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Gleichgültigkeit, Resignation und düstere Ahnungen

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So imposant der Fackelzug im Nachhinein erscheint: Für die meisten Menschen in Deutschland war der 30.Januar wohl ein Tag wie jeder andere. Man kämpfte gegen den Hunger und das Frieren – die Weltwirtschaftskrise hatte die Arbeitslosigkeit in unglaubliche Höhen schnellen lassen: Zu Beginn des Jahres 1933 war jeder dritte Arbeitnehmer arbeitslos. Die Versorgungslage war schlecht. Vor den Stempelstellen der Großstädte und den Essensausgaben der Wohlfahrtsorganisationen gab es lange Schlangen. Kohlen für die Heizung konnten sich, wenn überhaupt, nur die leisten, die noch Arbeit hatten. Immer wieder kam es vor, dass Bäckereien und Metzgereien von Hungrigen geplündert wurden. Man kämpfte aber auch einfach mit den Widrigkeiten des Alltags: Eine Grippewelle hatte im ganzen Land die Schulen, Kasernen und Büros leergefegt. Die Eiseskälte von minus 10 Grad Celsius im Land wollte gar nicht mehr vergehen …

Die Meldung am 28. Januar vom Rücktritt der Regierung Kurt von Schleicher war für viele keine große Überraschung. Man hatte im vergangenen Jahr ja schon drei Wahlen erlebt – zweimal für den Reichstag und einmal für den Reichspräsidenten. Die Politik schien schon lange nicht mehr Herr der Lage zu sein. Alternativen gab es kaum noch. Die eher links orientierten Menschen fragten sich, ob nicht der Sozialismus oder der Kommunismus der bessere Weg wäre, als so weiterzuwirtschaften. Die konservativen Kreise erhofften sich eine Besserung der Lage von einer autoritären nationalen Regierung unter Ausschaltung des Parlaments, am besten mit einer wieder installierten Monarchie unter dem preußischen Kronprinzen Wilhelm, der bereits für diese Gedankenspiele Gewehr bei Fuß stand.

Für Vertreter der liberalen Richtung kostete es in dieser Zeit viel Überzeugungskraft, in Diskussionen die Fortführung des demokratischen Wegs zu verteidigen. Das Land lag in Agonie. Die Nachricht vom neuen Reichskanzler Hitler war deshalb für nicht wenige in Deutschland nur eine Fortsetzung des Parteiengezänks der vergangenen Monate. Immerhin war nun nach langer Zeit anderer Versuche der Vorsitzende der größten Reichstagsfraktion zum Kanzler berufen worden.

In seinen ersten öffentlichen Auftritten bemühte sich Hitler zudem, jeden Anschein eines fundamentalen Umsturzes der bestehenden Ordnung zu vermeiden. Er versprach, die neue Regierung werde „die Fundamente wahren und verteidigen, auf denen die Kraft unserer Nation beruht. Sie wird das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volks- und Staatskörpers in ihren festen Schutz nehmen. Sie wird über Stände und Klassen hinweg unser Volk wieder zum Bewusstsein seiner volklichen und politischen Einheit und der daraus entspringenden Pflichten bringen. Sie will die Ehrfurcht vor unserer alten Tradition zur Grundlage machen für die Erziehung der deutschen Jugend. Sie wird damit der geistigen, politischen und kulturellen Nihilisierung einen umbarmherzigen Krieg ansagen. Deutschland darf und wird nicht in einen anarchischen Kommunismus versinken.“

Selbst die von Hitler sofort in die Wege geleitete Reichstagsauflösung und die Ankündigung einer baldigen Neuwahl war keine große Nachricht. So hatte die Politik in den letzten Monaten immer reagiert, wenn es keine Einigung von Parlament und Regierung gab. Es gab also erstmal keinen Grund zur Aufregung.

Viele flüchteten sich in die Hoffnung, auch diese Regierung würde bald abgewirtschaftet haben. So berichtet Freya von Moltke, die spätere Widerstandskämpferin im von ihr mitbegründeten Kreisauer Kreis: „Den 30. Januar 1933 habe ich in Berlin verbracht. Es war ein sozialdemokratischer Freund von uns zum Mittagessen, der sagte: ‚Regt euch doch nicht auf. Hitler muss an die Macht kommen wie alle Regierungen vorher. Er wird sich auch abwirtschaften, und dann ist er erledigt.‘“

Und auch die Deutsche Allgemeine Zeitung, ein eher rechtes Blatt, das schon länger für eine Beteiligung der Nationalsozialisten an der Regierung geworben hatte, schrieb nun: „Obwohl in der DAZ seit Jahren dieser Versuch mit allen Bedenken, die er hat, empfohlen wurde, können wir uns unmöglich in einen Rausch der Begeisterung versetzen. Aber wir halten die Ernennung Hitlers unter den gegebenen Umständen für richtig. Der nationalsozialistische Führer wird uns nun zu zeigen haben, ob er das Zeug zum Staatsmann besitzt.“

Nur den expliziten Gegnern der Nationalsozialisten schwante, was da kommen würde: „Hitler ist Reichskanzler. Noch einmal ist das verhängnisvollste Bündnis zustande gekommen, das Gustav Freytag die größte deutsche Gefahr nennt: das Bündnis zwischen dem Adel und dem Pöbel“, schrieb der sozialdemokratische Journalist Jochen Klepper in sein Tagebuch. Und die jüdische Ärztin Hertha Nathorff schrieb auf, was sie in ihrer Sprechstunde hörte: „Einig sind sich alle in den Worten: ‚Nun wird es anders.’ Ich aber, feinhörig wie ich bin, ich höre, wie sie an ihn glauben, glauben wollen, bereit, ihm zu dienen, und mir ist, als hörte ich ein Blatt der Weltgeschichte umwenden, ein Blatt in einem Buche, dessen folgende Seiten mit wüstem und wirrem, unheilvollem Gekritzel beschrieben sein werden.“

Nur Wenige sahen so deutlich und am Schluss des Textes ironisch voraus, was kommen würde, wie Theodor Wolff, der große liberale Publizist und Chefredakteur des Berliner Tageblatts: „Es ist erreicht. Hitler ist Reichskanzler, Papen Vizekanzler, Hugenberg Wirtschaftsdiktator, die Posten sind so, wie es die Herren der ‚Harzburger Front‘ erstrebt hatten, verteilt. (…) Und inzwischen? – ja, inzwischen wird, auch ohne offenen Staatsstreich, gewiß alles irgend Mögliche unternommen werden, um die Gegner einzuschüchtern und mundtot zu machen, die SS und die SA zu befriedigen und den Getreuesten, die so lange auf diesen Tag gewartet haben, die verdiente Belohnung zu verleihen. (…) Herr Göring wird in Preußen der Polizei den richtigen Geist beibringen … Das Verbot der Kommunistischen Partei steht längst auf dem Programm. (…) Um die Pressefreiheit, von der die Nationalsozialisten immer so kräftig Gebrauch gemacht haben, dürfte es wohl besonders übel stehen. Eine angenehme Zukunft breitet sich vor denjenigen aus, die leider nicht in der Lage sind, sich so zu äußern, wie es dem neuen Regime gefällt.“

Doch solche Vorahnungen und Warnungen blieben eher vereinzelt. Selbst die SPD mahnte ihre Mitglieder zur Besonnenheit. Einen Generalstreik, wie ihn die Kommunisten sofort nach Bekanntwerden der Nachricht ausriefen, lehnten sie in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation ab. Was blieb auch anders übrig? Der neue Kanzler war ja formal ganz legal in sein Amt befördert worden und verfügte sogar über Rückhalt im Parlament. Die ganz normalen Menschen auf der Straße – sofern sie nicht ausdrückliche Hitler-Anhänger oder -Gegner waren – empfanden diesen Tag also wohl nicht unbedingt als Wendepunkt.

30. Januar 1933

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