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...endlich wurde er Wirklichkeit

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Wenn einer eine Reise tut,dann kann er was erzählen. (Matthias Claudius (1740 – 1815)

Wie gebannt blickte ich durch das dicke Flugzeugfenster. Tief drunten, freigelegt von einer gefetzten und löchrigen Wolkendecke, zog ein kleiner Teil der nordamerikanischen Landmasse an mir vorüber. War es noch Kanada oder schon die USA? – Ich wusste es nicht. Egal. Hauptsache Amerika! Zweifel bestanden jetzt keine mehr, ich schwebte über der Neuen Welt. Gleichwohl zwickte ich mich vorsorglich in den Arm, um nur ja Gewissheit zu haben, dass ich wirklich nicht träumte.

Es waren riesige, weite, ebene Fleckenteppiche agrarischer Flächen. Verstreut hockten Farmgehöfte inmitten der gezirkelten Vierecke, die jetzt, Mitte November, weitgehend abgeerntet schienen und deswegen bloß ein verwaschenes Gelb-Grün-Braun zu mir heraufschickten. Allzu lange konnte es jetzt nicht mehr dauern und die Maschine, eine “Boeing 747“, wegen ihres mächtigen Leibs und Fassungsvermögens umgangssprachlich “Jumbo “genannt, würde auf dem internationalen Airport von Washington D.C. landen.

Ich nahm meinen Platz wieder ein und erzählte meiner Frau von der jüngsten Beobachtung. Die hörte jedoch nur mit halbem Ohr zu, lächelte gequält und signalisierte mir damit ein weiteres Mal, dass sie ihre flugbedingte Unpässlichkeit längst noch nicht überwunden hatte. Seit wir vor nunmehr gut zwölf Stunden in Köln abgeflogen waren, wurde sie von Schüben magenflauen Unwohlseins geplagt.

Dabei war´s eigentlich ich, der ´nen gehörigen Bammel vor dem weiten Atlantikhopser hatte. Das Fliegen war noch nie meine bevorzugte Fortbewegungsart gewesen. Jetzt jedoch kam ich in der dahindüsenden Zigarre einigermaßen zurecht und mein Eheweib hing in den Seilen. Praktischerweise und gottlob befand sich stets eine Kotztüte in Griffnähe.

Wie auch immer, die Mitteilung von der bevorstehenden Landung quittierte sie mit einer Miene der Erleichterung. Dass sie nun bald wieder festen Grund unter den Füßen haben würde, hellte ihr Gemüt ein wenig auf.

Am Boden entvölkerte sich der Riesenvogel nur zögerlich, hauptsächlich wegen des Bustransfers, der den Transport der Passagiere vom Flugfeld zum Terminal übernahm. Eine, wie ich fand, umständlichere Art als der sonst üblichen Gangway-Tunnel.

Im Ankunftstrakt durchliefen wir die sattsam bekannte Prozedur an Gepäckband und Zolltresen. Alles braucht eben seine Zeit, verlief aber dennoch reibungslos und ohne besondere Vorkommnisse. Von meiner hübschen Begrüßungsrede, die ich mir fürs amerikanische Kontrollpersonal zurecht gelegt hatte, blieben einzig der Begriff „relatives“ übrig – ich hatte demnach lediglich zu erklären, dass wir einen Verwandtenbesuch in Mc Lean machen wollten.

Mit ächzend bepacktem Kofferkuli kurvten wir durch die mit Barrieren abgezirkelten Bereiche der gleißend erleuchteten Abfertigungshalle dem Ausgang zu. Die Uhren des Traktes zeigten sieben, ... sieben Uhr abends. Zuhause, dachte ich amüsiert, ist es jetzt eins, ... wohl gemerkt: ein Uhr nachts. Darob rieb ich mir innerlich gewinnergleich die Hände. Wir hatten dem Tag nämlich ein Schnippchen geschlagen, hatten ihm, bedingt durch die Besonderheit einer Zeitzonen überspringenden Ost-West-Reise, weitere helle Stunden abgetrotzt.

Es war also noch früher Abend, die Sonne blinzelte güldenrot und wollte sich mählich in ihr Bett hinter dem Horizont senken. Ich strotzte vor Unternehmungslust; keine Spur von Müdigkeit. Wo aber war H.? Er hatte doch zugesagt, uns vom Airport abzuholen!

Bloß noch wenige Schritte und wir standen im Freien. Vor uns dehnte sich die weite, asphaltierte Fläche eines ziemlich leeren Parkplatzes. Mittendrin, neben einem bulligen Fahrzeug, stand unser Gastgeber und erwartete uns. Kurz und unaufgeregt der Empfang, nüchtern die Begrüßung, so als hätten wir uns erst vor kurzem gesehen und als wäre die lange “Anfahrt“ ein Klacks.

H., etwa einssiebzig groß, von rundlicher, leider etwas übergewichtiger Statur, mit kantigem, schmalen Charakterkopf, dunkelbraunem, vollem Kurzhaar und wachen, blauen Augen im gebräunten Gesicht, ließ wohl sein typisch gebremstes Lächeln um die Mundwinkel aufblitzen, machte aber ansonsten um unsere Ankunft kein großes Gewese.

Im Handumdrehen waren unsere Gepäckstücke im Heck des “Van“ genannten, lieferwagengroßen, kastenförmigen Fahrzeugs verstaut, und ab ging die Post. Er hatte es etwas eilig, wollte noch irgendwohin, faselte was von “Veteransday“. Ich ließ ihn reden und bestaunte erst einmal die wahrhaft großzügigen Abmessungen seines Gefährts, das nicht nur auf Transport sondern auch auf Campingbelange ausgelegt zu sein schien. Jedenfalls gab es neben den Volantplätzen vorn im hinteren Bereich weitere Sesselchen, Tischchen und Schränkchen, Video-und TV-Geräte inklusive, die an so was wie Wohnkomfort erinnerten. Diese Art der Fortbewegung passte haargenau in mein Amerikabild. Sprit war hier ja bekanntlich spottbillig, und was machte es da schon aus, wenn man bei jeder großen und kleinen Fahrt quasi sein Wohnzimmer spazierenfuhr?

Hinter einer “Toll-Station“, wo H. einen Mautbetrag in Münzen entrichtete, enterten wir den Highway – sechsspurig das Ganze, drei in jeder Richtung. “Speed 55 Miles“ geboten weiße Schilder! Und artig zuckelten drei Säulen von Fahrzeugen im 90-Kilometer-Tempo dahin. Es war ein unaufgeregtes, entspanntes Vorankommen, ein Fahren, das mir durchaus zupass kam und das einem bisweilen vorkam, als chauffiere der Autopilot. Keine Frage, diese amerikanische Eigenheit gefiel mir ausgesprochen gut. Solch ein diszipliniertes Verhalten hätte ich mir für deutsche Autobahnen ebenfalls gewünscht!

Washingtons internationaler Flughafen liegt etwa 30 Meilen nördlicher der Stadt, auf halben Wege nach Baltimore. Insofern brauchte es circa eine Stunde, ehe wir am Haus unseres Gastgebers anlangten. Das Dämmerlicht ließ indessen bloß noch eine grobe Orientierung zu, dennoch genügte es, mir rasch feste Gewissheit zu verschaffen: Ja, typisch Amerika!

Rechts und links der Straße: zaunloses Rasengrün, darauf Prachtexemplare von Laub - oder Nadelbäumen. Versetzt und in Reihe, doch stets im luftigem Abstand: weiße, meist zweigeschossige Wohnhäuser – Sprossenfenster, Schlagläden, Säulenportale und Doppelgaragen inklusive, zu denen jeweils helle, betongegossene Auffahrten hinführten. Alles war haargenau so, wie es Hollywood vieltausendfach auf die Leinwand gebracht oder ins Wohnzimmer geflimmert hatte.

Man kann über diese Besiedlungsästhetik durchaus geteilter Meinung sein; mich hat sie indes schon von jeher begeistert. Woran es liegt, weiß ich nicht einmal so genau zu sagen; sicher hat es irgendwas mit der Verspieltheit der Holzbauweise zu tun sowie dem aufgeräumten, ordentlichen, sauberen Gesamtbild der Quartiere.

Eine kleine Weile gönnte uns H. noch fürs herzliche Begrüßen seiner Familie sowie der Inbesitznahme unseres Souterrain-Zimmers, dann blies er schon zum Aufbruch. Wie bereits erwähnt, sein Ziel hieß Veteransday“! Der hänge, so erklärte er uns auf der Fahrt ins Zentrum der amerikanischen Hauptstadt, mit dem Vietnamkrieg zusammen.

Jedes Jahr am 10. November treffen sich eine Vielzahl ehemaliger Soldaten dieses Südostasienkonflikts rund um die zentrale Gedenkstätte an der “National Mall“ in Washington. Bisher sei ihm dieser Termin immer durchgegangen; heute möchte er ihn aber endlich wahrnehmen. Uns, meinem Eheweib und mir, war eigentlich nicht so sehr danach zumute; doch wenn alles so einmalig und sehenswert sei, wie unser Gastgeber es darstellte, sollte man sich schon aufraffen. Gelegenheiten müssen nun mal ergriffen werden, so sie des Wegs kommen.

So berauschend wie geschildert, verhielt es sich dann aber doch nicht. Wie immer das Treffen abgelaufen sein mochte, zu erleben, zu bestaunen, zu sehen gab es so gut wie nichts mehr. Ein paar Figuren, die bei gutem Willen als Veteranen durchgingen, schlurrten durch die schummrige Parkanlage. Zwei, drei Stände, vermutlich der kümmerliche Rest einer ehedem größeren, bunteren Veranstaltung, wurden abgebaut. Und das Denkmal selbst, bestehend aus einer etwa fünfzig Meter langen schwarzpolierten Granitwand, auf der sämtliche Namen der Gefallenen dieses Krieges in Goldbuchstaben eingemeißelt waren, lag verwaist da. Aus purer Verlegenheit ließen wir die Blicke wie zufällig über die endlosen Reihen der gefallenen Helden gleiten, guckten hernach, weil´s zum Greifen nahe lag und in seinem strahlenden Weiß herüberfunkelte, ins teilweise baueingezäunte Lincoln Memorial“ rein, bewunderten kurz die riesige Statue des berühmten Bürgerkriegspräsidenten auf seinem kühlen Thron und brausten alsdann, vom Gesehenen eher enttäuscht, gen Mc Lean.

Eins war nach diesem mäßigen Auftakt klar, Amerika würde schon, wollte es uns tatsächlich nachhaltig beeindrucken, gehörig nachlegen müssen.

Amerikanische Impressionen

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