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Ich hoffte, noch vor Beginn der Regenzeit auf und davon zu sein. Die traurige Prozedur einer Hexenjagd kannte ich nur zu gut. Die Presse schrie: »Skandal!« Die Bevölkerung steigerte sich in eine selbstgerechte Wut hinein. Die Regierung setzte eine Royal Commission mit der Befugnis ein, von allen möglichen Leuten eidesstattliche Erklärungen zu verlangen. Die Kommission schleppte sich dahin, bis der letzte Saft aus dem Skandal herausgedrückt und aus der Auseinandersetzung der letzte Tropfen Leidenschaft ausgepreßt war. Gegen diejenigen, die sich als Sündenböcke geradezu anboten, wurde Anklage erhoben. Sobald die Öffentlichkeit der ganzen Sache überdrüssig geworden war, kehrte alles zur Normalität zurück.

Das letzte, was ich mir wünschte, war eine Vorladung vor den Beauftragten der Krone mit der Verpflichtung, unter Eid über Charles Parnell Cassidy auszusagen. Deshalb zählte für mich jeder Tag. Um drei Uhr nachmittags, noch bevor die Blumen auf Cassidys Grab zu welken begonnen hatten, begab ich mich in Micky Gormans Kanzlei zu einem ersten Gespräch über die Vermögenslage.

Gorman – das war der, der den Presselöwen vertrat – war ein großer, munterer Bursche mit dröhnendem Lachen, einem scharfen Blick und einem Vorrat an Witzen, mit denen er die Unvorsichtigen abzulenken pflegte. Ich kannte ihn seit meiner Anfangszeit und hatte großen Respekt vor seiner Geschicklichkeit. Ich zeigte ihm die Kopie des Testaments und der Treuhandverträge. Er warf einen flüchtigen Blick darauf und sagte: »Ich habe die Dokumente entworfen. Ich kann in dieser Sache vorgehen, falls Sie es wünschen.«

Ich erzählte ihm von meinem Abendessen mit dem Premier und dem Justizminister. Er stöhnte.

»Loomis ist ein fetter Maulheld. Mit dem werde ich schon fertig. Die Testamentsbestätigung wird keine Verzögerung erfahren. Alle Vermögenswerte sind sauber, und die Steuern sind bis auf den heutigen Tag bezahlt.«

»Loomis deutete an, es gebe noch andere Dinge – nicht so saubere.«

»Hat er irgendeinen Beweis vorgelegt?«

»Er übergab mir eine Liste, auf der offensichtlich ausländische Firmen und Konzerne vermerkt sind. Er behauptet, Cassidy habe Verbindungen zu ihnen gehabt, und diese ihrerseits stünden mit kriminellen Vorgängen in Zusammenhang. Er verlangte von mir die Herausgabe aller Unterlagen von Cassidy, die sich auf Namen dieser Liste beziehen.«

»Haben Sie die Liste bei sich?«

Ich reichte ihm den Umschlag, den Loomis mir gegeben hatte. Er überflog den Inhalt. Offenbar war er nicht glücklich über das, was er da las. Er gab mir das Kuvert zurück und fragte:

»Haben Sie tatsächlich irgendwelche Papiere von Cassidy?«

»Überhaupt keine, außer denen, die auf Ihrem Schreibtisch liegen.«

Es war eine sorgfältig überlegte Haarspalterei. Unterlagen auf Mikrofilm sind keine Papiere. Sie sind Fotokopien. Gorman schien erleichtert.

»Dann ist die Sache für Sie ja abgeschlossen.«

»Nicht ganz.«

»Ach?«

»Als Testamentsvollstrecker bin ich beauftragt, das Vermögen zusammenzustellen und zu verteilen. Dazu gehören auch Cassidys Papiere. Deshalb muß ich wissen, wer sie besitzt und wo sie liegen. Sie müssen einige davon in Ihrem Büro haben.«

»Einige, ja.«

»Wo ist der Rest?«

»Zunächst«, sagte Micky Gorman, »werde ich Sie am besten erst einmal aufklären. Sie sind lange Zeit fortgewesen. Sie und Cassidy waren Feinde. Was wissen Sie schon?«

»Ja, was eigentlich?« Unwissenheit war mein stärkster Schutzschild. Seine nächsten Worte teilte Micky Gorman sparsam wie Goldstaub aus.

»Als Politiker und Jurist war Cassidy ein Naturtalent. Er verstand das Regierungsgeschäft – jede einzelne Nuance dieses Spiels! Wenn Sie ihn in Aktion sahen, war es, als ob Sie einen großen Tennisspieler beobachteten – Kopf, Muskeln und Emotionen perfekt aufeinander abgestimmt und aufs Töten aus.« Er grinste und zuckte verlegen mit den Achseln. »Verzeihen Sie mir, normalerweise rede ich nicht so blumig. Aber ich bewunderte den Kerl – beneidete ihn auch. Alles schien ihm so leicht von der Hand zu gehen – auch die beschissenen Belanglosigkeiten, die für einen intelligenten Menschen des Schwerste sind … Ja, er hatte eine ganz einfache Theorie über das Regieren: Der Herrscher herrschte; der Premier war das, was sein Titel besagte – oberster Mann auf dem Totempfahl; der demokratische Prozeß war nichts weiter als ein Prozeß, mit dessen Hilfe Macht gewonnen wurde. Er wandte diese Grundeinstellung in allen Bereichen an. Er war derjenige, der die Schüsse abrief. Schauen Sie, mein größter Klient, Gerry Downs, leitet eine ganz Australien umfassende Kette von Zeitungsverlagen und Fernsehstationen. Er hat in den letzten zehn Jahren Millionen bei dem Versuch ausgegeben, Charlie Cassidy zu Fall zu bringen. Es ist ihm nicht gelungen. Jetzt wird er natürlich die Mitläufer und die lokale Maschinerie kaputtmachen – aber Charlie ist tot und außer Obligo! Wie hat Charlie das fertiggebracht? Ihm war jedes Mittel recht: Bestechung, Erpressung, Verteilung von Ämtern – auch Mord, wenn man der Sache auf den Grund geht! –, aber seine Hände waren immer sauber. Als mir angeboten wurde, für Gerry Downs zu arbeiten, war die Situation, um mich vorsichtig auszudrücken, ungewöhnlich. Cassidy war aus unserer Partnerschaft ausgetreten, aber unser Mandant geblieben. Downs bot mir an Honoraren und Beziehungen mehr, als man verkraften konnte. Ich ging zu Cassidy. Ich erzählte ihm von dem Interessenkonflikt. Cassidy tat die ganze Sache grinsend und mit einem Achselzucken ab. Ich kann mich noch an jedes Wort erinnern, das er zu mir sagte: ›Micky, es ist mir völlig egal, was du machst. Ich gehe jede Wette ein, daß ich besser als Gerry Downs schlafe. Wenn er dich von mir loseisen will – schön. In deiner Hand befindet sich nicht ein Dokument, das nicht jeder Untersuchung vor Gericht standhalten würde. Wenn Gerry Downs dich jemals fragen sollte – was er nicht tun wird –, dann erzähl ihm, was ich dir gesagt habe.‹« Gorman brach ab und blieb zusammengesunken in seinem Sessel sitzen; er spielte mit einem Brieföffner herum. Ich forderte ihn heraus.

»Wollen Sie mir etwa erzählen, daß Charlie Cassidy Ihren Unterlagen zufolge eine weiße Weste hatte?«

»Weißer als weiß.«

»Aber gleichzeitig wollen Sie mir weismachen, er habe sich der Bestechung, Erpressung und des Mordes schuldig gemacht … Wissen Sie das – oder ist das nur eine Vermutung?«

»Ich weiß es.«

»Woher?«

»Fragen Sie mich nicht. Aber sobald ich es erfahren hatte, habe ich Cassidy aus unserer Partnerschaft ausgezahlt. Ich zahlte ihm den doppelten Wert seines Anteils. Das müßte Ihnen einiges erklären.«

»Ich will niemandem Schwierigkeiten machen. Ich will lediglich wissen, ob irgend jemand irgend etwas gegen Cassidy beweisen kann.«

»Gegen Cassidy braucht jetzt nichts mehr bewiesen zu werden. Vermutungen, Assoziationen, Schlußfolgerungen – mehr braucht man nicht, um sein Andenken zu diskreditieren. Aber es gibt greifbare Beweise gegen viele von Charlies Leuten; Bestechung, geheime Absprachen, mit deren Hilfe das Gesetz pervertiert wurde, Einschüchterung, solche Sachen. Gerry Downs wird in seinen Blättern eine hübsche Serie veröffentlichen, die ausreichen wird, um die Regierung bei den nächsten Wahlen zu Fall zu bringen. Die Meinungsumfragen sprechen sich schon jetzt eindeutig gegen sie aus.«

»Sie haben mir immer noch nicht erzählt, wie es Charlie gelang, so lange in Sicherheit zu bleiben.«

»Wollen Sie es wirklich wissen?«

»Ich muß es wissen. Ich bin mit seiner Tochter verheiratet.

Meine Kinder sind seine Enkel. Sie würden es mir nie verzeihen, wenn ich mich um die Vergangenheit herumdrücken würde.«

»Wenn Sie es wollen, bekommen Sie es auch.« Gorman wurde plötzlich schroff. »Jeder Roman, den Sie je gelesen haben, folgt dem klassischen Muster: Die Verbrecher korrumpieren die anderen. Sie kaufen die Polizei. Sie erpressen die Abgeordneten. Sie terrorisieren die Unschuldigen. So arbeiten sie – die Mafia, die Camorra, die Triaden. Stimmt’s?«

»Ja.«

»Charlie Cassidy tat genau das Gegenteil. Er steuerte die Kriminellen. Er war der Pate, der Kaiser von China für die Unterwelt. Er war ein Machthaber, einer, der für diese Rolle geboren war. Er fing als reicher Mann an, müssen Sie wissen. Er brauchte sich nicht für Geld zu verkaufen. In ihm steckte genug irisches Katholikentum, daß er sich aus unerfreulichen sexuellen Situationen heraushielt. Oh, es gab Frauen in seinem Leben, sogar viele, aber er wurde nie in einer peinlichen Situation erwischt. Er war, was meine irische Großmutter einen gestandenen Mann nannte. Er konnte sich in jede Verbindung einkaufen; aber seine Beziehungen führten alle ins Ausland. Das war sein Geheimnis, verstehen Sie? Geld im Ausland, Einfluß im Ausland. Hongkong, Macao, Singapur, Indien, die Bahamas, Florida. Sie können überall in die Landkarte eine Nadel stecken – Cassidy hatte einen Mann dort sitzen. Und er genoß Respekt. Das war der Schlüssel zu allem. Er genoß Respekt. Wenn er einen Killer oder einen Einschüchterer brauchte, ließ er ihn von draußen einfliegen; auf diese Weise mußte er sich nie mit der einheimischen Polizei oder den hier ansässigen Ganoven befassen. Wenn er mehr Kapital brauchte, verfügte er im Ausland über Konten als Rückendeckung …«

»Aber was bot er als Gegenleistung? Keine Einzelperson kann es mit den Geldmitteln der internationalen Verbrechersyndikate aufnehmen.«

Gorman dachte einen Augenblick über die Frage nach und antwortete mir dann in ernstem Tonfall.

»Begünstigung! Das konnte er bieten. Gefälligkeiten von König Charlie Cassidy! Er konnte sich diesen ganzen Bundesstaat gefügig machen: die Gewerkschaften, die Clubs …Vergabe von Baugenehmigungen, Kontrolle der Transportwege, der Häfen und Flugplätze … Er verteilte auch die Zuwendungen der Bundesregierung, denn die Leute vom Bund hingen von Charlies sicheren Wählerstimmen ab, wenn sie Sitze im Parlament gewinnen wollten … Das sind ziemlich viele Sicherheiten, Martin. Zum Schluß stellte sich jedoch heraus, daß es nicht genug waren. In den letzten drei Jahren ging es mit Charlie bergab. Er verlor jeden Tag an Boden.«

»An wen? An was?«

»Alter … Sterblichkeit. Er hatte nicht mehr das Durchsetzungsvermögen, und das andere, na ja …«

»Sprechen Sie es aus, Micky, bitte!«

»Das andere war Rauschgift. Er sagte immer: ›Wenn du sie nicht schlagen kannst, mach gemeinsame Sache mit ihnen.‹ Er konnte den Drogenhandel nicht ausmerzen, aber er glaubte, ihn unter Kontrolle zu halten und seine Folgen eingrenzen zu können. Darin irrte er sich. Er konnte den Drogenfluß nicht kontrollieren. Er wurde der Freibeuter auf dem Markt nicht Herr und es gelang ihm auch nicht, den Strom neuer Geldmittel, die dadurch auf den Markt kamen, zu bremsen … So verlor er den Boden unter den Füßen. Traurig, wenn man es sich genau überlegt.«

Micky Gorman erhob sich aus seinem Sessel, ging zum Fenster und starrte auf das blaue Wasser hinaus, das zwischen den Wolkenkratzern hindurchschimmerte. Nach längerem Schweigen sagte er: »Martin, ich habe es mir noch einmal überlegt. Es würde, alles in allem, eine klarere Situation schaffen, wenn Sie sich jemand anderen besorgen würden, der Cassidys Testamentsangelegenheiten in die Hand nimmt.« Ich spürte plötzlich aufwallenden Zorn, aber es gelang mir, ihn hinunterzuschlucken.

»Ganz, wie Sie wollen. Packen Sie die Akten, die Sie haben, zusammen. Bereiten Sie eine Endabrechnung vor. Ich bin morgen mittag wieder da, um alles zu begleichen und die Unterlagen abzuholen.«

»Vielen Dank. Sie sind mir nicht böse?«

»Überhaupt nicht, Micky. Ich werde sogar eine Schüssel mit Wasser mitbringen, damit Sie Ihre Hände in Unschuld waschen können!«

»Unterstehen Sie sich!«

»Wo sind die restlichen Papiere von Cassidy?«

»Ich weiß es nicht. In seinem Haus. In seiner Bank. Er hat sich mir schon lange nicht mehr anvertraut.«

»Ich kann ihm daraus keinen Vorwurf machen. Sie etwa?« Er antwortete nicht. Drei Minuten später saß ich in einem Taxi, dessen Fahrer, ein Vietnamese, ein engelhaftes Lächeln und einen irren Blick hatte, und fuhr zu Cassidys Haus am Hafen.

Cassidy

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