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Die geographischen und topographischen
Besonderheiten Apuliens
ОглавлениеDie Landschaft Apuliens ist vielfältig und farbenreich: Die leuchtend grünblaue Adria vor den weißen Felsküsten, die grünen, gelben und braunen ausgedehnten Felder der Ebenen, die dunkelgrünen Wälder des Gargano, die lehmigbraunen Höhen der Murge, die weißen und rosafarbenen Blütenmeere der Obstplantagen und die silbrigen Olivenhaine auf der Halbinsel, durchsetzt von den kleinen und größeren Gehöften und Ortschaften, bilden ein beeindruckendes Mosaik. Die Region Puglia/Apulien umfaßt inklusive der Gargano-Halbinsel 19.347 km2. Abgesehen von der Po-Ebene ist es die ebenste Region Italiens. Die 836 km Küstenlinie dieses ansonsten schmalen Landstrichs bedeuten, daß keine Stadt weiter als 75 km vom Meer entfernt liegt. Apulien unterteilt sich landschaftlich in das Garganogebirge, in die ausgedehnte Ebene des Tavoliere, in das sich daran anschließende Hügelland der Murge, das die Normannen als Terra di Bari bezeichneten, und die Halbinsel Salento im Süden, die auch Terra di Otranto genannt wird.
Der Tavoliere, eine ausgedehnte Kalksteinplatte von ca. 500 km2 rings um Foggia, durchzogen von zahlreichen Wasserläufen, bietet mit seinen fruchtbaren Böden ideale Siedlungsbedingungen. Seine weiten Felder bilden die Kornkammer Apuliens. Die segensreichen Flußläufe inspirierten auch Dichtern wie Horaz: „Dem Stiere gleich wälzt so in des Daunus Reich der Aufidus (der heutige Ofanto) sich über sein Bette hin, und seine Fluten, brausend, schäumend, sinnen nur Leid für der Fluren Fruchtland.“ (Horaz carm. 4, 14, 25–28). Die Bezeichnung ‚Tavoliere‘ leitet sich von einem antiken Begriff ab, von den tabulae censuariae, den Aufzeichnungen der römischen Bodenverwaltung, in die das nach der Machtübernahme Roms okkupierte Land eingetragen wurde.
Die heißen Sommer können besonders in Nordwestapulien zu starker Trockenheit mit Waldbrandgefahr führen. Deshalb sind auf geeigneten Aussichtspunkten wie kleinen Kapellenhügeln oder alten Burgen im Hochsommer oft ehrenamtliche Feuerwarnmelder positioniert, so daß man auch an abgelegener Stelle überraschend auf Einheimische treffen kann. Die lange Küste Apuliens bietet an vielen Stellen Badebuchten für eine Abkühlung, und auch die engen verwinkelten Altstadtgassen vieler Orte bewahren lange die morgendliche Kühle. Der Seewind entlang der Felsküstenabschnitte und das waldreiche Garganomassiv sorgen ebenfalls für unbeschwerte Besichtigungen selbst im Hochsommer.
Den nördlichen Abschnitt Apuliens bildet der Sporn des italienischen Stiefels: das Promontorio del Gargano an der adriatischen Ostküste (Abb. 25). Es steigt bis etwas über 1000 m an, dehnt sich über 2000 m2 aus und ist reich an dichten Wäldern, der Foresta Umbra, im Inneren und steilen Felsküsten mit kleinen Buchten und vielen Grotten am äußeren Rand. Die höchste Erhebung bildet neben Monte Calvo und Monte Crispiano der Monte Cornacchia mit 1161 m. Die Küste ist durch viele Buchten mit schönen Sandstränden gegliedert. An der nördlichen Küste enden die Steilabbrüche; hier liegen an der nun flachen Küstenebene die zwei Seen Lago di Lésina und Lago di Varano. Ihnen sind die Isole Tremiti, eine kleine Inselgruppe, vorgelagert.
Eine besonders ungewöhnliche und dennoch reizvolle Landschaft bildet die zerklüftete Hoch-Murge, die von der Basilikata bis nach Apulien reicht. Murgia oder Le Murge wird der felsige karge Hügelrücken genannt, der sich westlich des Tavoliere vom Fluß Ofanto bis auf den Süden der Halbinsel über 4290 m2 ausbreitet. Die Murgia ist durch karge graubraune Berge und tief eingeschnittene Flußtäler geprägt. Starke Regenfälle und die Frühjahrsflüsse haben die oberste Humusschicht weggespült und die Lehmschichten freigelegt. Dieser Karstboden nimmt plötzliche Wassermassen nicht schnell genug auf, so daß es zu kurzzeitigen Straßenüberschwemmungen und Geröll auf der Fahrbahn kommen kann. Carlo Levi, der während des faschistischen Regimes einige Jahre in den lukanischen westlichen Teil der Murge verbannt worden war, regte die Eigentümlichkeit dieser Landschaft wiederholt zu Beschreibungen an: „… Hügelchen, Erdlöcher, Erosionskegel, die vom Wasser durchfurcht waren, natürliche Höhlen, ebene Flächen, Gräben und kleine Kuppen aus gleichmäßig weißem Lehm, so als sei die ganze Erde gestorben und ihr gebleichtes und von den Wassern gewaschenes Skelett sei unter der Sonne liegengeblieben.“ Und wenn der Regen kam, fing „…der Lehm […] an zu schmelzen, langsam die Abhänge hinterzufließen, hinabzurutschen, so daß sich graue Gießbäche aus Erde bildeten, in dieser sich auflösenden Welt.“ (C. Levi, Christus kam nur bis Eboli, 1945, Übers. M. Hammerl). Die Hoch-Murge ist von Schluchten und canyonartigen Erosionstälern, den Gravine, durchsetzt, wie sie bei Gravina di Puglia die Landschaft prägen. Diese Höhlen und Schluchten waren bereits in der Vorgeschichte bewohnt.
Im Dreieck zwischen Bari, Brindisi und Tarent liegt das schöne Itria-Tal. Flache Hügelkuppen, überzogen mit Obst- und Mandelbaumplantagen, Olivenbäumen und Weinreben, prägen die Landschaft. Zwischen den Hügeln erstrecken sich kleinere Felder, an deren Rändern man fast immer einen Trullo aufragen sieht. Neben einigen größeren Orten gibt es hier vor allem viele Gehöfte und das Trullidorf Alberobello. Diese Trulli, die kegelförmigen, trocken aufgeschichteten Steinhütten, sind keine antiken Bauten: Sie sollen ihre Entstehung dem Umstand zu verdanken haben, daß der Graf Giangirolamo II. Acquaviva d’Aragona nicht die fällige Steuer für neugegründete Siedlungen zahlen wollte und daher die Bauern aufforderte, ihre Häuser ohne Zement und Mörtel ganz aus Stein zu bauen. So könnten sie diese im Falle einer königlichen Inspektion einfach abbauen und später leicht wiedererrichten, weshalb sie kaum als vollwertige steuerpflichtige Hausbauten anzusehen seien. Zwischen dem Trulli-Tal und der nördlichen Meeresküste erstreckt sich der bewaldete Höhenzug Selva di Fasano; nach Süden folgt das Tarentiner Umland mit der ausgedehnten dichtbesiedelten Küstenzone.
Die südliche Hälfte der Salento-Halbinsel wird durch flache Ausläufer der Murge und des Tavoliere um Lecce geprägt. Jeweils von Tarent und Brindisi her führt die teils schroffe und hafenarme Küste bis zur Südspitze. Dort treffen die beiden Meere aufeinander – die Adria und das ionische Meer. Von hier blickt man nur über uferloses Blau. Das Cap S. Maria di Léuca wird deswegen auch Finis terrae – das Ende der Welt – genannt. Die Ebenen um Foggia und im Süden um Lecce sind die Grundlage der intensiven Landwirtschaft in Apulien. Neben Getreide- und Obstanbau ist es vor allem die Olivenproduktion. 40 % des in Italien produzierten Olivenöls kommen aus Apulien. Die Olivenbäume sind jedoch keine ‚Einheimischen‘; sie kamen im 6. Jh. v. Chr. nach Süditalien.