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Katia Sophia Ditzler Jakarta

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Jakarta I

Das Bildungsministerium hatte zu viele Steuereinnahmen und investierte sie in Ausländer/innen, die für ein Jahr ihre Probleme zu Hause gegen indonesische Probleme eintauschen wollten. Die Mitstipendiat/innen aus Schwellen- und Entwicklungsländern studierten die indonesische Sprache, die aus dem Westen studierten irgendeine Kunst, denn was ist schon ein Jahr deines Lebens, wenn dein Leben gesichert ist? Wir würden Musik, Schattenpuppentheater und Tanz studieren. Als wir ankamen, war der Himmel grau und dramatisch, die Flughafenlichter waren Diamanten. Es dämmerte.

Während einer der viel zu langen Willkommensveranstaltungen sollten wir aufstehen und die indonesische Nationalhymne singen. Der Text wurde auf eine Leinwand projiziert. Ich blieb sitzen und sang die sowjetische Hymne, aus Spaß. Die Litauerin und die Ukrainerin neben mir waren nicht begeistert. Du und ich flohen in unser Zimmer, verschliefen den Rest des Orientierungsseminars, schauten im Fernsehen japanische Pathologiekrimis und hatten Sex. Die Kamera zoomte immer rein und raus, auf die geschockten Gesichter der Gerichtsmedizinerinnen. Wir schlichen uns raus und gingen spazieren. Es gab in der Umgebung nichts, ein paar Essensstände, Motorräder, die viel zu nah vorbeirasten. Die Leute schrien uns Wörter wie bule oder londo hinterher, die man zur grenzbeleidigenden Bezeichnung europäisch aussehender Menschen verwendet. Man musste ehrlich mit sich selbst sein: Man konnte niemals mit Leuten, von denen man sich zu sehr unterschied, sei es charakterlich, sei es finanziell, auf einer Stufe sein. In solchen Konstellationen gibt es aufgrund des Gefälles niemals echte Freundschaften. Wir würden in zwei verschiedenen, nah beieinander liegenden Städten in Zentraljava wohnen. Alles war voller Verheißung.

Im Westen Jakartas gibt es ein Diorama, in dem mit Kunstharz­figuren dargestellt wird, weshalb man 1965 unbedingt echte und angebliche Kommunist/innen sowie ethnische Chines/innen umbringen musste. Es ist dort gelegen, wo am 30.09.1965 die sieben Generäle umgebracht worden sind, was dann Suharto als Vorwand benutzte, um Sukarno loszuwerden, sich an die Macht zu putschen und Säuberungsaktionen durchzuführen. Ich versuchte, dich zu überreden, dorthin zu fahren, aber dafür war keine Zeit. Man brachte uns zum Flughafen. Ein Mann stand auf einer Friedhofsmauer, starrte auf die Straße wie ein König, obwohl sein Blick durch die Äste eines Baums behindert wurde. In den Flughäfen hingen Farbtafeln zur Urinselbstdiagnose. Ich diagnostizierte mich nicht. Wir flogen in verschiedenen Flugzeugen in unsere verschiedenen Städte. Es war September.

Jakarta II

Ich war zutraulich. Deshalb verlangte der Motorradtaxist einen anderen Preis, drei Mal so hoch wie abgemacht, vier Mal so hoch wie angebracht. Ich protestierte, er schrie, bezog die Passanten mit ein, beschimpfte mich. Ich lenkte ein.

Mein Hostel war in der Altstadt. Ich freundete mich mit einem Jungen aus meinem Zimmer an. Er war gerade aus Dublin angekommen und hieß Ryan/Eoin/Aidan mit Vornamen und Murphy/O’Sullivan/Kelly mit Nachnamen. Mein Ethnographinnenherz war glücklich. Er hatte einen Literaturpreis gewonnen, wollte Gedichte über Orang-Utans und die Zerstörung des Regenwalds schreiben. Alle heulten über Palmöl, ich sagte, dass es vielleicht keine Alternative zu Palmöl gäbe, weil Kokosöl aus Kokospalmen gewonnen wird und Kokospalmen sogar noch mehr Platz, gerodeten Regenwald und traurige Orang-Utans brauchen als Ölpalmen. Am liebsten hätte ich eine Fernsehsendung, in der ich Umweltaktivismusmythen auf süffisant-arrogante Weise aufklären würde. »Hey Miss…ter Miss…ter«, nervten die Leute am Straßenrand, als könnten sie sich nicht für ein Geschlecht entscheiden. Wir stolperten. Die Bürgersteige ergaben keine gerade Summe. Meistens gab es überhaupt keine Bürgersteige, wenn doch, dematerialisierten sie sich an den ungünstigsten Stellen oder waren ein schwarzes Loch, ein Portal zu den unendlichen Weiten der überforderten Kanalisation. Ein junger Amerikaner, Kai, war schon monatelang in diesem Hostel. Hatte eine Easy Listening-Band gegründet mit positiven, motivierenden, lebensbejahenden Texten. Er bat uns um Stichwörter, mit denen er dann positive, motivierende, lebensbejahende Liedtexte über die immer gleichen vier Akkorde improvisierte. Ich ließ ihn positive, motivierende, lebensbejahende Liedtexte über Kätzchen mit Syphilis und Hundewelpen mit Gonorrhö improvisieren, was ihm gelang. Am Tag darauf gingen wir nach Chinatown. Ich kaufte einige kleine Wachteln aus einem überfüllten Käfig frei, für je 2000 Rupiah. Der Verkäufer gab sie mir in einer braunen Papiertüte, sie sahen aus wie sich windende Karamellbonbons. Ich ließ sie im chinesischen Tempel frei. Sie waren zu benebelt von der Freiheit, die streunenden Katzen fingen die verwirrten Tiere sofort, brachen ihnen das Genick, zerkauten sie. Sie wussten, was sie taten, und sie waren zu räudig und hautkrank, als dass ich irgendetwas mit ihnen zu tun haben wollte. Die Familie Kais stammte aus der gleichen Stadt wie Mao Zedong. Weil es chinesisches Neujahr war, stellte er ein paar Räucherstäbchen auf. Ich wollte ins Propagandadiorama fahren, vergaß das aber. Auf der Straße malte einer Porträts von Osama bin Laden. Wir skypten, während ich unterwegs war, ich zeigte dir die Stadt.

Der Süden von Jakarta war nachts verwunschen, voller maligner Pflanzen und gebogener Straßen. Ich ging zu einem Poetry Slam. Eine Bekannte trat auf, sie war halb Sizilianerin, halb Britin aus London. Vor einigen Jahren war sie nach Südafrika gezogen, wo sie der malaiischen Minderheit »deren Kultur« beibrachte.

Deshalb lernte sie indonesische Tänze. Zehn Jahre zuvor war sie aus ihrer Gewaltehe geflohen, zum Islam konvertiert, lebte seitdem zölibatär. Sie sang ein Lied darüber, dass Allah ihr ein Schlaflied singen und sie fliegen lehren solle. Ich lernte eine berühmte Oberklassendichterin kennen. Die Dichterin war sehr hübsch, ihre Tochter auch, ihr Mann bösartig. Später sollte er ein Übersetzungsstipendium gewinnen und zufälligerweise den Gedichtband seiner Frau auswählen. Ein paar Monate später outete sie sich als bipolar, woraufhin sie Aktivistin für die Aufklärung über psychische Krankheiten wurde. Fernsehteams kamen zu ihr nach Hause, baten sie, beim Geschirrspülen möglichst verrückt auszusehen. Sie protestierte öffentlich.

Die Exfreundin meines Vaters löschte mich auf Facebook. Ihre Familie wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben, ich chattete oft mit ihr. Wenn ich nicht schnell genug antwortete oder erklärte, dass es Nacht war in Indonesien, löschte sie mich. Kurze Zeit später schickte sie mir wieder eine Freundschaftsanfrage.

Ich traf mich mit Umer, einem Mitstipendiaten, der eine Firma gestartet hatte. Er importierte Skalpelle aus Pakistan nach Indonesien. Erzählte mir, dass er insgeheim Israel gut fand – aber wir stritten uns darüber, ob Armenien oder Aserbaidschan im Unrecht war. Verkrochen uns hinter Marmorsäulen in einer architektonisch lächerlichen Mall und tranken Kaffee. Auf einmal sprang jemand von hinten auf mich: Anzhelika – was ein Zeichen Gottes sein musste, da wir uns von diversen Anarchistencamps in Europa kannten. Ich dachte, sie sei in Sri Lanka, sie wusste nicht, dass ich in Indonesien war, und auf einmal waren wir zur gleichen Zeit in der gleichen Mall in Jakarta. Dann verließ ich Jakarta. Es war Januar, es wurde Februar.

Jakarta III

Jakarta ist Jayakarta, Stadt des Sieges. Ich dachte immer, ich würde jemanden treffen, der jung war, solange ich ebenfalls jung war. Wir würden langsam älter werden, und wenn ich in der Zukunft das alte Gesicht sehen würde, dann würde das junge noch zu erkennen sein.

Du hattest versucht, meinen Namen zu beschmutzen, Soldaten mit Halbwahrheiten rekrutiert, sie gegen mich in Stellung gebracht. Ich verkroch mich im klimatisierten Hostel, aß eine Mahlzeit am Tag. Ich fastete. So wollte ich meine Erinnerungen verhungern lassen. Ich wusch mich nicht, denn wenn man trauert, soll man verwildern. Du wolltest, dass ich mein Haar abschneide. Ich habe mein Haar nicht abgeschnitten. Ich ließ mich auf Motorradtaxen umherfahren und weinte ästhetisch, ging zu Kurzfilmabenden. Ich spürte, dass du in der Stadt warst.

Ich konnte mich nicht verteidigen. Ich ging in Wahnsinn. Du zwangst mich zu Gesprächen, ich fand immer mehr heraus. Ich provozierte dich, lachte über dich. In mir baute ich den Widerstand auf. Meine Sehnen waren durchlöchert wie die Bürgersteige dieser Stadt, und in unvorhersehbaren Abständen gab es tiefe Löcher, in die ich fallen konnte. Ich wusste nicht, ob du strategisch vorgingst wie ein Feldherr, oder ob du einfach nur den Horror der bevorstehenden Vernichtung spürtest, das Enttarntwerden, deine Auflösung in Dampf und Asche, wenn jemand dich durchschaute. Ich sah dich, ich erkannte dich, ich sprach das Zauberwort. Du wurdest zu Nichts, du gingst in die Leere. Ich durchschaute deine Gewalt, die Mechanismen und Taktiken deiner Kontrolle. Du warst ein schlechter Gefängniswärter. Du warst zu sehr überzeugt, alles im Griff zu haben, so dass du die Löcher in deinem Netz nicht gestopft hattest. Ich hatte die Löcher entdeckt, angefangen, die Maschen zu dehnen. Bis sie groß genug waren.

Ich hielt mein Telefon fest in der Hand und las Artikel über Cluster B-Persönlichkeitsstörungen. Nahm mir fest vor, ins Diorama zu fahren. War zu müde, obwohl ich nichts tat. Manchmal arbeitete ich ­diszipliniert und besessen an Projekten. Lud Tinder herunter. Am gleichen Tag ein erstes Date, in der Nähe der Jalan Thamrin. Der Typ hatte Psychopathenaugen. Er ging bald, ich trank weiter mit westlichen Expats. Einer war ein Exdiplomat aus Kanada.

Der Exdiplomat sang Sowjetlieder mit einem Vibrato. Ich kannte die Lieder entweder nicht oder sein Akzent war zu krass, aber ich war sehr angetan. Ich ging nach Hause, bevor ich zu betrunken oder die Situation zu sexuell werden konnte. Tanzte mit der jungen indonesischen Frau eines alten Amerikaners. Er sagte mir »Gut, dass du sie eingeladen hast, sie wird sonst immer sehr eifersüchtig, wenn ich mit jungen Mädchen rede«. Der Psychopath hatte seine ziemlich hohe Rechnung nicht bezahlt, wollte, dass ich sie bezahlte, versprach, mir das Geld zurückzugeben. Ich sagte Nein, löschte seine Nummer und seine Nachrichten, blockierte ihn. War stolz auf mich. Meine Wut hattest du mir gestohlen. Jetzt kam sie wieder – sie war mächtig. Du hattest mich zuerodiert, aber es war genug von mir übrig, um mich wieder aufzubauen.

In meiner Stadt brach der Vulkan aus. Instagram und Facebook waren voller Videos der Rauchsäule, die das, was auf der Erde passierte, an den Himmel verrieten. Ich fuhr zum Flughafen und klaute aus Versehen die Codekarte des Hostels. Es war Mai.

Jakarta IV

Das erste Mal war ich in Liebe gekommen, das zweite in Sehnsucht, das dritte in Trauer. Jetzt kam ich in Heilung. Ich war im gleichen Hostel, gab ihnen die Codekarte zurück. Jeden Morgen sah ich in meinen Mails nach, ob das Visum für Australien schon angekommen war. Die Flüge nach Melbourne wurden jeden Tag teurer. Eine Bekannte, die mal mit ihrer Schwester und ihrem besten Freund (der der Scheinehemann einer meiner besten Freundinnen war) bei mir in Deutschland gewohnt hatte, würde mich aufnehmen.

Adam saß da, aus Melbourne. Seine Arme und Beine waren zerkratzt nach einer viertägigen Wanderung in Sumatra. Er sagte, sein Sohn habe viel über Politik auf Reddit gelernt. Und von Jordan Peterson. Ich sagte ihm, dass dessen Verdienst nur sei, junge Männer von aufgeräumten Zimmern zu überzeugen und Hummersymbolik zu verderben. Er fand das alles sehr positiv, denn Hummer seien unterschätzt.

Er verhörte alle Gäste, entlockte ihnen ihre geheimsten Geheimnisse. Dann erzählte er mir ihre Geheimnisse weiter. Vielleicht sollte ich einen Youtubekanal aufmachen, auf dem ich dann kontroverse politische Thesen verbreiten würde. Leute würden angepisst sein. Ich würde viel Erfolg haben.

Eine Freundin aus meiner Schule, Hannah, war auch in Indonesien für ein Praktikum und gerade in Jakarta, für ein Visum. Wir gingen zu dem Poetry Slam, bei dem die goldene Jugend Südjakartas schlechte Gedichte las und mit zittrigen Stimmen sang. Sie sprachen leidenschaftlich darüber, dass sie gerade eine einmonatige Challenge machten: keine Plastikstrohhalme mehr zu benutzen.

Am Morgen fuhren wir zum Hafen, der nach Katzenfutter roch. Die Ratten waren schamlos. Die Menschen im Hafen lebten in Ställen vor den neuen Hochhäusern, die eigentlich niemals hätten gebaut werden dürfen, aber die Regeln pflegten sich zu ändern. Korruption macht die Welt flexibel. Sie sahen aus wie normale postsowjetische Hochhäuser in der kasachischen Steppe, in der es erst unendlich leer war und dann unerwartet eine Stadt auftauchte.

Auf einem der Boote stand in Himmelblau Revolution. Kinder winkten. Die Boote waren Brücken über den Kanal, Motorräder benutzten sie. Man setzte uns im Kampung-Aquarium aus – der Slum hieß so, weil Fische seit den 1970ern von der Inselgruppe vor der Küste hergebracht wurden.

Der Fährmann war ein lächelnder Hüter der Unterwelt, reichte den Leuten beim Aussteigen die Hand. Am Eingang der Unterwelt ein Stand mit Schokoladenbananen, pisang coklat, oder in der renitenten Liebe zu Abkürzungen piscok. Wo die Fische gesalzen wurden, lebten die fettesten Katzen von Jakarta.

Wir gelangten zum Fluss, in den die Scheiße der umgebenden Hochhäuser geleitet wurde. Die Scheiße formte Muster, ich machte ein Foto, das aussah wie ein Luftbild einer majestätischen Wüste. Zwei Monate später wurde für die Asian Games das Abwasser in eine Kammer unter den Fluss geleitet, der eigentliche Fluss nahm die Farbe eines Smaragds an. Eine Blondierte trug ein blaues Kolonialzeitkleid aus synthetischem Samt, drehte ihren Papierschirm in den Händen. Sie war dazu da, mit ihr Fotos zu machen, hatte viele Kunden.

»Hit me in the face I need to feel alive«, stand auf dem T-Shirt eines Mannes.

In der Ausstellung der Kunstuni Jakartas bestand ein Exponat aus Zitaten auf Papier: »Go as a river, true love heals, drink your tea, I am here for you.«

Am Taman Ismail saßen Chuck, Nesha und ich bei den Wahrsagern, ließen unsere Beine von Moskitos zerbeißen. Die Masseure griffen ihren Kunden erotisch ins Körperfett, sehr intim und sehr öffentlich. Der Alte neben mir heulte wie ein Wolf, obwohl Vollmond vorbei war. Wir aßen gebratenes Tempeh. Am Tag danach fuhr ich mit Nesha ins Diorama. Sie war eine der vielen Affären von Chuck, die alle voneinander nichts wussten.

Sie studierte, arbeitete in Teilzeit als Hijabmodel und Modedesignerin. Beim Diorama stand ein Schild:

»Links zur blutverschmierten Kleidung der Helden, rechts zum Brunnen des Todes«. Blut war rotgeschrieben, der Rest schwarz. In den sechs Schaufenstern, die die Entführung der sechs Generäle zeigten, hatten die Privatbibliotheken der Generäle immer kultivierte Bücher stehen. Die beiden größten Schaufenster waren für den besten Propagandacoup reserviert: Sie zeigten beide die versehentliche Erschießung der fünfjährigen Tochter des Generals Nasution aus verschiedenen Perspektiven unter Verwendung viel Acrylfarbenbluts, das aber schon lange nicht erneuert worden war und abblätterte. Denn wie kann man Besucher am besten von der absoluten Bösartigkeit des Kommunismus überzeugen, wenn nicht durch überlebensgroße Kinderleichen aus Kunstharz? Ich zeigte fassungslos rhetorische Propagandastrategien auf, kommentierte Falschinformationen. Nesha nickte. Sie sagte, sie seien hier mit ihrer Grundschulklasse gewesen.

»Was denkst du darüber?«, fragte ich sie.

»Ach, ich finde es schlimm, was die Kommunisten gemacht haben.« Sie lachte diplomatisch. Ich schwieg.

Ich erinnerte mich an das, was Edward gesagt hatte, als er ein Diorama an der amerikanisch-mexikanischen Grenze besucht hatte, das die Arbeit der Grenzschützer glorifizierte: Man stellt Dioramen immer dann auf, wenn reale Artefakte oder Fotos kein gutes Licht auf einen selbst werfen würden. Mit Dioramen schafft man ein Narrativ, und Geschichten sind immer gut, denn Geschichten mag man, selbst wenn sie unwahr sind.

Am folgenden Tag fuhren Juan und ich zum Taman Mini Indonesia, dort lungerten wir mit der Diaspora von Aceh herum. Juan lernte bei ihnen Bodypercussion. Er schlug auf seine Knie ein und seine Schultern. Ich fragte mich, ob ich mit ihm schlafen sollte. Dann dachte ich mir, dass er mich eigentlich nicht interessierte.

Es waren nur Männer da.

»Willst du mal heiraten?«, fragten sie mich.

»Ich will fünf Männer«, sagte ich, »habe genug Liebe für alle.«

»Sowas gibt es bei uns nicht. Nur vier Frauen pro Mann.«

»Würdest du vier Frauen wollen?«, fragte ich den Hübschesten.

»Nein, ich möchte nur eine. Meine Seelenverwandte«, sagte er, der Riaji hieß. Ich wollte Seilbahn fahren, er wollte mitkommen. Ich kaufte uns Tickets.

»Gehst du deine Familie oft besuchen?«, fragte ich Riaji.

»Meine Familie ist beim Tsunami 2004 umgekommen.«

Wir schwiegen. Dann fuhren Juan und ich wieder in die Stadt zurück.

Man bezahlt für alles. Ich habe bei der Lotterie am Anfang meiner Empfängnis viel gewonnen und vieles bekommen, das nicht wünschenswert ist. Ich habe die Exsowjetunion noch in der Gebärmutter meiner Mutter verlassen, was wahrscheinlich das Beste war, das hatte passieren können. Ich habe viel Glück und viel Pech gehabt, und manche Rechnungen wurden mir nie gestellt. Deshalb bezahle ich in Raten, vorsorglich. Ich weiß, dass noch viele unbezahlbare Rechnungen auf mich zukommen, aber ich war auch schon oft Millionärin, dank diverser Inflationen – in indonesischen Rupiah, iranischen Rials und vietnamesischen Dong.

Umer schickte mir auf Whatsapp Bildchen mit motivierenden Sprüchen und darüber, wie man sich von Liebeskummer zu heilen hatte. Dann wollte er, dass ich in sein Business einstieg, aber ich hatte keine Ahnung von Import und Export und Skalpellen. Das australische Visum kam. Ich buchte den nächsten Flug. Es war August.

FLEXEN

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