Читать книгу Langsam kommt man auch ans Ziel - Monika Laatsch - Страница 8
Samstag, 25. August
ОглавлениеNach schlechtem Schlaf sind wir um acht Uhr aufgestanden.
Wir frühstücken in einem Café in der Nähe des Hauses. Ich trinke einen Milchkaffee, esse ein Croissant und ein Eclair, um den Stoffwechsel anzuregen. Jürgen isst etwas Herzhaftes. Telefonisch teile ich meinen Lieben zu Hause mit, dass wir gut angekommen sind. Jürgen tut das Gleiche. Am anderen Ende der Leitung teilt ihm jedoch seine Frau unter Tränen mit, dass sie ihren fünfzehn Jahre alten Hund in der Nacht einschläfern lassen musste. Er hatte einen Schlaganfall erlitten. Jürgen ist natürlich ebenfalls sehr traurig und wäre jetzt am liebsten bei seiner Frau.
So ist er verständlicherweise mit den Gedanken auch oft woanders, wenn ich ihn heute anspreche.
Dann machen wir uns aber auf den Weg zur Kathedrale Sé Porto. Ablenkung tut gut, und ändern kann er jetzt hier auch nichts, meint Jürgen. –
Glück muss der Mensch haben, denn es wird dort gerade eine Messe abgehalten. Andächtig vernehmen wir die uns fremden Laute der Predigt und staunen über den Prunk dieses von außen schlicht wirkenden Gotteshauses. Die abschließende Orgelmusik lenkt mich schließlich von meinen umherschwirrenden Gedanken ab, lässt mich innehalten und zur Ruhe kommen.
Hier nebenan ist auch die Touristeninformation.
So erhalten wir dort anschließend auch den ersten, ersehnten Stempel in unseren Pilgerausweis. Die Sammelleidenschaft nach den Stempeln beginnt also bereits hier.
Mit einer kleinen Touristenbahn unternehmen wir eine einstündige Stadtrundfahrt und bekommen so einen groben Überblick über die Stadt Porto. Angenehm warm ist es, zirka 22 Grad.
Später laufen wir durch enge Gassen, um uns die hübsche Altstadt anzusehen. An vielen Gebäuden sehen wir die typischen blauen Kachelornamente. Ganze Geschichten werden auf Häuserwänden dargestellt, wie zum Beispiel Schlachten oder religiöse Abbildungen. Aber auch reich verzierte Blumenornamente bewundern wir.
Danach begeben wir uns von der vor uns auftauchenden Brücke, die übrigens von Gustave Eiffel erbaut wurde, hinunter zum Douro-Fluss.
Dort, in der Nähe des Hafens, ist das Wohnviertel allerdings sehr ärmlich und die Häuser sind teilweise sehr alt und verfallen, Fassaden bröckeln ab.
Beim Bau der Brücke hat man sich nicht gescheut, Teile eines Hauses einfach weg zu schlagen, um Platz für den Bau zu schaffen. Die Bahn fährt dort entsprechend fast durchs Zimmer.
Überall hängt Wäsche aus den Fenstern, auch quer durch die Gassen gespannt.
Streunende Katzen und Hunde und Unrat sind überall zu sehen. Die Menschen, vor allem die Kinder, wirken sehr ärmlich und vernachlässigt.
Was für ein Gegensatz zu der prunkvoll ausgestatteten Kathedrale!
Entlang der Hafenpromenade mit vielen Marktständen gehen wir uns unsere Jakobsmuschel kaufen, das symbolische Pilgerzeichen.
Die Legende berichtet, dass ein junger Mann, der vom Heiligen Jakobus vor dem Ertrinken bewahrt wurde, völlig mit Muscheln bedeckt aus dem Wasser stieg.
Seitdem gilt die Muschel als Schutzzeichen der Pilger. Eine andere Symbolik, die auch einleuchtend ist, bezieht sich auf die Linen der Muschel, die die verschiedenen Jakobswege darstellen sollen, die alle zu dem einen Ort führen, nämlich nach Santiago de Compostela. –
Zu Mittag essen wir in der kleinen Bar in unserem Hotel. Hier stillen auch viele Einheimische ihren Hunger und so müssten die Speisen auch gut schmecken, nehmen wir an. Ich entscheide mich für gebratene Sardinen mit Reis und Gemüse. Die drei ganzen Fische, wie es scheint, mit noch fast allen Eingeweiden, schauen mich aus ihren trüben Augen vorwurfsvoll an, da bin ich schon fast satt. Augenblicklich bekomme ich auch einen fürchterlichen Durst. Fisch will ja bekanntlich schwimmen.
Ich bestelle mir ein großes Glas Orangensaft und ein Wasser ohne Kohlensäure, also Aqua sin Gas.
Jürgen nimmt so eine Art Schlacht-Platte. Ein Glück, dass ich das nicht essen muss, denke ich. Aber es schmeckt wohl besser, als es aussieht.
Danach ruhen wir uns im Zimmer etwas aus. Nach etwa einer Stunde gehen wir noch mal raus an die Luft und besorgen uns Proviant für den nächsten Tag, vor allem Bananen.
Ziemlich viele Touristen sind in der schönen betriebsamen Altstadt unterwegs, aber auch einige Straßenmusikanten und Künstler.
Sogar einen sehr ansprechenden Kunst-Trödelmarkt gibt es an diesem Wochenende in einer Straßenzeile. Hier könnte ich mich stundenlang aufhalten. Als normaler Tourist hätte ich bestimmt einiges gekauft, aber so muss ich darauf verzichten, von wegen dem Tragen. Ich weiß auch nicht, wo ich den ganzen bevorstehenden Weg über in meinem Rucksack noch etwas verstauen könnte.
Die Altstadt von Porto ist abends noch hübscher als am Tage, denn viele Gebäude sind dann angestrahlt. Was das ausmacht! – Wir sind begeistert!
Morgen wollen wir unsere zwanzig Kilometer über Campos Verdes und Vilarinho zur nächsten Herberge schaffen und gehen deshalb früh zu Bett.
Habe vergessen zu berichten, dass ich nach dem Mittagessen um vierzehn Uhr noch einen großen Espresso getrunken habe. Hallo wach!
Zusammen mit dem Fisch, dem Orangensaft, gechlortem Wasser aus dem Wasserhahn und etwas Birnensaft aus Jürgens Vorräten ist ein Gebräu geworden, das meine Magenwände – gelinde gesagt – „stark angreift.“
Eine Magentablette hat nichts genützt und ein trockenes Brötchen auch nicht. So sitze ich jetzt putzmunter – es ist mittlerweile fast zwei Uhr nachts – total übersäuert und übermüdet auf dem Duschwannenrand und schreibe mein Befinden und meine bisherigen Eindrücke nieder. Jürgen schnarcht mehr oder weniger leise vor sich hin.
Draußen hat gerade ein großes Müllfahrzeug versucht, in dieser engen Strasse rückwärts zu fahren und piept dabei fortwährend. Dann wird der Unrat des ganzen Tages aufgeladen, natürlich unter gegenseitigen Zurufen der Müllfahrer.
Von Ferne hört man eine Frau in höchsten Tönen eine Arie trällern, oder kommt das aus einem Lautsprecher? In der Bar unten auf der Gasse ist auch ordentlich Stimmung. Jetzt hupt auch noch eine Autoalarmsirene in Zwei-Sekunden-Abständen. Es ist toll was los! Die Luft in unserem kleinen Zimmer ist trotz geöffnetem Fenster zum Schneiden. Ich bekomme langsam Panik: Um halb sechs klingelt nachher der Wecker – und wegen der zwanzig Kilometer, die vor uns liegen.
Jetzt gehe ich noch zum vierten Mal Pipi und werde mal sehen, ob für mich doch noch ein kleines Mützchen Schlaf übrig ist.
Mein Bauch produziert inzwischen anscheinend zusammen mit dem Brötchen und dem Saft so eine Art Sauerteig. Bin ja mal gespannt, wie das weiter geht! Bis jetzt ist mein Essen noch im Magen geblieben.
Gute (?) Nacht!