Читать книгу Die Totenbändiger - Band 6: Unheilige Nacht - Nadine Erdmann - Страница 9

Kapitel 5

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Ihm war kalt.

Das Wasser, das Topher ihm ins Gesicht geschüttet hatte, hatte seine Schuluniform durchnässt und jetzt klebte sie eisig an seiner Haut.

Doch die Kälte war gut. Sie machte wach und vertrieb endlich den ätzenden Nebel aus seinem Kopf. Der Kopfschmerz von dem widerlichen Zeug, mit dem sie ihn betäubt hatten, pochte auch nicht mehr ganz so heftig gegen seine Schläfen.

Zum Glück.

Er musste seine Sinne beisammenhaben, sobald die Geister auftauchten.

Zum x-ten Mal zerrte er an den Kabelbindern, mit denen seine Hände an die Lehne des steinernen Stuhls gefesselt waren. Doch sie saßen zu eng, als dass er sich hätte herauswinden können, und das Material war zu stabil, um es zu zerreißen. Er probierte zwar, die Plastikriemen am Stein der Stuhllehne durchzuscheuern, aber dafür würde er vermutlich die ganze Nacht brauchen. Wind und Wetter hatten die einst sauber gearbeiteten Kanten der Lehne abgeschmirgelt und die Natur hatte alles mit glitschigem Moos überzogen. Seinen Silbernebel konnte er zwar auch mit gefesselten Händen rufen, aber Geister zu bändigen, wenn man ihnen nicht ausweichen konnte, war ein lebensgefährliches Glückspiel.

Verbissen rieb er die Hände weiter gegen die Kanten der Stuhllehne, weil es das Einzige war, das er tun konnte. Es brannte und er spürte klebriges Blut an seinen Fingern. Kabelbinder und Stein hatten die Haut an seinen Handgelenken aufgeschürft.

Aber genau wie die Kälte war auch der Schmerz gut.

Er machte wütend und Wut gab ihm Kraft, um durchzuhalten.

Er biss die Zähne zusammen und scheuerte weiter.

Wie spät mochte es sein?

Er hatte sein Zeitgefühl verloren, als sie ihn betäubt hatten. Er wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war. Eine Stunde? Anderthalb?

Der Weg von der Bushaltestelle hierher zum Heath hatte sicher nicht länger als fünfzehn Minuten gedauert, aber die Wege durch den Wald zum Tumbleweed Park waren so zugewuchert, dass sie mit einem Auto kaum passierbar waren. Außerdem hatte er keinen startenden Wagen gehört, als Topher und die anderen verschwunden waren, da war er sich recht sicher. Wahrscheinlich hatten sie keine Kratzer im Lack riskieren wollen – oder dass der Wagen auf den feuchten Waldwegen steckenblieb und sie dann plötzlich hier festsaßen.

Cam erinnerte sich dunkel an ein Ziehen und Zerren und seine Arme schmerzten vermutlich nicht nur, weil sie auf dem Rücken zusammengebunden waren.

Sie hatten ihn zu Fuß hierhergebracht.

Wie lange hatten sie dafür gebraucht?

Cam hatte keine Ahnung.

Wütend rieb er seine Hände weiter über die Stuhlkanten.

Das verfallene Picknickareal war groß. Auch nach knapp siebzig Jahren hatte der Wald sich den Platz noch nicht komplett zurückerobert. Über sich hatte Cam freie Sicht auf den Himmel. Kalter Nieselregen fiel aus tiefhängenden Wolken. Die Dämmerung hatte eingesetzt und die Sperrstunde war mit Sicherheit längst überschritten.

Zu Hause wunderten sich bestimmt alle, wo er blieb. Wahrscheinlich machten sie sich sogar schon Sorgen, weil er sich nicht gemeldet hatte, um Bescheid zu geben, dass er später kam. Vielleicht hatten sie sogar schon versucht, ihn zu erreichen.

Cam wusste nicht, wo sein Handy war. Er spürte es nicht mehr in seiner Jackentasche, also hatten die Dreckskerle es ihm abgenommen und mit Sicherheit ausgeschaltet, damit man es nicht orten konnte. Mit etwas Glück steckte es vielleicht in seinem Rucksack, der neben ihm im Gras lag. Doch selbst wenn, war es dort völlig nutzlos und hätte genauso gut auf dem Mond sein können. Dort wäre es für ihn ähnlich unerreichbar gewesen.

Wieder zerrte er an den verdammten Fesseln, die aber noch immer kein bisschen nachgeben wollten. Wütend keuchte er auf.

Er konnte keine Hilfe rufen, solange er hier angebunden war. Und er brauchte Hilfe. Er musste hier weg!

Er hatte keine Ahnung, wie viele Tote es hier auf der Lichtung gegeben hatte. Die Selbstmorde vom Tumbleweed Park waren zwar wirklich passiert, doch im Laufe der Jahre hatten sich die Tatsachen mehr und mehr mit Fantasie verwoben und jeder erzählte das, was damals geschehen war, ein bisschen anders. Es war zu einer realen Horrorgeschichte geworden, die immer wieder mit neuen grausigen Details ausgeschmückt wurde.

Zwanzig Tote?

Dreißig?

Er wusste es nicht. Doch sie waren zu Repeatern geworden und sobald die Nacht hereinbrach, würden sie auftauchen und ihr Todesritual wieder und wieder vollziehen, bis der Morgen anbrach.

Und wehe, jemand störte sie dabei.

Verbissen ratschte Cam die Fesseln weiter über den Stein.

Er musste hier weg.

Mit all diesen Geistern konnte er es unmöglich alleine aufnehmen. Schon gar nicht in einer Unheiligen Nacht.

Hasserfüllt starrte er auf die Kamera, die auf einem kleinen Stativ zwischen Schüsseln, Tellern und Platten auf der Festtafel stand. Ein rotes Licht blinkte und zeigte an, dass eine Aufnahme stattfand.

Diese verdammten Arschlöcher!

Es war erniedrigend, hier angebunden zu sein, während seine Peiniger irgendwo in Sicherheit saßen und ihm dabei zusahen, wie er um sein Leben kämpfte.

Cam biss die Zähne zusammen, zerrte trotzdem unermüdlich weiter an seinen Fesseln und klammerte sich an seine Wut, weil die Alternative Verzweiflung gewesen wäre und die durfte er auf keinen Fall zulassen, denn sonst hielt er das hier nicht aus. Und wenn er nicht durchhielt, würde es ihn sein Leben kosten, und diesen Triumph wollte er Topher auf gar keinen Fall gönnen.

Die Totenbändiger - Band 6: Unheilige Nacht

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