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1.5 Beziehung zwischen Störungen und Kompetenzen

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Der Kompetenzbegriff hat in den letzten Jahren auch in der Schweiz an Bedeutung gewonnen und bildet die Grundlage für die von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) eingeleitete Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS). Im Rahmen von HarmoS wurde unter anderem für die Schulsprache ein Kompetenzmodell entwickelt,21 das aus sechs Kompetenzdomänen (Zuhören, Lesen, Sprechen, Schreiben, Orthografie, Grammatik) besteht. Bildungsstandards und Kompetenzmodelle wurden auch für Mathematik, Naturwissenschaften und Fremdsprachen entwickelt.22 Die ICD-10-Diagnosen «Dyslexie» und «Dyskalkulie» werden, wie bereits erwähnt, als «umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten» bezeichnet. Für Bildungssysteme ist es von grosser Bedeutung zu verstehen, wie der Erwerb von schulisch relevanten Kompetenzen von diesen Entwicklungsstörungen beeinträchtigt wird. Es besteht die Gefahr, dass diese miteinander gleichgesetzt werden: Wer eine Dyslexie hat, hat automatisch schlechte sprachliche Kompetenzen. Daraus kann leicht abgeleitet werden, dass junge Menschen mit Dyslexie sprachintensive Ausbildungsgänge grundsätzlich meiden sollten. Andererseits kann auch argumentiert werden: Wer generell gute sprachliche Kompetenzen zeigt, kann keine Dyslexie haben. Aus dieser (verkürzten) Argumentation könnte man schliessen, dass Prüfungsanpassungen nicht angebracht sind. Beide Argumentationen werden der betroffenen Person nicht gerecht, da der Unterschied zwischen Störung und Kompetenz nicht adäquat berücksichtigt wird.

Sowohl für die Betroffenen selbst als auch für Personen, die über Prüfungsanpassungen oder andere Anpassungen zu befinden haben, ist es deshalb wichtig, die mit der Störung direkt verbundenen Einschränkungen klar von den mit einer Kompetenz verbundenen Fähigkeiten zu unterscheiden. Auch hier kann die Orientierung am Klassifikationssystem der ICF sehr hilfreich sein, da die direkt mit einer Dyslexie oder Dyskalkulie verbundenen Ausfälle klar umrissen und beschrieben werden können, ­während Kompetenzen – insbesondere auf Sekundarstufe II und Tertiärstufe – komplexe «Cluster» von Fähigkeiten beschreiben. Erst durch die getrennte Erfassung von Einschränkungen und Kompetenzen kann verstanden werden, welche Bedeutung eine Störung für den Kompetenzerwerb hat und welche Anpassungen adäquat sind. Die Frage nach gerechtfertigten und nicht gerechtfertigten Prüfungsanpassungen wird im dritten Kapitel zu den rechtlichen Grundlagen ausführlich erläutert. Einschränkungen, die eng mit Störungen wie Dyslexie oder Dyskalkulie assoziiert sind, bilden den stabilen Anteil von Behinderungen. Bildung beschäftigt sich jedoch vorwiegend mit dem, was sich verändern lässt, und ist deshalb grundsätzlich kompetenzorientiert. Welche Kompetenzen in ihrem Erwerb von welchen Störungen wie beeinträchtigt werden und wie alternative Erwerbswege gefunden oder Ausfälle kompensiert werden können, sind deshalb wichtige pädagogische Fragen, die in den folgenden Beiträgen in diesem Fachbuch für die Praxis bearbeitet werden.

Dyslexie, Dyskalkulie

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