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Flucht

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„So, Frau Knittel“, die Stimme der Ärztin rief Martina wieder in die Gegenwart der Montagsrunde zurück, „bitte, stellen Sie sich doch kurz vor, erzählen Sie ihren Mitpatienten ein wenig über sich, vielleicht sogar, warum Sie hier sind.“

Die Stimme war hell, freundlich und melodisch, am Ende ihres Satzes ein wenig angehoben. Das sollte wohl ganz bewusst wie eine Frage und nicht wie ein Befehl klingen.

Martina glaubte zu verstehen: Sie musste nicht sprechen, wenn sie es nicht wollte.

Dr. Friedel, las sie auf einem kleinen Plastikschild auf der weißen Kittelbrust, und ihr kam es so vor, als hätte sie diesen Namen schon einmal irgendwo gelesen, das Gesicht schon einmal irgendwo gesehen.

Martina schaute der Ärztin aufmerksam ins Gesicht: Es war nicht mehr ganz jung, aber auch noch nicht alt. Die halblangen, dunkel-blonden Haare, in der Mitte gescheitelt und hinter den Ohren festgeklemmt, umrahmten ein fein gezeichnetes Oval, eine glatte Stirn, fein geschwungene Augenbrauen über grün gesprenkelten Augen und einen kleinen Mund. Diesen spitzte die Ärztin jetzt, als wolle sie sprechen, singen, pfeifen oder gar küssen. Wäre ihr Haar ein wenig dunkler gewesen, sähe sie der Mona Lisa zum Verwechseln ähnlich.

Dr. Friedel wartete wohl noch immer geduldig auf ihre, Martinas, Antwort.

Doch der gelang es jetzt nicht mehr sich zu konzentrieren. Ihr Kopf summte, nur manchmal drangen ihr einzelne Wörter, wie Erzählen, Vorstellen oder Mitpatienten ins Bewusstsein. Wo war sie hier? Was tat sie hier? Fragen, Wörter, Eindrücke, alles schien einander zu jagen. Der Kittel fiel ihr ein und der Suizid. War das auch eine Ärztin gewesen?

Martina begann zu zittern, konnte sich einfach nicht mehr richtig erinnern, obwohl ihre Ankunft erst ein paar Stunden zurücklag.

Stickig war es in dem großen Raum! Oder kam es ihr nur so vor? Angstvoll blähten sich ihre Nasenflügel, als würde die Luft knapp und sie müsste noch schnell so viel wie möglich davon einatmen.

In der Patientenrunde war es mit einem Mal still geworden. Nur von weitem hörte man einen Hund bellen, Schritte näherten sich geräuschvoll auf dem Schotter. Da trat jemand sehr fest auf.

Als Martina die Blicke der anderen auf ihrem Körper spürte, bekam sie heftige Schmerzen. Sie begannen in den Schultern und zwängten ihre Brust ein. Die Luft wurde noch knapper.

Ganz kurz streifte sie ein klarer Gedanke: Das konnte doch nur Einbildung sein, dass alle sie anstarrten! Sie wollte sich zusammennehmen und die Angst einfach nicht zulassen. Aber da war es schon zu spät. Angst und auch die Scham darüber war ihr schon mit heißer Röte ins Gesicht geschossen und verrieten sie.

Gegenüber saß ein junger Mann in Jeans und Rollkragenpullover. Er hatte den Blick gesenkt und scharrte mit seinen Lederpantoffeln auf dem Fußboden herum.

Aber seine Unruhe hatte nichts mit ihr zu tun, das glaubte Martina instinktiv zu wissen. Sie war ihm dankbar und wusste nicht einmal so recht wofür. Noch einmal holte sie tief Luft, versuchte angestrengt sich zu konzentrieren, doch mehr als ein leises, hilfloses Stammeln brachte sie nicht zuwege.

"ich ... ich ... ähm ... ich heiße Martina Knittel ..."

Ihre Stimme war heiser und fast nur ein Hauch. Es war ihr sofort klar, dass niemand sie verstanden haben konnte, aber das kümmerte sie auch schon gar nicht mehr.

Hastig sprang sie auf, riss dabei polternd den Stuhl hinter sich um, rannte wie gehetzt zur Tür, stolperte die Treppe hinauf und warf sich endlich in ihrem Zimmer aufs Bett. Doch auch die frischkühle Wäsche, die noch ein bisschen nach Waschpulver roch, vermochte den Sturm in ihr nicht zu besänftigen.

Mit rasendem Puls, stechendem Schmerz in Schultern, Brust und nun auch noch im Bauch horchte sie angespannt nach draußen. Ihr Kopf begann wieder zu hämmern.

Ob ihr wohl jemand folgen würde, fragte sie sich mitten in das Hämmern hinein, schwankend zwischen Angst und Hoffnung. Aber alles blieb still.

Immer wieder diese Sehnsucht

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