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Hustle Eins führt zum Anderen

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In seinem Zimmer herrschte aufgrund des trüben Tages bereits leichtes Dämmerlicht. Colin schaltete die altmodische Stehlampe mit dem Messingfuß und dem an Elefantenhaut erinnernden Lampenschirm an und lächelte beim Anblick des in goldenes Licht getauchten Raumes.

Colin liebte dieses Zimmer. Er liebte das großformatige Motiv der Tapete aus den frühen Siebzigern, die altmodischen Ohrensessel mit ihrem ockerfarbenen Samtbezug und das klobige Bett mit dem aufwändig geschnitzten Kopfende. Jedes Möbelstück hier drinnen hatte seinen eigenen Charakter, seine Geschichte. Keine dieser Geschichten war abendfüllend oder würde die Welt verändern, aber sie alle hier drinnen in diesem warmen Licht anzutreffen, gab dem Raum Charakter und machte ihn liebenswert.

Colin ging in die winzige Kochnische und stellte den Wasserkessel auf eine der beiden Elektroplatten. Lange bevor das Wasser kochte, nahm er den Kessel herunter und füllte den Großteil seines Inhalts in seine Wärmflasche. Den Rest des Wassers ließ er weiter kochen. Es war der perfekte Tag für heißen Tee.

Nebenan wurde ebenfalls das Wasser aufgedreht. Seine Nachbarin bereitete ihr allabendliches Bad vor. Colin sah auf die Uhr. Es war gerade erst Nachmittag. Doch auch seine Nachbarin schien beschlossen zu haben, dass der heutige Tag früher in den Abend übergehen durfte als üblich. Colin hörte das Wasser in den Rohren gluckern, untermalt von einem fröhlichen Summen. Er seufzte, denn er wusste, dass es gleich in enthusiastisches Singen übergehen würde. Und da kam es auch schon. Diesmal kein Chanson. Es war The Ballad of Bonnie und Clyde. Großartig. Jetzt verhunzte sie mal eben rasch eine seiner Lieblingsballaden. Einen wundervollen und ausdrucksstarken Slow Foxtrott. Er würde doch mal ein ernstes Gespräch mit ihr führen müssen. Eines, das über Guten Tag und Guten Abend hinausging.

Der Wasserkessel pfiff. Colin goss Tee auf einen Teebeutel, trug Tasse, Wärmflasche und einen angefangenen Roman zum Ohrensessel hinüber und machte es sich so bequem wie es eben ging. Sein Rücken reagierte freundlich auf die wohlige Wärme, und in der folgenden Stunde gelang es Colin, sich trotz der schauerlichen Sangesdarbietung aus dem Badezimmer auf sein Buch zu konzentrieren.


Laute Stimmen auf dem Flur vor seiner Zimmertür weckten ihn. Er musste eingenickt sein. Ein Blick zum Fenster verriet ihm, dass es mittlerweile wirklich Abend geworden war. Der Gesang nebenan war verstummt.

Colin lauschte und versuchte gleichzeitig, wieder in die Realität zurückzufinden. War etwas geschehen? Warum wurde nebenan nicht mehr gesungen?

Eine unschöne Vision von einer nackten Frauenleiche mit einem Bratenthermometer im Ohr inmitten knisternden Badeschaums, der sich stellenweise dezent rot färbte, trieb ihn aus dem Sessel. Kaum war er in der Senkrechten angekommen, schalt er sich selbst einen Idioten. Zwei Morde bedeuteten nicht zwangsläufig eine ganze Serie von Morden. Er hielt inne und lauschte erneut. Mit einer gewissen Erleichterung erkannte er draußen vor der Tür die Stimme seiner Zimmernachbarin.

»Aber er ist doch wirklich so niedlich. Schauen Sie doch nur! Diese lustigen Öhrchen!«

Öhrchen? Colin stutzte.

»Die Öhrchen sind mir völlig egal! Es ist nicht erlaubt und dabei bleibt es.« Das war zweifellos die Stimme seiner Vermieterin gewesen. Mrs Grey schien ernsthaft erbost.

»Wenn es aber doch ein Notfall ist. Wo soll der Kleine denn sonst hin? Meine Haushälterin verbietet mir, mehr als einen bei mir aufzunehmen. Haben Sie doch ein Herz für die arme Waise, Mrs Grey.« Colin riss überrascht den Mund auf, als er die dritte Stimme erkannte. Jasper? Was tat Jasper in seiner Pension?

Mit drei schnellen Schritten war Colin an der Zimmertür und riss sie auf. Vor ihm auf dem Treppenabsatz standen drei Personen. Doch vier Augenpaare sahen ihn an. Jasper fröhlich, Mrs Grey äußerst verärgert und die Dame im Frotteebademantel aus dem anderen Zimmer sichtlich amüsiert. Das vierte Augenpaar gehörte einem karamellfarbenen Cockerspaniel auf Jaspers Arm.

»Mr Duffot. Sagen Sie Ihrem Freund, dass das nicht geht. Ich dulde keine Hunde in den Zimmern meiner Mieter!«

Colin glaubte, die Situation erfasst zu haben. Er schenkte Mrs Grey ein Lächeln von ganz besonderer Qualität. »Das verstehe ich natürlich, Mrs Grey. Ich würde doch auch keinen Hund wollen. Ich denke nur, da es sich um ein vorrübergehendes Ereignis handelt, können wir beide ja großzügig sein.« Er kam sich recht geschickt vor und strahlte in die Runde.

Doch sein Lächeln erstarb, als Mrs Grey antwortete. »Wieso vorrübergehend? Wollen Sie etwa ausziehen?«

»Ähm. Nein. Aber der Hund ist doch nur ein Gast. Wenn der Pfarrer geht, wird er den Hund wieder mitnehmen.«

»Mitnichten«, mischte sich Jasper ein, und drückte dem völlig überraschten Colin den glücklich sabbernden Cocker in den Arm. »Das ist Huey. Er gehört jetzt dir. Ich habe Dewey bei mir im Pfarrhaus, und Louie habe ich soeben bei Norma abgegeben. Wo sollen die armen Tiere denn sonst hin, jetzt, wo Mrs Summers tot ist?«

Trotz der feuchtwarmen Hundezunge, die ihm durchs Gesicht fuhr, wurde Colin kalt. Das konnte doch unmöglich Jaspers Ernst sein.

»Komm schon, Colin. Du hast heute Abend gegen mich verloren und wir hatten noch gar keinen Einsatz ausgemacht. Nun, ich habe den Fehler nachträglich korrigiert. Huey war der Einsatz und du hast ihn gewonnen.«

»Ich habe doch verloren!«

»Eben.«

Colin fühlte instinktiv, dass es dieser Antwort an Logik mangelte. Er versuchte es auf einem anderen Wege. »Selbst wenn ich wollte, Mrs Grey ist dagegen. Das musst du akzeptieren.«

»Ach kommen Sie schon, Mrs Grey«, verlegte Jasper sich nun aufs Betteln und fand auch gleich Unterstützung in Form der Badewannendiva.

Beide sahen die zierliche Witwe so flehend an, dass diese verunsichert murmelte: »Aber er will den Hund doch gar nicht.«

»Siehst du, Colin? Es liegt doch nur an dir«, rief Jasper triumphierend und wandte sich zu ihm um.

Colin unterdrückte einen Fluch. »Vielen Dank, Mrs Grey. Ich hätte nicht gedacht, dass sie mir in den Rücken fallen. Gut, bleibt der Hund eben hier, aber Sie, junge Dame«, er deutete mit dem Finger auf seine amüsierte Mitbewohnerin, »Sie gehen morgens die erste Runde mit ihm. Mal sehen, wie süß sie ihn an einem windigen Regentag noch finden.« Den Hund auf dem Arm trat Colin den Rückzug an und ließ Mrs Grey und die andere Frau einfach stehen. Jasper machte jedoch einen unerwarteten Hopser über seine Türschwelle und lud sich damit selbst ein. Netterweise übernahm er auch das Schließen der Tür.

»Das hast du großartig gemacht, Colin. Du bist auch noch ein echter Stratege, Hut ab.«

»Ich? Das bist du gewesen und das weißt du ganz genau! Was sind das überhaupt für alberne Namen, Huey, Dewey und Louie? Du willst mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass eine Frau wie Mrs Summers ihre drei Spaniels nach Donald Ducks Neffen benannt hat!«

»Natürlich nicht.« Jasper ließ sich mit einem Lächeln in Colins Sessel sinken, wobei er die Wärmflasche kommentarlos zu Boden gleiten ließ. »Aber wolltest du allen Ernstes ›Attila‹ Asyl gewähren? Oder ›Hector‹? ›Ajax‹ fand ich auch nicht wirklich besser. Das sind die Namen, die auf ihren Fressnäpfen stehen. Dieber hat sie zusammen mit den Hunden bei mir abgeliefert. Er meinte, da das nächste Tierheim meilenweit entfernt wäre, sei die Kirche für die armen Hundeseelen zuständig. Was für eine Logik. Und dieser Mensch will einen Mörder fangen?«

»Ziemlich kriegerische Hundenamen, sogar für Mrs Summers. Aber ob Huey eine Verbesserung darstellt?« Colin setzte den Hund auf den in Orangetönen gemusterten Teppich. »Huey? Huey, komm her, Kumpel!« Der Hund schoss freudig in seine Arme. »Funktioniert. Na gut, wenn du es so haben willst. Dann eben Huey.«

Colin ließ sich neben Huey auf dem Teppich nieder und kraulte seinen neuen Gefährten zwischen den Ohren. Der Hund schloss fast augenblicklich die Augen, sank auf dem Teppich nieder und schlug ein paar Mal mit dem Schwanz.

Auch Colin schien es, als hätte das Streicheln des Fells eine beruhigende, fast meditative Wirkung auf ihn. Um ein Haar hätte er es versäumt, Jasper zuzuhören.

»Ich habe über unser Gespräch im Anchor eine ganze Weile nachdenken müssen, und ich finde, Norma hat Recht.«

Colin hielt im Kraulen inne und wartete darauf, dass Jasper fortfuhr. Doch es wurde still im Zimmer. Dumpf hörte er die Nachbarin ein Liedchen trällern.

»Wirklich, Jasper, ich gebe mir die größte Mühe, aber ich habe keine Ahnung, was du meinst.«

»Wir sollten den Mörder überführen, Colin. Wir könnten es. Und wir würden nicht nur einen Verbrecher seiner gerechten Strafe zuführen, wir würden auch alle Unschuldigen von Verdächtigungen befreien und den Frieden im Dorf wahren.«

»Wer bist du? Pater Brown?«

Jasper glitt aus dem Sessel und setzte sich Colin gegenüber auf den Fußboden. Auge in Auge saßen sich die Männer gegenüber. Ein alternder Tanzlehrer und ein übergewichtiger Pfarrer. Für einen kurzen Moment hob Huey ein Augenlid an und schien auf etwas zu warten. Dann gab er ein Schnauben von sich und klappte das Auge wieder zu. Auch Jasper strich dem Cocker über das weiche Fell. »Colin, es fängt schon an. Als ich ins Pfarrhaus kam, hatte meine Haushälterin die Liste aller potentiellen Mörder bereits mit Klebeband an den Kühlschrank geheftet. Und hinter jedem Namen steht eine völlig absurde Begründung für ihren Verdacht! Als ich mir einen Joghurt holen wollte, erfuhr ich auf diese Weise, dass Bäcker Jones Brot vom Vortag als frisches verkauft! Das mag ja nicht nett sein, aber macht es den Mann zu einem Mörder?«

»Ich bin sicher, dass deine Haushälterin ein Einzelfall ist.«

»Das kann man nur hoffen, aber eigentlich weißt du es besser. Schon heute Abend werden im Anchor die ersten Wetten abgeschlossen, und gleich am nächsten Sonntag werden erste Verleumdungen noch vor Beginn des Gottesdienstes über den Kirchhof schwirren wie Hummeln in einem Lavendelfeld!«

»Und was um alles in der Welt hat das mit mir zu tun?«

»Es geht um dein Talent, Colin. Deine Gabe!«

»Blödsinn! Eine Menge kluger Menschen haben sich mit Körpersprache beschäftigt! Es gibt Bücher darüber in jeder Buchhandlung. Ganze Regalreihen voll! Und in jedem dieser Bücher steht mehr, als ich darüber weiß!«

»Auch Blödsinn! In diesen Büchern werden Thesen aufgestellt aufgrund einer Sitzhaltung, einer Handstellung oder dem Wippen einer Augenbraue. Sie schließen daraus auf die Gemütslage der Person. Du aber siehst viel mehr als nur eine Stimmung. Du hast Vivian Small ganze zehn Sekunden betrachtet und hast viel mehr gesehen als ihre Gemütsverfassung. Du hast ihr Leben gesehen!«

»Ich hätte mich genauso gut irren können.«

»Das hast du aber nicht.« Jasper lächelte plötzlich. »Nein, das hast du nicht. Im Gegenteil. Normas Dorfklatsch und mein Hintergrundwissen über die Familie passten perfekt zu deinen Beobachtungen. Willst du es denn nicht begreifen, Colin? Gemeinsam können wir das Puzzle zusammensetzen.«

»Es wird kaum ausreichen, ein bisschen Dorfklatsch, ein paar Krümel Beichtgeheimnisse und einige Beobachtungen in einen Topf zu werfen. Damit fängt man doch keinen Mörder!«

»Eher als jemand, der verwaiste Hunde im Pfarrhaus abgibt, oder jemand, der den Bäcker im Visier hat.«

Colin wusste nicht, was er sagen sollte. Er fühlte sich unwohl bei der Geschichte. Seine Beobachtungsgabe zu nutzen, damit jemand sich in seiner Tanzstunde wohl fühlte, war eine Sache. Damit aber jemanden des Mordes überführen zu wollen, eine völlig andere.

»Das ist eine riesige Verantwortung. Was ist, wenn ich mich irre? Stell dir das nur mal vor: Jemand gerät unter Mordverdacht, weil ich ihn zum Mörder gestempelt habe! Stell dir weiter vor, dieser Mensch wird diesen Stempel nie wieder los, selbst wenn er sich als unschuldig erweist. Was habe ich denn dann angerichtet? Ich könnte eine Existenz zerstören, wenn alle mir so blind vertrauen würden wie du und Norma!«

»Wir würden natürlich nie jemanden beschuldigen, wenn wir von seiner Schuld nicht völlig überzeugt wären. Erst müssten Beweise her.«

»Ach? Das auch noch? Und wie? Willst du in Gebüschen lauern oder in Wohnungen einbrechen? Jasper, ich will dich nicht kränken, aber wie willst du dich denn im Ernstfall tarnen oder verstecken? Du bist nicht gerade eine zarte Elfe, die sich unters Bett oder in einen Kleiderschrank flüchten kann.«

»Darüber müssen wir uns unterhalten, wenn es soweit ist. Möglicherweise taugt Norma zur Elfe. Irgendetwas Weltfremdes hat sie an sich, findest du nicht? Zunächst brauchen wir aber einen Schlachtplan. Wir treffen uns morgen zur Mittagszeit im Anchor.« Jasper machte Anstalten aufzustehen und Colin hielt ihn nicht zurück. Er kraulte weiter Hueys Schlappohren.

»Was sagt denn überhaupt Norma dazu?«

»Soll das ein Witz sein? Es war doch ihre Idee! Sie ist hellauf begeistert und hat vollstes Vertrauen in deine Fähigkeiten, genau wie ich.«

»Ich aber nicht! Hast du überhaupt ein Wort von dem gehört, was ich zu dir gesagt habe?«

»Morgen. Zur Mittagszeit. Im Lost Anchor. Schlaft gut, ihr zwei.«

Colin blickte auf Huey hinab und stellte fest, dass dies zumindest auf einen schon zutraf. Jasper entfernte sich mit schweren Schritten und gleich darauf klappte die Zimmertür.

Als Colin sich ein paar Stunden später in seinem Bett hin und her wälzte, um eine halbwegs angenehme Schlafposition zu finden, spürte er plötzlich etwas Feuchtes an seinem Fuß. Vorsichtig ertasteten seine Zehen eine Hundenase.

»Das nicht dein Ernst, oder?«

Doch da hatte sich Huey schon mit einer ruckartigen Bewegung unter die Decke geschoben und robbte sich gnadenlos weiter aufwärts. Colin erwog kurz, den Hund an seinen Ohren zu packen und schwungvoll aus dem Bett zu werfen, doch als sich der warme, weiche Körper wie ein Schmerzpflaster in seinen Rücken drückte und die Körperwärme des Tieres ihre Wirkung entfaltete, unterließ er es.

»Großartig. So ersetzt der Cockerspaniel im Bett das wohltuende Lammfell. Nun, ein Versuch schadet nicht«, sagte Colin in die Dunkelheit hinein. Bald darauf schlief er ein.

Der Tanz des Mörders

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