Читать книгу FLEXEN - Mirjam Aggeler - Страница 5
Gerhild Steinbuch Friendly Fire
ОглавлениеIst es das jetzt, das sogenannte Draußen? Oder sind wir jetzt so weit drin im Ich, dass alles was da sonst noch sein kann, ohnehin egal ist? Egal. Jetzt geht’s vorwärts. Jetzt fangen wir an, jetzt brechen wir auf, jetzt legen wir los, jetzt jagen wir los, jetzt greifen wir an, jetzt greifen wir zu, jetzt drücken wir zu, jetzt treten wir zu, jetzt treten wir vor, jetzt treten wir auf. Das war einfach! Jetzt stehen wir im Licht, und das Licht ist ziemlich schön und ziemlich gleißend, ja schon schön, wenn man eine Geschichte hat, die so groß ist, dass alles, was man selbst nicht ist, darunter verschwindet. Wir erzählen uns so lange in eine Geschichte hinein, bis die sogenannte Wirklichkeit dahinter nicht mehr auffällt, bis sie nicht mehr ins Gewicht fällt, wir erzählen uns so lange in eine Geschichte hinein, bis alles, was da einmal fremd war, unter uns verschütt gegangen ist. Gibt es das noch, das sogenannte Draußen? Egal. Jetzt legen wir los, jetzt fegen wir los, jetzt fangen wir an, jetzt packen wir an, jetzt packen wir zu, jetzt kommen wir an. Nein, das war gelogen. Denn ankommen, tja, das ist etwas, das wir ohnehin nicht können. Im Leben? Nein, dort auch nicht. Und in der Liebe? Nein, dort auch nicht. Und im Körper? Nein, dort auch nicht. Und in der sogenannten Wirklichkeit? Nein, dort ganz bestimmt nicht. Wir wandern immer weiter, wir machen immer weiter, wir ziehen immer weiter, wir gehen immer weiter, wie die Geschichte weitergeht, das Leben das Reden das Vorwärts, wir fangen an, wir fangen immer von vorne an.
Und das ist die Geschichte: Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus, um aber doch immer leider nur zu mir zurückzukommen, na, besonders viel ist das ja nicht. Fremd zieh ich also wieder einmal aus, und nochmal und nochmal, um in der Fremde auf was anderes als mich zu treffen. Auf das Fremde vielleicht? Nein, vielleicht eher nicht, denn die Angst ist ein treuer Geselle, wie das Glück einer ist, die schieben sich vor das, was stattfinden könnte, nein, was nur stattfinden kann, wenn ich endlich nicht mehr da bin. Ja, ich müsste selbst den Weg mir weisen, in dieser Dunkelheit, nein, in diese Dunkelheit hinein, bis dorthin wos dann nicht mehr weitergeht, wo es mit mir dann nicht mehr weitergeht, aber Konsequenz das ist noch nie etwas gewesen, das mich, das uns ausmacht. Immer noch rechtzeitig in alle Richtungen abgebogen in Höchstgeschwindigkeit, Grenzen überwunden, Grenzen niedertrampelt, Grenzen gezogen, Grenzen wieder ausgelöscht, Leben als Geschichte geschrieben und mich in die Geschichte geschrieben, Namen gegeben und genommen, Wörter übergeworfen, mir übergezogen, das Ebenbild betrachtet, dem gleichmäßigen Atemgeräusch gelauscht, meine Stimme sagt nichts. Tja, würde sagen, das ist dann ja wohl eher dumm gelaufen, wenn diese Stimme alles ist, was mir geblieben ist. Nein, wenn Worte alles sind, das mir geblieben ist. Oder Wörter?
Egal.
Und das ist die Geschichte: Der Mensch stapft durch die trübe Weltlandschaft und passt auf, dass er aus dem Tritt kommt, nein, dass er nicht aus dem Tritt kommt. Egal! Wir wandern immer weiter. Na, der ist aber ziemlich undurchsichtig, dieser Weg, der ist aber ziemlich unübersichtlich, weil der Weltwind dauernd drüber wegfegt. Egal, wir wandern immer weiter! Der ist aber ziemlich dunkel dieser Weg, dass ich die Augen kneifen muss, nein, fest verschließen, damit das innere Licht die Dunkelheit erhellt und mir in seiner hellsten Helligkeit den Weg leuchtet. Egal, wir wandern immer weiter! Na, würde sagen, das ist aber ziemlich duster, dieses innere Licht. Egal. Ob du wirklich richtig stehst, siehst du, wenn das Licht angeht. Na, würde sagen, da kann ja nicht mehr so viel schiefgehn, denn wenn wir etwas können, ist es, uns ins rechte Licht zu rücken. Fangen an, wandern los, brechen ein, brechen auf, treten auf, und das Licht ist immer das rechte Licht, das ist ziemlich schön und ziemlich hell und ziemlich gleißend. Na, würde sagen, da kann ja nicht mehr so viel schiefgehn, denn wenn wir etwas können, ist es, so in andre Standplätze einzubrechen, dass sie postwendend wie unsre Standplätze aussehen. Oder in andre Körper?
Und das hier stimmt. Herausbrennen müsste man uns, so lange, bis wir endlich nicht mehr da sind. Aber das ist nicht die Geschichte, tut mir leid, tut mir wirklich leid. Konsequenz, das ist noch nie etwas gewesen, das uns auszeichnet.
Jetzt geht’s vorwärts!
Der Mensch strebt vorwärts mit einer Riesengeschwindigkeit, denn je höher die Geschwindigkeit desto mehr Tage desto mehr Ordnung. Je höher die Ordnung desto mehr Vorwärts desto weniger Abbruch. Das war einfach. Ja, aber die lassen sich leider nicht ganz vermeiden, diese Abbrüche, wenn sie einmal ankommen, nein, wenn wir einmal ankommen, wenn wir an die andren rankommen. Fremd aus- und eingezogen, das Fremde angezogen, vorher die schöne Oberfläche betrachtet und dann reingeschlagen mit den Fingernägeln und ordentlich zugepackt. Das war einfach. Ja, das lässt sich leider nicht vermeiden, wenn wir rankommen, dass wir die rannehmen, dass wir sie auch einnehmen, nein, dass wir sie in Kauf nehmen: die Sprachabbrüche und die Beziehungsabbrüche und die Knochenabbrüche. Egal. Wir steigen drüber weg, wir gleiten drüber weg, wir gehen zur Tagesordnung über, gehen die Tagesordnung auf und ab, wir promenieren, auf ab auf ab auf, bis wir die Lust daran verliern. Das war einfach. Ja, so ein Leben, so ein fremdes Leben, das ist schon was Schönes. So ein schönes fremdes Leben leben, das sich noch aus der Geschichte streichen lässt. Wir bitten den Fremden herein, nein, wir bitten uns als die Fremden herein, und dann ziehen wir uns das über, wir werfen uns über, wir stürzen uns drauf und wir fallen drauf rein, wir fallen da ein und hernach wird dann sogleich fremd auch wieder ausgezogen, und noch mal und noch mal: Grenzen überwunden, Grenzen niedergetrampelt, Grenzen gezogen, Grenzen wieder ausgelöscht, so, und jetzt gehts vorwärts! Nein, jetzt geht’s von vorne los: Leben als Geschichte geschrieben, uns in die Geschichte geschrieben, Namen gegeben und genommen, Leben gegeben – nein, das war gelogen – und Leben genommen – ja das natürlich schon.
Immerhin. Aber ist das jetzt ein neuer Anfang? Nein, natürlich nicht. Aber eine Schwelle ist das immerhin. Ja, aber pass auf, dass du dir an den Weltkanten nicht die Finger blutig schnitzt. So und da jetzt auf die Schwelle eins zwei drei Tropfen drauf als Menschlichkeitsbeweis, dass die Fremden draußen bleiben, die sich ständig hereinbitten lassen wollen. Na, da können die aber lange warten. Ich habe Zeit, denn manchmal, wenn die Zeit vorbeirast, schlage ich ja wie gesagt dann meine Nägelchen so schnell ein, dass sie mir nicht widerstehen kann, dass sie sich nicht widersetzen kann und mich ein hübsches Stückchen mitschleift. Verweile, Wanderer! Äh, ja, tut mir leid, keine Zeit. Jetzt bist du zwanzig, jetzt bist du achtundzwanzig, jetzt bist du zweiunddreißig, jetzt bist du neununddreißig, jetzt lernst du Eloquenz, jetzt lernst du Rhetorik, jetzt wirst du geliebt, macht ein ziemlich gutes Gefühl, machst ein ziemlich gutes Gefühl, engagierst dich, engagierst dich für was andres, engagierst dich für dich. Wenn man eine Geschichte hat, das ist schon was Schönes.
Und das ist die Geschichte: Der Mensch läuft durch die Landschaft, um sich so mit ihr zu verwachsen, dass ihm die Echtwelt nichts mehr anhaben kann. Und die unvorhergesehenen Momente? Die auch nicht. Und die ungeplanten Aufeinandertreffen? Die auch nicht. Und die Zeit? Die bestimmt nicht. Trotzdem: Unter meinen Händen zerfällt sie, meine, nein, unsere Geschichte wiederholt sich, wir stehen in den Trümmern, na, die sehen aber ziemlich gut aus, na, aber selbst wenn die ziemlich gut aussehn, müssen die jetzt leider trotzdem draußen bleiben, denn da klebt die Welt dran, pfui. Ach, wenn alles so leicht fernzuhalten wäre wie die Konsequenzen dieser Ohnmacht, die die Körper so flauschig warm ummantelt, dass sie uns gar nicht mehr auffällt. Dass uns dazu nichts mehr einfällt. Ja, dazu fällt mir jetzt auch nichts mehr ein. Na, würde sagen, dann verlass ich mich auf mein Gefühl Glaube Liebe Hoffnung als die schönen scharfen unsichtbaren Stützen, von Schützen bewacht, die ihr Ziel nie verfehlen, ja, zuerst haben wir die Stützen eingegraben und so einen Zaun in die Landschaft wachsen lassen, der das Außen vom Innen trennt. Und daran hochgezogen: weite weiße Fläche. Und darauf dann: Landschaft, die erst ihresgleichen suchen muss. Und darauf dann: trümmerlose Welt, dass die echte auseinanderfällt. Jetzt bist du müde, langweilst dich, wo ist der sogenannte Feind, der die Geschichte vorwärts treibt? Nichts von Fremden annehmen, nichts vom Fremden annehmen, – oder das Fremde annehmen als das, was fremd ist, um es hernach hereinzubitten und vertraut zu werden? Nein, natürlich nicht. Lieber das Fremde ansprechen als das, was es ja eben ist, nein, was es sein sollte und es hernach als neu geschaffene Bedrohung einfalln lassen. Ach, wenn alles nur so einfach wäre wie anstelle anderer zu sprechen, die wir ohnehin nicht hören können, nein, nicht hören wolln, weil wir mit ihrem Standplatz, der ohnehin schon immer unsrer war, so schön platzsparend verschmolzen sind. Eins zwei drei Tropfen auf die Schwelle, dass die Toten draußen bleiben, die sich ständig hereinbitten lassen wollen. Na, da können die aber lange warten. Ja, und das werden sie auch. Macht nichts. Wir haben Zeit.
Lasst uns enger aneinanderrücken, Freunde, draußen tobt die Welt! Aber ist sie das jetzt, die Schwelle in den endlich neuen Anfang? Nein, natürlich nicht. Auf der sogenannten Schwelle staut sich Mensch. Egal. Die Toten werden hier jedenfalls ganz bestimmt nicht eingelassen, die werden nicht hereingebeten, die Namenlosen, und die andren Namenlosen auch nicht, tut uns leid, die Namen des erlauchten Kreises hier, die sind ja leider alle schon vergeben und, das Recht zu sprechen, ausgebucht für dieses Jahr, aber Sie können sich gerne in diese Liste hier eintragen, ja, das können Sie machen, auch wenn das nichts bringt. Wir parken auf der Schwelle, die keinem außer uns das Leben sein soll, auch wenn unser Leben längst ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trippelt, dort drüben, wohin es geflüchtet ist, vor uns. Egal. Aufgehoben in der massigen Mitte. Oder inmitten der Masse? Wenn man eine Geschichte hat, nein, wenn man einen Körper hat, das ist schon was Schönes.
Ich komme an, aber schon im Ankommen der erste misslungene Versuch, denn was uns trennt, die Welt und mich, ist etwas, das ich ohnehin nicht überwinden kann, schon gar nicht durch die Kraft der Worte, die ja niemals meine waren, die immer schon unsre waren. Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus, um aber doch ja immer leider nur zu mir zurückzukommen, na, besonders viel ist das ja nicht. Aber es ist von Frauen auch ohnehin nichts Großes zu erwarten, vom Geburtsrecht einmal abgesehn. Nein, nicht das der grundsätzlichen Menschenwürde, nein auch kein familiäres Privileg oder schon, aber nur als sicherer Hafen, aus dem die Schiffe auslaufen, bis er sich nicht mehr selbst in Stand halten kann. Aber gestanden wird ohnehin nicht, bloß gelegen. Der steht schließlich immer schon in Frage, dieser Körper, der steht so in Frage, dass er den andren braucht, um daran festzuwerden, nicht wahr? Ja, wenn dieser Körper hier sich einmal so in Frage stellen könnte, dass dann endlich was andres kommt. Aber der stellt keine Fragen – auch weil ich mir schon die Frage stelle – egal, – nein, weil ich mir ja schon die Frage stelle –, egal, ja egal, – aber manchmal da frag ich mich, nein, ja, aber manchmal da frag ich, nein aber nein nein nein nein, dieser Körper, der stellt keine Fragen, weil er sie nicht zu stellen hat, weil er sich zu stellen hat, als Auslaufmodell Zielscheibe Zeitvertreib schöne Aussicht, der wird höchstens manchmal angesprochen, hallo, du etwas aussichtsloses Werkzeug!, ach, oder er wird einfach anspruchslos gleich mitgenommen, ohne zu fragen, sicher ist sicher. Es ist ein ständiges Zurückgerissenwerden in diesen Körper, der nicht in die Geschichte passt. Nur als Unterwerfung. Was nicht passt, wird passend gemacht. Und diese Geschichte einer Unterwerfung ist eine schöne Geschichte.
Wenn ich diesen Körper endlich nur als Frage stellen könnte, ohne Kontext, ja, wenn ich diesen Körper so als Frage stellen könnte, dass ihm die Erinnerung endlich nichts mehr ausmacht. Den Körper so in Frage stellen, dass er die Verwechslung erlaubt – Und was ist das für ein Anfang?
Egal.
Du läufst durch die Stadt, die Stadt ist eine von vielen, du schließt kurze Bekanntschaften, du schließt lange Bekanntschaften, du fickst, du redest, du unterhältst, du machst ein ziemlich gutes Gefühl, du dankst und dir wird gedankt, du bist richtig jämmerlich, egal, du machst immer weiter, du lächelst, du läufst durch den Tag, du arbeitest, du entspannst, du bist ziemlich entspannend, du schläfst, du heulst, du kommst nirgendwohin, jetzt bist du müde, egal, jetzt bist du müde, du stehst morgens auf, du schläfst oder auch nicht, liebst oder auch nicht, du benutzt deinen Kopf oder auch nicht, du benutzt ihn, um dich zu verstellen, und jetzt geht’s vorwärts: mehr Tempo mehr Tag mehr Ordnung, du kontrollierst, du redest, du hast nichts zu sagen, du weinst ein bisschen, weil dir sonst nichts einfällt, du redest, du machst immer weiter, draußen die Welt, die nicht einbricht, die nie in dich einbricht, du bleibst intakt, du redest, das ist nicht meine Stimme. Egal. Wir stehen im Licht, Grenzen gezogen, andre Grenzen ausgelöscht, in diverse Leben eingebrannt, Namen gegeben und genommen, Wörter übergeworfen: Jetzt geht’s vorwärts!, und meine Stimme, nein, jetzt geht’s vorwärts!, meine Stimme, nein, jetzt geht’s vorwärts, wir / stehen im Licht, und das Licht ist ziemlich hell und ziemlich gleißend und der Körper, jetzt ja jetzt!, läufst die Straße runter, von einer in die andre, von einer Geschichte in die andre, wir / stehen im Licht, und das Licht ist ziemlich hell und ziemlich, ja, und der Körper, aber wenn ich, nein, wenn ich –, und du bist müde, egal, bist immer müde, egal egal, und das ist die Geschichte: Alles geht immer weiter, aber das ist nicht meine, nein, aber, und das ist die Geschichte: Wir finden statt und dann finden wir statt, nein, aber, und das ist die Geschichte: Das ist nicht besonders viel, egal, jetzt geht’s vorwärts!, das ist nicht meine, nein, aber nein, jetzt geht’s, ja! Und das ist die Geschichte: Du bist immer müde, nein und das ist die Geschichte: Alles geht immer weiter, nein das ist nicht meine, nein das ist nicht meine nein das ist nicht meine nein nein nein nein nein
Einmal aufhörn, ja, das wäre schön.