Читать книгу Narben - Morten Makolje - Страница 9
6. Die Vergangenheit
Оглавление„Du nimmst also das Übliche.“
„Warum auch nicht?“
„Muß sich nicht mal was ändern?“
„Ja, da gibt es ganz wilde Theorien über Lebensqualität, Wandel und Kontinuität und blabla. Jeder legt die doch so aus wie es ihm gerade paßt. Ich habe keine Lust, darüber nachzudenken. Ich habe zurzeit zu viel Brei im Kopf, um mit dem ganzen Kram irgend etwas anfangen zu können.“
„Mußt du ja auch nicht. Man kann doch sein Leben ganz theoriefrei verändern.“
„Klar.“
„Geht es dir gut? Ganz bestimmt nicht. Du machst diesen total idiotischen Job und läßt dich treiben.“
„Ich bin da halt so reingeraten – du weißt wie – und jetzt komme ich da nicht mehr raus.“
„Willst du das noch den Rest deines Lebens machen?“
„Vielleicht ist das ja gar nicht mehr so lang. Es gibt immer mal wieder Situationen, in denen ich glaube, jemanden so auf die Nerven zu gehen, daß er mich loswerden will.“
„Ach komm, dein Leben ist kein Kriminalroman, in dem der Schnüffler aufgerieben wird zwischen Gut und Böse und früher oder später beim Einsatz für das Gute einen Unfall hat oder ganz einfach von einem Mafiatypen erschossen wird.“
„Wer weiß, die Mafia ist keine Fiktion und es gibt auch noch andere Bösewichte.“
„Hallo? Warum solltest du in eine solche Situation kommen?“
„Weil ich mich einfach so treiben lasse?“
„Quatsch!“
„Na, dann mache ich diesen Job halt bis ich 80 bin.“
„Das hältst du nicht aus. Warum machst du nicht etwas, das dir Spaß macht?“
„Brotlos.“
Der Kellner kommt, bringt die Vorspeisen, hat mein letztes Wort aufgeschnappt und will das Brot wegstellen. „Nein, sie waren nicht gemeint. Wir essen ihr Brot immer noch sehr gerne“, sagte Anne.
„Soll ich wieder Journalist werden?“
„Warum nicht? Als wir zusammen gearbeitet haben hat das doch ziemlich gut geklappt.“
„Ich habe recherchiert und du hast geschrieben. Ich kann gar nicht schreiben.“
„Ach komm.“
„Doch! Außerdem…“
„Was?“
„Ich habe das nur gemacht, um mit dir zusammen zu sein.“
„Hä?“
„Ja, ich hatte damals schon nicht Journalist sein wollen. Ich wollte eigentlich nur mit dir zusammensein, selbst wenn es nur über die Arbeit ist.“
„Uuups.“
„Eigentlich habe ich mich schon immer nach den Mädchen oder Frauen gerichtet. Als in der Schule die Entscheidung anstand, welche Sprache ich als zweite Fremdsprache nehmen sollte, da habe ich natürlich nicht überlegt, mit welcher man mehr anfangen kann oder welche mir mehr liegt. Ich habe nur geguckt, welche Mädchen sich für welche entscheiden. Die Mädchen, die sich für Französisch entscheiden, fand ich einfach viel interessanter als die lateinischen.“
Sie sagte nichts und ich war froh darüber, denn ich wollte nicht weiter zum Thema Schule abschweifen, das wäre wirklich absolut unerfreulich geworden.
„Ich hatte immer versucht, mir das nicht anmerken zu lassen. Ich hatte Angst, daß das als Zeichen von Schwäche ausgelegt wird. Wenn Mann sein Leben auf Frau ausrichtet, dann ist das doch ein typisches Verhalten von Weicheiern, selbst Frauen sehen das so. Und welche Frau will schon ein Weichei zum Mann? Eine so toughe wie du ganz bestimmt nicht.“
„Hm.“
„Deshalb habe ich immer so getan als wäre das auch mein Ding. Und als dann dieser Idiot in dein Leben trat und ich noch nicht einmal mehr die zweite Geige spielen konnte, da bin ich halt bei der ‚Recherche’ geblieben, habe nur die Branche gewechselt.“
„Warum hast du nicht deine Malerei wiederaufgenommen?“
„Ach, das hatte viele Gründe. Ein Zurück ist doch immer das Eingeständnis des Scheiterns und ich hatte auch keinen Antrieb mehr, war sehr deprimiert.“
„Daß ein Zurück ein Scheitern ist, ist doch quatsch. Aber deiner Deprimiertheit den Anstrich von Frust zu geben, das paßt natürlich zur Attitüde eines Privatdetektivs.“
„Im Film schon, deshalb hab ich es einfach auch so gespielt und spiele es noch, das ist der einzige Spaß, der ab und zu dabei aufkommt, aber eigentlich ist die Branche viel solider als im Film.“
„Also auch keine Mafia etc.“
„Meistens eher Bespitzelung von Angestellten oder Ehepartnern. Die dreckige Wäsche anderer, aber das war ja auch schon bei unseren Recherchen so.“
„Und wenn du jetzt was anderes machst? Ich halte dich nicht mehr in deinem Job.“
„Malerei?“
„Warum nicht? Ich habe das Ressort gewechselt, nicht mehr Wirtschaft, sondern Kultur.“
„Lohnt sich das?“
„Ich habe genug Arbeit und ich kann…“
„…das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.“
„Oder wie auch immer das heißt. Ja. Viele Leute brauchen die harte Grenze zwischen Privatleben und Arbeit. Ich nicht, ich finde es praktisch, beruflich ins Theater gehen zu können.“
„Von Malerei kann doch nur ein Promille der Maler leben, die anderen sind Taxifahrer, Kellner oder machen an Computern rum.“
„Die probieren es wenigstens und vielleicht sind die trotzdem zufriedener als du. Das ist doch wie beim Lottospielen: Nur wer spielt kann auch gewinnen.“
„Ja, ja.“
„Und?“
„Und was?“
„Habe ich dich überzeugt, den Unfug aufzugeben?“
„Nein.“
„Ich würde auch was über dich schreiben.“
„Das zieht nicht.“
„Hm.“
„Ich bin überhaupt nicht kreativ, wenn ich es sein muß und auch nicht, wenn es mir schlecht geht.“
„Das ist ungewöhnlich, also letzteres, glaube ich. Unzufriedenheit ist doch oft ein Antrieb. Die Alkoholikerrate unter Schriftstellern ist enorm, auch unter Malern und Musikern abseits des Mainstreams ist – zumindest in der wichtigsten Schaffensperiode – der Drogenkonsum und anderes selbstzerstörerische Verhalten besonders ausgeprägt.“
„Ich bin dann einfach nur leer.“
„Dann übertreibst du es vielleicht.“
„Ist doch aber auch alles egal.“
Zum Glück kam der Hauptgang und ich fragte mich, warum ich mich eigentlich andauernd mit Frauen unterhalte. Nur weil sie die viel angenehmere Gesellschaft sind? Ich sollte mal wieder ins Stadion gehen und mich mit ein paar Typen über den bevorstehenden neuerlichen Abstieg des Stadtvereins unterhalten. Oder über Autos. Oder über das letzte versoffene Wochenende. Da besteht keine Gefahr, daß irgend jemand irgendein Leben verändern will.
Nachdem der Kellner gegangen war, fing Anne wieder an.
„Was müßte denn passieren, damit du dein Leben änderst?“
„Ich müßte da versehentlich rein geraten – in die Veränderung“, sagte ich grinsend, denn der Duft der Pizza weckt neue Lebensgeister und gab mir Kraft, das Thema zu beenden oder lockerer zu nehmen.
„Im Ernst!
„Im Ernst? Ähm, ich müßte im Lotto gewinnen und mein Einkommen für ein Jahr gesichert haben. Dann würde ich den Schnüfflerjob aufgeben und wieder malen oder ich mache Videokunst. Da könnte ich dann meine Liebe zur Musik, selbst wenn es nur Popmusik ist, einbringen.“
„Na, das klingt doch schon mal gut. Spielst du Lotto?“
„Nö. Wozu?“
„Grrrr. Du willst mich ärgern?“
„Nö, auch das nicht. Wozu?“
„Du willst das nicht ernst nehmen, oder?“
„Oh, diese Pizza ist wirklich göttlich. Willst du mal probieren?“
„Ich weiß wie die schmeckt.“
„Ich hätte da noch einen Plan. Der klappt auch ohne Lottogewinn.“
„Hoffentlich ist der gut genug, um ein Plan A zu sein.“
„Heirate mich.“
„Okay, bestenfalls ein Plan B. Wie kommst du darauf?“
„Na, ich wäre glücklich und wieder kreativ, du würdest für das regelmäßige Einkommen sorgen, jedenfalls in der Anfangszeit, würdest sogar Steuern sparen. Dann würde ich irgendwann berühmt werden und deshalb natürlich auch reich.“
„In Ordnung. Du solltest definitiv Lotto spielen.“
Ich genoß meine Pizza, wir bestellten jeder noch einen Espresso – „zwei Espressos“ sagte der Kellner – und dann machten wir uns auf den Weg: Sie zu irgendeinem berichtenswerten Kulturevent und ich zum Flughafen, um zu gucken, ob mich das weiter bringen würde, wohin auch immer.
Vor der Restauranttür blieben wir noch kurz stehen, rangen um eine angemessene Verabschiedung.
„Und?“
„Und?“
„Heiraten wir? Es muß ja nicht gleich sein. Vielleicht fangen wir einfach damit an, daß wir uns demnächst mal wieder sehen und nicht erst zu Weihnachten, wenn dir einfällt, daß wir uns fast das ganze Jahr nicht gesehen haben.“
„Mal sehen. Aber fang vorsichtshalber an, Lotto zu spielen.“
„Du kennst mich doch.“
„Deshalb sag ich es ja.“
Ich grinste.
„Und laß dich in wo-auch-immer nicht umbringen. Laß dich nirgends umbringen.“
„Wenn dieser Befehl von dir kommt, dann ist es ein guter.“
„Jetzt aber genug. Mach’s gut!“
Es regnete inzwischen. Anne stieg in ihr Auto, ich ging zur S-Bahn. Ich dachte an nichts, fast nichts, denn eigentlich dachte ich daran, daß ich an nichts dachte. Im Zug, der Richtung Flughafen fuhr, fiel mir der Idiot wieder ein, Lou, nicht ich, der ich Anne hatte gehen lassen können. Ich mußte mir Gott sei Dank keine Gedanken darüber machen, wo und vor allem womit er mich erwartete. Er hatte einfach die wichtigsten Informationen nicht rausgerückt. Ich starrte auf den Fußboden: Spuren von nassen Schuhen, Fahrrädern und Schirmen, Pumps auf denen die Buchstaben L, O, V und E standen. Ich träumte, erwachte aber an der Station, an der ich aussteigen wollte, sprang auf und stieß mit L, O, V, E zusammen. Sie küßte mich und stieg aus. Das ging alles so schnell, daß ich gar nichts mehr blickte, mich wieder setzte, der Verwirrung nachgab und mich nicht widersetzte. In welchen Film war ich hier nur geraten? Das ist doch alles absolut absurd. Der Mann, der Remington Steele genannt wurde, hätte mir sagen können welcher Film es war, doch geholfen hätte mir das auch nicht.
Irgendwann hörte ich „Endstation. Bitte alles aussteigen. Dieser Zug endet hier.“ Seit wann kennen die denn das Wort Bitte?
Orientierungslos stand ich auf dem Bahnsteig. Zum Flughafen war ich immer nur mit dem Taxi gefahren. Ich steckte meine Hände in die Tasche, bemerkte ein Stück Papier, mehrere zusammengeheftete Stücke Papier, ein Flugticket, ausgestellt auf meinen Namen, für einen Flug nach Madrid, Abflug in einer Stunde.