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Vor langer, langer Zeit
ОглавлениеReisen ist in der Jugend ein Teil der Erziehung,im Alter ein Teil der Erfahrung. (Francis Bacon (1561 – 1626))
Wenn es je eine deutsche Generation gegeben hat, die der “American Way of Life“ sozusagen als erste ungeschützt überrollt hat, dann waren es sicherlich die Generation der Nachkriegskinder. Deutschland lag nach ´45 nicht nur materiell und substantiell sondern auch kulturell fast völlig am Boden. Alles, was nur irgendwie mit dem Begriff „deutsch“ in Zusammenhang gebracht werden konnte, war durch die Nazi-Diktatur und ihr totales Scheitern gründlich diskreditiert worden. Insofern hängte man das in Verruf geratene Hergebrachte betont niedrig und bediente sich, auch weil es die neuen Machthaber gewogener machte, ausgiebig im kulturellen Bauchladen der Sieger.
Die Eltern und Großeltern mühten sich nach Kräften mit den Segnungen der freiheitlich demokratischen Grundordnung angloamerikanischer Prägung. Wussten mit der plötzlichen Warenfülle nur schwer umzugehen, erwärmten sich aber dennoch allmählich für sie. Herz und Gemüt blieben indes dem Gewohnten, dem Teutonischen aufs Innigste verbunden, also im Zweifelsfall den Stars der >Ufa< wie Willi Birgel, Heinz Rühmann und Greta Garbo oder eben Interpreten vom Schlage einer Lale Andersen oder Marika Röck. Deutsche Volkslieder und sonstiges Liedgut standen weitaus höher bei ihnen im Kurs als beispielsweise Jazz oder Swing.
Anders die Nachgeborenen, deren Bewusstsein Ende der Vierziger erwachte und die in den Fünfzigern groß und pubertär und flegelig wurden. Diese flogen geradezu auf die Angebote aus der "Neuen Welt". Nicht bloß weil die bunt, schrill oder einfach modern waren, nein, sie bedienten sich ihrer zuvörderst, um das Anderssein zu dokumentieren. Der Spießigkeit ihrer Eltern oder der Erwachsen überhaupt wollten die Kinder keinesfalls anheim fallen! Also tranken diese vorzugsweise >Coca Cola<, schoben sich unentwegt Kaugummis zwischen die Zähne, bittelten, bis sich ein Hula-hoop-Reifen um deren Körpermitte drehte, träumten von ausladenden Ami-Schlitten und spielten am liebsten Cowboy und Indianer, wie sie`s sich sattsam aus Western abgeguckt hatten. Anglizismen gehörten bereits wie selbstverständlich zu ihrem Wortschatz, selbst wenn der deutsche Begriff besser gepasst oder sogar gefälliger geklungen hätte. Die jungen Leute waren dem, was da an Neuem über den großen Teich kam, von Herzen zugetan.
Und so brauchte sie keiner lange zu überzeugen, als in den Fünzigern der Musikstil des Rock´n Roll zu ihnen herüberschwappte. Auf diesen fetzigen Rhythmus hatten sie buchstäblich gewartet, drückte doch gerade er ihre Gefühlswelt am treffendsten aus. Dass die Erwachsenen ihn und seine Begleiterscheinungen wie Kleidung, Haartolle oder Gebärden im Bausch und Bogen ablehnten, war für die Heranwachsenden nur ein weiterer Beleg für die Richtigkeit und Bedeutung dieser Neuheit. Mochten die auch noch so toben oder dagegen stänkern, die Jugend fühlte sich von dieser Musik vollkommen verstanden. Folglich hießen deren Idole nicht mehr Johannes Heesters und Rudi Schuricke oder gar Richard Tauber sondern Bill Halley, Buddy Holly, Jerry Lee Lewis und natürlich Elvis Presley. Sie hingen an deren Lippen, sangen ihre Hits und guckten genau hin wie sie sich bewegten, sich kleideten und tanzten nach ihren Songs, was die Knochen und Gelenke hergaben.
Deutsche Filmproduktionen ließ die Jugend zumeist links liegen, es sei denn, es waren amerikanische Adaptionen – also eingedeutschte Fassungen der US-Originale. Alles, was Hollywood damals in die Kinos brachte, ob nun Western-, Abenteuer- oder Monumentalfilm, war unbedingt tonangebend, setzte Maßstäbe und wurde von der jungen Generation fast kniefällig bewundert. Hingehen, Ansehen und Dabeisein war gewissermaßen Pflicht. Vorausgesetzt natürlich, man verfügte über die nötigen Mittel – Geld war damals nämlich ein entscheidender Faktor und ein strenges Regulativ.
Wenn man so will, traf die Pubertierenden der amerikanische Kulturimperialismus in aller Schärfe, denn wirksame Abwehrmechanismen gab es für diese kaum. Das Deutschtum war verpönt, vorgestrig und hatte ihnen wenig zu sagen. Überdies dominierten jene Produkte, die, bedingt durch die Marktwirtschaft sowie ihre speziellen ökonomischen Liberalisierungs- und Wettbewerbsregeln, nachgefragt wurden und begehrt waren. Und da die USA auf diesem Felde einen uneinholbaren Vorsprung hatten und auch sonst gut aufgestellt waren, beherrschten sie ganze Branchen ziemlich souverän.
Mit zunehmenden Alter haben die jugendlichen Erwachsenen diese wirtschaftlichen Rattenfänger-Mechanismen natürlich durchschaut. Spielfilme, TV-Serien, Musikstile und Tanzrhythmen sowie ihre jeweiligen Stars, Idole oder Protagonisten dienten selbstredend weniger dazu, junge Menschen besser aufs Leben vorzubereiten oder den Bildungsstandard anzuheben - sollte dies ein Nebeneffekt gewesen sein, schön und gut. Das Hauptinteresse der wirtschaftlichen Akteure galt selbstverständlich den Umsätzen und dem Geldverdienen! Mit Gefühligkeit Kasse machen, das war ihr Bestreben. Ehrenrührig ist das nur insoweit, als hierbei mit den Illusionen junger, unkritischer Menschen gespielt wurde - Ausbeutung wäre der weniger feine Begriff dafür.
Doch sei´s drum. Es besteht kein dringendes Anliegen, sich hier über die Hinterlist von Wirtschaftsfuzzys zu verbreiten. Es kommt einzig darauf an klarzumachen, dass Amerika ... die Vereinigten Staaten ... alles Amerikanische und sein “Way of Life“ ... buchstäblich in junge Köpfe hineinwuchs, gewissermaßen ein Stück zu deren Identität wurden. Städtenamen wie New York, San Francisco, New Orleans und Los Angeles oder Laremie, Tucson und Abilane ist dieser Generation mindestens so bekannt wie München, Frankfurt oder Köln, obgleich viele wahrscheinlich nie im ihrem Leben dort – in Amerika also - gewesen waren. Die häufige Nennung in Filmen, Serien oder Musiktiteln genügte, um sie in deren Gedächtnis so zu verankern, als hätten sie wie selbstverständlich in ihnen gelebt oder sie zumindest ausgiebig bereist.
Der nachfolgende Kommentar eines Mannes aus der Nachkriegs- Generation verdeutlicht, wie phantasie- verzerrt die Vorstellungen von einem Land sein können, das jener ausschließlich aus Dokumentationen und Erzählungen her kennt. Es formte sich über Jahrzehnte unentwegt fort und verfestigt sich dadurch.
>>Die amerikanische Imagination war zuweilen so kräftig, dass ich mich bei dem Gedanken ertappte, ich müsse in einem früheren Leben irgendwo in so einem Westernnest gelebt haben – jedenfalls mutete meine Vorstellung von dieser typischen staubigen, menschenleeren, holzhäusergesäumten Straße, über der eine brütende Mittagsglast lag und die ich, die klappernde Saloontür im Rücken, mit zusammengekniffenen Augen hinunterblickte, ziemlich realistisch an.
Ob wir´s wahr haben wollen oder nicht: an unserem Hirnstamm pappt, beeinflusst durch die besonderen politischen Umstände der Nachkriegszeit, ein gehöriges Stück US-Amerika. Insofern ist der Wunsch nur zu verständlich, ihm auch einmal leibhaftig zu begegnen. Es einmal persönlich – auch wenn´s bloß ein bescheidenes Eckchen des kontinentweiten Landes sein sollte – in Augenschein nehmen zu können. Diese Sehnsucht schlummerte sicher stets irgendwo in den unzähligen Windungen der Hirntälern meiner Altersgruppe. Besonders aber tief in mir und meinem Hirn.<<
Wie sich doch so mancher Gedanke tief eingräbt und zu einem Wunsch festigt, der uns dann nie mehr loslässt!
Zwischen Wollen und Tun, zwischen Wunsch und Wirklichkeit klaffen indes Abgründe. Allein schon aus finanziellen Gründen war so eine Reise ein schwer zu wuppender Brocken, der durch das lange Zeit ungünstige Dollar- DMark Verhältnis noch verschärft wurde. Wer also keine Verwandten in den Staaten hatte und auch sonst nicht sonderlich vermögend war, konnte sich solch eine Reise getrost “abschminken“. Und wer obendrein, wie Herr T. gesundheitliche Einschränkungen besaß, die Strapazen eines solchen Trips scheute oder doch wenigstens abwägend zu bedenken hatte, für den würde eine amerikanische Visite aller Wahrscheinlichkeit auf ewig Wunsch und Traum bleiben. Eingedenk dessen waren die Chancen, jemals in seinem Leben die USA zu besuchen, äußerst gering, wenn nicht gar gleich null!
Dennoch , entgegen aller widrigen Umstände und fehlenden Voraussetzungen, eröffnete ihm das Schicksal eines Tages die Möglichkeit eines kurzen Aufenthalts, in dem Land von dem er schon soviel wundervolles gehört hatte. Es folgen jetzt die Reise- Erinnerung von Herrn T.. Seine Erlebnisse, Erfahrungen und Einsichten, die er ausgiebig im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sammeln konnte.