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Drei Tage später verließ ich London mit dem Qantas-Flug QF2 nach Sydney über Bahrain und Singapur. Charles Parnell Cassidy flog mit; sein einbalsamierter Leichnam lag in einem Mahagonisarg mit silbernen Beschlägen, der in einem Container aus rostfreiem Stahl versiegelt war; seine geheime Geschichte befand sich in der Aktentasche unter meinem Sitz. Meine Sitznachbarin war nicht wesentlich lebendiger: ein gutaussehendes Mädchen in einem grauen Overall und einer großen Eulenbrille, das kurz nach dem Start ein paar Tabletten schluckte, sich in eine Decke hüllte und einschlief. Ich bedauerte das. Auf Reisen habe ich gern Gesellschaft, und die Gesellschaft von Frauen ist mir jederzeit willkommen. Gerade in dieser Nacht wäre ich froh gewesen, mich von den schwarzen Kobolden ablenken zu können, die in meinem Gehirn einen wilden Tanz aufführten.

Ich war sehr deprimiert und hatte mehr Angst, als ich zugeben wollte. Cassidys schweres Geschütz gefiel mir ganz und gar nicht. Australien kann auf eine lange Geschichte hartgesottener Politiker zurückblicken, und in Sydney ist mehr als die übliche Anzahl von Profis auf diesem Gebiet zur Welt gekommen. Wenn sie sich einschalteten, würden sie mit Verhandlungsangeboten beginnen. Wenn ich mich weigerte, würde man zu harten Bandagen greifen – und davon wollte ich meine Familie dann so weit wie möglich weg wissen.

Wir waren deshalb übereingekommen – wenn auch nicht ohne einige scharfe Auseinandersetzungen –, daß ich Cassidy nach Australien zurückbringen und bestatten sollte. Ich stand ihm familiär so nahe, daß ich alle Verpflichtungen bei den öffentlichen Zeremonien erfüllen konnte: dem Requiem und dem Staatsbegräbnis beiwohnen, die erste Schaufel Erde in das Grab werfen und den Prominenten in der Trauergemeinde die Hand schütteln. Pat und Clare und die Kinder so weit wie möglich aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit und allem Tratsch herauszuhalten schien mir ein Gebot der Klugheit zu sein.

In den Leitartikeln der australischen Presse war bereits zu lesen, daß Cassidy sich für seinen Tod einen günstigen Zeitpunkt ausgesucht habe. Überall roch es nach Skandalen: Man sprach von Drogen, Gewalttätigkeiten, Korruption innerhalb der Polizei, im Justizministerium, sogar im Parlament. Der tote Cassidy brauchte die Folgen nicht mehr zu tragen. Die Opposition konnte seinen Ruf nicht anfechten, ohne ihren eigenen zu schädigen. Die Regierung konnte alle ihre Skandale auf seinem Grab abladen und mit sauberer Weste und tugendhaftem Lächeln davongehen – aber natürlich nur, wenn nicht ein gewisser Martin Gregory plötzlich Gewissensbisse bekam und sich entschloß, mit Cassidys persönlichen Akten an die Öffentlichkeit zu treten.

Ich war mein ganzes Leben hindurch ein Diener des Rechtsstaates gewesen. Ich war überzeugt, diesen Dienst stets gut versehen zu haben. Cassidy selbst hatte mich herangebildet. Als er mir dann die Unterlagen über seine Aktivitäten übergab, wußte er also, daß er mir damit ein härenes Hemd reichte, das mich zerkratzen würde, bis ich es auszog. Während ich mich in den frühen Morgenstunden unruhig hin und her warf, erwartete ich schon beinahe, daß er wie ein Schachtelteufelchen aus dem Boden hervorspringen und mir eine lange Nase machen würde. Das war das Widersprüchliche an diesem Mann. Früher war er stets für das Gesetz eingetreten. Er begriff dessen uralte Grundsätze. Er liebte die Feinheiten der Rechtsprechung. »Wenn du das Glücksspiel liebst«, pflegte er zu sagen, »geh zum Hunderennen, und setze dein eigenes Geld, nicht das der Mandanten. Du hast es hier mit geheiligten Angelegenheiten zu tun, mit vertraulichen Angelegenheiten, mit Entscheidungen, an die sich spätere Generationen gebunden fühlen werden. Und krieg es in deinen Dickschädel rein: Wir verdienen unser Geld aus den Fehlern anderer Anwälte!«

Das war hochmütig, hitzig dahingesagt, und wir Jüngeren liebten ihn dafür, auch wenn wir seine krächzende Stimme haßten.

Aber irgendwo, an irgendeinem Punkt seines Lebens, war er zum Verräter geworden. Er hatte seinen eigenen Ausverkauf betrieben. Ich mußte wissen, warum und zu wessen Gunsten, bevor ich irgendeine Entscheidung bezüglich der Akten, die er mir anvertraut hatte, treffen konnte. Ich mußte herausfinden, wer Marius Melville wirklich war, denn er würde mir für diese Dokumente fünf Millionen Dollar bar auf die Hand zahlen. Die beiden gleichen Anfangsbuchstaben ließen den Namen blödsinnig vertraut erscheinen, aber ich kam auf keinen realen Menschen, den ich damit in Verbindung bringen konnte. Zwischen Schlaf und Wachen hin- und herpendelnd, ließ ich meinen Assoziationen freien Lauf und verglich den Klang der beiden Wörter mit dem pulsierenden Rhythmus der Düsen … Marius, Mario, Marionette, Melville, Melitta …

Ein Steward stieß mich leicht an und flüsterte: »Verzeihung, Sir; aber Sie sprechen im Schlaf – ziemlich laut sogar. Es stört die anderen Passagiere.«

Ich murmelte eine Entschuldigung. Er grinste mich breit an und verschwand in die Dunkelheit wie die Cheshire-Katze aus »Alice im Wunderland«. Ich blieb liegen, war verwirrt, kam mir töricht vor und überlegte, ob ich den Weg zur Toilette wohl schaffen würde, ohne über meine eigenen Füße zu stolpern und die Passagiere noch einmal zu stören. Das Mädchen neben mir regte sich unter der Decke, stellte die Rückenlehne senkrecht und drehte die Leselampe an. Sie wandte sich mir zu und murmelte:

»Schade, daß er Sie aufgeweckt hat. Ihr Schlaf-Monolog fing gerade an, interessant zu werden.«

»Er könnte mich in große Schwierigkeiten bringen.«

»Ich weiß. Ich habe einmal einen sehr netten Freund auf diese Weise verloren.«

Ihre Augen hinter den großen Eulengläsern blickten unschuldig drein, aber ich wußte – oder glaubte zu wissen –, wie man einen ausgelegten Köder von einem im Wasser schwimmenden Blatt zu unterscheiden hat. Deshalb lächelte ich pflichtschuldigst und fragte, ob sie bis Sydney fliegen werde. Sie bejahte meine Frage. Ich überlegte mir, daß ich, wenn ich hier schon eine Bekanntschaft machte, mich noch schnell frisch machen könne, bevor der Run auf die Waschräume einsetzte. Daß die eigene Ehefrau ab und zu mit Bartstoppeln und Mundgeruch konfrontiert wird, ist unvermeidlich. Dem Miteinander in einem vollbesetzten Flugzeug sind diese Dinge jedoch nicht gerade förderlich.

Während ich mich rasierte, mir die Zähne putzte und Aftershave auf die Wangen klopfte, fiel mir noch ein weises Wort aus dem Munde des großen Cassidy ein:

»Den Vertriebenen gehört die Welt, Sonnyboy, denn sie sind zäh genug, um ohne Schuhe herumzulaufen und trockenes Brot zu essen und es in fremden Betten mit Frauen zu treiben, mit denen sie sich bei Tageslicht nicht einmal sehen lassen können … Geh die Straßen unseres Planeten entlang, und du wirst einen Griechen oder einen Iren oder einen Juden oder einen Chinesen finden, der die einheimische Bevölkerung schröpft. Schau hinauf in den Himmel, und du wirst die Wildgänse am Mond vorbeiziehen sehen …«

Und das war noch etwas, was man bezüglich Charlie Cassidy anmerken muß: Er war mit ganzer Seele der Lokalpolitik verhaftet gewesen – und das ist ein Sport so blutig wie Hahnenkämpfe. Dennoch war es ihm gelungen, sich ein internationales Flair zu erhalten, was bei Lokalpolitikern selten ist. Außerdem war er polyglott und konnte sich recht gut auf italienisch, französisch, griechisch, deutsch, chinesisch und holländisch verständigen. Die Sprachkenntnisse hatten ihm Zugang zu den Einwanderergruppen verschafft, die jetzt in jedem Bundesstaat Australiens eine bedeutende Wählerschaft stellten. Sie waren außerdem der Schlüssel, der das Tor zur Unterwelt aufzusperren vermochte – zu den sizilianischen Mafiosi und den chinesischen Gruppen, die den Mädchenhandel und das Drogengeschäft betrieben und mit den finsteren Gestalten aus Balmain um die Kontrolle der Spielhöllen kämpften.

Aber, das mußte der Neid ihm lassen, Cassidy hatte noch weit mehr drauf gehabt als politisches Kalkül. Hinter all dem Blendwerk fand sich ein keltischer Gelehrter alter Art, der nach Wissen hungerte, ein Renaissance-Mensch, der stets versucht war, zu den Gewürzinseln und bis ins hinterste China vorzudringen … An diesem Punkt hielt ich plötzlich inne. Warum sollte ich ein Loblied auf Cassidy singen? Er hatte den Henker hinters Licht geführt, aber meinen Hals hatte er in der Schlinge gelassen und seine Tochter und die Enkelkinder in Gefahr gebracht.

Als ich meine Toilette beendet hatte, servierten die Stewards das Frühstück. Meine Nachbarin, die Eulendame, saß aufrecht in ihrem Sitz und griff herzhaft zu. Sie war wie verwandelt. Sie hatte sich die Haare gebürstet und die Wangen geschminkt. Sie lächelte ungezwungen. Sie gehörte offenbar zu jenen seltenen Wesen, die schon beim Frühstück freundlich sein können. Wir stellten uns gegenseitig offiziell vor.

»Martin Gregory.«

»Laura Larsen.«

Ich erzählte ihr, ich sei Anwalt – womit weitere Fragen ausgeschlossen waren. Die übliche Reaktion ist: »Wie interessant.« Die geistreichste, die ich je gehört habe, lautete: »Haben Sie in letzter Zeit ein paar einträgliche Mandanten rausgepaukt?«, was ich überhaupt nicht witzig fand.

Laura Larsen war da schon umgänglicher. Sie erzählte mir, sie sei in der Hotelbranche tätig. Sie habe für CIGA in Italien, für Forte in London und Paris gearbeitet. Jetzt sei sie unterwegs nach Sydney, um dort in der Leitung des Melmar Marquis, eines neuen, am Hafen gelegenen Fünf-Sterne-Hotels, zu arbeiten. Sie überreichte mir eine Geschäftskarte, auf der über einem Krönchen und einem Doppel-M verkündet wurde: »Melmar Hotels – legendärer Luxus.«

Miss Larsen schmückte diese Legende so geschickt aus, daß ich überzeugt war, sie werde schon binnen einer Woche alle Zimmer ausgebucht haben. Nach fünf Minuten schlug sie mir vor, mein Hotel zu wechseln und mich im Melmar Marquis einzuquartieren – natürlich mit einem entsprechenden Diskont!

Das war eine reine Gefälligkeit ihrerseits, und ich fand die Idee ausgezeichnet. Um fünf Uhr morgens verfügt man nur über sehr wenig Lebenskraft und über noch weniger Selbstachtung. Seit Cassidys Tod hatte sich in meiner Beziehung zu Pat eine merkwürdige Befangenheit entwickelt. Ich begann sie in der Rolle einer stummen Anklägerin zu sehen. Ich war der Mann, der in ihre Familie eingedrungen war und sie hoffnungslos zerrüttet hatte. Es war meine Hand, die Pat von der letzten Reise mit ihrem Vater abgehalten hatte. Ob mein Gefühl nun zu Recht bestand oder nicht – zwischen uns war eine Traurigkeit, ein kleiner, verschleierter Zorn entstanden, den wir beide nicht zuzugeben wagten.

Deshalb bedeutete ein erstklassiger Flirt mit einer attraktiven Frau hoch über den Wolken eine angenehme Abwechslung. Und warum sollte man sich nicht zu herabgesetzten Preisen in einem neuen Luxushotel verwöhnen lassen?

Ich wollte das Angebot schon annehmen, als in meinem Kopf eine Warnglocke anschlug. Es ging alles viel zu glatt. Wir hatten Bahrain noch nicht erreicht; wenn wir die Spielregeln einhielten, würden wir in Singapur enge Freunde sein und in dem Augenblick, wo wir im Melmar Marquis in Sydney unsere Koffer auspackten, Bettgenossen.

Wieder einmal hörte ich Charlie Cassidy aus vergangenen Tagen sagen:

»… ein uralter Trick, Sonnyboy, und er funktioniert noch immer. Es ist die einfachste Art, einen Zeugen zu bestechen, einen Richter einzuschüchtern, eine Stimme im Kabinett zu kaufen … Nie ist ein Mann so verletzlich, als wenn er von Zeugen der Gegenseite nacktarschig im Bett überrascht wird – und außerdem ist nichts lächerlicher als diese Situation!«

Ich versuchte mir zu sagen, daß ich auf die Sache reichlich paranoid reagierte. Das Mädchen war einfach nur ein extrovertiertes Ding, das Hotelzimmer an den Mann bringen wollte. Und ich war der Mitreisende mit den Träumereien eines älteren Herren, bereit, mit jedem zu reden, der auch nur guten Morgen zu ihm sagte … Teufel noch mal! Ich war Martin Gregory mit einer Aktentasche voller Geheimnisse unter dem Sitz und einer Meute einflußreicher Leute hinter mir her, die es nur so juckte, in den Besitz dieser Papiere zu gelangen. Was war natürlicher, als eine Bewacherin auf mich anzusetzen – und wenn sie auch den Nachtdienst versehen konnte, um so besser. Meiner Eulenäugigen erzählte ich zur Hälfte eine Lüge und zur Hälfte die Wahrheit. Ich sei gern bereit, in ihrem Hotel zu wohnen, aber ich sei in Regierungsgeschäften unterwegs und müsse mich den Arrangements meiner Gastgeber fügen. Es werde mir jedoch ein Vergnügen sein, die Wunderwerke, die sie verkaufe, zu besichtigen. Dies führte zu einer leicht dahin – plätschernden Konversation, die so lange dauerte, bis wir in der Wüstendämmerung auf den unfruchtbaren Küstenstreifen von Bahrain niedergingen.

Um sechs Uhr morgens bietet die Transithalle des Flughafens Bahrain keinerlei Attraktionen und herzlich wenig Komfort. Die Toiletten machen einen fragwürdigen Eindruck, und das Café ist eine stumme Drohung. Die Passagiere sind eine zusammengewürfelte Masse: Koreaner, Briten, Japaner, Pakistani, Palästinenser und Australier. An den verstaubten Verkaufsständen werden arabische Zeitungen, Puppen, die mit Gott weiß was ausgestopft sind, unechtes Porzellan und scheußliche Messingsachen angeboten. Nach höchstens fünf Minuten hat man den Rundgang beendet; dann sitzt man dort erst einmal fast eine Stunde lang fest. Es ist deshalb ratsamer, an Bord zu bleiben, das Putzpersonal unter den Füßen durchfegen zu lassen und sich bis zum Weiterflug auszuruhen.

Genau das tat ich auch und unterhielt mit dabei sporadisch mit Laura Larsen, als mich plötzlich ein Angehöriger des Bodenpersonals der Fluglinie bat, so schnell wie möglich ins Flughafengebäude zu gehen, wo mich ein Telefongespräch aus Zürich erwarte. Die Verbindung war überraschend gut. Die Stimme des Anrufers, ein warmer, sonorer Bariton, verriet nur einen schwachen Anflug von europäischer Formalität in Ausdrucksweise und Intonation. Aber als er zu sprechen begann, hatte ich das Gefühl, als ob sich mir eine kalte Hand ums Herz legte.

»Martin Gregory?«

Es gab keine Titulatur, keine Vorrede. Ich versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken.

»Ja. Wer ist dort am Apparat, bitte?«

»Marius Melville.«

Ich schwieg. Cassidys Warnung war unmißverständlich gewesen. »Erweise ihm Respekt …« Außerdem brauchte ich ein paar Sekunden, um mich zu fassen. Die Stimme ließ nicht locker. »Ich glaube, der Name ist Ihnen bekannt.«

»Bekannt? Keineswegs. Ich habe in den Papieren eines jüngstverstorbenen Herrn lediglich eine kurze Erwähnung dieses Namens gesehen. Er mag vielleicht noch an anderen Stellen vorkommen, aber bis jetzt habe ich kaum mehr als einen flüchtigen Blick auf die Unterlagen geworfen.«

»Wie lange werden Sie brauchen, um die Papiere durchzusehen?«

»Weiß der Himmel! Alles, was ich bis jetzt gelesen habe, ist das Testament, drei Treuhandverträge und ein Stichwortverzeichnis. Das gesamte Material werde ich erst etwa eine Woche nach dem Begräbnis einigermaßen abschätzen können, würde ich sagen.« »Aber dann werden Sie sich mit mir in Verbindung setzen?«

»Ganz sicherlich, wenn es die Akten verlangen. Ein Testamentsvollstrecker ist verpflichtet …«

»Ich weiß, was ein Testamentsvollstrecker tut, Mr. Gregory.« Die Rüge wurde durch ein Kompliment gemildert. »Ich bewundere Ihre Diskretion als Anwalt. Charles Cassidy war ein alter und treuer Freund von mir. Wir hatten viele gemeinsame Interessen. Ich weiß, daß Sie seine Wünsche, soweit sie mich betreffen, respektieren werden.«

»Das ist meine Pflicht, Mr. Melville. Wo kann ich Sie erreichen?«

»Über die Nordfinanz-Bank, Zürich. Aber ich werde mich mit Ihnen schon sehr bald in Verbindung setzen. Einstweilen«, die volle Stimme klang sehr besorgt, »seien Sie bitte sehr vorsichtig. Sie befinden sich in großer Gefahr.«

»Von welcher Seite?«

»Sie überbringen schlechte Nachrichten, Mr. Gregory.«

»Dessen bin ich mir noch nicht bewußt.«

»Sie werden es bald sein. Dann passen Sie auf, daß man nicht in Ihnen, wie es in den alten Zeiten üblich war, den Überbringer schlechter Nachrichten umbringt.«

»Wer sind sie

»Darüber werden Cassidys Unterlagen Sie informieren … Und dann noch etwas, Mr. Gregory.«

»Ja?«

»Um Ihre Frau und Ihre Familie brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Sie stehen unter meinem Schutz. Es wird ihnen kein Leid geschehen. Und was Sie selbst betrifft, so bitte ich Sie dringend, Miss Larsen zu vertrauen. Sie ist eine kluge und mutige junge Frau …«

Plötzlich stieg angesichts der Anmaßung dieses Mannes die Wut in mir hoch. Aber noch als Toter hatte Cassidy mir etwas anvertraut: »Er hält seinen Freunden eisern die Treue …« Deshalb dankte ich Melville, statt ihn anzuschreien.

»Ich weiß ihre Besorgtheit um die Familie eines alten Freundes zu schätzen. Trotzdem muß ich sagen –«

Er hörte nicht mehr zu. Er hatte die Verbindung bereits unterbrochen. Der Hörer an meinem Ohr gab einen Pfeifton von sich.

Als ich versuchte, wieder an Bord der Maschine zu gehen, befahl mir ein griesgrämiger Polizist, zu warten und zusammen mit den übrigen Passagieren einzusteigen. Lustlos wanderte ich umher und starrte Zuchtperlenketten, japanische Armbanduhren und gläserne Talismane gegen den bösen Blick an. Dann setzte ich mich neben einen Wanderarbeiter, der wie ein Ziegenbock stank. Ich fühlte mich wie nie zuvor in meinem Leben: auf Zwergengröße geschrumpft. Ich war überzeugt, daß auch ich stank – nach Angst –, und hatte das Gefühl, ein Opfer von Kräften zu sein, die ich weder definieren noch kontrollieren konnte.

Als ich endlich wieder an Bord gehen durfte, begrüßte mich Laura Larsen mit dem unschuldigsten Lächeln.

»Sie haben also mit Mr. Melville gesprochen.«

»Ja!« Ich hatte keine Lust auf Small talk.

»Das vereinfacht unsere Beziehung.«

»Haben wir denn eine?«

»O ja. Ich soll ein Auge auf Sie halten, dafür sorgen, daß Sie während Ihres Aufenthaltes in Sydney nicht belästigt werden, und Sie mit Mr. Melville in Verbindung bringen, wenn Sie bereit sind, mit ihm zu sprechen.«

»Und angenommen, ich sage Ihnen und Mr. Melville, daß Sie sich um Ihre eigenen verdammten Angelegenheiten kümmern sollen?«

»Sie sind ›unsere Angelegenheiten‹ Mr. Gregory.«

»Dieses ganze Gerede von Ihrem tollen Hoteljob war also bloße Augenauswischerei!«

»Im Gegenteil. Mr. Melville besitzt die ganze Melmar-Hotelkette – fünfzig Hotels rund um die Welt. Daher stammt auch der Name – Melville, Marius: Melmar, ganz einfach. Wir bieten unseren Gästen den besten Sicherheitsservice der Welt: Leibwächter, elektronische Überwachung, Schutz gegen Abhöreinrichtungen und Diebstahl von Wirtschaftsgeheimnissen. Dieser Service wird Ihnen zur Verfügung stehen.«

»Ich will ihn aber nicht.«

»Sie brauchen ihn … Bitte, regen Sie sich nicht auf. Sie machen damit nur alles schwieriger für sich selbst und für mich.« Wenn ich nicht gelacht hätte, hätte ich meine Wut durch das ganze Flugzeug geschrien.

»Miss Larsen, bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß sowohl Sie als auch Marius Melville mir völlig gleichgültig sind. Ich habe nicht um Ihren Schutz gebeten. Ich will nicht, daß Sie oder Ihr Arbeitgeber in meinem Leben herumkramen … Wenn wir das klargestellt haben, können wir beide den Rest der Reise genießen, ja?«

Bevor sie Zeit hatte, mir zu antworten, stand der Steward neben uns und bot kühle Getränke an. Ihm folgte ein Mädchen mit geeisten Handtüchern. Wieder leierten sie den Gebrauch der Sauerstoffmasken und die Schlauchbootroutine herunter, und dann erläuterte uns eine Stimme aus dem Cockpit die Route nach Singapur. In der Zwischenzeit war aus Laura Larsen eine gelassene, sehr bedächtig sprechende junge Dame geworden. Sie legte ihre kühle Hand auf mein Handgelenk und sagte: »Hören Sie mir bitte aufmerksam zu, Mr. Gregory. Sagen Sie nichts, bevor ich zu Ende gesprochen habe … Ich arbeite seit fast zehn Jahren für Marius Melville. Er ist ein sehr eindrucksvoller Mann. Ich kannte auch Charlie Cassidy. Ich bin als Mr. Melvilles Repräsentantin mehr als einmal mit ihm auf Reisen gewesen. Ich habe ihn gemocht – meistens. Aber das ist nicht wichtig. Tatsache ist, daß er und Mr. Melville überall in der Welt eine Menge Geschäfte abgewickelt haben. Sie sind der Nachlaßverwalter von Cassidy, da ist es nur natürlich, daß Marius Melville sich für Sie interessiert. Er steht jetzt in Ihrem Leben – ob Sie es wollen oder nicht. Und weil er in Ihrem Leben steht, stehe auch ich in Ihrem Leben – und eine Reihe anderer Menschen, die Sie nicht kennen, und einige von ihnen würden Sie auch gar nicht kennenlernen wollen. Warum stellen wir das nicht erst mal klar? Dann können wir offen sprechen.«

»Keine Geheimnisse?«

»Natürlich gibt es da Geheimnisse. Und Sie sollten verdammt froh darüber sein!«

Zu den Kunstgriffen der Jurisprudenz gehört es, eine Auseinandersetzung abzubrechen, wenn sie einen in eine Sackgasse zu führen droht. Ich blieb so höflich wie möglich:

»Sie haben Ihren Standpunkt erläutert. Hier ist der meine: Ich wickle die Vermögensverhältnisse eines Mannes ab, der im öffentlichen Leben gestanden hat und außerdem mein Schwiegervater war. Hierfür gibt es rechtliche Richtlinien. Ich kann die Vorschriften weder für Sie noch für Marius Melville, noch für die Königin von England ändern!«

Sie kicherte leise; es klang fast wehmütig.

»Mein Gott, Sie sind genau wie Charlie Cassidy. Ich habe ihn bei Besprechungen in Nassau und Hongkong erlebt, wenn die Atmosphäre so aufgeladen war, daß man im nächsten Augenblick Blitz und Donner erwartete. Im nächsten Augenblick brachte er die Zuhörer durch irgendwelche albernen Witze zum Lachen – aber nie gab er seine Positionen auf. Mr. Melville sagte immer: ›Cassidy ist ein Genie. Wenn er zu einer Geschäftsbesprechung kommt, sind seine Taschen mit Gratisgaben vollgestopft. Dann streiten sich die Leute über diese Gaben wie Affen über eine Tüte Erdnüsse. Zu guter Letzt ist das alles, was sie bekommen haben – Erdnüsse –, während Charlie mit dem Gold, dem Mädchen und zehn Prozent Gewinn an den Termingeschäften davongeht. Nicht, daß er geldgierig wäre. Er kennt seinen Wert und macht kein Hehl daraus.‹ … Mr. Melville ist ganz anders, man würde nicht glauben, daß sie überhaupt miteinander ausgekommen sind. Aber sie waren enge Freunde. Mr. Melville war sehr betrübt über Charlies Tod.«

»Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«

»Bitte.«

»Haben Sie Angst vor Marius Melville?«

»Warum stellen Sie mir diese Frage?«

»Sie nennen Cassidy beim Vornamen, aber von Melville sprechen Sie immer sehr formell.«

»Er ist ein formeller Mann. Er regt nicht gerade zu Vertrautheit an.«

»Scheint ein kalter Fisch zu sein.«

»O nein. Er ist wie ein schlafender Vulkan, dessen Glut im Inneren verborgen ist.«

»Also wiederhole ich die Frage: Haben Sie Angst vor ihm?«

»Angst nicht. Respekt.«

»Offenbar respektiert er Sie auch.«

»Ich leiste gute Arbeit.« Sie sagte es mit einem Achselzucken, zögerte dann einen Augenblick, bevor sie mit fast weinerlicher Stimme hinzufügte: »Bitte, Sie wollen doch nicht alles durcheinanderbringen? Sie werden doch nicht den Hinterlistigen spielen?«

»Dazu habe ich keinen Grund. Ich bin eine einfache Seele, die zu jedermann freundlich ist und sich nicht gern herumstoßen läßt.«

»Gut!« Es klang wie ein langer Seufzer der Erleichterung.

»Jetzt kann ich mich auf mein Lunch und den Film freuen!«

Und damit beendeten wir das ganze Gespräch. Während des Mittagessens tauschten wir nur nichtssagende Bemerkungen aus. Während des Films döste ich vor mich hin. Die ganze Strecke von Singapur bis zum Sonnenaufgang über der australischen Wüste verschliefen wir. Als kurz vor der Landung die rotgedeckten Dächer Sydneys unter uns auftauchten, sagten wir uns Lebewohl. Es tat mir leid, sie gehen zu sehen – und fast wäre ich so dumm gewesen, es ihr zu sagen; aber meine Eulenlady hatte das letzte Wort.

»Bei unserer nächsten Begegnung können wir uns hoffentlich etwas gelöster unterhalten. Sobald Sie bereit sind, mit Mr. Melville zu konferieren, geben Sie mir bitte Bescheid. Wenn Sie in Schwierigkeiten geraten, rufen Sie mich an, und laden Sie mich zum Dinner bei Mario’s ein. Das ist das Codewort – ›Dinner bei Mario’s‹. Wenn wir das hören, drücken wir auf den roten Knopf und alarmieren die Einsatztruppe …«

Cassidy

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