Читать книгу Narben - Morten Makolje - Страница 6

3. Die Suche

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Wir fuhren mit seiner Nobelkarosse wieder durch die halbe Stadt. Es kam mir ewig vor. Man hätte den Eindruck haben können, er hätte einfach nur Spaß am Fahren und würde deswegen diese ganzen Umwege nehmen, aber ich hatte überhaupt keine Eindrücke, höchstens Schmerzen und Übelkeit.

Nach einer Weile – war es eine viertel Stunde, eine halbe Stunde? – fragte sie mich: „Und wie geht es dir?“

Sie saß neben mir. Von vorne kam kein Wort.

„Beschissen.“

„Hast gestern auch ganz schön getankt.“

„Hm.“

„Sorgen?“

„Hm.“

„Geld?“

Pause.

„Frauen!?“

„Hey!“, ich stellte mir vor, ich hätte dazu einen Zeigefinger gehoben.

„Schon gut.“

„Tut mir leid, aber... Ich wollte dich gestern wirklich nicht anmachen.“

„Ach ja!?“, sagte sie etwas beleidigt.

„Irgendwie kann man es euch nicht recht machen. Macht man euch an, dann ist es nicht gut, wird gesagt, man dächte nur an das eine; macht man euch nicht, dann faßt ihr das als Beleidigung auf, so als würde man euch dann nicht schön finden oder was auch immer.“

„Das mußtest du jetzt wohl loswerden, was?“

„Ja.“

„Hat es sich wenigstens mit Kopfschmerzen gerächt?“

„Ja, sind stärker geworden.“

Sie grinste, versuchte es zu verstecken. Ich mochte sie.

In einer ziemlich üblen, weil kleinstädtischen, Gegend am Stadtrand hielten wir vor einem kleinen Laden und gingen natürlich auch rein.

Es roch nach lauwarmen Zwiebeln oder nach Döner oder nach irgendwas gegessenem, wirklich nicht angenehm. Vielleicht war ich wegen meines Zustands auch nur etwas empfindlich. An Kleiderstangen hingen Klamotten, knallig bunt oder in verblaßten 70er-Jahre-braun-beige-ocker-irgendwas-Farben gehalten. Eine Tür führte in ein Hinterzimmer. An einem kleinen Nähmaschinentisch, natürlich mit Nähmaschine, die von einer billigen Stehlampe beleuchtet wurde, saß ein alter, bärtiger Türke, Grieche oder was in der Art. Für meine Undifferenziertheit in dieser Frage würden mir wahrscheinlich Angehörige beider und noch anderer Volksgruppen den Kopf abreißen wollen, doch ich hatte ja noch nichts gesagt und deswegen vielleicht auch noch meinen Kopf. Der – sagen wir mal – Türke begrüßte Lou freundlich. Endlich wußte ich auch seinen Namen wieder. Das Barmädchen und ich bekamen nur einen kurzen, skeptischen Blick zugeworfen. Wir – das Barmädchen und ich – schauten uns an. In dem Augenblick war ich ganz Brad Pitt. Lou und der Türke tuschelten, mir egal was. Ich holte eine Zigarette raus und zündete sie mir an. Das tat gar nicht gut. Ich schwor mir, nie wieder etwas zu trinken, und wußte doch gleich, den Schwur nicht lange halten zu können, bestenfalls heute noch.

„Machst du Zigarette aus, ist nicht gut, wenn Kunden das hier riechen“, sagt der Türke.

„Und der Essensgeruch?“ dachte ich, ging kurz zur Tür und schnippe die noch brennende Fluppe raus.

Er sagte „danke“. Ich nickte nur und sie tuschelten weiter. Ich zeigte auf einen klapprigen, alten Küchenstuhl, das Mädchen schüttelte den Kopf, ihren Kopf, und ich setzte mich. Kaum hatte ich platzgenommen, da rief mich der Türke auch schon zu sich.

„Hey du, komm“, er winkte dazu, wie theatralisch. Ein „Bitte“ kannte er wohl nicht.

Ich hatte keine Lust, sondern immer noch dieses blöde Tier. Er winkte noch einmal, Lou nickte. Ich fügte mich, denn schließlich würde er mich eines schönen Tages dafür bezahlen, oder? Er würde auf jeden Fall dafür bezahlen, so oder so.

„Das sind Fotos...“, setzte Lou an.

„Woher?“, wollte ich ihn ausquetschen, so richtig, damit auch er litt und um ihm zu zeigen, daß, nur weil er die Zeche zahlen würde, nicht automatisch sagte wo es langginge, aber er blockte ab.

„Das ist jetzt egal. Das sind Fotos von Schimmis Jacke.“

„Welcher Schimmi?“, war mein nächster Versuch.

„Na, du weißt schon. Schimmi...“

„Nee, keinen blassen Schimmi-Schimmer“, sagte ich, hatte aber doch eine Ahnung, was da auf mich zukommen sollte.

„Na, Schimanski, Kripo Duisburg, Tatort.“

„Ach der Schimmi, jetzt ist der Groschen gefallen.“ Alle Befürchtungen sah ich bestätigt.

„Fotos beweisen, Jacke echt, dann natürlich Schimmi auch“, glaubte der Türke.

„Natürlich“, sagte ich mit etwas zuviel Emphase und war kurz vorm Verzweifeln.

„Komm, wir gehen nach hinten, Hermann will dir noch was zeigen“, sagte Lou.

„Wer ist Hermann?“

Lou verzog ziemlich angestrengt den Mund und zuckte mit dem Kopf. Was hatte der denn?

Er sagte „Iwi“ und machte ihr ein Zeichen, vorne zu bleiben. Jetzt erinnere ich mich, daß ich ihren Namen schon kannte – E. V. –, aber woher kannte ich sie?

Wir Männer gingen nach hinten.

Ein fensterloser Raum, zugestellt mit Regalen, darin Ordner, lose Blätter, Zeitschriften, Videokassetten, in einer Ecke ein kleiner Schreibtisch mit Computer, Fernseher und Videorekorder, aber kein Hermann.

Der Türke fing an, stolz von seinen ganzen Akten zu erzählen.

„Hier habe ich einen Ordner mit den wichtigsten Kriminalfällen, die sich während der Ausstrahlung von Schimanski-Tatort-Folgen ereignet haben.“ Das verstümmelte Deutsch war Geschichte.

„Ja und?“

Der Türke verdreht die Augen und Lou erklärt: „Bei all diesen Verbrechen wurde ein Fernseher vollkommen zerstört.“

„Kann man einen Fernseher nicht nur einmal vollkommen zerstören, enthält ‚zerstört’ nicht ‚vollkommen’?“

„Hey, paß auf.“

„Schon gut.“

„Es wurde jedes Mal ein Fernseher zerstört, nicht immer derselbe, auch nicht der gleiche...“

„Kann ein Ding alleine ‚gleich’ sein?“

„Gleich setzt es was, dann weißt du, was gleich sein kann...“

„Jaja, schon gut.“

„Bist du sicher, daß der der richtige ist?“, fragte der Türke.

„Ja, einen Dümmeren hätten wir nicht finden können.“ Lou grinste.

„Ganz schlechte Retourkutsche. Also jedesmal bei der Ausstrahlung einer und so weiter wurde ein Verbrechen begangen und der Fernseher zerstört. Habe ich das richtig verstanden?“

„Ja, so ist es.“

„Puuuh“, sagte ich, ohne zu wissen, was ich damit eigentlich sagen wollte.

„Starker Tobak, was?“

Das Telefon klingelte, der Türke ging ran, sagte nur „ja“, schrieb was auf einen Zettel und legte ein paar Sekunden später fassungslos auf.

E. V. stand in der Tür, sie hat wohl die Aufregung mitbekommen. „Was ist los?“, fragte sie.

Der Türke schaute mich an: „Dein erster Fall. Tatort Park.“

„Wir fahren sofort hin“, sagte Lou.

Der Türke gab Lou den Zettel, den er während des Telefonats beschrieben hatte, wie ich beschrieben hatte. Lou warf beim Hinausgehen einen kurzen Blick drauf und verabschiedete sich vom Türken. „Tschüß Hermann.“

Der Türke war also Hermann, Hermann war also der Türke, je nach Blickwinkel.

E. V. und ich saßen wieder hinten im Wagen, Lou fuhr sehr schnell Richtung Zentrum, hielt am Park, guckte noch einmal auf den Zettel, nahm einen Schluck aus seinem Flachmann, reichte ihn uns, E. V. winkte ab, ich nahm aber einen Schluck, ein Fehler.

In einem abgelegenen Teil des Parks – hierher hatte sich offensichtlich schon lange kein Hundebesitzer mehr mit seinem Spielzeug verirrt – steckte ein Fernseher im Rasen, so als wäre er von weit oben abgeworfen worden, um diesem Effekt zu erzielen. Vielleicht wurde auch nur ein kleines Loch gegraben und der Fernseher geschickt drapiert. Schließlich ging es hier ums Fernsehen. Die Mattscheibe war gesprungen. Die Risse breiten sich sternförmig etwa von der Mitte aus. Das sprach gegen einen Sturz. Außerdem war auf die Scheibe ein Fadenkreuz gemalt und das Zentrum der Risse war das Zentrum des Fadenkreuzes. Ich konnte auf die Schnelle nicht erkennen, ob das Fadenkreuz gemalt wurde, nachdem die Schreibe zerstört wurde, aber es sah so aus. Es wirkte alles wie eine kindische Inszenierung, aber vielleicht war ich auch nur zu skeptisch und wollte nicht an Herrmanns Glauben an eine Verschwörung teilhaben.

Als wir Blaulicht sahen verkrümelten wir uns. Auf dem Weg zum Auto kamen uns ein paar Beamte entgegen, einer schaute Lou fragend an, erhielt aber keine Antwort, ich bekam jedenfalls keine mit. Lou fuhr E. V. in die Bar und mit mir in mein Büro. Von dort rief er Hermann an und beschrieb ihm den Tatort. „Die Bullen sind jetzt da“, schloß er seinen Bericht ab.

„Ich verdufte jetzt“, sagte er zu mir, gleich nachdem er den Hörer aufgelegt hatte..

„Keine Anweisungen?“

„Nein, erst einmal nicht, werde mich aber bald melden.“

„Ok.“

„Doch eine Anweisung: Schlaf dich aus!“

„Darauf wäre ich selbst gekommen.“

Ich ging also nach Hause und legte mich ins Bett.

Narben

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