Читать книгу Die Totenbändiger - Band 6: Unheilige Nacht - Nadine Erdmann - Страница 8
Kapitel 4
ОглавлениеZur gleichen Zeit in der Küche der Hunts
Jules stemmte die Ellbogen auf die Tischplatte, stützte den Kopf in die Hände und starrte wütend auf sein Handy, obwohl das kleine Gerät nicht das Geringste dafürkonnte, dass Cam nicht zu erreichen war. Es konnte auch nichts dafür, dass man Jules dazu verdonnert hatte, untätig hier zu Hause zu hocken, während seine Eltern mit Gabriel, Sky, Connor und Thad zu Topher fuhren, um ihm die Hölle heißzumachen.
Dieses verfluchte Arschloch!
Jules hasste Gewalt, aber jetzt gerade war ihm sehr danach und ein Scheißkerl wie Topher hatte es einfach verdient.
Er krallte seine Finger so fest in seinen Haarschopf, dass es wehtat. Er hasste, dass seine Eltern ihn nicht hatten mitnehmen wollen. Auch Gabriel war dagegen gewesen, obwohl Jules von seinem Bruder eigentlich Unterstützung erwartet hatte. Aber vermutlich fürchteten alle, er würde Topher an die Gurgel springen, sobald er ihn zu Gesicht bekam.
Was keine so abwegige Annahme war.
Trotzdem absolut unfair das Ganze!
Voller Wut kickte Jules unter dem Tisch gegen einen der Stühle, die ihm gegenüberstanden und auf dem gerade noch sein Vater gesessen hatte. Trotzig ignorierte er den Blick, den er sich dafür von seiner Grandma einfing, und starrte wieder finster auf sein Handy.
Sie würden ihm Bescheid geben, sobald sie Cam gefunden hatten. Das hatte Sky ihm versprochen.
Toll.
Bis dahin durfte er hier blöd rumsitzen und sich überlegen, was ihn wahnsinniger machte: Frust und Wut auf seine Eltern und älteren Geschwister, Hass auf Topher und Emmett oder die Sorge darüber, was diese sadistischen Arschlöcher Cam diesmal angetan haben mochten.
Sein Inneres zog sich zusammen beim Gedanken daran, dass sie Cam womöglich wieder in irgendeinen finsteren Raum gesperrt hatten, weil sie jetzt wussten, dass er unter Klaustrophobie litt und ihnen klar war, dass sie ihn damit noch viel schlimmer quälen konnten, als sie gedacht hatten. Diesen Dreckskerlen war schließlich zuzutrauen, dass sie genau das ausnutzen würden – und er war dazu verdammt, hier untätig herumzusitzen und ein braver Junge zu sein, statt Topher den Hintern aufzureißen!
Wieder kickte Jules gegen einen der Stühle. Diesmal willkürlich, weil ihm egal war, welchen er traf. Dann stützte er seine Ellbogen wieder auf den Tisch und vergrub seinen Kopf zwischen den Armen.
Nichts tun zu können und nicht zu wissen, wie es Cam gerade ging, machte ihn wirklich fertig.
Edna hatte am Herd herumgewerkelt, um das Abendessen warmzuhalten, betrachtete ihren Enkel jetzt aber mitfühlend. Sie schenkte zwei Tassen Tee ein und setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Ich will jetzt keinen Tee, Granny«, knurrte Jules dumpf zwischen seinen Armen hervor. »Und ich will auch keine aufmunternden Worte hören. Oder dass Mum, Dad und die anderen sich schon um alles kümmern werden. Wenn Topher Cam in eine Panikstarre getrieben hat, dann sollte ich bei ihm sein, wenn sie ihn finden. Ich kann ihn da wieder rausholen. Ich bin gut darin und das wissen Mum und Dad! Und ja, ich weiß, Mum kann das auch. Oder Gabe. Oder Sky. Aber trotzdem! Ich sollte das machen! Ich sollte jetzt bei ihm sein!«
Aufgebracht krallte er seine Finger wieder in seine Haare. Edna blieb einfach nur still neben ihm sitzen und ließ ihn reden, weil sie wusste, wie ihr Enkel tickte. Jules war eigentlich eher ruhig und besonnen, genau wie sein Vater. Doch reizte man ihn zu sehr oder traf einen falschen Nerv, brauchte er ein Ventil, um sich Luft zu machen. Und trieb man ihn zu weit, konnte er auch schon mal um sich schlagen. In dem Punkt kam er ganz nach seiner Mutter.
»Wenn Mum und Dad Angst haben, dass ich Topher an die Gurgel gehen könnte, müssen sie sich doch bei Gabe viel mehr Sorgen deswegen machen«, grollte Jules weiter. »Gabe ist der Hitzkopf, nicht ich! Bei ihm müssen sie aufpassen, wenn Topher Cam irgendwas angetan hat. Obwohl ich hoffe, dass Gabe diesen Scheißkerl echt fertigmacht. Dass Topher Cam so auf dem Kieker hat, ist das Allerletzte! Cam hat nichts getan, um das zu verdienen! Er hat in der Schule alles gemacht, um sich einzufügen. Er ist nirgendwo angeeckt. Warum schikanieren sie ihn dann trotzdem ständig? Nur weil er stiller ist als andere? Weil er Zeit braucht, um mit Fremden warmzuwerden? Mann, wenn diese Idioten das hätten durchmachen müssen, was Cam durchgemacht hat, wer weiß, wie die dann drauf wären!«
Voller Wut knallte er seine Fäuste auf den Tisch und ließ damit fast den Tee aus den Tassen schwappen.
»Die haben doch überhaupt keinen blassen Schimmer, wie großartig Cam ist!«, schimpfte er weiter. »Er würde niemals jemanden so mies behandelt, wie Topher es mit ihm macht. Und Cam würde auch niemals so einen Dreck abziehen wie Stephen oder Teagan. Aber die sind in der Schule alle megabeliebt! Warum? Ich verstehe es nicht! Keine Ahnung, ob ich zu blöd dafür bin oder einfach nur keine Ahnung von den beschissenen Sozialstrukturen hab, die in Schulen offensichtlich herrschen. Diesen ganzen Mist haben wir im Homeschooling nie gelernt. Aber ich finde es zum Kotzen! Warum geben sie jemandem wie Cam keine Chance? Es liegt doch nicht nur daran, dass er ein Totenbändiger ist. Das sind Ella und ich schließlich auch, aber mit uns hatten sie am Anfang keine Probleme. Warum sehen sie nicht, was für ein unglaublicher Mensch Cam ist? Er ist so viel besser als Stephen und Teagan und all die anderen Scheißleute!«
Wieder ballte er die Fäuste, doch bevor er sie noch einmal auf die Tischplatte donnern konnte, legte Edna ihre Hand über seine.
»Ich glaube, dass du Cam so siehst, ist viel mehr wert, als wenn eure ganze Schule ihn so sehen würde.« Sie bedachte ihren Enkel mit einem liebevollen Lächeln und tätschelte seinen Arm, als Jules mit einem verwirrten Stirnrunzeln zu ihr aufsah. »Manchmal ist vor allen Dingen wichtig, dass die richtigen Menschen uns so lieben, wie wir sind. Dann sind die ganzen Vollidioten um uns herum viel leichter zu ertragen« Sie tätschelte noch einmal seinen Arm und stand dann auf, um nach dem Essen zu sehen. »Das heißt allerdings nicht, dass wir hinnehmen werden, wenn andere Cam schlecht behandeln.«
Jules lachte zynisch auf. »Ach ja? Und was wollt ihr diesmal dagegen tun? Topher noch mal anzeigen? Das hat doch schon beim ersten Mal nichts gebracht! Und er wird sich auch jetzt wieder damit rausreden, dass Cam ein Totenbändiger ist, er sich von ihm bedroht gefühlt hat und es deshalb sein gutes Recht war, Cam eine Lektion zu erteilen. Und unser beschissenes Rechtssystem wird ihm dabei sogar den Rücken stärken! Wir Totenbändiger sind doch schließlich immer die Bösen!«
Edna wandte sich wieder zu ihm um. »Das Video der Überwachungskamera zeigt, dass Cam absolut nichts getan hat, von dem sich irgendjemand hätte bedroht fühlen können.«
»Ja, und? Dann werden sie einfach behaupten, er hätte es vorher getan.«
»Vorher war er bei Evan und davor mit euch in der Schule. Es gibt genügend Beweise für Cams Unschuld und es ist bekannt, dass Topher es auf ihn abgesehen hat. Er wird damit nicht durchkommen.«
Jules schnaubte bloß und behielt jeden weiteren Kommentar für sich.
»Hey«, versuchte Edna ihn aufzumuntern. »Wo ist dein Optimismus hin? Der Zyniker ist doch sonst immer Cam.«
»Ja, und ich kann ihn mittlerweile gut verstehen!« Aufgebracht schnappte Jules sein Handy vom Tisch, obwohl klar war, dass Sky noch keine Nachricht geschickt hatte. »Und Optimismus würde so viel leichter fallen, wenn ich hier nicht blöde herumsitzen müsste, sondern irgendwas tun könnte!«
Wie aufs Stichwort ertönte in diesem Moment das Piepen der Wachmaschine aus dem Hauswirtschaftsraum und teilte mit, dass die Wäsche fertig war.
Edna musste grinsen und sah vielsagend zu ihrem Enkel.
Der erwiderte ungläubig ihren Blick. »Nicht dein Ernst!«
Sie hob die Schultern. »Besser, als hier herumzusitzen und frustriert die Wände hochzugehen, oder? Und wenn Cam heimkommt, freut er sich sicher, wenn du den Wäschedienst für ihn erledigt hast.«
Jules rollte bloß die Augen, raffte sich aber auf und verschwand in den Hauswirtschaftsraum. Als er die Waschmaschine öffnete, purzelte ihm der Sockenberg einer zehnköpfigen Familie entgegen.
Echt jetzt?
Was wollte ihm das Schicksal mit dieser Geduldsprobe sagen?
Entnervt atmete er tief durch und zwang sich zu Ruhe und Gelassenheit, weil ausrasten und rumschreien nicht wirklich erwachsen und noch weniger hilfreich gewesen wären. Dann schaufelte er alle Socken aus der Maschine in den Wäschekorb und machte sich ans Aufhängen.
Und wehe die anderen meldeten sich nicht, sobald er hier fertig war …