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Das ewige Rätsel von Utzenhofen

Die großen Schlagzeilen Ostbayerns: Jahrelang terrorisierte ein Einwohner mit Drohbriefen seine Nachbarn. Wer der „Pumuckl“ war, bleibt geheim.


Utzenhofen, ein 300-Einwohner-Ort, sorgte damals für Aufsehen, als die „Pumuckls“ aus Schabernack Ernst machte. Fotos: Archiv/Durain

Von Pascal Durain, MZ

Utzenhofen. Der Terror in Utzenhofen endete, als „Pumuckl“ sich in „Frauholle“ umbenannte – nach fast einem Jahrzehnt kehrte der Frieden in das 300-Seelen-Dorf zurück. Doch die Zeiten, in denen sich abends kaum jemand aus dem Haus wagte, sind unvergessen. Ein Nachbar verfasste unter Pseudonym Droh- und Schmähbriefe. Die 300 Einwohner waren anfangs amüsiert, später verärgert, dann verunsichert und wieder verärgert. Niemand dachte, dass es am Samstag, dem 22. Oktober 1988, zu der Tat kommen könnte, über die die „Bild“-Zeitung und der „Spiegel“ berichten sollten. Der Mesner wurde entführt, Pumuckl hatte ihm vorher mit Folter und Tod gedroht. Und bis heute sind die Utzenhofener gespalten: Hielt der Mesner alle zum Narren oder war er das Opfer der „Pumuckl-Mafia“?

Stefan Braun kennt die Antwort darauf nicht. Der Bürgermeister des Marktes Kastl war aber dabei, als es ernst wurde und Hubschrauber über dem Dorf kreisten, um die Geisel zu finden. Heute, mehr als 25 Jahre später, sitzt Braun in seinem Wagen, deutet auf einen Weg auf der anderen Seite des Dorfs und spricht in Konjunktiven. Niemand weiß wirklich, was damals passiert ist. Der Tatablauf bleibt Spekulationssache. Doch da oben auf dem Feldweg, sagt Braun, könnten „die Pumuckls“ mit ihrer Geisel entlang gefahren sein. So hätte man den Mesner ganz bequem zu dem Baum bringen können, an dem ihn die Polizei fand. Braun war damals Aktiver bei der Feuerwehr und durchforstete so viele Büsche auf der Suche nach dem Opfer, bis es dunkel wurde. Erst am nächsten Morgen war der Spuk vorbei, als der Mesner, ein hagerer Mann – sehr fromm, sehr nett, gutmütig und bis dahin sehr unverdächtig – so aufgefunden wurde: gefesselt, unterkühlt, nur in Unterwäsche bekleidet, das Gesicht mit Ruß geschwärzt, aber nicht in Lebensgefahr. Eine halbe Stunde lang schrie er: „Helft’s ma, helft’s ma, i stirb!“ bis ihn eine Nachbarin hörte.

Das war der Höhepunkt des „Pumuckls“, der sich nach dem frechen Kobold (Selbstbeschreibung: „Pumuckl neckt, Pumuckl versteckt“) aus der Serie von Ellis Kaut benannt hatte.


Drohbrief in wirrer Diktion – so sah Post von den „Pumuckls“ aus. Fotos: Archiv/Durain

Eine mysteriöse Entführung

Fast zehn Jahre lang dauerte der Terror des anonymen Autors, der seine Briefe später im Plural unterschrieb. Post erhielten die Bürgermeister, die „wichtigmacher in der Kierche“, Bischof Manfred Müller oder sein Generalvikar, die Presse, die Vereinsvorsitzenden, fast jeder im Dorf. Die meisten Briefe erhielten die hohen Geistlichen: der Pfarrer und sein Mesner. Irgendwann gaben die Kirchenleute auf, wechselten die Stelle oder setzten sich zur Ruhe. Die Kriminalpolizei nahm das Dorf unter die Lupe; als der Mesner über einen Draht stolperte, der vor dem Altar gespannt war.

Der anonyme Schreiber kannte sich bestens mit Dorfinterna aus: Er wusste zum Beispiel, dass die Kirchenglocken auch mal für einen evangelischen Verstorbenen geläutet haben, dass das neue Jahr mal acht Minuten zu spät eingeläutet worden war oder dass der Mesner die Zeiger der Kirchenuhr schon am Nachmittag auf die Sommerzeit umstellte.

Josef Lettl leitete damals die Kriminalpolizei in Amberg und er erinnert sich natürlich an diesen Fall. Anfangs seien nur ein paar Schmähbriefe in die Briefkästen geworfen worden, „dann wurde es massiver.“ Alle dachten anfangs nur, da erlaube sich jemand einen derben Spaß. Doch der hörte auch für die Beamten auf, als der Pumuckl seine Drohung umsetzte, und die Tochter des Mesners eines Tages nur den verlassenen Traktor ihres Vaters und einen Brief fand: „Der Weg geht nach Wackersdorf, dord wird er gefangengehalten bis wir ein loesegeld von 100000 d.m. erhalten haben . . .“, schrieb der Pumuckl. Vom Familienvater keine Spur.

Der Mesner tauchte erst am folgenden Tag wieder auf – nicht in Wackersdorf, sondern am Ortsrand. Der Polizei erzählte er, er sei von zwei maskierten Männern bei der Arbeit auf dem Feld überfallen und mit einer K.o.-Tablette betäubt worden. Er habe Todesangst gehabt, als die Entführer ihm im Auto die Augen verbunden hätten. Doch den Ermittlern kamen schnell Zweifel.

Kripo-Chef Lettl hat den Tatort noch vor Augen: „Die Spuren haben überhaupt nicht übereingestimmt.“ Schon der Fundort sei ungewöhnlich gewesen – der Mann hätte schon viel früher entdeckt werden müssen. Während der Vernehmung habe sich die wiederbefreite Geisel immer wieder in Widersprüche verwickelt, als Lettl nach Details fragte, habe der Mesner sich verflüchtigt und nur gesagt: Er könne sich nicht erinnern. Als passionierter Reiter kannte sich Lettl allerdings mit Knoten aus. Und dem Polizisten ist von Anfang an eines besonders aufgefallen: „Hätte der Entführte an der einen Seite des Seils gezogen, hätte der Knoten sich gelöst.“

Lettl ist sich daher nach wie vor sicher: „Die Entführung war vorgetäuscht.“ Nachzuweisen war dem Mesner, der Mann, der die Briefe des Pumuckls erst bekanntmachte, am Ende aber nichts. Allerdings: Geiselnahme und Entführung verjährt nicht. Die Akten sind noch nicht geschlossen.

Für den pensionierten Polizisten war es eine „Provinzposse, die a bisserl tragisch war“. Um den Schelm zu finden, habe man nichts unversucht gelassen: Beamte ermittelten im Wirtshaus, wühlten im Müll nach einer gestohlenen Schreibmaschine des Mesners, Schriftgutachten wurden angefertigt, selbst die Ministranten wurden vernommen. „Was das alles gekostet hat...“, stöhnt Lettl. Nach außen hin sei zwar nichts passiert, aber zwei Pfarrer hätte der „Pumuckl“ mit seinem Briefterror verjagt.

„Die Toten soll man ruhen lassen“

Das war auch der Grund, warum der damalige Bürgermeister Utzenhofens keine Ruhe gab und einen Brief an die Staatsanwaltschaft schrieb, nachdem Polizisten die Fahndung zwischenzeitlich aufgegeben haben. Hans Raab sagt heute: „Die Aufregung war eben groß.“ Er habe erlebt, wie sich die ganze Ortschaft an dem Fall aufgerieben habe: Im Wirtshaus gab es kaum ein anderes Thema. Die Folge: wüste Spekulationen und Anschuldigungen. Der Mesner trat von seinem Amt zurück.

Als der Pumuckl im September 1989 verkündete, künftig „Frauholle“ zu heißen und dass der Friede zurückkehren werde, seien alle zwar froh gewesen – Klarheit hätten sich die Bürger aber auch gewünscht. Inzwischen verbreitet der kriminelle Kobold keinen Schrecken mehr im Dorf. Raab beruhigt: „Letztendlich ist niemand ernsthaft geschädigt worden. Die Toten soll man auch ruhen lassen.“

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