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Charleen schlug um sich. »Scheißviecher!« Wieder kratzte sie beidhändig an den Armen und Fußknöcheln. Mücken. Jeder Stich schwoll an; sie hätte nicht kratzen dürfen, aber sie kratzte. Selbst ihr Gehirn schien zu jucken. Die gehören wohl auch zu meinem neuen Leben? »Scheiße!«, sagte sie mit Vergnügen. Achim hatte Vulgärausdrücke unpassend gefunden. Kathrin, ihre Tochter, auch.

Der Brief aus Bonn lag weiterhin verschlossen da. Ich brauche keine schlechten Nachrichten! Sie griff nach ihrer dünnen Wollmütze und setzte sie auf. Mückenschutz und Tarnkappe. Holte das Notebook und eine Wanne mit kaltem Wasser. Setzte sich in einen Gartenstuhl, stellte die Füße in die Wanne, fuhr das Notebook hoch, suchte ihre aktuelle Datei, und starrte auf den Text. Schrieb. Vergaß Hunger und Durst. Alle Mücken, die sie ausgelassen stachen. Zuckte zusammen, als sie »Plätschern und schreiben. Madame Rappard und ihr neuer Roman. Warte mal grad« hörte. Ekkard, der sein Smartphone zückte und knipste.

Irritiert blickte sie hoch. »Ich hab’ einen Brief bekommen«, und stellte das Notebook auf einer Kiste ab.

»So, wie du guckst, muss es sich um etwas sehr Besonderes handeln.«

»Ich hab’ Hemmungen, ihn zu öffnen. Ziemlich blöd, was? Er ist von meiner Enkelin. Sie hat mir noch nie geschrieben.«

»Warum willst oder kannst du ihn nicht lesen?«

»Ach …«

»Wie alt ist das Mädchen?«

»Zehn.«

»Mach ihn auf. Er wird dir sowieso keine Ruhe lassen. – Darf ich mich setzen?«

»Warum nicht? Wenn du so vor mir stehst, sieht’s ja aus, als würdest du auf mich herabgucken. Will ich auch nicht.« Charleen zeigte auf einen Klappstuhl.

»Dir fehlt deine Familie?«

»Ich brauche Zeit. Ein bisschen habe ich dir schon erzählt. Ich liebe sie alle, aber ich darf auch kilometermäßig weit von ihnen wohnen. Andere Großmütter leben in Colorado oder am Þingvellir, und dennoch ist alles gut. Ach ja. Island wäre auch eine Reise wert. Ich würde gerne die Þingvellir-Kirche und die alten Steinhäuser kennenlernen. Oder Reykjavik …«

»Wolltest du nicht in den Süden?«, fragte Ekkard. »Frauen ändern dauernd ihre Meinung.«

Charleen blickte ihn streng an.

»Wäre es dir auf Island nicht zu kalt? Du frierst doch leicht. Jedenfalls habe ich das so wahrgenommen«, ergänzte er schnell, als er ihre skeptische Miene sah.

»Ich will immer beides, eigentlich alles, und dann verzettele ich mich. Und was du festzustellen meinst … Beobachtest du mich?«

»Wie war das denn mit Korsika. Erzähl. Ich habe Zeit.«

»Jetzt?«

Er nickte.

»Ich war eigentlich schon auf dem Weg hierher … Und dann drehte ich um und bretterte regelrecht der Insel entgegen. Übernachtete auf Campingplätzen, hörte von Castagniccia, und hatte berauschende Vorstellungen von einem Esskastanienwald. Andere erzählten von einer Gemeinschaft, die dort in den Bergen lebte. Warum nicht, dachte ich und fuhr dahin. Die Menschen dort nahmen mich in dem winzigen Bergdorf auf. Ein paar Häuser und Kastanienbäume. Manche Häuser waren arg verfallen, die Männer richteten zwei für den Winter her. Besserten Dächer aus und machten die Fenster winterdicht. Meine Gegenleistung fürs Wohnen und Essen war kochen und putzen. Ich schlief in einer Hängematte und mir machte auch das Freiluftbadezimmer nichts aus. Wo ich doch sonst darin ziemlich eigen bin. Na ja. Es stellte sich die Frage: Bleibst du? Das war kurz vor Beginn der Herbststürme. Ich packte, verabschiedete mich mit dem Versprechen, die Gemeinschaft irgendwann einmal wieder zu besuchen. In diesen Wochen löste ich mich von Achim. Manche dort oben sprachen oft über die Wiedergeburt, aber daran glaube ich nicht. Ende September machte ich mich auf den Weg und kam Mitte Oktober hier an. Die Grippe, die mich dann erwischte, machte mir den Winter schwer. Dann kamst du und brachtest mir Essen, auch die Nachbarinnen kümmerten sich. Da hatte keiner von euch etwas vom Durcheinander im Van gesagt, und heute zeig ich es nicht mehr. Dass ich so gute Nachbarn bekommen habe …«

Mehr mochte Charleen nicht erzählen.

Sie bekam dieses ziehende flaue Gefühl im Bauch, viel zu viel von sich preisgegeben zu haben. Sie kannte Ekkard zwar, aber doch auch wieder nicht. Gleichzeitig tat sein Zuhören gut.

Aber das nahm ihr nicht die einsamen Momente in ihrem Wohnmobil, wenn sich nutzlose Leere auftat.

»Sollen wir noch über deine Lesung sprechen? Die ist doch bald«, fragte Ekkard.

»Ach du je. Die habe ich fast vergessen, ich war noch gerade in den Kastanienwäldern … Wissen die anderen schon darüber Bescheid?«

»Wir haben doch zusammen Plakate aufgehängt. Schon vergessen?«

»Ich will aber aus meinem letzten Roman nicht lesen. Mir ist nicht nach heiter. Warum nicht eine Nachtlesung mit Gedichten?«

»Sag bloß, diese Sterbetexte, meinst du die?«

»Ja. Warum denn nicht?«

»Meinst du, die Dorfbewohner haben Lust, etwas darüber zu hören? Nie! Sie wollen Liebesgeschichten, sie brauchen Träume! Gib sie ihnen! Lies aus ›Lilofee‹, aber nichts über den Tod. Gibt deinen Zuhörern Gefühle, gib ihnen Liebe! Schenk ihnen ein Lachen! Das ist es, was sie brauchen.«

»Woher willst du das alles so genau wissen? Glaubst du, alle wollen nur kichern?«

Charleen drückte ihm den dünnen Band mit jenen Texten in die Hand. Er blätterte. »Aber so kennt dich keine deiner Leserinnen. Jetzt haben wir uns gerade an dich gewöhnt als Schriftstellerin mit Wohnwagen, fragen uns, was hat sie bisher gemacht, hat sie Familie, einen Mann, wie ist sie? Mach es dir nicht schwer! Ich sag’s dir gleich, das wird nix.«

»Auch in Romanen wird gestorben. Immer leben zu bleiben ist nur eine ewige Sehnsucht. Ich würde das schrecklich finden.«

Sie begannen über den Tod und die Liebe zu diskutieren, so lange, bis der Wein ausgetrunken war, Schatten sich auf den Gesichtern ausbreiteten und die Vögel sangen.

»Das geht jetzt aber nicht ständig so weiter. Du kommst, bringst was zu essen mit, und wir verreden die Nächte.«

»Ich dachte, du wolltest kein Leben mehr nach Maß?«

***

In der Frühe räumte sie Gläser und leere Weinflaschen weg, radelte zum Bodden und schwamm so lange, bis sie wach war, während ein Entenpärchen mit zotteliger Punkfrisur sie beobachtete.

Zitronenhimmel

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