Читать книгу Tartuffe - Molière - Страница 10
Оглавление6. Auftritt
Orgon, Cleante
Cleante: Schwager, sie macht sich ausgesprochen lustig über dich, und, obwohl ich dich nicht verärgern will, muss ich dir offen gestehen, dass sie damit ganz recht tut. Hat man je von solcher Hingabe gehört? Und kann ein Mann heutzutage so viel Charme haben, dass jemand alles andere vergisst, obendrein seine Geldsorgen lindert, ihm ein Heim gibt, und dann noch ––– .
Orgon. Halt ein, lieber Schwager, du kennst den Mann nicht, von dem du gerade redest.
Cleante. Richtig! Da du es so willst, kenne ich ihn nicht; aber, um zu sagen, was für ein Mensch er ist ––– .
Orgon. Lieber Schwager, du wärst entzückt, ihn zu kennen; deine Schwärmerei für ihn würde kein Ende mehr finden. Er ist ein Mann, der – ach! – tatsächlich – ein Mann, der dem, der seinen Anweisungen folgt, vollkommenen Frieden gibt; der Rest der Welt bedeutet ihm nicht mehr als einen Haufen Mist. Die Gespräche mit ihm haben mich gänzlich verwandelt; er entwöhnt mein Herz von jeder Freundschaft, lehrt mich, nichts auf Erden zu lieben; ich könnte meinen Bruder, meine Kinder, meine Mutter und mein Weib sterben sehen, und es wäre mir gleichgültig – ein Klacks.
Cleante. Ich muss schon sagen, Schwager, deine Gefühle sind äußerst menschlich!
Orgon. Ach! Wenn du ihn so kennengelernt hättest wie ich, hättest du ihn ebenso liebgewonnen. Er kam jeden Tag mit zerknirschter Miene in die Kirche und kniete sich genau gegenüber meinem Platz nieder. Mit seinen inbrünstigen Gebeten zog er die Augen der ganzen Gemeinde auf sich; unter tiefen Seufzern und Stoßgebeten küsste er immer wieder demütig den Boden vor sich, und wenn ich die Kirche verließ, lief er vor mir her, um mir an der Tür Weihwasser zu spenden. Nachdem ich seinen Diener befragt hatte, der ihm sehr ähnlich ist, erfuhr ich von seiner Armut, und wer er war. Ich machte ihm einige Geschenke, doch in seiner Bescheidenheit wollte er immer etwas zurückgeben. "Es ist zu viel", sagte er, "weniger als die Hälfte wäre schon zu viel; ich bin Ihres Mitleids nicht würdig." Wenn ich mich dann weigerte, etwas zurückzunehmen, ging er vor meinen Augen hin und verteilte es an die Armen. Schließlich hieß mich der Himmel, ihn bei mir aufzunehmen, und seit jenem Tag scheint hier alles zu gedeihen. Er verurteilt alles, und um meinetwillen passt er sogar auf meine Frau auf; er lässt mich wissen, wer ihr schöne Augen macht, und scheint sechsmal so eifersüchtig zu sein wie ich selbst. Du glaubst nicht, wie weit seine Inbrunst gehen kann: Er nennt sich selbst einen Sünder, selbst, wenn es nur um Kleinigkeiten geht; selbst das kleinste Vergehen erschüttert ihn – so sehr, dass ich neulich hörte, wie er sich selbst vorwarf, in seiner Wut während des Gebets eine Fliege gefangen und getötet zu haben.
Cleante. Donnerwetter, Schwager, ich glaube, du bist verrückt! Oder aber du machst dich mit solchem Gerede über mich lustig. Was bezweckst du nur mit all dem Unsinn?
Orgon. Schwager, deine Wortwahl zeugt von Gottlosigkeit; und ich vermute, dass auch deine Seele damit schon ein wenig befleckt ist. Ich habe dir schon oft gepredigt, dass dich ein göttliches Urteil ereilen wird.
Cleante. Das ist doch nur wieder die übliche Masche von Ihresgleichen – alle müssen so blind sein wie ihr selbst. Ihr nennt uns Atheisten, nur weil wir noch gute Augen haben, und wenn wir nicht dieselben eitlen Fratzen anbeten wie ihr, sind wir Ungläubige oder haben keinen Sinn für heilige Dinge. Nein, oh nein; solches Gerede kann mich nicht länger schrecken; ich weiß, was ich sage; der Himmel ist mein Zeuge. Wir sind nicht länger die Tölpel für euren frömmelnden Mummenschanz. Wo es falsche Helden gibt, gibt es auch falsche Verehrer; und so, wie echte Helden nie viel Aufhebens um ihre Ehrentaten machen, so machen auch echte Verehrer, denen wir folgen sollten, keine große Schau um nichts. Willst du mir erzählen, dass du den Unterschied zwischen Scheinheiligkeit und echter Frömmigkeit nicht erkennst? Und willst du etwa beides gleich behandeln – aufgesetzten Masken und echten Gesichtern dieselbe Ehre erweisen, den Schein mit der Wirklichkeit verwechseln, ein Phantom für einen lebendigen Menschen und Falschgeld für bare Münze halten? Menschen sind meistens seltsame Geschöpfe, wahrlich! Man findet sie nie die goldene Mitte nehmen; die Grenzen gesunden Menschenverstands sind ihnen zu eng gesteckt und müssen ständig überschritten werden, und zwar in jeder Richtung; sie schaffen es, selbst die erhabensten Dinge zu verderben, weil sie zu weit gehen und alles auf die Spitze treiben. Das alles sei nur beiläufig bemerkt, werter Schwager.
Orgon. Du bist der einzig wahre Vertreter der Gelehrtheit; alle Weisheit wird mit dir sterben, werter Schwager, kein Zweifel. Du bist der einzige Weise, der einzige Erleuchtete, das Orakel, der Cato unseres Zeitalters. Verglichen mit dir sind alle anderen Menschen die reinsten Narren.
Cleante. Ich bin nicht der einzig wahre Vertreter der Gelehrtheit, und auch die Weisheit wird mit mir nicht sterben, lieber Schwager. Aber eines weiß ich ganz genau, selbst wenn es das einzige sein sollte, nämlich, dass es einen Unterschied gibt zwischen falsch und echt. Und so, wie ich keinen Helden bewundernswerter finde als einen Mann wahren Glaubens, nichts vornehmer und schöner als den heiligen Eifer echter Frömmigkeit, so denke ich auch, dass es nichts Verabscheuungswürdigeres gibt als jene unverschämten Scharlatane, jene schmarotzenden Eiferer, deren frevelhafter, trügerischer Schein nach Belieben täuscht und ungestraft alles verhöhnt, was dem Menschen heilig ist; Männer, die einzig und allein ihren selbstsüchtigen Interessen dienen, aus der Frömmigkeit Handel und Ware machen, und versuchen, Einfluss und Amt mit falschem Augenrollen und affektierter Verzückung zu kaufen; jene Männer, sage ich dir, die mit außergewöhnlicher Inbrunst auf dem Weg zum Himmel nur ihr eigenes Glück im Sinn haben; die äußerst geübt sind im Gebet, immer viel zu bitten haben, und gleichzeitig anderen Menschen Enthaltsamkeit predigen; die mit dem Glauben ihre eigenen Laster überdecken, schnell in Wut geraten, treulos und hinterlistig sind und die Kühnheit besitzen, ihren privaten Groll als himmlische Fügung zu verkaufen, um einen Mann zu zerstören. Sie sind umso gefährlicher, da sie in ihrem Zorn Waffen gegen uns einsetzen, die die Menschen verehren, und während sie die Welt dazu bringen, ihrer Passion zu applaudieren, versuchen sie uns mit einem geweihten Schwert zu erstechen. Es gibt viel zu viele dieser scheinheiligen Genossen. Doch die Aufrichtigen sind dennoch leicht zu unterscheiden; Und selbst in unserer Zeit finden sich direkt vor unseren Augen prächtige Vorbilder. Sieh nur auf Ariston, Periandre, Oronte, Alcidamas, Clitandre und Polydore; niemand leugnet ihren Anspruch auf den wahren Glauben, dennoch sind die keine Wichtigtuer in Sachen Tugend. Sie stellen sich nicht auf unerträgliche Weise zur Schau, und ihre Religion ist menschlich und langmütig. Sie verurteilen nicht ständig all unsere Handlungen, weil sie so ein Verhalten für anmaßend halten würden, und während sie die prahlerischen Worte anderen Menschen überlassen, tadeln sie unsere Taten allein durch ihre. Böser Schein genießt bei ihnen wenig Ansehen; typischerweise neigen sie sogar dazu, stets das Beste von anderen zu denken. Sie sind keine Ränkeschmiede, keine Intriganten, sie kümmern sich um ihr eigenes, rechtschaffenes Leben. Sie attackieren einen Sünder nicht mit Zähnen und Klauen, denn die Sünde an sich ist das einzige, auf das sich ihr Hass richtet; auch eifern sie nicht danach, im Namen des Himmels weit mehr zu versuchen, als dieser will. Das ist meine Art von Mensch, das ist wahres Leben, das ist das Vorbild, nach dem wir streben sollten. Du rühmst dich seiner Inbrunst, aber ich glaube, du bist nur seinen falschen Vorspiegelungen aufgesessen.
Orgon. Mein lieber, guter Schwager, bist du nun fertig?
Cleante. Ja.
Orgon. Ich bin dein untertänigster Diener. [Macht sich auf zu gehen].
Cleante. Nur noch auf ein Wort. Das andere Thema lassen wir mal beiseite. Es geht um Valere und deine Tochter, die sich einander versprochen haben.
Orgon. Und?
Cleante. Du hattest den Tag der Hochzeit bereits festgelegt?
Orgon. Das stimmt.
Cleante. Warum hast du dann die Feierlichkeiten verschoben?
Orgon. Das weiß ich nicht.
Cleante. Hast du vielleicht einen anderen Plan gefasst?
Orgon. Vielleicht.
Cleante. Dann willst du also dein Wort brechen?
Orgon. Habe ich das je behauptet?
Cleante. Ich hoffe, nichts kann dich davon abhalten, dein Versprechen zu halten.
Orgon. Nun, das kommt darauf an.
Cleante. Warum redest du um den heißen Brei herum? Valere hat mich hergeschickt, um die Angelegenheit zu regeln.
Orgon. Der Himmel sei gepriesen!
Cleante. Welche Antwort darf ich ihm überbringen?
Orgon. Nun, die, die dir am besten gefällt.
Cleante. Aber wir müssen doch deine Pläne kennen. Wie lauten diese?
Orgon. Ich werde mich nach dem Willen des Himmels richten.
Cleante. Komm, bleib bitte ernst. Du hast Valere dein Versprechen gegeben. Wirst du es jetzt halten oder nicht?
Orgon. Auf Wiedersehn!
Cleante. [Allein] Mich dünkt, seine Liebe ist in großer Gefahr. Ich muss gehen und ihm erzählen, was hier geschieht.