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#1HEUTE DARF ICH MICH AUTORIN NENNEN

Im Herbst 2011 habe ich meine kleine Krimi-Schreibfirma gegründet. Ich habe als Erstes gleich Cem Cengiz eingestellt. Er ist mein Luzerner Ermittler in meinen vier bisher veröffentlichten Kriminalromanen. Bis heute ist Cem mein bester Freund, mein Seelenverwandter, mein Alter Ego, mein Bruder, mein Sohn, mein Traummann, meine größte Nervensäge, mein Stalker und mein Beschützer. Ihm ist der Erfolg meines Businessplans zu verdanken. Drei Jahre haben wir in meinem Kopf zusammen am ersten Fall gearbeitet, dann war Cem bereit, sich der Leserschaft zu präsentieren. Es fühlte sich an wie ein Börsengang. Von wegen abgebrühte Businessfrau, die ihr Unternehmensziel erreicht hat. Es war der 7. Oktober 2014, 9.42 Uhr. Ich geisterte in meiner Wohnung umher, planlos, die Nerven lagen blank. Ein Geräusch schreckte mich auf: Schritte im Treppenhaus. Fehlalarm. «Krieg dich wieder ein», sagte Cem und folgte mir wie ein Schatten. «Sei für einmal still», erwiderte ich und versuchte, ihn zu ignorieren, etwas, das ich in den letzten Jahren nicht hingekriegt hatte, und er schwieg auch an jenem Tag nicht. Selber schuld. Ich hatte ihn mir angeschleppt. «Du bist nur Fiktion», sagte ich und wusste doch, dass er es längst nicht mehr war. Cem war ein Teil von mir geworden. Das ist Berufsrisiko.

Endlich klingelte der Postbote. Ich nahm ihm das Paket mit meinen Belegexemplaren ab und stürmte damit ins Wohnzimmer. Meine Hand zitterte, als ich das Klebeband aufriss und die Box öffnete. Da lag er. Mein Cem. Mein erster Kriminalroman als Taschenbuch: Liebe, Sünde, Tod.

Dieser Tag ist nun schon eine Weile her, doch oft denke ich an ihn zurück. Wir alle kennen solche Augenblicke vom Fernsehen: Der Coiffeur von nebenan wird zum Supertalent, ein unbekannter Fußballclub holt den Pokal, eine junge Schauspielerin nimmt den Oscar unter Tränen entgegen. Wir alle leiden mit und freuen uns in solchen unglaublichen Glücksmomenten, applaudieren den Gewinnern zu, die es nach jahrelanger harter Arbeit – oder nach zehn Folgen Castingshow – endlich geschafft haben.

Ich habe diesen Moment auch erlebt, an jenem Morgen des 7. Oktobers. Aber mir hat keine Menge zugejubelt. Den wohl wichtigsten Moment meiner Autorenkarriere habe ich alleine erlebt. Mein Sohn war in der Schule, mein Mann bei der Arbeit. Mir war es egal. Ich war der glücklichste Mensch im Universum. Und ganz alleine war ich ja nicht. Cem war da.

«Moment mal», höre ich schon die Einwände in meinem Kopf. «Als Autor kann man auch Preise gewinnen und diese vor applaudierendem Publikum entgegennehmen.» Ja klar, kann man, aber der wichtigste Augenblick im Leben eines Autor ist doch der, da er sein Erstlingswerk in Händen hält. Es ist der Moment, da man vom Leser zum Schriftsteller wird, und nichts ist mehr wie zuvor. Mein Businessplan: Mord hat sich ausgezahlt, auch wenn er, zugegeben, eher chaotisch, impulsiv und von Rückschlägen gezeichnet verlief.

Schon als Kind habe ich Bücher verschlungen, die Bibliotheken geplündert und bin in Fantasiewelten übergetreten. Ich war immer gut darin, mich auszuklinken und in ein Paralleluniversum einzutauchen. In meinem Kopf habe ich mein eigenes Sternentor, ich muss es nur durchschreiten und schon tauche ich ein in die absolute Freiheit.

Oft werde ich gefragt, woher ich denn meine Ideen nehme, ob mir diese nie ausgehen? Nein! Wie auch, wenn in meinem Kopf ganze Ideen-Galaxien umherschwirren. Man muss nur den Mut haben, seinen Mutterplaneten zu verlassen, muss sein Mini-Raumschiff besteigen und auf Unbekanntes zusteuern. «Hey, was schreibst du jetzt von Galaxien und Raumschiffen?», fragt Cem. «Wechselst du vom Krimi zum Science-Fiction-Roman? Wird ein grüner schleimiger Alien dein neuer bester Freund?» Ich muss Cem erst beruhigen, er will ja nicht arbeitslos werden. Also antworte ich: «Das ist doch eine schöne Metapher, die mit den Galaxien im Kopf. Autoren leben von Metaphern. Und Mord gibt es wohl kaum nur auf Mutterplanet Erde. Mein Horizont ist einfach offen für alles. Ich lese gerne Fantasy und Science-Fiction. Liebe, Drama, Abenteuer und Nervenkitzel sind die Fixsterne meiner Galaxie, und der Krimi ist meine Sonne.

Ich führe eine Einzelfirma und keinesfalls möchte ich mich dabei nur auf ein Nischenprodukt konzentrieren. Mit Mord habe ich die Firma gegründet (wie das wieder klingt!), vielleicht schließe ich eines Tages die Geschäftsbücher mit einem romantischen Kuss.»

Cem schiebt sich seine Mütze aus der Stirn. «Da soll einer die Frauen verstehen.» Ich muss sofort gegenhalten: «Na, na, ich bin ein sehr normaler Mensch», behaupte ich. Cem gibt nicht so schnell auf: «Du bist Krimiautorin. Da ist nichts normal.»

Normal? Was für ein Mensch ist denn eine Krimiautorin? Ist sie exzentrisch – das sind doch Autoren generell –, durchtrieben, geheimnistuerisch, verschlossen, mit Neigung zu Suchtverhalten, leicht narzisstisch mit einer sadistischen Ader und einer gewalttätigen Vergangenheit? So ein Quatsch! Ich bin ganz normal, das denke ich jedenfalls, etwas schüchtern vielleicht, eher introvertiert, sehr ruhig und extrem ausgeglichen, optimistisch, sanftmütig, mit großem Gerechtigkeitssinn, etwas chaotisch im Alltag, nicht sehr durchstrukturiert, Unangenehmes schiebe ich immer auf den letzten Drücker raus. Ich bin trotzdem diszipliniert, ein guter Autodidakt, normal intelligent, aber sehr wissbegierig. Ich bin aber auch voller Gegensätze. Vor Publikum zu stehen, macht mir Spaß, privat bin ich aber eher der verschlossene Typ, die Einzelgängerin und nicht gerne in Gruppen unterwegs. Small Talk langweilt mich rasch.

Ich bin ein wenig scheu, das stimmt schon, und ich gehe belanglosen Konflikten gerne aus dem Weg. Wenn es aber wirklich um etwas Wichtiges geht, kann ich durchaus brüllen wie eine Löwin.

Nach diesem Seelenstriptease weiß also jeder, Monika Mansour ist ein ganz normaler Mensch. Zudem kein sehr mutiger. Ich gehe immer vorsichtig mit Gefahren um, trotzdem liebe ich das Abenteuer und lasse mich auf Unbekanntes ein. Vielleicht ist das der Unterschied zu vielen, die auch Schreiben möchten, aber es nicht bis zum ersten Printexem­plar bringen: Man darf sich nicht vor dem Schatten in der fremden Gasse fürchten, oder vor Rückschlägen, Kritik und roten Zahlen, denen man mit Sicherheit begegnen wird. Wenn man mit Leidenschaft schreibt, sind das alles nur belanglose Konflikte – für mich jedenfalls.

Gehen wir nochmals zurück zur Charakteranalyse der Krimiautorin. Weshalb? Weil das auch mein Weg ist, wie ich einen Charakter entwerfe, ich führe genau diese Art von Interview mit ihm, na ja, eigentlich ist es ein Monolog, ich höre zu, der andere spricht: «Ich fürchte mich nicht vor dem Schatten in der fremden Gasse – weil ich der Schatten bin. Ja, ich denke, so ist mein Charakter ganz gut beschrieben. Ich bin der stille Beobachter, der ständig versucht, andere zu analysieren. Und ich bleibe gerne unentdeckt. Vielleicht wäre ich eine gute Geheimagentin geworden? Ich war schon immer so. Schon in der Schule. Ich war nie Mitglied der coolen Clique, stand immer etwas abseits, hatte aber zwei beste Freundinnen, das reichte mir. Im Unterricht habe ich mich kaum zu Wort gemeldet. Ich wurde aber nie gemobbt und immer in Ruhe gelassen. Ich hatte meinen Frieden und konnte beobachten. Alles war gut. Bis mich eines Tages ein Schüler aus meiner Klasse nach meinem Namen fragte. Ich sei so unscheinbar, er wisse nicht mal, wie ich heiße, dabei gingen wir schon zwei Jahre in die gleiche Klasse. Damals fragte ich mich als Kind dann schon, ob ich normal bin. Und noch heute frage ich mich, wie aus einem so unscheinbaren Kind eine Krimiautorin wurde.

Aufgewachsen bin ich auf einem Bauernhof, umgeben von Wald und Wiese. Mit anderen Kindern konnte ich nur spielen, wenn meine Eltern mich ins Dorf fuhren. Schnell habe ich gelernt, mit mir selber klarzukommen. Und das ist heute noch so. Ich kann mich eine Woche mit mir alleine beschäftigen, kein Problem.»

Zum Krimi kam ich nach einer fünfjährigen Odyssee durch eine Galaxie namens Drachenkinder. 800 Seiten war sie dick. Ein Thriller, der in London spielte. Ich habe mein Herzblut in dieses Projekt gesteckt, wie eine Besessene geschrieben, umgeschrieben, habe geweint, gelacht, gelitten. Meine Helden hießen Long und Skye. Ich habe sie allen möglichen Gefahren und Hindernissen ausgesetzt – und der Liebe. Sie haben sich durchgekämpft, nie aufgegeben – und dennoch, sie haben es nie bis zum Postboten gebracht, der sie über meine Türschwelle trug. Drachenkinder war eine fehlgeschlagene Mission, auf der ich fünf Jahre meines Lebens verloren habe. Oder nicht? Um Long besser zu verstehen, habe ich Mandarin gelernt, zwei Wochen in Peking die Sprache und die Chinesen studiert und heute habe ich dank meiner unveröffentlichten Romanfigur ein HSK-Level-3-Diplom für Mandarin in der Tasche. Zudem hat mir dieser unveröffentlichte Thriller die Kunst des Schreibens nähergebracht und mich viel gelehrt. Man könnte auch sagen, ich war sein Lehrling. Schließlich hat mich das Gravitationsfeld von Drachenkinder in den Orbit von Cem geschleudert. Auch wenn es scheint, dass ein Schwarzes Loch Drachenkinder danach verschlungen hat – wer weiß, vielleicht wird es an einem anderen Ende des Universums eines Tages wieder ausgespuckt? Ich gebe die Hoffnung nie auf, denn ein Schriftsteller muss an seine Texte glauben können.

Der Weg zum Erfolg ist lang, darauf sollte man sich einstellen. Liebe, Sünde, Tod begann ich also im Herbst 2011 zu schreiben, gleich nachdem Drachenkinder vom Schwarzen Loch geschluckt wurde. Vielleicht habe ich mit einem Kriminalroman mehr Glück, dachte ich, nicht bereit, meine schriftstellerischen Ambitionen schon wieder aufzugeben. Im Sommer 2012 reichte ich Liebe, Sünde, Tod bei einem Schreibwettbewerb ein – und bekam eine Absage. Im November ging das Manuskript an Agenturen. Am 24. April 2013 dann endlich – nach mehreren Absagen – ein erster Erfolg. Ich unterzeichnete einen Agentur-Vertrag. Mit meiner Agentin zusammen arbeitete ich intensiv am Manuskript, bevor sie es an Verlage schickte. Alle haben abgesagt – mit der Begründung, meine Schweiz sei zu wenig Heidi-Schweiz. So ein Quatsch! Ich lebe seit über vierzig Jahren in der Schweiz und bin noch nie einer echten Heidi begegnet – Türken, Marokkanern, Prostituierten und Lastwagenfahrern aber schon. Deshalb, habe ich mir gesagt, bleibe ich bei meinem Businessplan und versuche es weiter. Mit Erfolg. Dem Emons Verlag hat Liebe, Sünde, Tod auf Anhieb gefallen und er gab mir und Cem eine Chance – auch ohne Heidi! Am 16. September 2013 unterzeichnete ich den Verlagsvertrag. Ein Lektorat, zwei Korrektorate und eine Druckfahne später erschien am 7. Oktober 2014 mein Krimi. Ich habe also rund 3 Jahre an dem Buch mit knapp 300 Normseiten gearbeitet. Zwei Jahre davon saß ich an der Überarbeitung. Und was habe ich mit meinem ersten Krimi verdient? Ein Taschengeld.

Okay, das wäre jetzt der Grund für mich gewesen, meinen Businessplan zu begraben. Es lohnt sich nicht, ich schreibe keine schwarzen Zahlen. Besser wieder einem lukrativen Beruf nachgehen und das Bankkonto füllen? Denkste! So ticke ich nicht. Risikoanalyse und Bilanzauswertung habe ich zerknüllt in den Papiereimer geschmissen und mich sofort an den Computer gesetzt. Ich habe mir, ganz optimistisch, Folgendes gesagt (es könnte auch Cem gewesen sein, der mir das zugeflüstert hat): «Hey, Erfolg muss man sich erarbeiten. Deine Leserkritiken sind doch super, die Leute mögen uns. Und mit jedem Buch, das du schreibst, erreichst du eine größere Lesergemeinde. Das nennt sich Erfolgsrechnung. Irgendwann lohnt sich der Zeitaufwand.»

Ich denke, dies ist ein guter Ansatz. Direkt auf den Autorenolymp zuzusteuern kann sehr gefährlich sein. Schreibt man gleich einen Bestseller, muss man nachliefern, der Druck und die Erwartung sind enorm und nicht selten ist der Frust hoch und der Absturz tief. Lieber schön sachte, aber stetig sein Business aufbauen, denn es gibt nicht nur die Heldenreise, sondern auch die Autorenreise, die kaum je in einem Schreib­ratgeber erläutert wird. Deshalb wird in diesem Buch auf sie eingegangen.

Zwei wesentliche Gründe haben mich dazu getrieben, mein Jungunternehmen weiter aufzubauen: Erstens, ich glaube an Märchen. Früher sah mein Märchen so aus: «Bitte, bitte», flehte ich die Gute Fee an, «ich will einmal in meinem Leben eine Buchhandlung betreten und im Regal meinen eigenen Krimi stehen sehen.» Die Fee hat mir den Wunsch erfüllt.Wow! Also habe ich gleich im Märchenbuch weitergeblättert und mir die nächste Geschichte herausgesucht. Ich gehe zum Zauberer: «Bitte, bitte, ich möchte einmal meinen Namen auf einer Bestsellerliste finden.» Mein dritter Krimi hat es geschafft. Luzerner Todesmelodie stand neun Wochen auf der Schweizer Taschenbuch-Bestsellerliste. Also weiter zum nächsten Märchen. Hier wartet der Zauberkristall auf mich: «Bitte, bitte, ich will auch so ein schmuckes kleines Strandhaus mit einem Arbeitsplatz auf der Terrasse, wo ich bei einem kühlen Eistee meinen nächsten Bestseller schreiben kann.» Aber der Kristall regt sich nicht. Kein Leuchten und Strahlen und kein Strandhaus. Auf meiner Autorenreise bin ich hier noch nicht ans Ziel gekommen.

Wer nicht an sein eigenes Märchen glaubt, der soll es lassen. Aber die Wünsche immer schön sachte, einen nach dem anderen aussprechen. Nicht gleich mit einem Dutzend Ferraris, dem Privatjet, einer prunkvollen Villa und einer Nominierung zum Literaturnobelpreis aufwarten.

Was trieb mich noch an, weiterzuschreiben? Die Befriedigung. Endlich habe ich gefunden, was mich innerlich erfüllt und befriedigt. Etwas, das mich glücklich macht. Sollte das Strandhaus auch nur in meinen Märchen existieren, ich sitze ja noch immer in meinem bescheidenen Arbeitszimmer mit Blick auf die Dorfstraße, so habe ich doch das Privileg, etwas zu arbeiten, das mich erfüllt, mich glücklich macht. Und Glück ist nicht mit Geld aufzuwiegen (na ja, das Strandhaus wäre schon cool …).

Schreiben ist für mich wie eine Droge. Lässt mir mein Alltag keine Zeit zum Schreiben, zeigen sich Entzugserscheinungen. Ich werde unruhig, unzufrieden und gereizt. Das Verlangen zu schreiben beherrscht mich, und ich gebe mich ihm hin, ganz einfach. Wenn ich Lust habe, auf Papier zu morden, tue ich das.

Businessplan Mord

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