Читать книгу Stille Tage in Paris - Monica Armstrong, Christine Trapp - Страница 5
3. Lundi, der Anruf
ОглавлениеMontag, 7 Uhr 30. Der Anruf aus der Redaktion der Cahiers du Cinéma reißt mich aus dem Schlaf.
„Bonjour et salut, du bist sicher die Biene, die Duane vertritt, während er den Superkapitalisten in London auf den Wecker geht“, sagt eine etwas gereizte männliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Der Mann spricht Englisch mit SEHR starkem französischem Akzent.
„Oui, Janet, ich vertrete Duane für West-Film“, antworte ich ganz durch den Wind.
„Alles klar. Duane hat uns vorbereitet, dass du die Enkelin des großen Le Fou bist und dass du einiges draufhast, was die Filmgeschichte und den Journalismus betrifft. Kurz, du bist eine echte Cinéphile, und dir würde es nichts ausmachen, ein paar Pressevorführungen abzuklappern und die Kritiken online zu stellen“, sagt der Typ am anderen Ende der Leitung.
„Ja, klar. Kein Problem. Aber wie komme ich in die Vorstellungen rein?“, frage ich.
„Komm einfach bei den Cahiers du Cinéma vorbei und hol dir deinen Presseausweis ab, aber beeil dich, die erste Vorführung beginnt um 10, und gezeigt wird ein Marvel-Schinken, was Lockeres zum Aufwärmen für la fille américaine. Kurz, ein echter Dreck, bei dem du dich ärgerst bis zur Weißglut, dass du dir um 10 Uhr vormittags so einen Mist ansehen musst. Danach läuft La odisea de los giles aus Argentinien und zum Drüberstreuen Last Christmas, irgendeine Schnulze aus deiner Heimat, den Vereinigten Staaten. Der Verleih hat auch ein paar Stars nach Paris gebracht, die kannst du gleich interviewen, aber geh mit ihnen nicht zu hart ins Gericht, sonst schmeißen sie dich gleich wieder raus.“
Der Redakteur der Cahiers du Cinéma, von dem ich nicht einmal seinen Namen weiß, beendet das Gespräch.
Mère baise, ich muss sofort aus dem Bett.
Oh my God, hoffentlich schlafe ich bei dem Mammutprogramm nicht sofort ein, es wäre kein Wunder nach so einer Nacht.
Ich dusche, verzichte auf das Frühstück und eile in die Redaktion der Cahiers du Cinéma.
Ein junger Typ, Marke französischer Wichtigtuer und Cinéphiler der harten Sorte, öffnet die Tür.
„Bist du hier der Chef?“, frage ich.
„Nein.“
„Wer ist hier der Chef?“, frage ich.
„Louis.“
„Und wo ist Louis?“, frage ich.
„In seinem Büro, wo sonst?“, sagt der Cinéphile und mustert mich, wie wenn ich Fleckvieh wäre.
„Das hättest du auch gleich sagen können“, sage ich.
„Stimmt, hätte ich können, aber ich habe es nicht gesagt“, sagt der Idiot.
„Idiot. Sag mir endlich, wo das Büro des Chefs ist, bevor ich hier noch mehr Zeit verplempere“, sage ich.
„Für eine Amerikanerin sprichst du sehr gut Französisch“, sagt der Cinéphile anerkennend und mustert mich noch immer wie das Fleckvieh.
„Sag einmal, willst du mich schlachten?“, frage ich.
„Eher flachlegen, dann habe ich keine Probleme mit den Flics“, sagt der Cinéphile.
„Also so eine Unverschämtheit ist mir auch noch nicht untergekommen, und das in Paris“, mache ich mich wichtig.
„Das Büro ist geradeaus“, sagt der Cinéphile und schickt mich mit einem Klaps auf den Po weiter.
„Das ist ja unerhört. Ich werde mich beschweren“, protestiere ich.
„Mach das beim Chef. Von Louis bekommst du den Presseausweis“, sagt der Cinéphile.
„Wie ist dein Name?“, frage ich.
„Eric. Wieso?“
„Damit ich mich über dich beim Chef beschweren kann“, sage ich.
„Dʼaccord, meinen Namen wirst du dir merken müssen“, sagt der Cinéphile.
„Wieso? Eric, der größte Flegel von ganz Frankreich?“, frage ich.
„Nein, der wichtigste Jungfilmer von ganz Frankreich. Salut!“, sagt Eric und haut mir noch einen Klaps auf den Po, aber einen festen.
„Aua! Idiot!“ Ich eile zum Büro des Chefs hinüber, klopfe kurz an und trete ein.
Mein Herz stockt, der Mann von gestern, mit dem ich im Kino war, mit dem ich in den Ateliers Sex hatte, und zwar sehr guten, gibt mir den Presseausweis und tut so, als hätte er mich noch nie gesehen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich mich verhalten soll. Soll ich diesem Filou, der am Wochenende nichts Besseres zu tun hat, als jungen Amerikanerinnen in Paris nachzustellen, die natürlich vom Tuten und Blasen, von den Sitten und Umgangsformen in so einer verbotenen Stadt wie Paris keine Ahnung haben, eine runterhauen, aber eine feste, weil dieser Verräter die übelsten Tricks aus der Mottenkiste des alten André Bazin ausgräbt, um mich in die Falle zu locken?
Verdient hätte er sogar zwei Ohrfeigen, aber dann wäre ich meinen Job sicher sofort wieder los, noch bevor ich überhaupt eine Minute Film gesehen hätte.
Monsieur Louis sieht mich an. Was soll ich tun? Soll ich einfach auf alles pfeifen und ihm in der Redaktion der Cahiers du Cinéma eine kleben, dass es sich gewaschen hat?
Natürlich verweigere ich meine Reflexe. Ich stecke einfach den Presseausweis ein.
„Husch, husch. Bist du noch nicht weg? Die fangen auch ohne dich an“, sagt der Idiot, der sich „Louis“ nennt und der angeblich Chefredakteur der wichtigsten Filmzeitschrift Frankreichs ist und der sich erlaubt, mich mit einem kräftigen Klaps auf den Po in die Gänge zu bringen.
Oh my God, ja gibt es denn so etwas? Haben diese verrückten Franzosen noch nie etwas von der #MeToo-Bewegung gehört?
Offensichtlich nicht, denn im Foyer bekomme ich von Eric gleich noch einen hinten drauf, weil ich noch nicht weg bin.
„Na wartet, ihr französischen Imbéciles, wenn mir noch einer auf den Po haut, der fängt eine!“, schreie ich und knalle die Redaktionstür zu, dass es im ganzen Haus zu hören ist.
Ohne weitere Komplikationen mit Personen männlichen Geschlechts erreiche ich das UGC Gobelins.
Dort trauen die Presseleute von Marvel ihren Augen nicht, wen die Cahiers du Cinéma zur Pressevorführung geschickt haben, oder besser, sie können es nicht fassen, dass die Cahiers du Cinéma überhaupt jemanden zu ihrem Film geschickt haben.
Eine PR-Tussi nimmt mir meinen Presseausweis ab und tut so, als wäre ich die Tussi, die gestern Abend die Tageslosung der UGC Gobelins geklaut hat und die jetzt reumütig zurückkommt, um Sühne zu tun.
Sie bittet mich, einen Moment zu warten. Es vergehen nur ein paar Minuten, und die PR-Tussi kommt mit ihrem Boss zurück, der mich von oben bis unten mustert, als wäre ich Fleckvieh.
„Ich habe mit Louis telefoniert, und es geht okay, Sie können den Film sehen. Louis sagt, dass Sie Amerikanerin sind, ich würde mich freuen, Sie am Nachmittag bei der Pressekonferenz von Disney zu sehen“, sagt der PR-Mann und schickt mich in den Saal.
Na gut, ich nehme im vorderen Drittel des Megasaals Platz, wo ich ungestört bin, alle anderen Presseleute sitzen weit hinten. Popcorn und Softdrinks habe ich abgelehnt, was für eine Journalistin der Cahiers du Cinéma standesgemäß ist.
Normalerweise sollte ich den Film in Grund und Boden verreißen, nicht einmal wenn mir einer 10 Euro gibt, würde ich mir so einen Schund ansehen, aber ich halte mich an meinem ersten Tag noch zurück. Der zweite Film aus Argentinien, La odisea de los giles, gefällt mir schon etwas besser, er kann ohne Weiteres mit 4 Sternen rechnen, wenn nicht mit 5. Und dann kommt die Schnulze aus good old Hollywood, der einen verlogenen good old American Dream zum tausendsten Mal wiederkäut.
Okay, der Film ist gar nicht so schlecht, er ist irgendwie zum Heulen, er ist für die ganz kleinen Girlies, die mit ihren Mommies am Wochenende im Kino sind. Ob die Kiddies in Paris und ihre Mommies auch solche Filme lieben? Oder gibt es genug französische Kinderfilme, um von der US-Ware einfach abzulenken?
Frage: Welcher Film wird hier für die Jungs in der Junior High angeboten? Ist das der Marvel-Film, dessen Bilder so mächtig sind, dass jede jugendliche Fantasie plattgewalzt wird, oder ist eine romantische Komödie wie Last Christmas eine Alternative für die französischen Jungs?
Ich werde mich erkundigen müssen.
Und was ist, wenn ich für die Jungs einen von den ganz großen Filmen empfehle? Einen von Jean-Pierre Melville oder einen von Claude Berri? Der alte Mann und das Kind – wäre das nicht der ideale Vorweihnachtsfilm?
Der Verrückte wäre sicher auf meiner Seite, doch der Verrückte ist ein paar Tausend Kilometer weit von mir entfernt und im beschaulichen Kärnten, das ich des großen Filmgeschäfts wegen verlassen musste.
Last Christmas endet. Wir verlassen den Kinosaal und gehen in die Bar des Megaplex-Kinos.
Obacht: Ich bin bisher nicht eingeschlafen!
Die Filmstars sind da. Der PR-Boss begrüßt die Pressevertreter. Niemand stellt eine Frage, außer ich, und das noch im besten West-Coast-Sound.
Ein Raunen geht durch den Saal – wer ist die US-Göre, die keiner kennt und die es wagt, hier das Maul aufzureißen?
Aber die amerikanischen Darsteller freuen sich. Peinlichkeit, verlass mich nicht. West-Film hat den Film produktionstechnisch betreut, zum Glück weiß hier niemand, dass ich Duane kurzfristig vertrete.
Nach Ende der Pressekonferenz zerstreut sich die Meute der Journalisten in die umliegenden Bistros, um ihre Artikel zu den anlaufenden Filmen online zu stellen; ich nütze noch die Gelegenheit und unterhalte mich mit den US-Leuten, die total nett zu mir sind. Der PR-Boss ist sehr angetan von meiner Erscheinung und gibt mir seine Visitenkarte; ich habe natürlich keine bei mir, sage aber unvorsichtigerweise, dass ich in der Rue Jenner Nr. 13 wohne, einem offensichtlich legendären Ort für Filmleute in Paris.
Schließlich gehen auch die Amis, und ich eile in die Ateliers. Ich klopfe die Kritiken ins Notebook und stelle sie online.
Es vergeht keine Stunde, und die Redaktion von den Cahiers du Cinéma ruft mich an, dieses Mal ist es eine Frau.
„Salut, Babe, deine Kurzkritiken sind überdurchschnittlich gut, und von den großen Verleihfirmen wird uns dieses Mal auch keiner den Kopf runterreißen. Dein Interview bringen wir ungekürzt und in der Printausgabe. Willkommen bei den Cahiers du Cinéma, Zuckerpuppe“, sagt die Madame und legt auf.
Ich schnappe nach Luft. Ist denn hier jeder sexistisch drauf? Maskulin wie feminin scheinen hier keine Rolle zu spielen.
Ich überlege kurz und schalte richtig: Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Marx und Coca-Cola, nach nicht einmal drei Tagen in Paris bin ich bei Jean-Luc Godard gelandet.
Ich telefoniere mit dem Verrückten im fernen Kärnten, und er gratuliert mir zu meinen Artikeln, die er natürlich bereits kennt.
Ich frage ihn nach der Identität des Chefredakteurs der Cahiers du Cinéma, von dem ich bisher nur seinen Vornamen kenne.
Der Verrückte erzählt, dass Louis sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur gearbeitet hat, aber er und seine Generation keine Chance gegen Jean-Luc Godard, Jacques Rivette, Agnès Varda und die anderen aus der Anfangszeit der Nouvelle Vague hatten.
Diese Generation von Louis und Jean und den anderen würde sich weiter als Filmkritiker und Buchautoren durchschlagen; sie würden sich in den Cafés und Bistros endlose Debatten über das neue Kino in Frankreich liefern.
Ich sollte mich von dieser Generation fernhalten und mich meiner Generation, den heute Mitzwanzigjährigen, anschließen. Diese Generation sollte ein neues französisches Kino gründen.
Die Generation von Louis, Jean und den anderen hätte es einfach nicht geschafft. Sie hätten keine Chance gehabt, obwohl ihre Filme gut gewesen wären, aber sie haben ein Kino im Schatten gemacht.