeter lange Metallspitze kratzte vermutlich gerade an einer Gehirnwindung.

Colin fühlte Übelkeit in sich hochsteigen und endlich fielen ihm auch seine Beine wieder ein. Er rannte in Richtung Haustür, stolperte fast über den immer noch im Flur liegenden Hund und stieß frontal mit Norma zusammen, die gerade, mit Einkaufstaschen beladen, hereinkam.

»Lieber Himmel, Colin! Was hat Mrs Summers Dir angetan? Oder war der Tee wieder zu heiß?«

»Sie ist tot! Oh mein Gott, Norma! Sie ist tot!«

Norma schüttelte traurig den Kopf. »Ja, das ist eine schlimme Sache. Armes Ding. So grausam ermordet zu werden. Ich persönlich tippe ja auf einen Sexualmörder.«

»Was?«

»Man weiß natürlich noch nichts Genaues, aber du wirst sehen: Die Untersuchung wird mir Recht geben.«

»Was??«

»Das ist doch fast immer das Mordmotiv bei so jungen Dingern. Ich hoffe inständig, dass es niemand aus dem Dorf war.«

»Norma! Sie liegt da drinnen mit einem Bratenthermometer im Ohr und du rätselst hier seelenruhig herum, ob sie vergewaltigt wurde?«

»Wer hat ein Bratenthermometer im Ohr?«

»Mrs Summers natürlich!«

Norma starrte ihn einen Augenblick lang mit weit aufgerissenen Augen an. Dann stieß sie ihn zur Seite und rannte, die Einkaufstaschen einfach auf den Boden fallen lassend, durch die Wohnzimmertür.

Die Kartoffeln hatten noch nicht aufgehört zu rollen, als ihr Schrei durch das Cottage hallte.

Colin, der seinen Mageninhalt inzwischen wieder unter Kontrolle hatte, folgte ihr und schloss die schluchzende Norma in seine Arme, ohne auch nur einen weiteren Blick auf die tote Mrs Summers zu werfen.

»Oh Colin, wie fürchterlich! Wer kann nur so etwas Grausames getan haben?«, wimmerte sie, und Colin fühlte, wie ihre Tränen sein Hemd auf Bauchnabelhöhe durchweichten. Colin überlegte, ob es vielleicht eine Heulsuse, ein Spinner oder ein Trampeltier gewesen sein könnte, behielt diesen Gedanken aber vorerst für sich.

»Wir müssen die Polizei rufen«, schniefte Norma und machte sich von ihm los. »Hoffentlich sind die mit der anderen Leiche überhaupt schon fertig.«

»Andere Leiche? Welche andere Leiche?«

Colin fühlte sich völlig überrumpelt und überlegte, ob er sich überhaupt noch in der Wirklichkeit befand. Vielleicht war er heute Morgen einfach durch eine falsche Tür gegangen und in ein Paralleluniversum gestürzt. Der Gedanke, so albern er auch war, hatte etwas Tröstliches.

Norma hatte den Raum verlassen und Colin konnte hören, wie sie mit jemandem telefonierte. Er stand noch immer wie angewurzelt im Wohnzimmer und versuchte, ihrem letzten Satz einen Sinn zu geben.

Einer der Hunde sprang an seinem Hosenbein hoch, hechelte freundlich und brachte ihn damit zurück in die Wirklichkeit.

»Ich muss die Hunde hier herausschaffen«, murmelte er. Die Spurensicherung würde kommen, Männer gekleidet in Plastiksäcken, bewaffnet mit schweren Koffern. Sie würden ihn giftig anstarren, wenn sie hörten, dass nicht nur er, sondern auch eine Hundemeute über ihren Tatort getrampelt war.

Er schnappte sich den noch immer freundlich hechelnden Hund am Halsband und zog ihn hinter sich her in den Flur. Die zwei weiteren kamen neugierig näher und wollten mitspielen. Colin hörte Norma in einem anderen Zimmer mit Gläsern klirren. Kurz darauf war sie neben ihm, beugte sich zu ihm herunter, da er noch immer mit dem Streicheln von Hundeschnauzen beschäftigt war, und hielt ihm einen Cognacschwenker unter die Nase. Sie hatte sich und ihm reichlich eingeschenkt.

»Sehr aufmerksam. Obwohl mich diese kleinen Racker hier schon wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt haben. Ist es nicht seltsam, dass sie so fröhlich sind? Ihre Herrin ist tot. Müssten sie das nicht irgendwie spüren?«

»Im letzten Jahr habe ich einen alten Mann bei der Pflege seiner kranken Frau unterstützt. Er meinte zu mir, die Tatsache, dass ihr Lieblingshund kein Interesse mehr an ihr zeige, würde bedeuten, dass sie bald sterben würde. Und so war es auch. Nicht jeder Hund ist wie Lassie oder Struppi. Die meisten verlieren das Interesse an dem Sterbenden.«

Colin nahm einen Schluck Cognac und kraulte mit der freien Hand unablässig weiter. Es tat ihm gut. Es beruhigte seine Nerven und klärte seine Gedanken so weit, dass er die schon gestellte Frage wiederholen konnte.

»Welche andere Leiche?« Er hörte Norma über sich an ihrem Glas nippen.

»Sie haben in einem der Wäldchen vor dem Ortseingang eine Frauenleiche gefunden. Ein junges Mädchen. Zwei Spaziergänger haben sie entdeckt. Sie sind in Panik bis zum nächsten Cottage gelaufen und haben den Eigentümer gebeten, die Polizei zu rufen. Das hat er auch getan, gleich nachdem er all seine Freunde und Bekannten verständigt hatte. Das ganze Dorf weiß inzwischen von dem Mädchen. Jemand soll ihr den Schädel zertrümmert haben. Die Spaziergänger meinten, er habe ausgesehen, wie ein aufgeklopftes Frühstücksei.«

»Nette Beschreibung. Wie plastisch«, erwiderte Colin und schwankte dabei zwischen Ekel und Heiterkeit.

In der Ferne hörten sie eine Sirene. Augenblicke später zuckte ein unruhiges blaues Licht durch die Scheiben der Haustür.

»Nicht zu fassen! Wozu brauchen sie Blaulicht und Sirene, wenn sie doch schon tot ist?«, entfuhr es Norma.

Colin richtete sich auf und wischte sich die Hände an der Hose ab. Sie rochen trotzdem nach Hund.

»Vermutlich haben sie nicht allzu oft Gelegenheit, mal so richtig aufzudrehen. Da kommen noch mehr Wagen. Scheint, als würde es hier gleich voll werden.«


Colin behielt recht. In Mrs Summers’ Cottage herrschte nur Augenblicke später eine Verkehrsdichte wie in London am Freitagnachmittag. Auch seine anderen Visionen trafen ein. Männer in Plastikanzügen schoben ihre gewaltigen Koffer durch enge Türrahmen und zwangen ihn, Norma und die Hunde zum Rückzug in die Küche. Fast beiläufig lehnte sich Norma an die Arbeitsplatte und zog eine Schublade nach der anderen auf. Dann sagte sie plötzlich: »Interessant.«

»Interessant? Was denn?«

»In dieser Schublade liegt ein Bratenthermometer. Mrs Summers hat also nicht ihr eigenes im Ohr. Das ist doch interessant, oder nicht?« Sie schob die Laden wieder zu. »Ich werde eine Kanne Kaffee kochen. Setz dich ruhig, du bist immer noch etwas blass um die Nase.«

Colin hatte kaum in der rustikalen Eichensitzecke Platz genommen, als die Tür sich wieder öffnete und ein junger Anzugträger mit Bürstenschnitt einzutreten versuchte, beim Anblick der drei Hunde aber im Türrahmen erstarrte.

»Hallo Mike! Käffchen?«, begrüßte ihn Norma und begann bereits mit dem Portionieren des Kaffeepulvers.

»Ich bin jetzt nicht Mike. Ich bin Detective Sergeant Dieber.«

»Und du hast deinen ersten eigenen Mordfall, weil alle alten Hasen sich bei dem toten Mädchen im Wald herumtreiben, richtig? Wie fühlt sich das an?« Norma sah ehrlich interessiert aus, doch Dieber machte einen eher unglücklichen Eindruck angesichts ihres mangelnden Respekts vor seiner Person.

»Ich möchte sämtliche Anwesende bitten, sich zur Vernehmung bereitzuhalten. Ich werde mir am Tatort zunächst einen Überblick verschaffen.«

»Mach nur, mach nur«, erwiderte Norma, schon wieder ganz die Alte. »Mit Zucker und Milch?« Anstelle einer Antwort zog Dieber rasch die Tür von außen zu, als zwei der Cocker auf Tuchfühlung mit ihm gehen wollten. Colin grinste, Norma sah dem Ermittler überrascht nach. »Eigenartig. Ich wusste gar nicht, dass Mike Angst vor Hunden hat.«

»Hat er auch nicht. Er hatte nur Angst um seine Hosen.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Er hat seine Sichelbeine bis zum Anschlag durchgedrückt, das Gewicht auf die Hacken verlagert und den Oberkörper leicht vorgebeugt. Er wollte verhindern, dass einer der Hunde ihn anspringt oder sich an ihm reibt. Das ist alles.«

»Wirklich? Das hast du gesehen? Erstaunlich.«

»Eigentlich nicht. Bekomme ich auch einen Kaffee?«

Draußen nahmen die Ermittlungsarbeiten Fahrt auf. Schritte hallten, Stimmen schwirrten, und irgendjemand vor dem Haus erbarmte sich und stellte endlich das Blaulicht ab.

Norma stellte eine dampfende Tasse vor Colin ab.

»Vorsicht. Heiß.«

»Ich bin lernfähig. Milch?«

Sie reichte ihm eine Literflasche. »Kann man das lernen?«

»Was meinst du?«

»Solche Dinge zu sehen?«

»Vermutlich. Zucker?«

Mit einer Spur von Ungeduld in der Bewegung schob sie ihm eine Porzellandose mit Blütenbemalung zu. »Und was siehst du, wenn du mich ansiehst?«

Colin konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Eine gesunde junge Frau, sehr lebhaft, etwas zu neugierig, mit einer leichten Einwärtsdrehung des rechten Fußes. Ließe sich durch konsequentes Üben beheben und ich meine damit: Üben bei jedem einzelnen Schritt. Du haderst ein bisschen mit deinem Übergewicht, ziehst andauernd den Bauch ein, dabei steht er dir ganz gut. Du solltest das lassen, es führt nur zu Verspannungen im Brustkorb und einer falschen Atmung.«

Norma, die bis jetzt an den Tisch gelehnt vor ihm gestanden hatte, nahm ihm gegenüber in der Sitzecke Platz. »Colin, das ist eine Gabe. Du hast eine gottverdammte Gabe!«

»Nein, das ist Erfahrung und eine sensibilisierte Wahrnehmung. Jeder kann das trainieren, wenn er sich die Menschen um sich herum nur aufmerksam genug anschaut.«

»Und du hast das getan?«

»Über Jahrzehnte hinweg. Ich war einmal Tanzlehrer, schon vergessen?«

Erneut öffnete sich die Tür und Mike Dieber schob sich herein, den Blick fest auf drei wuselnde Cockerspaniels zu seinen Füßen geheftet.

Norma rollte mit den Augen. »Diese Hunde sind sauberer als gut für sie ist. Mrs Summers ließ sie fast wöchentlich von mir shampoonieren.«

In Mikes Haltung machte sich eine leichte Entspannung bemerkbar, die man auch auf seinem pickeligen Gesicht ablesen konnte. Colin warf Norma einen Blick zu, der so viel bedeutete wie: Habe ich es nicht gesagt?

»Sie haben das Bratenthermometer sofort bemerkt?«

»Ich hielt es für einen extravaganten Ohrschmuck.«

»Haben Sie es angefasst?«

»Nein, nur angesehen. Es stand auf Huhn.« Colin wünschte sich, er hätte den letzten Satz nicht gesagt. Dieber sah ihn an wie einen entsprungenen Irren.

»Huhn?«, entfuhr es Norma und ihre Augen weiteten sich. »Das würde ja bedeuten, dass ihre Körpertemperatur bei 80 Grad lag! Da hätte ihr aber jemand mächtig eingeheizt.«

»Möglicherweise ist es defekt«, antwortete Colin.

»Du meinst, sie war ihrem Mörder nicht einmal ein heiles Bratenthermometer wert?« Norma schüttelte schockiert den Kopf.

»Es ist möglicherweise beim Mord kaputtgegangen. So ein Kopf ist schließlich kein Schweinebraten«, mutmaßte Colin.

Diebers Blick nach zu urteilen, hielt er sie jetzt alle beide für verrückt. Er beendete den Dialog mit einer schnellen Zwischenfrage. »Und Sie kamen, um ihr Gesellschaft zu leisten?«

»Jasper, der Pfarrer, hatte mich um diesen Freundschaftsdienst gebeten.«

Um Diebers Mundwinkel zuckte es. »Wohl verloren, was?«

»Ich verliere ständig.«

»Und es war ihr zweiter Besuch bei Mrs Summers?«

»Ja, ich war gestern schon hier. Wir haben uns Fotos angesehen.«

»Fotos? Was für Fotos?«

»Vom Dorf und wie es sich über die Jahre verändert hat. Mrs Summers war eine leidenschaftliche Fotografin. Wir haben uns den rosa Karton angeschaut. Er steht im Regal.«

»Im Regal mit den Fotokartons?«

Colin war verwirrt. »Ja, sicher. In welchem denn sonst?«

»In welchem Zustand befand sich die Sammlung der Fotokartons am gestrigen Tag?«

Colins Verwirrung wuchs. »Ich verstehe die Frage nicht, fürchte ich.«

Dieber, der ihm gegenüber saß, gleich neben Norma, zog die Brauen hoch, als zweifelte er an Colins Worten. »Dann lassen Sie uns mal kurz einen Blick auf das Regal werfen.«

»Ich möchte eigentlich nicht noch einmal in das Wohnzimmer zurück«, erwiderte Colin. »Die Erinnerung an eine alte Dame mit einem Bratenthermometer im Kopf ist noch recht intensiv. Ich kann auf eine Auffrischung verzichten.«

»Dann sehen Sie eben woanders hin. Vorzugsweise in besagtes Regal.« Mit diesen Worten machte Dieber eine einladende Geste in Richtung Küchentür. Colin fand den jungen Mann zunehmend unsympathisch, folgte ihm aber in den Nachbarraum.

»Und? Was meinen Sie? Hat es gestern hier auch so ausgesehen?«

Die vorwurfsvollen Blicke des Spurensicherungsteams ignorierend, standen Dieber, Norma und Colin vor dem hohen Wandregal. Colins Blick flog zu Norma hinüber, deren Mund vor Überraschung offen stand.

»Nein«, sagte er. »Nein, gestern waren die Kartons ordentlich aufeinander gestapelt und nicht wild durcheinandergewürfelt. Auch einzeln herumliegende Fotos gab es nicht.«

Dieber nickte befriedigt. »Sie brauchen ja nicht hinzusehen, aber ist Ihnen bei ihrem ersten und einzigen Blick auf Mrs Summers nicht aufgefallen, dass sie einen Fotokarton auf dem Schoß hat und in der rechten Hand immer noch ein Foto hält?«

Colin schüttelte den Kopf. Darauf hatte er nicht geachtet und jetzt widerstand er der Versuchung, die Aussage Diebers zu überprüfen. Er hatte nur auf das Bratenthemometer gestarrt, alle anderen Einzelheiten waren durch den grausamen Anblick verdrängt worden.

»Was zeigt das Foto in ihrer Hand?«, wollte Norma wissen.

»Darüber kann ich zum derzeitigen Stand der Ermittlungen nichts sagen«, erwiderte Dieber und schob die beiden eilig aus dem Zimmer. »Sie zwei dürfen jetzt nach Hause gehen. Nach Hause und nicht in den Lost Anchor. Und treten Sie bitte keine weite Reise an.«

Augenblicke später stand Colin neben Norma auf den unebenen Gartenplatten und ertrug geduldig Normas Gemecker.

»Keine weite Reise antreten, wofür hält der sich? Unglaublich, wie überheblich jemand werden kann, sobald er einen Rang bekleidet. Aber dafür habe ich ihm auch nicht gesagt, was mir sofort aufgefallen ist.«

Colin wurde hellhörig. »Was meinst du damit, Norma?«

»Aber Colin! Hast du es denn nicht bemerkt? Der grüne Karton! Er stand nicht mehr im Regal!«

»Dann wird es sich wohl bei dem Karton auf ihrem Schoss um den grünen gehandelt haben.«

»Irrtum!«, triumphierte Norma. »Das hat es nicht. Ich habe mich beim Rausgehen noch einmal mutig zu ihr umgedreht, es war einer der vielen grauen. Der grüne Karton fehlt.«

Der Tanz des Mörders

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