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KAPITEL 5

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«Die schlimmste Entscheidung ist Unentschlossenheit.»

(Benjamin Franklin)

22. Mai 2011:

«Oh verdammt!» waren die ersten Worte, die Melanie an diesem Morgen hörte. Danach folgten eine rasche Bewegung der Matratze, ein Rascheln von Kleidern und das Schliessen der Schlafzimmertüre. Im Flur protestierte Milo lauthals. Schläfrig drehte sich Meli auf den Rücken und starrte zur Decke. Offenbar bereute Roro, mit ihr im selben Bett geschlafen zu haben. Meli spürte eine Enttäuschung in sich hochsteigen.

«Du wusstest, dass er eine Freundin hat», murmelte sie vor sich hin.

Sie wollte keine Gefühle für Roro entwickeln. Das hatte sie sich ganz klar vorgenommen. Das zwischen ihnen beiden, das konnte nichts werden. Schliesslich war er wie ein Bruder für sie. Sie zog sich ihren flauschigen, hellblauen Bademantel an und begab sich in die Küche, wo sie Milo fütterte und frischen Kaffee aufsetzte.

Sie hörte, wie Roro hinter sie trat und tief durchatmete.

«Können wir reden, Meli?»

«Klar, setz dich. Willst du auch Kaffee?»

«Nein, ich bin gleich weg. Mach dir keine Mühe.»

Er wartete, bis sie am Küchentisch Platz genommen hatte.

«Hör zu. Das Ganze war ein Fehler. Ich hätte nicht zu dir kommen dürfen. Ich liebe Nadine. Ich war nur aufgewühlt wegen unseres dummen Streits. Das wird nie wieder vorkommen.»

«Beruhige dich doch, Roro. Es ist nichts geschehen. Wir haben zusammen gegessen und uns dann schlafen gelegt.»

«Danke, dass du mich aufgenommen hast. Aber jetzt muss ich wirklich gehen. Tschüss, Meli», sagte er und stürmte ohne ein weiteres Wort oder gar eine Umarmung aus der Wohnung.

Melanie blieb noch eine Weile am Küchentisch sitzen, tätschelte Milos Kopf und dachte über die Situation nach. Sie bereute nicht, Roro zu sich eingeladen zu haben. Sie bereute auch nicht, dass sie zusammen gesprochen, gelacht und diskutiert hatten. Die Entscheidung, ihn in ihrem Bett schlafen zu lassen, war aber wohl nicht die klügste gewesen. Sie hatte die Wärme, die dieser Mann ausgestrahlt hatte, viel zu sehr genossen. Sie hatte sich, wenn sie ganz genau in sich hineinhorchte, vielleicht auch ein klitzeklein wenig Hoffnung gemacht, irgendwann nicht mehr alleine zu sein. Wenn man bedachte, dass Roro eine Freundin hatte, war sie schlicht dumm gewesen … Naja, eine gute Seite hatte die Situation doch, dachte sich Meli und räumte die Küche auf. Sie wusste nun, dass ihr Herz nach Silvans Unfall langsam aber sicher heilte.

In dieser grübelnden Stimmung wollte Melanie nicht alleine zuhause sitzen. Tally war mit Algin im verlängerten Wellness-Wochenende, weshalb sie es bei Isa versuchte. Zu Melis Überraschung nahm Chantals Nachbarin gleich ab.

«Guten Morgen Isa. Ich hoffe, ich stör dich nicht. Lust auf ein ausgiebiges Sonntagmorgen-Frühstück?»

«Klar. Bei mir oder bei dir?»

«Ich hab genug da. Nur Orangensaft fehlt, falls du welchen willst.»

«Gut, bring ich mit. Brauchst du auch Taschentücher? Oder gibt es einen anderen Grund, weshalb du so früh anrufst?»

Meli schmunzelte. Isa, wie sie leibt und lebte; direkt und ohne Umschweife.

«Keine Taschentücher. Ich bin okay. Brauche nur eine neutrale Meinung.»

Nur eine halbe Stunde später stand die hübsche Rothaarige mit Orangensaft und Sekt vor Melis Türe.

«Danke für die Einladung, Süsse», sagte sie und hauchte ihr zwei Küsschen auf die Wangen. «Und jetzt erzähl!»

«Das Ganze ist eine ziemlich lange Geschichte, die mit dem Tod meines Verlobten vor drei Jahren beginnt», startete Meli ihren Bericht.

«Ist das der Grund, weshalb du dich nicht auf Männer einlässt?», unterbrach Isa sie gleich wieder.

Meli wollte Isa nicht jedes kleine Detail der Geschichte erzählen, musste aber, damit ihre Freundin die Situation verstand, doch etwas weiter ausholen.

«Ja. Ich habe mir lange Zeit Vorwürfe gemacht und die Schuld an Silvans Tod gegeben. Gestern hatte ich ein gutes Gespräch mit seiner Mutter, die mir klargemacht hat, dass ich nichts falsch gemacht hatte.»

«Und dieses Treffen hat dich durcheinander gebracht?»

«Nein … also, doch … aber Julia ist nicht der Grund, weshalb wir hier zusammen frühstücken.»

«Es geht um einen Mann … », mutmasste Isa und ihre Augen leuchteten verschmitzt.

«So ist es», seufzte Meli. «Erinnerst du dich an Roro, meinen ehemaligen Schulfreund? Wir sind ihm vor ein paar Monaten zufällig begegnet, als wir zu dritt brunchen waren.»

«Oh ja. Ich kann mich erinnern. Der war knackig. Und egal was war, Schätzchen: Dieser Typ kann kein Fehler gewesen sein!»

«Kann er doch. Ich bin gestern im Einkaufszentrum regelrecht über ihn gestolpert und wir haben einen Kaffee zusammen getrunken. Alles ganz harmlos. Deshalb habe ich, als er mich am Abend verzweifelt angesimst hat, weil er quatschen wollte und eine Schlafmöglichkeit brauchte, nicht nachgedacht. Ich weiss doch, wie schnell ich mein Herz verliere. Ich habe mich damals innerhalb einer Stunde in Silvan verguckt. Und in Roro war ich schon verknallt, da hatte ich noch nicht mal Brüste.»

«Hattest du Sex mit ihm?»

«Nein, wo denkst du hin!», rief Meli entsetzt aus und rollte die Augen. «Es ist nichts geschehen. Wir haben zwar im gleichen Bett übernachtet, haben aber nur ein bisschen gekuschelt.»

Isabelle runzelte die Stirn.

«Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt.»

«Roro hat eine Freundin. Sie hat ihn zwar vor kurzem betrogen, weshalb der Haussegen schief hängt. Dennoch hat er mir heute Morgen klipp und klar erklärt, dass unser Treffen ein Fehler war.»

«Ich glaube, was du brauchst, ist ein richtiges Date mit einem richtigen Mann. Deine Hormone sind gestern ein bisschen in Wallung geraten. Das kommt vor. Du wirst diesen Schlappi bald wieder vergessen.»

«Ich weiss nicht, ob ich schon soweit bin, Isa. Die Zweifel wegen Silvan sind immer noch da, auch wenn sie schwächer werden. Ein Stückchen meines Herzens wird immer ihm gehören.»

«Ja, ja. Ich weiss. Du bist eigentlich ein „Bis-in-alle-Ewigkeit“-Mädchen. Davon habe ich aber nicht gesprochen. Du brauchst Sex. Hemmungslosen Sex mit einem heissen Mann, der weiss, was du brauchst.»

Blut schoss Meli in den Kopf und ihre Wangen wurden heiss.

«Ich habe nicht so viel Erfahrung mit heissem Sex. Silvan war mein Erster und Einziger. Es war toll mit ihm. Aber wir haben nicht so viel herumexperimentiert oder verrückte, ausgefallene Sachen gemacht», gestand sie peinlich berührt.

«Na, dann wird’s wohl höchste Zeit! Hör zu: Ich geh nächsten Freitagabend zu einem Maskenball. Hast du Lust, mitzukommen? Da kannst du in Ruhe die Männer abchecken ohne von Beginn weg zu viel von dir selbst preis zu geben.»

«Ich weiss nicht so recht. Kann ich dir nächste Woche Bescheid geben?», fragte Meli unsicher. Sie war noch nie zu einer Party gegangen, nur um sich einen Sexpartner zu suchen. War sie soweit über Silvan hinweg, dass sie sich Sex mit einem Fremden vorstellen konnte? War sie ein Mädchen, das Sex und Gefühle trennen konnte? Und war sie genug erfahren, um eine Nacht mit einem Unbekannten zu verbringen?

Isas Vorschlag spukte den ganzen Nachmittag in Melis Kopf herum, auch lange nachdem der gemeinsame Brunch vorbei war. Natürlich wusste sie, dass es viele Frauen gab, die solche Dates regelmässig wahrnahmen und Spass dabei hatten. Sie kannte aber auch welche, die eine solche spontane Entscheidung danach bereut hatten. Da sie selbst noch nie in einer ähnlichen Situation war, wusste sie nicht, zu welcher Gruppe Frauen sie gehörte. Weil sie trotz Kopfzerbrechen zu keinem Ergebnis gelangte, wählte sie die Telefonnummer der einzigen Person, die sie in- und auswendig kannte.

Ihre Schwester meldete sich nach dem dritten Klingeln.

«Hallo?», fragte eine atemlose Anna. «Lea, … nein! … hör auf! Die Mama möchte kurz telefonieren». Meli hörte ein Rascheln, Leas quengelige Stimme im Hintergrund und dann ein leises Räuspern.

«Stör ich, Schwesterchen?»

«Süsse, hi, schön dich zu hören. Nein, du störst nicht. Einen Moment Meli … ja, Lea, du darfst nachher mit deiner Tante sprechen … nein, nicht jetzt sofort. Jetzt sprechen die Erwachsenen … hör sofort auf zu schreien, kleine Lady. Ab in dein Zimmer! Ich komme dich holen, sobald Mama fertig telefoniert hat … also, okay. Aber nur kurz … Meli, Lea möchte hallo sagen»

«Hallo meine kleine Maus. Wie geht es dir?»

«Ich habe heute Dreck gegessen!», berichtete ihre kleine Nichte!

«Das ist ja eklig. Weshalb hast du das gemacht?»

«Weiss nicht! Jetzt habe ich Bauchweh.»

«Armer Liebling. Du solltest jetzt in dein Zimmer und dich ein bisschen hinlegen. Die Mama bringt dir nachher ein warmes Kissen und erzählt dir eine schöne Geschichte. Dann hast du bald kein Bauchweh mehr. Okay?»

«Ja, Tante, ciao!», rief Lea und knallte das Telefon auf die Anrichte.

«‘Tschuldige, Meli. Sie hat heute ein bisschen viel Energie. Bin ich eine böse Mutter, wenn ich mich auf morgen freue, wenn sie ein paar Stunden in die Vorschule darf?», nahm Anna das Gespräch wieder auf.

«Nein, wo denkst du hin. Sonst aber alles im Lot bei euch?»

«Ja, danke. Und was hast du auf dem Herzen, Schwesterherz?»

«Ich habe ein Problem. Nichts Schlimmes. Aber ich weiss nicht mehr weiter», begann Meli und fühlte ein nervöses Kribbeln in der Magengegend aufsteigen. «Versprich bitte, mich weder auszulachen, noch zu verurteilen.»

«Das hört sich spannend an! Aber natürlich, ich versprech’s! Wo drückt der Schuh?»

Sie erzählte Anna von ihren zwei Treffen mit Roro, Isabelles Vorschlag und ihren Zweifeln bezüglich der Liebe.

«Heisst das, du hast das Kapitel Silvan endlich abgeschlossen?», fragte Melis Schwester.

«Woher weisst du, …?»

«… dass du deinem Ex-Verlobten treu geblieben bist? Na, das war wohl offensichtlich. Und ich bin froh, dass du entschieden hast, dein Leben weiterzuleben. Hättest du schon längst tun sollen. Zu deinem Problem: Wann hattest du den letzten Orgasmus, Süsse?»

«Anna …», quietschte sie und schnappte nach Luft.

«Was? Es ist doch ganz einfach: Wenn du wissen willst, ob du dich wieder auf Sex einlassen möchtest – egal, ob unverbindlich oder in ernster Art und Weise –, musst du zuerst wissen, was du verpasst, wenn du dich dagegen entscheidest.»

Sie hatte sich wohl verhört. Ihre Schwester hatte noch nie so mit ihr gesprochen. Anna war die ältere von beiden, sie war gebildet, eine gute Ehefrau und Mutter und sehr gesittet. Sie war das Vorbild! Es war ein Fehler gewesen, sie an einem Sonntag anzurufen. Nach zwei Tagen mit Lea war ihre Schwester manchmal ein bisschen komisch.

«Ich weiss nicht so genau», stammelte Meli verwirrt.

«In diesem Fall ist es definitiv schon zu lange her. Man sollte seine Maschinerie nie einrosten lassen, Liebes. Setz dich am besten gleich in die Badewanne, geniesse die Ruhe und deinen Körper. Danach weisst du bestimmt, ob du Isas Angebot annehmen willst oder nicht.»

Anna hatte schon eine Weile aufgehängt, als Meli immer noch perplex das Telefon in der Hand hielt. Sie hatte sich von ihrer Schwester keine bestimmte Antwort erhofft; dennoch kam dieser Tipp völlig unerwartet.

Unentschlossen begab sich Meli nach dem Gespräch ins Badezimmer und stellte sich vor die alte Wanne mit den chromverzierten, romantischen Löwenfüssen. Was hatte sie zu verlieren, wenn sie Annas Idee umsetzte? Sie holte die bisher ungebrauchte gelbe, vibrierende Quietsche-Ente aus dem Schrank, die sie von Isa und Tally zum Geburtstag gekriegt hatte, fügte dem warmen Wasser ein wohlriechendes Badesalz zu und zog sich aus. Sie kam sich irgendwie komisch vor, auch wenn sie wusste, dass nichts dabei war. Sie hatte früher, als sie mit Silvan zusammen war, nie das Bedürfnis gehabt, sich selbst zu befriedigen. Und danach hatte sie dem Sex komplett abgeschworen.

«Verbuchen wir das als erster Schritt ins neue Leben», sprach sich Meli selbst Mut zu und liess sich ins Wasser gleiten.

Tiefenentspannt stieg sie eine halbe Stunde später aus der Wanne, trug Bodylotion auf und zog ihren seidenen Lieblingsschlafanzug an. Ihre Entscheidung war gefallen.

Hey Isa. Vielen Dank für die Einladung zum Maskenball. Ich komme gerne mit. Bedingung: Du hilfst mir beim Kostüm! Danke fürs Zuhören und deinen Rat! Fühl dich gedrückt.

Sie wusste nicht, ob sie die richtige Wahl getroffen hatte. Aber sie war sicher, dass sie es irgendwann bereuen würde, wenn sie es nicht versuchte.

Um sich von der vielleicht folgenschweren Entscheidung abzulenken, setzte sich Meli in ihren Lesesessel im Arbeitszimmer und vertiefte sich in einen seichten Liebesroman. Nach einer Weile fielen ihr die Augen zu, sank das Buch auf die Knie und kippte ihr Kopf nach links.

In dieser Nacht träumte sie von einer Theateraufführung. Sie sass in der ersten Reihe und lauschte dem Stück, bei dem alle Rollen von Männern besetzt worden waren. Auch im Publikum war sie die einzige Frau. Plötzlich tauchte Hamlet auf der Bühne auf und sprach sie direkt an: «Sein oder nicht sein! Das ist hier die Frage, Melanie!»

Und sie träumte vom Osterhasen

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