Читать книгу Stille Tage in Paris - Monica Armstrong, Christine Trapp - Страница 4
2. Dimanche à Paris
Оглавление7 Uhr früh. Sonntag, 7 Uhr früh. Das téléphone portable gibt in der putain Paris keine Ruhe. Mein Dad aus LA ist dran und gibt mir neue Instruktionen, was seiner Meinung nach für meine erste Woche in Paris entscheidend sein könnte.
Fichu! Mein Vater hat um 10 p.m. West-Coast-Zeit nichts Besseres zu tun, als sich über mein Tun und Lassen in der verbotenen Stadt Paris am Laufenden zu halten; natürlich stehen die geschäftlichen Belange im Vordergrund der väterlichen Ermahnung.
„Also, die ersten beiden US-Crews sind kein Problem, alles Second Units, die die üblichen Sehenswürdigkeiten in Paris filmen wollen. Wir haben dafür ein Abo, Duane wird dich informieren. Wichtig ist, dass du die Meute vom Flughafen abholst und ins Hotel bringst. Du buchst die Taxis, denn Amis stellen sich total doof im Ausland an und suchen überall Schlechtpunkte, um den Preis später runterreißen zu können. Zieh dich einfach sexy an, mehr Figur, Overknees, auf den Trick fallen die Amis immer rein, alles klar, Babe?“
„Dad, ist dir klar, was du da sagst?“
„Very well. Wieso nicht? Wage es nicht zu behaupten, dass du keine Overknees hast, Babe?“
„Kommt dir das nicht zu nuttig vor?“
„Zu nuttig?“
„Total nuttig, Dad.“
„Ach was, wer wird denn so zimperlich sein, Sweety, du kochst die Amis richtig ein, das hat in diesem spießigen Österreich auch geklappt, wieso sollte es bei den Amis nicht klappen? Viel Spaß mit den Jungs aus New York City oder was weiß ich, woher die Crews kommen. Hauptsache, sie zahlen“, sagt Dad.
„Oh my God.“
„Was?“, fragt Dad.
Aber ich sage nichts mehr. Dad geht es nur ums Geld, und da sind Gegenargumente sinnlos.
„Ein ganz heißes Eisen sind die Dreharbeiten, die Alberto aus Rom mir aufgeschwatzt hat. Ich mache es nur, weil er ein alter Freund von meinem Dad, also deinem Grandpa, also des Verrückten ist, und da konnte ich einfach nicht nein sagen, obwohl das ganz gegen die Firmenphilosophie der Neuen West-Film ist. West-Film macht nur noch Serien. Okay, Dad glaubt, den richtigen Riecher zu haben, und sagt, dass das Projekt auch finanziell interessant werden könnte und das Budget, mit dem wir, also West-Film USA, mitgehen, moderat ist. Achtung: Der Regisseur dieses Films, mit dem an sich guten Arbeitstitel Stille Tage in Paris, ist ein junger italienischer Irrer, der bisher nur durch unverkäufliche Ware negativ aufgefallen ist, Fernsehware und Totalflops an der Kinokasse, aber die Idioten in Italien starten ja alles in ihren Kinos. Gut, der letzte Film des Regisseurs – wie heißt der Mann gleich, ich glaube Salvatore – hat doch ein bisschen was eingespielt, es soll sich um einen Spionagethriller mit guter Besetzung aus Frankreich handeln, sieh dir den Film an, sobald du Gelegenheit dazu hast, der Film heißt Der Irrtum, außerdem ist dieser Salvatore ein Ultralinker, wie alle aus Italien. Kannst du mir folgen, Babe?“, unterbricht Dad künstlich seinen Redeschwall, der natürlich schon wieder seine Kröten stiften gehen sieht.
Ich bejahe artig, dass ich auf seiner Linie bin.
„Sehr gut, du bist ein schlaues Mädchen. Also, dieser Salvatore und Alberto sind beide wählerisch. Soweit ich weiß, gibt es Casting-Probleme, die beiden Italiener sind hinter einem US-Star her, Gerüchten zufolge handelt es sich um Terry Malloy, wenn der ins Spiel kommt, rufst du mich sofort zu jeder Tages- und Nachtzeit in LA an, denn der Hund ist unberechenbar, außerdem ist der Kerl auch wählerisch, wer mit ihm spielt, obwohl er, was seine Karriere betrifft, völlig abgemeldet ist. Die weibliche Hauptrolle soll eine Französin übernehmen, aber die bevorzugte Dame ist schwanger. Well, das kommt vor, sonst wäre die Menschheit längst ausgestorben. Okay, es muss noch eine Lady in Paris gecastet werden, da aber alle wichtigen Entscheidungsträger an diesem Projekt wählerisch sind, sind Probleme vorprogrammiert, das kommt erschwerend hinzu, das darfst du auf keinen Fall unterschätzen, Babe, nur lass dich um Himmels willen nicht von den Italienern einkochen, denn sie sind alle Hurenböcke, denen geht es nur um Sex, um Sex mit dir, meine Schöne, und das wollen wir nun wirklich nicht. Bisher alles klar, Sweety?“
„Ja, Dad“, sage ich genervt. Es ist 7 Uhr morgens, und Dad spricht nur von Sex.
„Also, der linke italienische Hurenbock soll drehen, mit wem er will, und vögeln, mit wem er will, aber du bleibst standhaft hinter der Kamera und unterstützt nur die Herstellungsleitung. Bei Problemen, vor allem wenn die Italiener streiken oder Geld verschwenden, rufst du mich sofort an!“ Dad nervt weiter, Zeitzonen interessieren ihn nicht. Ich soll unbedingt pünktlich zu Mittwochmittag am Flughafen Charles de Gaulle sein und die Amis abholen, am besten wäre es, wenn ich einen Kleinbus mit Fahrer miete, damit ja nichts aus dem Ruder läuft.
„Gib ihnen ein paar Stunden, damit sie den Jetlag ausschlafen können, und dann macht ihr sofort die Location Tour, je schneller die abgedreht haben, desto besser auch für dich, die Jungs aus NYC sind hinter jedem Rock her, das ist bekannt, und du bist ein echtes It-Girl, auf so eine wie dich sind die Kerle aus der Stadt des Lasters ganz besonders scharf“, sagt Dad.
„Dad!“, unterbreche ich meinen Vater unwirsch.
„Was ist, Babe? Brauchst du was?“, fragt Dad, so als wäre es das Normalste der Welt, seine Tochter als Nutte zu betrachten.
Mom loggt sich in das WhatsApp-Gespräch ein. „Ist schon gut, Babe, Dad hat nur viel um die Ohren und meint es nur gut mit dir und dem Geschäft“, sagt Mom.
„Mom, Dad behandelt mich wie eine Nutte!“, protestiere ich.
„Babe, du bist soeben erst aus dem gemütlichen Kärnten in eine echte Großstadt gekommen. Paris ist eine Stadt für Verliebte, und du bist ein 23-jähriges Mädchen, das allein in Paris ist“, versucht Mom mich zu beruhigen. Wenn sie wüsste, dass ich gestern mit Duane zum Einstand Sex gehabt habe!
Ich wette einen Dime, dass Mom in Schreikrämpfe ausbrechen würde. Steigerungsformen von „Du steigst sofort ins nächste Flugzeug und ab nach Hause“ bis „Bleib, wo du bist, die CIA holt dich aus diesem Sündenpfuhl heraus“ sind ohne Weiteres möglich, aber ich halte lieber den Mund, und Mom fragt erst gar nicht, woran sie natürlich denkt.
Ein junges Mädchen in Paris kann unmöglich eine Unberührte bleiben, die ich ja längst nicht mehr bin, so viel habe ich in Kärnten gevögelt, und als Teenager habe ich in LA emsig süße Jungs verführt.
Ich bringe also eine gewisse Praxis in die Stadt des Lasters mit, was mir unter den Filmleuten sicher weiterhelfen kann.
Mom schickt Dad ins Bett, weil sie glaubt, dass es höchste Zeit für ihn ist und dass er wenigstens am Sonntag nur ihr gehört.
Dad mault herum, dass eine ordentliche Kopfwäsche ihr, also mir, in Paris unmöglich schaden kann. „Was glaubst du, so ein 23-jähriges Mädchen allein in Paris, da können Eltern nicht vorsichtig genug sein“, bemerkt Dad unüberhörbar.
„In ihrem Alter schläft man viel mit Männern“, beruhigt Mom Dad, der dieses Argument für wenig beruhigend hält, aber Mom hat jetzt die Diskussion fest im Griff und sagt mir definitiv, was ich in Paris zu tun und vor allem zu LASSEN habe.
Endlich geht Mom und Dad die Luft aus. Gutenachtbussis werden über den großen Teich an mich übermittelt, dann höre ich endlich das Freizeichen. Es ist 9 Uhr morgens in Paris, das wäre Mitternacht in LA, eine gute Zeit, um gemütlich zu masturbieren, ein geeigneter Mann für Frühstückssex ist bekanntlich keiner da. Ich masturbiere genüsslich und wasche mich. Ich werfe einen Blick auf die menschenleere Rue Jenner, es regnet. Typisches Pariser Wetter im November. Ich denke an den Film Ein Mann und eine Frau, in dem es sehr viel regnet, besonders dann, wenn sich Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant in Paris treffen.
Mittelmäßig selbstbefriedigt verkleide ich mich in ein US-Girl, also in eine, die weiße Turnschuhe, Jeans und Sweater trägt.
Ich eile hinaus auf die Gasse und suche eine Bäckerei, vorerst um mich mit frischem Gebäck einzudecken. Spontan frühstücke ich lieber in einem Bistro, ich trinke Milchkaffee und lese die Libération – wieso sollte ein US-Girl nicht eine linke Zeitung lesen, die immerhin Jean-Paul Sartre mitbegründet hat?
Allerdings bleibe ich sehr schnell im Kulturteil hängen, und zum Schluss greife ich zu den Cahiers du Cinéma, die ein filmverrücktes Mädchen in Paris einfach lesen muss, da zählt keine Ausrede!
Zwischendurch beobachte ich die Männer an der Theke, es sind ausschließlich Männer – Männer, die eine lange Nacht hinter sich haben und hier frühstücken, die meisten trinken nur einen Kaffee, manche gönnen sich zusätzlich einen Toast.
Wer sind diese Leute? Ich kenne niemanden.
Die meisten sehen aus wie aus einem alten französischen Film. Vielleicht wie aus einem Film der Nouvelle Vague?
Einer kommt herein, den ich sofort erkenne. Es ist der Mitvierziger, den ich schon gestern an der Seine gesehen habe. Was der wohl macht?
Ist er Schauspieler? Ist er Schriftsteller? Treibt er sich nur zufällig in der Nähe der Filmstudios in der Rue Jenner herum, die mein Vater vor einiger Zeit gekauft hat? Oder wohnt er hier in der Nähe?
Ich trinke meinen Kaffee aus und verlasse das Bistro, um im Regen zurück zum Studio zu gehen.
Ich wage mich umzusehen. Er folgt mir. Folgt er mir wirklich? Er scheint ziellos die Straße entlangzugehen, eine Straße, die ihm, im Gegensatz zu mir, vertraut ist. Wie alt er wohl ist? Er ist sicher doppelt so alt wie ich. Er könnte mein Vater sein.
Ich erreiche die Filmstudios und eile ins Haus. Ich schließe sofort ab und eile in den ersten Stock hinauf.
Von oben beobachte ich den Mann auf der Straße. Halblanger Mantel, typisch französischer Hut. Ist es wirklich ein französischer Hut oder ist es einer, der dem amerikanischen Stetson nachgeahmt ist – wie heißen die französischen Hüte?
Ist es ein Borsalino? Oder ist es ein Doulos?
Fragt mich nicht, was der Unterschied zwischen den beiden Hüten ist. Ich chatte meinen Großvater väterlicherseits in Kärnten an, der dort als „der Verrückte“ bekannt ist, ich habe niemanden bisher kennengelernt, der ihm in Sachen Kino das Wasser reichen kann. Wenn einer eine Antwort auf die Frage weiß, wie die französischen Hüte heißen, dann ist es der Verrückte.
Ich behalte den Mann im Regen auf der Rue Jenner weiter im Visier, der vor den Studios auf und ab geht, als hätte er den Auftrag, dieses Gebäude im Auge zu behalten, in dem Le samouraï gedreht worden ist.
Die Antwort des Verrückten kommt postwendend. „Beides sind europäische Hüte. Der ältere wird „Le Doulos“ genannt und wird bevorzugt von der französischen Kriminalpolizei, den Flics, aber auch von den Gangstern getragen – Achtung: In der französischen Gaunersprache wird der Spitzel auch „Doulos“ genannt, nach einem Film von Jean-Pierre Melville, der 1962 in den Jenner Filmstudios gedreht worden ist, die jetzt deinem Vater gehören.
Der Borsalino ist eigentlich das Markenzeichen einer italienischen Hutfirma; ihre Hüte waren in Europa und in den USA weitverbreitet, die bekanntesten Träger waren Al Capone, Alain Delon, Robert Redford und Marlon Brando. Der Hut wird in amerikanischen und europäischen Gangsterfilmen getragen.
Ich schicke ein digitales Küsschen aus Paris nach Kärnten und beobachte weiter den Mann auf der Straße; meiner Meinung nach ist er ein Doulos, ein Spitzel.
Fragt sich nur, wer ihn geschickt hat. Außer mir ist niemand in den Studios. Ob der Kerl auf der Straße weiß, dass Duane nach London abgereist ist? Es wäre ein Zufall.
Ob ich den Doulos ansprechen soll? Was soll ich ihm sagen? „Hi, Spitzel, wer schickt dich?“
Und was ist, wenn er antwortet: „Der Boss schickt mich, ich soll dich fesseln und knebeln und zu ihm schleifen. Vorwärts! Marsch!“
Was mache ich dann? Habe ich in so einer Situation noch Zeit, meine Eltern in LA oder den Verrückten in Kärnten anzurufen? Eher nicht, würde ich sagen.
Vielleicht bleibe ich heute einfach im Haus und sehe mich in den Studios um, damit ich gewappnet bin, wenn hier gedreht werden soll.
Noch habe ich keinen Plan. Ich weiß nur, wann das Team aus New York City hier ankommen wird, ich hoffe, sie teilen mir rechtzeitig mit, was sie drehen möchten. Duane hat mir eine Excel-Datei mit Leuten und Kontaktdaten aus der Filmbranche hier in Paris hinterlassen, die ich anrufen kann, wenn ich Hilfe brauche, und die immer wieder für West-Film arbeiten.
„Die meisten Filmleute hier tun für Geld alles, die würden sogar einen Auftragsmord erledigen“, hat Duane mich gewarnt.
Würden sie auch einen Spitzel umlegen?
Ich wage noch einen Blick auf die Straße, der Spitzel ist weg. Ich sehe nach rechts und links. Der Mann mit dem Mantel und Hut ist verschwunden.
Ich gehe in den zweiten Stock hinauf ins Archiv, dorthin, wo die Drehbücher, die Standfotos und Null-Kopien legendärer Filme gelagert sind.
Einen Moment spiele ich mit der Versuchung, meinen Großvater väterlicherseits in Kärnten mit Fangfragen nach den Hintergründen des geheimnisvollen Filmstudios in der Rue Jenner zu löchern, das einen guten Ruf in Paris hat.
Ich öffne eine Kiste mit der Jahreszahl 1967 und entnehme ihr ein vergilbtes Drehbuch mit dem Titel Le samouraï, ich schlage es auf und sehe die ruhige Totale vor mir: Ein Kanarienvogel in einem Käfig und ein Mann auf einem Bett, der raucht. Es ist die erste Einstellung eines weltbekannten Films, eines Gangsterfilms von Jean-Pierre Melville mit Alain Delon, der den eiskalten Engel verkörpert, der in dem Film natürlich einen Doulos und einen grauen Mantel trägt.
Ich riskiere wieder einen Blick auf die Rue Jenner, der Unbekannte ist weg. Ich sehe die Straße hinauf und hinunter, aber er ist nicht mehr zu sehen. Ich ziehe mich in das Archiv zurück und finde einige alte amerikanische Revolver.
War Melville nicht als „der Amerikaner in Paris“ bekannt? Wenn es wirklich so war, wäre es auch logisch, dass er in seinen Filmen bevorzugt 38er-Revolver eingesetzt hat.
Ich überlege mir, eine Waffe zu nehmen, und probiere mehrere Schießeisen aus, entscheide mich aber für eine 22er-Stupsnase, samt unauffälligem Holster, beides kann ich leicht unter dem weiten Pullover und der weiten Jeans verstecken.
Ob es hier in Paris viele Kontrollen gibt?
Sicher. Die Medien berichten ständig über Anschläge islamistischer Gruppen in Frankreich. Es wird wohl besser sein, unbewaffnet durch die Stadt zu gehen, um nicht in eine scharfe Kontrolle zu geraten. Ansonsten folgt eine unerwünschte Festnahme und natürlich die unvermeidliche Abschiebung als eine in Frankreich unerwünschte Person.
Jean-Pierre Melville und sein wichtigster Konkurrent Henri Verneuil hätten nie mit solchen Problemen für die Gangster ihrer Filme gerechnet, sie haben einfach auf der Straße gedreht.
Ich lege die Waffe wieder zurück und gehe in die Küche hinunter.
Was besitze ich?
Ich habe noch etwas Instantkaffee, ein Weißbrot und einen Schokoladebrotaufstrich einer französischen Billigkette, die vorne gleich um die Ecke liegt.
Ich streiche mir zwei Schokoladebrote und darf gar nicht an die selbstgemachte Kinoschokolade denken, die der Verrückte in seinem Kino angeboten hat.
Wieso ist der Verrückte in Kärnten hängen geblieben? Wieso ist er nie mehr nach Frankreich gekommen, um einen neuen französischen Gangsterfilm im Stil von Jean-Pierre Melville oder José Giovanni oder Henri Verneuil zu drehen?
Wieso ist der Verrückte hier in Europa geblieben und nicht mehr in die USA zurückgekehrt?
Diese Fragen werden nie so einfach zu beantworten sein, aber vielleicht kann mir der Mann auf der Straße weiterhelfen, der mich seit zwei Tagen verfolgt.
Was macht man an einem verregneten Novembersonntag in Paris?
Man geht ins Kino!
Ich gehe online und finde ganz in meiner Nähe das UGC Gobelins, ein Multiplexkino mit 11 Sälen, das 20 Filme anbietet. Ich gönne mir Belle Epoque, bevor ich in eine Pizzeria essen gehe, dem einzigen Lokal weit und breit, das so halbwegs erschwinglich ist.
Oh my God – der Kerl, der mir auf den Fersen ist, ist auch hier und isst einen Teller Spaghetti und trinkt dazu den üblichen französischen Rotwein.
Ich entscheide mich für eine Pizza Margherita und trinke ein Cola, wieso sollte ich meine amerikanische Herkunft verleugnen?
Ob der Kerl gut im Bett ist? Ich bin mir sicher, dass er die Ateliers in der Rue Jenner kennt, er ist bestimmt einer aus der Filmbranche.
Ob ich ihn ansprechen soll?
Er sieht zu mir herüber, er nimmt den Teller Spaghetti und sein Glas Wein und kommt zu mir herüber, er spricht mich natürlich auf Französisch an, ob der Platz neben mir frei ist, ich antworte auf Französisch mit „Oui, bien sûr.“ Er ist erfreut, dass ich Französisch spreche, und er verwickelt mich in ein Gespräch über Filme und Bücher aus Frankreich, die ich allerdings alle auf Englisch gelesen habe, aber er freut sich, dass ich diese Filme und Literatur kenne.
Was soll’s, ich lasse mich von ihm zu einem Kaffee und einem Tiramisu einladen, es ist klar, dass er mich in die Ateliers in der Rue Jenner begleitet. Wir landen im Bett. Er erzählt mir, dass hier Melville die erste Einstellung von Le samouraï gedreht hat und dass es diesen Ort entweihen würde, wenn wir uns ganz ausziehen würden.
Er zieht die Hose aus, ich ziehe den Rock hoch, er reißt den Schlüpfer auf und wirft ihn weg, wir küssen uns, ich mache die Beine breit, er vögelt mich, wir vögeln auf einem uralten französischen Filmbett, das einmal als Requisit für einen klassischen Gangsterfilm gedient hat. Es ist leidenschaftlicher Sex à la Paris, und ich, die den direkten amerikanischen Sex und den vulgären Landquick und Quack made in Austria kenne, komme ganz auf meine Rechnung. Ich küsse ihn. Er küsst mich. Er versteht etwas vom Küssen, er ist ein Franzose; wer, wenn nicht ein Franzose, kann etwas vom Küssen und vom Sex verstehen?
Und was verstehen die Französinnen vom Sex und vom Küssen?
Keine Ahnung.
Er meint, dass ich meine Sache gut mache.
Welche Sache?
„Den Sex. Das Küssen“, sagt er.
Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment auffassen soll, denn er spricht emotionslos, und ich weiß noch nicht einmal seinen Namen.
Ich stelle mich als Janet vor, 23 Jahre alt, soeben erst aus Klagenfurt, Kärnten, Österreich, nach Paris, Frankreich, übersiedelt.
„Für eine amerikanische Österreicherin sprichst du sehr gut Französisch“, sagt er und verzichtet darauf, seinen Namen zu nennen. Namen spielen in Paris keine Rolle, meint er. Ihm würden „er“ und „sie“, „du“ und „ich“, „Sie“ und „Sie“, „Monsieur“ und „Madame“ oder „Demoiselle“ und so weiter reichen.
Wir schieben noch eine Nummer im Stehen, er versteht wirklich etwas vom Sex. Er spricht nicht. Einzig sein Schwanz kommuniziert mit meinem Geschlecht. Es ist ein erstklassiges sexuelles Erlebnis hier in den uralten Ateliers in der Rue Jenner im 13. Bezirk von Paris.
In der Dunkelheit verlassen wir gemeinsam die Ateliers, um irgendwo zu Abend zu essen. Er kennt sich hier aus. Er wohnt seit Jahrzehnten hier, er weiß, wohin er mit einer jungen Amerikanerin gehen kann, ohne das Stadtgerücht von Paris zu sein.
Ich halte mich an ihn. Er wird mich noch lange durch Paris begleiten.
Aber es wird unser kleines Geheimnis bleiben, ich kenne ja nicht einmal seinen Namen, daher brauche ich auch meinen Eltern nichts von dieser Episode zu erzählen, ein schlechtes Gewissen ist ausgeschlossen, und der Verrückte in Kärnten muss ja nicht alles wissen.
Und was ist, wenn der Verrückte in Kärnten einiges nachgeholfen hat? So wie damals bei meiner Mutter, die er bekanntlich auch mit seinem Sohn Johnny verkuppelt hat?
Nur nicht überlegen und die falschen Schlüsse ziehen. Nach dem Abendessen gehen wir noch einmal ins Kino und sehen uns den neuen Film von Roman Polanski an. J’accuse kann man sich nach sehr viel Sex am Sonntagnachmittag ohne Weiteres sonntagnachts ansehen.
Um 0 Uhr 30 verlasse ich mit ihm das Kino. Es regnet noch immer, und es ist empfindlich kühl geworden. Wir trinken noch in einer Bar, die er kennt, ein Glas Rotwein und unterhalten uns über die alten Filme von Polanski, die er in Europa gedreht hat, bevor er nach Amerika gegangen ist.
Ekel ist eindeutig sein Favorit, meiner ist Tanz der Vampire, den ich im Original zum ersten Mal in Europa gesehen habe, genau genommen im „Kleinen Kino“ meines Großvaters väterlicherseits, der allgemein nur „der Verrückte“ genannt wird, auch von ihm, einem französischen Schriftsteller und Schauspieler, der von weiß Gott woher den Verrückten im fernen Kärnten kennt.
Nun ist mir klar, dass der Verrückte einmal mehr seine Finger im Spiel hat, es wird mir ein Vergnügen sein, mich durch seine Spielregeln treiben zu lassen.
In den USA habe ich Tanz der Vampire in erster Linie als eine großartige Musicalshow kennengelernt, die TV-Versionen waren alle bis zur Unkenntlichkeit von wem auch immer zusammengeschnitten worden und so verstümmelt, dass ich den Film, als ich ihn in Kärnten im Original mit Untertiteln gesehen habe, nicht mehr erkannt habe, aber auch damals gab es eine Einführung des Verrückten, der uns Filmfreunde von der schweren Schule auf die Sprünge geholfen hat, um was für ein Meisterwerk es sich bei diesem Film handelt.
„Ja, der Verrückte, der geht hier in Paris ab, so einen wie den Verrückten würden wir hier dringend brauchen“, sagt er und bestellt noch zwei Aperol, bevor wir nach Hause gehen.
Ich bin mir sicher, dass der Verrückte weiß, wer er ist, der der keinen Namen nennen will, und ich erliege nicht der Versuchung, ihn zu fragen. Im Gegenteil, ich will mich so lange wie möglich an unsere Vereinbarung halten, dass wir keine Namen nennen werden; auch wenn ich mich sofort als Janet vorgestellt habe, wird er meinen Namen aus seinem aktiven Wortschatz streichen. Und das ist gut so, daran besteht kein Zweifel, dass es besser für uns beide ist, ich habe auch kein Verlangen mehr, ihn nach seinem Namen zu fragen, oder bei anderen Leuten, die ich noch in Paris kennenlernen werde, Erkundigungen nach seinem Namen einzuziehen. Ich bin kein Doulos; ich bin mir sicher, dass auch er kein Doulos ist.
Wir verlassen die Bar kurz vor 2 Uhr nachts, wir trennen uns grußlos. Ich gehe nach links in die Rue Jenner und direkt zu den Studios hinüber. Er geht gerade aus weiter in die regnerische Nacht hinaus, in Richtung Seine-Ufer – habe ich schon erwähnt, dass wir am linken Seine-Ufer unsere geheimnisvolle Beziehung begonnen haben?
Ich gehe online und finde einen Link, den mir der Verrückte geschickt hat: Erstens soll ich mich morgen bei den Cahiers du Cinéma vorstellen, zweitens soll ich mir das Chanson von Alain Souchon anhören, der über den „Rive gauche“ und das Leben in den Vierteln am linken Seine-Ufer in Paris singt.
Ich bedanke mich mit einer kurzen SMS bei meinem Großvater väterlicherseits und gehe noch eine Stunde durch das verregnete Paris im November; im Kopfhörer höre ich alte französische Chansons.
Um 3 Uhr morgens bin ich endlich zu Hause. Soll ich schon zu Bett gehen?
Nein, ich besuche noch einmal das Archiv und öffne den geheimnisvollen Ordner mit dem Drehbuch aus dem Jahr 1967, einem Film aus einem „Kino der Nacht“, einem Film, der fast nur im Dunkeln spielt; ich suche mir eine Frauenrolle und das passende Kleid aus dem Requisitenlager.
Ich probiere das Abendkleid, ein Kleid, das wie für mich geschnitten ist. Es ist klar, dass Selfies von mir gemacht werden müssen, Selfies, die online gestellt werden und über den Atlantik gehen, hinüber in die USA; sie zeigen eine Frau, die ein Franzose für einen französischen Gangsterfilm eingekleidet hat, der wie ein amerikanischer Film funktioniert, von einem französischen Regisseur, der wie ein Amerikaner in Paris gelebt hat.
Eine der ersten Reaktionen bekomme ich von meinem Vater. „Was stehst du in der Requisitenkammer herum, Babe? Such dir einen jungen Fotografen, und lass ein Shooting von dir machen!“
Mom schließt sich der Meinung ihres Mannes an. Natürlich gibt es auch jede Menge Neiderinnen und Neider, aber die bleiben in der Minderheit.
Ich werde als eine Femme fatale identifiziert, als eine Frau in Paris in einem Film, der ausschließlich in der Nacht spielen wird.
Um halb 5 Uhr früh gehe ich schlafen.