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Schüsse auf die Pfarrversammlung

Die großen Schlagzeilen Ostbayerns: 2005 läuft in Saltendorf ein 49-jähriger Hobbyjäger Amok, tötet einen Rentner und verletzt acht Menschen schwer.

Von Isolde Stöcker-Gietl, MZ

Saltendorf. Die rund 60 Besucher des Pfarrfamilienabends hatten gerade das Lied „Großer Gott wir loben dich“ gesungen. Es war Sonntagabend gegen 21.45 Uhr. Im Gasthaus Schlosser in Saltendorf herrschte Aufbruchstimmung. Die Atmosphäre war gelöst, der Abend mit dem neuen Pfarrer Xavier Parambi harmonisch verlaufen. Niemand ahnte, dass dieser 30. Oktober 2005 das Leben der Pfarrgemeindemitglieder für immer verändern sollte. Als die Schüsse knallten, erst durch ein Fenster, dann im Flur, schließlich in der Küche und in der Gaststube, wo der Stammtisch saß, verbreitete sich Panik und Angst. Der beschauliche Ort nahe Wernberg-Köblitz war Ziel eines Amoklaufs geworden. Und der Täter kam mitten aus ihrer Gemeinschaft.

„Man versucht zu vergessen“

„Schüsse – und plötzlich herrschte Totenstille“, schrieb die MZ am 1. November 2005 auf ihrer Titelseite. Fast 20 Stunden lang hatte der Amoklauf von Saltendorf die Menschen in ganz Deutschland in Atem gehalten. Denn der Attentäter – ein damals 49-jähriger, arbeitsloser Maschinenschlosser – war auf der Flucht. Die Polizei rückte zu einem ihrer bis dahin größten Einsätze im Landkreis aus.

Die Fragen nach dem „Warum“ sind bis heute in den Köpfen der Menschen. Warum musste ein 67-jähriger Rentner sterben, warum mussten acht Menschen schwere Verletzungen davontragen, warum wollte sich der Mann an ihnen rächen? Pfarrer Xavier Parambi sagt im Gespräch mit der MZ, dass man inzwischen versuche, zu vergessen. „Die Dorfbewohner wollen nicht mehr darüber reden.“ Im Ort sei wieder so etwas wie Normalität eingekehrt. Kirwaverein, Ministranten und Landjugend sorgten für Lebendigkeit. „Die vielen engagierten Jugendlichen tun der Pfarrei gut.“

Auch der Täter gehörte zu dieser Pfarrei. Der passionierte Jäger galt als Eigenbrötler, der mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hielt und auch gerne Beleidigungen austeilte. Man mochte ihn nicht besonders und mied den Kontakt. Der 49-Jährige lebte mit seinem Vater bis zu dessen Tod auf dem Hof seines Bruders. Im Ort nannte man ihn arbeitsscheu und renitent. An jenem 30. Oktober 2005 hätte der Mann die Wohnung auf dem Hof seines Bruders räumen müssen. Das Gericht sah dies aber bei der Hauptverhandlung später nicht als den Auslöser für das Blutbad. „Die jahrelange Ablehnung und die Schmähungen durch die anderen Dorfbewohner“ seien für die Tat verantwortlich gewesen, hieß es im Urteil.

Pfarrer Parambi besucht bis heute die betroffenen Familien, darunter die Wirtsleute und die Frau des getöten Rentners. Eines der Opfer sitzt nach der Tat im Rollstuhl. „Bei diesen Begegnungen sind die Erinnerungen an die Ereignisse von damals wieder sehr wach“, sagt der Geistliche. Parambi selbst hatte an jenem Pfarrfamilienabend die Gastwirtschaft gerade verlassen, als die Schüsse fielen. „Einige Minuten nachdem ich zu Hause war, bin ich angerufen worden und eilte sofort zurück.“ In der Gaststätte habe sich ihm ein „gespenstisches Szenario“ geboten – „wie in einem Horrorfilm“. Im Flur habe er den erschossenen Rentner gesehen, daneben auf dem Boden die Verletzten. „Ich hörte die Schreie, sah das Blut“, erinnert er sich. „In so einer Situation ist man auch als Pfarrer sprachlos.“

Waffen in einem Baum versteckt

Während die Rettungskräfte und Kriseninterventionsteams sich in Saltendorf um die Verletzten kümmerten, rückte die Polizei mit einem Großaufgebot aus, um nach dem Amokläufer zu suchen. Verschiedene Jagd- und Schutzhütten in der Umgebung wurden gestürmt. Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei und des Spezialeinsatzkommandos aus Nürnberg durchkämmten Wiesen und Wälder. Der Fahndungsraum wurde schließlich auch auf Tschechien und Österreich ausgedehnt.

Am Morgen meldete sich der Täter selbst per Handy bei der Polizeidirektion Weiden gab seinen Standort in der Nähe von Kettnitzmühle durch. Dort schwenkte er eine weiße Fahne, als er die Beamten sah und ließ sich widerstandslos festnehmen. Das Versteck der beiden Tatwaffen nannte der Mann erst Jahre nach der Tat. Er hatte die Faustfeuerwaffen nahe des Gewerbegebiets Wernberg-Köblitz in einen Baum gebunden.

Am 26. April 2007 wurde gegen den Saltendorfer eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, sechsfachen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung verhängt. In der umfangreichen Beweisaufnahme stellte das Gericht die Tatabläufe in einem nachgebauten Modell der Gastwirtschaft nach. Die Richter gingen in ihrem Urteil davon aus, dass der Angeklagte die Ahnungslosigkeit seiner Opfer bewusst ausgenutzt hatte und stellte deshalb auch eine besondere Schwere der Schuld fest. Eine Revision des Angeklagten wurde vom Bundesgerichtshof verworfen. Der inzwischen 58-jährige Täter kann damit nicht nach 15 Jahren auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen werden.

„Trost finden die Menschen in der übergroßen Solidarität der Pfarrgemeinde und in ihrem Glauben“, sagt Pfarrer Parambi. Sie sitzen wieder im Gasthaus Schlosser, Vereine halten dort ihre Veranstaltungen ab und die Jagdgenossenschaft lädt zum Rehessen ein. Alles ist wie vor dem Amoklauf und doch nicht mehr ganz so wie früher, sagt Pfarrer Parambi. „Es läuft normal und doch hat sich Saltendorf verändert.“

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