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Fremd in einem fremden Land

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Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat haben. Theodor Fontane (1819 - 1898)

Nach kurzer Nachtruhe holte uns das erwachende Heim des Gastgebers bereits gegen sieben aus dem Schlaf. Die Isolierung von Gebäuden in Holzbauweise ist bekanntermaßen bescheiden. Jedes Trippeln und Trappeln fuhr so ungefiltert durchs Haus, als besäße selbiges keine Wände. Hinzu kamen Badgeräusche sowie die allfälligen Morgenrufe gehetzter Schulkinder und genervter Eltern.

An geruhsamen Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken, dennoch blieben wir liegen bis die wilde Blase das Haus verlassen hatte. Das Frühstück der Hausfrau weckte hernach halbwegs unsere Lebensgeister; unternehmungslustig zu machen, vermochte es indes nicht. Der überlange Anreisetag steckte jetzt bleiern in meinen Knochen. Mit irgendwelchen Besuchs- oder Besichtigungsprogrammen sollte mir bloß keiner kommen! Folglich klinkten wir uns liebend gern in Rs. freitäglichen Hausfrauenplan ein und begleiteten sie zu Einkäufen in verschiedene Märkte und Geschäfte der reichlich unübersichtlichen und deshalb ein wenig orientierungslos machenden Region. Wo wir uns gegenwärtig befanden – östlich, westlich, nördlich oder südlich vom Haus? – ich hätte es nicht mit Gewissheit sagen können. Und allein zurückgelangt wäre ich gleich gar nicht.

Ohne Auto ging hier übrigens so gut wie nichts. Man benutzte den Pkw nicht nur wegen des leichteren Abtransports des stets umfangreichen Einkaufs, sondern in erster Linie zur Überwindung der beträchtlichen Entfernungen. Nichts befand sich in der Nähe oder um die Ecke – keine Schule, keine Geschäfte, keine Behörde, keine Bank ... nichts! Für jede Besorgung musste man ins Auto springen und meilenweit fahren. Washingtons Wohngürtel, bestehend aus einer Vielzahl von Orten bis hinein nach Maryland und Virginia, war dermaßen großzügig zersiedelt, dass hier ein Leben ohne eigenes Gefährt schlechterdings undenkbar schien. Insofern gehörte das Auto mindestens so selbstverständlich zum “ American way of life“ wie die Baseballkappe oder die riesigen braunen Einkaufstüten.

Unser erster kompletter Tag in Amerika war so gesehen unspektakulär. Wir machten ein wenig in Familie, schlossen uns den Gs. an und machten ihr Programm, ihren Rhythmus zu dem unsrigen. Diese Verzagtheit – oder wenn man will: Antriebslosigkeit – rührte nicht zuletzt von der niederdrückenden Erkenntnis her, dass eine souveräne Gestaltung unseres Aufenthalts nicht so ohne weiteres möglich sein würde. Hierzu hätten wir unabweisbar mobil sein, also selbst ein Auto zur Verfügung haben müssen.

Nichts leichter als das: man leiht sich kurzerhand eins! Schon richtig. Nur – wie hätte ich meine Frau, die allein von uns beiden den Führerschein besaß, über die Highways und durch die Citys jagen sollen? Sie verstand nämlich kaum ein Wort Englisch, vermochte also die Verkehrshinweise, außer vielleicht dem Rot der Ampeln oder dem Stopp des Haltschildes, nicht mal annähernd richtig zu deuten. Unter diesen Umständen wäre es unverantwortlich gewesen, sie ohne eine entsprechend lange Einweisungsphase ans Steuerrad zu zwingen. Und diese Übungszeit würde sie, das war klar, nicht bekommen. Folglich konnten wir die mobile Option nicht ziehen, ein Manko, das in den autoverrückten USA praktisch wie eine immobil machende Körperbehinderung wirkte.

Doch es gab noch ein anderes Defizit, das mir bereits in dieser frühen Phase zu Bewusstsein kam. Mein Sprachvermögen war nämlich doch mickriger, als ich geglaubt hatte. Vieles, was ich las oder hörte, verstand ich wohl, doch sollte oder musste ich selbst formulieren, geriet mein Satzbau meistens zum Such- und - finde - Spiel. Nichts ging mir wirklich leicht von der Zunge, alles musste im Kopf mühselig zusammengeklaubt und – ge-stellt werden. Wo andere mühelos parlierten, kämpfte ich – theorielastig – mit den passenden Vokabeln und den korrekten grammatikalischen Regeln. Kurzum, ich hatte schmerzlich einzusehen, dass mir die Praxis fehlte.

Leicht verständlich, dass wir wegen der mobilen und verbalen Schwächen anfangs unseren Gastgebern kaum von der Seite wichen. Die mühten sich zwar nach Kräften, uns ein wenig zu zeigen und herumzuführen, gaben aber mal mehr mal minder verblümt zu verstehen, dass sie sich unsere Visite anders, eben weniger verpflichtend vorgestellt hatten. Insofern war nicht länger zu leugnen, dass wir in einem Dilemma steckten, für das es kaum eine gute Lösung gab, mal abgesehen von der sofortigen Rückreise. Und diese Option galt es – wenn man schon mal in Amerika ist – unbedingt zu verhindern.

Wir haben, das sei verraten, durchgehalten. Allerdings glich unser Aufenthalt streckenweise einem Ritt auf der Rasierklinge, nervenfetzend und spannungsgeladen war er auf jeden Fall, und zwar von Anfang bis Ende. Doch er hatte auch seine schönen, erfreulichen und glücklichen Momente. Wie hätten wir ihn auch sonst halbwegs schadlos überstehen können!?

Amerikanische Impressionen

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