Читать книгу Hindurch ins Licht - Mirijam Schaeidt - Страница 19

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Benedikts Berufungspastoral: »Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht? Wenn du das hörst und antwortest ›Ich!‹, dann sagt Gott zu dir: ›Willst du wahres und unvergängliches Leben, bewahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor falscher Rede! Meide das Böse und tu das Gute; suche Frieden und jage ihm nach!‹«8

Es lohnt sich, wenn Du das Leben liebst! In diesem kurzen Dialog sieht Benedikt den ersten Schritt auf die Verwirklichung einer Berufung hin, und sei es die »allgemeine« Berufung zum Christsein. Eigentlich sind die Weisungen, die er gibt, fast mehr »Symptom« als Bedingung für dieses neue, längst geschenkte Leben, wenngleich sie natürlich schon aktiv übernommen werden müssen. Wir sehen es hier wieder: Im Grunde müssen wir »nur« einschwingen, dann läuft es, denn wir sind im Wirkungsbereich einer großen lebendigen Dynamik, die wir Christen »Gnade« nennen. Bedingung ist lediglich die Bereitschaft, den Tanzschritt zu lernen und zu üben. Die Musik läuft längst. Die Gnade sprudelt.

Das Gedicht oben meditiert die biblische Frage nach dem Menschen, der das Leben liebt, die Benedikt aufgreift, beziehungsweise die Antwort: Ich! Die kann nur jemand sagen, dem zuvor geschenkt wurde, ein Du zu sein, zu dem ein anderes Ich also bereits Du gesagt hat. Das Gedicht spielt ebenso auf die Gotteserfahrung des Elija an. Elija erfuhr Gott nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer – also nicht im Spektakulären, Starken, Vernichtenden –, sondern im sanften Säuseln, das ihn aus seiner Höhle lockte.9 Unsere tiefste Sehnsucht ist ein solches »sanftes Säuseln«. Wie sie sich auch immer zeigt – was aus der Tiefe pulsiert, ist immer Sehnsucht nach mehr Leben, Ur-Sehnsucht danach, aus der Lebensfülle heraus Gott loben zu können, selbst wenn uns dies nicht bewusst ist. Denn ohne ein verlässliches, ewiges DU, dem wir sie verdanken können, wäre die Fülle nichts als stehendes Gewässer, das langsam fault, oder wie eine Art Supernova10, bei der ein hell aufleuchtender Stern unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammenfällt und zu einem »Schwarzen Loch« wird, das alles in sich hineinreißt und verschluckt.

Das sanfte Säuseln »ruft schweigend«. Je tiefer unsere Sehnsucht, umso wortkarger ist sie. Ja, es gibt eine Tiefe, die keine Worte mehr kennt, sondern eher ein »Ur-Seufzen« ist, das der hl. Paulus dem Heiligen Geist zuschreibt.11 Es ist in der Tat Gottes Geist, der dieses Ur-Seufzen, dieses existenzielle Verlangen nach Leben, nach Liebe, nach … – wenn wir’s wüssten! – freisetzt, ja fast könnte man sagen, selber ist: ein schweigender Ruf. Und dann vernehmen wir es: Jemand sagt »Du«. Ja, DU! Jemand hat es gesagt, weil unsere Sehnsucht bereits darauf antwortet. Wo sich Grashalme bewegen, da ist Wind …

Nein, ich meine keine akustisch hörbaren Worte. Es ist viel mehr: ein Hören im Glauben, ganz substanziell und so real wie der Urschrei eines neugeborenen Kindes, das von seinem eigenen Schrei in den Rhythmus des Atmens geführt wird, in den Luftraum, der diesen Menschen bereits erwartet hat und ihn nun sein Leben lang ständig aufnehmen und begleiten wird. Wir werden im Geist neu geboren. Jemand sagt DU, es dringt bis zum Ohr Deines Herzens – und das Leben blüht! Deine Augen beginnen zu leuchten, alles in Dir entspannt sich. Aber Du bist nicht gezwungen, herauszukommen aus der Höhle Deiner selbstgestrickten Scheinwelt. Du bist eingeladen, da herauszukommen. Das unterscheidet Dich vom neugeborenen Kind.

»Glaub Ihn da – da für Dich.« Der Rest geht fast von alleine. Das Herz löst sich und alles Alte, Belastende strömt in die heilende Beziehungsdynamik, gelangt »in den Schoß des Erbarmers«, zu Gott, der Mitleid mit Dir hat, der Dich versteht wie sonst niemand und Dich heilen möchte – auch wenn es Zeit braucht.

Diese Begegnung mit Gott kann sich zu einem sehr bewegenden Höhepunkt verdichten. Das Herz, die Mitte unseres Wesens, atmet auf, beginnt zu brennen und grüßt lebhaft seinen Schöpfer und Erlöser. Glücklich, wem diese Erfahrung geschenkt wird. Wir können sie nicht »machen« und noch weniger festhalten. Sie wird uns zu ihrer Zeit geschenkt – und dem bewussten Erfühlen wieder genommen. Dann ist Bewährung dran, sie muss sich im Alltag als wahr erweisen und das alltägliche Beziehungsgeflecht durchdringen.

Machen wir uns nichts vor: Der Kontrast zum Alltag, wie er uns in seinen komplizierten Gef(l)echten nun einmal oft entgegenschlägt, kann heftig sein. Einladung zum Tanz? Ja, aber es ist oft ein Tanz in der Wüste; eine Wüste, die für viele Menschen aus täglich zermürbendem Verkehrsstau, zügigen Haltestellen unter der Dunst- und Lärmglocke einer Großstadt, chronisch überfüllten Bussen, farbarmen Räumen im kalten Neonlicht, toten Blicken aus übermüdeten Gesichtern, bedrückenden Ungewissheiten und Enttäuschungen sowie vielen kleinen zersetzenden Machtkämpfen und Revierabsteckungen besteht. Ganz zu schweigen vom wirklich schweren Leid, das den Alltag der Kranken und Behinderten, der Einsamen und Verzweifelten, der Gefangenen, Hungernden, Obdachlosen und vieler anderer prägt. Alle erleben die Wüste auf ihre Weise.

In der je eigenen Öde, sofern wir sie erleben, müssen wir unseren Tanzschritt üben. Es kann gelingen, wenn wir Fixierungen loslassen. »Dein Wollen wird weit, unendlich weit.« Es geht nicht darum, unseren Willen zu brechen und andere über uns herrschen zu lassen. Es geht darum, Fixierungen aufzugeben – wir brauchen sie nicht mehr –, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, unser konkretes Wollen in Einklang mit unserer tiefen Sehnsucht und in einem gewissen Maß mit der unseres Nächsten zu bringen – aber mit der tieferen, ihm selbst oft nicht bewussten. Mag sein, dass wir dann das eine oder andere Schnäppchen beim Shopping verpassen, weil wir uns aufhalten ließen, aber wir nehmen die unsichtbare Träne im stumpf gewordenen Blick unseres Gegenübers wahr und erkennen möglicherweise wichtige Schritte, die zu tun sind.

Wenn unser Wollen »weit« wird, können wir durchaus noch konkrete Einzelheiten erstreben, die uns wichtig sind – müssen es oft. Aber alles ist integriert in die größere Dynamik. »Hineingeliebt« in die Beziehung zum Liebenden schlechthin, zum Urheber des Lebens und – wie auch immer – in den Dienst am Nächsten.

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