Читать книгу Langsam kommt man auch ans Ziel - Monika Laatsch - Страница 9
Sonntag, 26. August
ОглавлениеUm es gleich vorweg zu nehmen: Aus dem Mützchen Schlaf ist nichts mehr geworden!
Habe mich die ganze Nacht rumgewälzt und gehört, wie sich die Möwen über mich totlachen und kreischen, die vom nicht allzu weit entfernten Hafen herüberfliegen.
Immer wenn ich abdriften wollte, war ein mehr oder weniger lautes Geräusch zu hören: Türenknallen, Gekicher, Autohupen, Autoalarmsirenen, Feuerwehr, kurz gesagt:
Eine Sommer-Samstagnacht in einer südländischen Großstadt und dann noch im Stadtzentrum mit einer Bar im Haus, wo die Raucher natürlich vor die Tür gehen müssen, palavern und den Qualm zu allem Überfluss bis in den zweiten Stock schicken.
Das kann alles locker mit einer Hauptstraße bei uns zu Hause in Berlin mithalten. –
Ich bin selbstredend ziemlich übernächtigt und kann kaum aus den Augen gucken, als um halb sechs der Wecker bimmelt.
Der Tag fängt trotzdem viel versprechend an: Um sechs Uhr gehen wir zur S-Bahn und fahren bis zum Ausgangspunkt unseres Weges, der heißt Vila de peringhos.
Es sind erstaunlich viele, überwiegend junge Leute – schon oder noch – auf den Beinen, die auf irgendeinen Zug warten. Nach langer Wartezeit können auch wir endlich in unseren einsteigen. Um sieben Uhr fünfundvierzig sind wir an unserem Zielbahnhof.
Jetzt wird es ernst. Wir gehen unsere ersten Kilometer.
Das Wetter wird schön, kein Wölkchen ist am Himmel zu sehen!
Im Zug haben wir zwei Schwedinnen kennen gelernt, die laufen den gleichen Weg wie wir. Sie wollen aber zuerst in Ruhe frühstücken gehen. Zwei Wochen haben die beiden Frauen Urlaub und wollen den Weg in dieser Zeit bewältigen.
Das scheint mir auch durchaus möglich.
Jürgen und ich wollen erst einmal die Wegemarkierung finden, also heißt es: Augen auf und den gelben Pfeil und/oder die Muschel suchen. Frühstücken wollen wir erst im nächsten Ort.
Nach einigem Umherirren fragen wir einen herannahenden Traktorfahrer: “Donde está la ruta Caminho de Santiago?“ Der Mann hat mich anscheinend verstanden! – Juchhu!
Mit einem gewaltigen Schwall von Erklärungen und Gesten schickt er uns in die richtige Richtung. Etwas später sehen wir dann auch jubelnd einen gelben Pfeil an einer Mauer. Optimistisch und ein wenig aufgekratzt laufen wir los.
Die Luft ist angenehm kühl.
Die kleinen Orte wirken um diese Zeit noch wie ausgestorben, keine Menschenseele ist zu sehen. Ab und zu bellt ein Hund hinter einer der meterhohen Steinmauern.
Wir gehen überwiegend auf Asphalt und Steinen, und es wird schnell schon ganz schön warm.
Bald trinken wir unsere Wasservorräte aus. Gott sei Dank kommen wir bald an einem Brunnen vorbei und können unsere Flaschen wieder befüllen.
Mein Rucksack drückt und zwickt mich überall. Ich sage zu ihm, dass wir uns einigen müssen: Er drückt mich nicht, dafür trage ich ihn bis ans „Ende der Welt“.
Das scheint zu wirken; er macht sich aber absichtlich weiterhin ziemlich schwer.
Es geht immer weiter, überwiegend auf Asphalt.
Nach zirka dreizehn Kilometern wird dem Jürgen mit einem Mal eigenartig übel, obwohl wir zwischendurch eine Pause eingelegt und auch gefrühstückt haben. Sicher gehen ihm zu viele Gedanken an zu Hause durch den Kopf, sodass sein Kreislauf das nicht mitmacht.
Er ruht sich etwas aus, und wir verabreden, dass ich bis zum nächsten Ort vor gehe.
Ein sehr schönes Restaurant mit Hotel finde ich schon nach vier Kilometern, kurz vor A rcos , und rufe ihn an, dass ich dort auf ihn warte.
Ich schaue mir die kleine hübsche Kirche an und sehe vom Portal aus die beiden Schwedinnen vorbeiziehen. Wir werden sie wohl nicht mehr einholen.
Jürgen ist völlig erschöpft als er ankommt. Er trinkt erst einmal eine große Flasche Wasser leer und ruht sich wieder aus. Dann geht es ihm langsam besser und die Lebensgeister sind wieder da. Er kann mich überreden, dass wir hier übernachten. Es hat ja so auch keinen Sinn, weiter zu laufen. Seien wir ehrlich: Die aktuelle Situation um Jürgens Hund, die fast sieben Jahre Altersunterschied und mein Lauftraining machen doch etwas aus. Wir sind demnach nicht nur äußerlich ein ungleiches Gespann. Wer weiß aber, wie ich selbst in sieben Jahren dran bin?
So lassen wir es also heute nach siebzehn Kilometern gut sein. Das reicht ja auch für den Anfang.
Ich merke auch die Stellen, an denen der Rucksack auf meinen Hüften aufgelegen hat. Sie fühlen sich an wie blaue Flecke, sind aber keine.
Auch schiebt sich so eine Art „Reservehaut“ an meinem Bauch entlang. Ich muss demnach unbedingt die Gürteltasche und die Rucksackflossen anders fest machen, sonst gehe ich nach dem Urlaub als Känguru durch die Gegend.
Nach einer heißen Dusche genießen wir noch einen ordentlichen Imbiss im Hotel, und setzen uns anschließend geruhsam mit einem Bierchen unter den mit Kiwis überdachten Laubengang des Hotels.
Toll ist, dass wir unsere Sachen kostenlos gewaschen und getrocknet bekommen. Eines meiner Shirts ist danach leider um eine Nummer kleiner, aber ich passe noch gerade so hinein.
Wir zahlen fünfundzwanzig Euro pro Nase für die Übernachtung mit Frühstück.
Das kann aber trotzdem nicht so weiter gehen mit uns. Wir sollten schon besser in Herbergen übernachten und uns mit unseren Ausgaben etwas einschränken. Schließlich sind wir Pilger und keine üblichen Touristen!
Gute Nacht!