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1 Virtuelles An- und Ausziehen, Marc mag es weich

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Ich öffne meine E-Mail. Dick, fett und in Grossbuchstaben steht da: «GEILE HAUSFRAUEN warten in deiner Nähe auf dich!» Yeah, sag ich mir und frage mich, welche von meinen Nachbarinnen wohl gemeint ist? Ich auch!? Auf keinen Fall, auch wenn ich im Moment Single bin. Wer immer sich die Werbung so viel kosten lässt, der muss es ja wissen – oder etwa nicht? Und weiter gehts mit den Mails: Clara bedankt sich für die nette Unterhaltung und einige Onlineshops schicken wieder mal ein Update der neuesten «must haves» (engl. muss man haben) ihres Shops. Onlinezeitschriften lassen mich wissen, dass sie wissen, wie das mit dem besseren Orgasmus und Sex geht – und ich frage mich erneut: «Sind wirklich so viele geile Frauen unterwegs? Oder ist das wieder so eine Werbefalle, auf welche vorzugsweise Männer immer wieder herein fallen, und sich erwartungsvoll, vor allem kopflos, hineinstürzen?» Ich hänge noch meinen Gedanken nach, als ein Chatfenster auf meinem Bildschirm aufgeht. Marc fragt mich, wie es mir heute Morgen geht:

Marc: Na wie gehts dir heute Morgen, schon Kaffee gehabt?

Ich: Ja, alles so weit gut und meine Mail bereits gelesen.

Marc: Was machst du heute Abend, schon was vor?

Ich: Nicht direkt, aber ich denke, ich werde mal früher ins Bett gehen.

Marc: Alleine?

Ich: Ja, warum?

Marc: Dachte mir, wir könnten uns treffen… magst du weiche Sachen?

Ich: Was für weiche Sachen meinst du?

Marc: Na, weiche Kleider, Pullis und so.

Ich: Ja – schon, aber warum interessiert dich das?

Marc: Nun, wir könnten doch «Anziehen» spielen – magst du lange Mäntel, schwarz und tailliert?

Ich: Ja – mag ich, aber wie stellst du dir das «Anziehen» vor?

Marc: Wir können das «virtuell» machen, so wie jetzt und dann vielleicht ...

Ich: Aha – und was «vielleicht»?

Marc: Na ja, da gibt es auch noch ganz weiche Unterwäsche – magst du rote Unterwäsche? Vielleicht mit schwarzen Spitzen?

Ich: Ja, mag ich, aber irgendwie ist das schräg, ein Mann, der mit mir online An- und Ausziehen spielen will? Was hast du davon?

Marc: Ich mag es einfach, mit Frauen so zu kommunizieren, und wenn sie das auch mag, dann können wir ja noch ein wenig über sonstige weiche Sachen sprechen.

Ich: Nö – ich steh nicht eigentlich darauf, aber ich hab eine Frage …

Marc: Ja?

Ich: Ich hab eben gelesen, dass es anscheinend extrem viele sogenannt geile Hausfrauen geben muss – was hältst du davon? Stimmt das so und kannst du das bestätigen?

Marc: Also, ich treffe solche Frauen ganz selten persönlich. Online scheint es jedoch überraschend viele Frauen zu geben, mit denen man über Sex und so sprechen kann – so wie mit dir.

Ich: Ja, kann man, aber ich wundere mich und glaube das nicht wirklich. Das sind ja oft nur Schnellschüsse, und davon hat Frau meistens nicht viel.

Marc: Schnellschüsse?

Ich: Ja, Männer, die nach einem ONS (Abk. One-Night-Stand, engl. nur für einmal Sex mit der gleichen Person) oder Online-Geilmacher-Chats suchen, und Frauen die denken, es könnte mehr geben, wenn der Typ passt. Männer, die denken, dass jede Frau nur auf Sex aus ist und «undersexed» (engl. sexuell ausgehungert), wenn sie die Vierzig überschritten hat. Schnellschüsse, schnelle Nummern, denn entweder sind die Männer zu jung und unerfahren oder die Frauen halten hin und sind danach enttäuscht.

Marc: Kann sein – wie siehst du das jetzt mit dem Anziehen und weichen Sachen? Heute Abend, online?

Ich: Mal sehen, wenn ich online bin und es gerade passt – vielleicht ...

Marc: Ok, dann mal bis zum nächsten Mal – Kiss.

Ich: Danke, ja, und einen schönen Tag noch.

Marc: Dir auch.

Ich lese den Chat nochmal durch und frag mich, was nur aus uns geworden ist? Da fragt mich ein erwachsener 48-jähriger Mann, ob ich mit ihm online «Anziehen und Ausziehen» spiele und ob ich weiche Sachen liebe. Was für eine Geschichte steckt wohl hinter Marc? Und was ist mit den «immer geilen Hausfrauen»? Sind die auch hier online oder gibt es die nur bei den Webseiten, welche die geilen Frauen als sogenannte «Mitglieder» angeben, diese aber in Wirklichkeit gar nicht existieren? Willkommen im Zeitalter der elektronischen, virtuellen Welten. Ich hatte noch einige tiefergehende Chats mit Marc. Es interessierte mich herauszufinden, wie er auf diese Masche kam.

Marc entstammt einer Familie aus dem Mittelstand. Vater mittleres Kader, Mutter Hausfrau und zwei Schwestern, jünger als Marc. Der Vater war oft unterwegs und gemäss seiner Mutter, mindestens zur Hälfte der Zeit mit anderen Frauen beschäftigt. Für Marc war das eigentlich kein Problem, bis seine Schwestern in die Pubertät kamen. Besonders die ältere der beiden schien auf einem Dauertrip zu sein. Immer wenn sie einen Mann sah, ging ihr Blick automatisch zuerst zu dessen Hosenschlitz. Das nervte Marc und er fand es besonders unangenehm, wenn er Freunde mit nach Hause nahm. Dann fielen ihre Blicke richtiggehend auf und Marc wünschte sich öfters, unsichtbar zu sein. Er empfand seine Schwester zu dieser Zeit als reine Plage.

Nach seinem Lehrabschluss suchte sich Marc eine eigene Wohnung. Weg von zu Hause und rein in ein neues Leben, war angesagt. Die erste Wohnung war nicht sehr gross. Marc richtete sie spartanisch ein und ging freitags und samstags tanzen. Am Anfang überraschte es ihn noch, dass offenbar nicht nur seine Schwester diese Marotte hatte. Er spürte, wie verschiedene Frauen nun seinen Hosenladen begutachteten und ihn mit ihren Blicken zu mehr einluden. Mark war Anfang Zwanzig und gutaussehend. Für ihn schienen die Frauen wie im Supermarkt Schlange zu stehen. Er hatte die Wahl, jemanden auszusuchen und mit nach Hause zu nehmen. Ob dabei gebrochene Herzen zurückblieben oder unbefriedigte Frauen, interessierte Marc damals nicht. Seiner Meinung nach, hatten sie sich ja freiwillig angeboten – was war falsch daran, sie wollten «es» ja. Sex, unverbindlich und ohne Verpflichtungen. Wenn die eine nicht passte oder mehr wollte, dann gab es genügend andere Frauen, die warteten.

Ein Dutzend Frauen später traf Marc eine für ihn besondere Frau. Sie war etwas älter als er und nicht so schnell bereit, sich von ihm abschleppen zu lassen. Das reizte Marc. Sie weckte den Jäger in ihm und traf damit voll ins Schwarze. Marc tat alles, um ihr zu gefallen, und merkte erst später, dass er sich selbst dabei fast völlig vergessen hatte. Sie war dominant. Eine ihrer Vorlieben bestand darin, von Marc an- und ausgezogen zu werden. Ihre Anweisungen mussten genauestens befolgt werden, sonst gab es härtere Massnahmen. Lob gab es in Form eines sanften Handschuhs oder eines Seidenschals, den sie ihm bei Gefallen über das Gesicht oder den Körper streichen liess. Die Beziehung dauerte etwas weniger als drei Jahre. In der ganzen Zeit war es Marc nicht erlaubt, Sex mit ihr zu haben. Berühren und befolgen ihrer Anweisungen war seine Aufgabe. Für Marc stimmte es so, es hatte seinen Reiz, sich zurückhalten zu müssen, aber manchmal war die Spannung einfach doch zu hoch. In diesen Fällen durfte er sich selbst erniedrigen und erleichtern und zwar vor ihren Augen und erst wenn sie es gestattete natürlich. Eines Tages eröffnete sie ihm, dass sie jemand anderen gefunden habe und ihre Beziehung mit Marc beendet sei. Einfach so. Marc war am Boden zerstört. Er hatte nie daran gedacht, dass diese Beziehung einmal enden könnte. Natürlich war das naiv. Mark wurde zunehmend depressiv. Er konnte nicht damit umgehen und andere Frauen interessierten ihn nicht.

Als es für ihn zu viel wurde, suchte er Hilfe bei einem Therapeuten. Die Therapie war ein Teilerfolg. Seine Verfassung besserte sich und er begann wieder Interesse an Frauen zu zeigen. Er hatte das eine oder andere Date, aber es kam ganz selten zu Sex. Mark empfand die «normale» Sexualität eher als ein «Muss» und nicht mehr wirklich als einen Genuss. Während dieser Zeit traf er seine zukünftige Frau. Sie stellte nicht viele Fragen und war vom Wesen her angenehm. Sie erhob keine Ansprüche und ihr einziger Wunsch war, eine Familie zu gründen. Marc sah gut aus und hatte einen gut bezahlten Job. Der Familiengründung stand nichts im Weg. Sie heirateten und kurz darauf kamen zwei Kinder zur Welt. Seine Frau ging voll in ihrer Mutterrolle auf und er kam in den Abstellraum, beziehungsweise in den Warteraum. Sex war damit kein Thema mehr und er begann damit, sich sein Vergnügen in der virtuellen Welt zu holen. So kam es auch zu der Begegnung im Chat mit mir, und in der Folge zu dieser Geschichte.

Marc erzählte mir, dass er sich schämt und sich nicht wirklich wohl dabei fühle, so heimlich und anonym. Es stimme für ihn und wiederum auch nicht. Die Erinnerungen an die sanften Berührungen des Stoffs und des Handschuhs scheinen bei ihm einen starken Eindruck hinterlassen zu haben. Online sucht er sich Frauen, die sich virtuell von ihm an- und ausziehen lassen. Er geniesst das heimliche Spiel und hin und wieder gelingt es ihm auch, sich wie damals zu fühlen. Die Worte, die Erinnerungen und der Schreibstil der Frauen reizen ihn manchmal auch körperlich. Das sind die Momente, in denen er sich während des Chats selbst befriedigt. Heimlich, vor dem PC und mit einer Fremden, die ihn dabei ahnungslos unterstützt.​ Der sanfte Handschuh, die weichen Stoffe, die Erinnerungen und das Verlangen sind nicht verschwunden, nur vergraben. Auf die Frage, wie lange er das noch so leben wolle, antwortete Marc: «Ich weiss es nicht, die Kinder sind noch zu Hause, eine Scheidung kommt nicht in Frage, zu teuer. Im Job läuft es gut, ja sogar immer besser … nur meine Sehnsucht kommt manchmal hoch. Wenn meine Frau mit mir schlafen will, dann tue ich das, aber ich fühle nicht viel dabei und wenns schnell geht, bin ich zufrieden. Sie wahrscheinlich auch. Ich verziehe mich danach gedanklich wieder in meine virtuelle Welt. Manchmal treffe ich interessante Frauen und wir spielen ein wenig miteinander, aber den meisten ist das nicht genug und so trennen sich unsere virtuellen Wege. Ich schäme mich wegen der Heimlichtuerei, aber ich kann nicht anders … wenn jemand in der Firma davon erfahren würde, wäre meine nächste Beförderung gestrichen und was meine Frau dazu sagen würde? Keine Ahnung, aber sicherlich nicht das, was ich im Moment wissen möchte. Ich lasse es einfach laufen – vielleicht geschieht ja ein Wunder und es kommt doch noch alles gut.

Trennung oder die Angst vor Trennung ist einer der Hauptgründe für Menschen, in einer Beziehung gefangen zu bleiben. Selbstvorwürfe und Scham tun ihr Eigenes dazu, den Menschen in einem «virtuellen», aber doch sehr realen Gefängnis verharren zu lassen. In dieser Geschichte wird deutlich, wie bestimmte Ereignisse ganz andere Schlüsselreize und sexuelle Spannung auslösen können. Etwas technischer ausgedrückt könnte man sagen: «Es ist, wie wenn ein anderes Programm geschrieben und der falsche Treiber installiert wird. Da in diesem Fall nicht einfach ein Update heruntergeladen werden kann, weil wir Menschen und keine Computer sind, bedarf es anderer Massnahmen. Programme sind wie Lebenswege. Veränderungen der Programme oder eine Veränderung der Lebensumstände führen zu neuen Resultaten.» Sollte sich Marc irgendwann entscheiden, dass es doch noch mehr geben muss als virtuelles An- und Ausziehen, wird er sich zuerst öffnen müssen und damit beginnen, darüber zu sprechen.

Unsere Sexualität wandelt sich mit den Jahren. Das Leben kennt keinen Stillstand. Sexualität und Sinnlichkeit sind die intimsten Bereiche im Leben eines Menschen. Idealerweise wissen wir dies schon in jungen Jahren, aber auch später ist es nicht zu spät, die sinnlichen und erotischen Momente mit einem Partner zu geniessen. Es braucht Zeit und diese sollten wir uns nehmen.


… Ich war neugierig, was da im Keller auf mich wartete. Ich ahnte, dass dies kein übliches Date war, doch was mich erwartete, war jenseits meines damaligen Vorstellungsvermögens.

21 Shades of Shame

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