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Verführung

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Die ganze Nacht hatte ich mich hin und her gewälzt. Sobald ich die Augen geschlossen hatte, tauchte das Paar aus der Stadt in meinen Gedanken auf. In Woodshire hatte ich keine dritte Person in seiner unmittelbaren Nähe gesehen. In meiner Vorstellung verzogen sich ihre Gesichter zu Fratzen, ich glaubte gar, die Schreie der Bäckersfrau zu hören. Ein eisiger Schimmer kroch über meine Haut. Meine Geschwister und ich schliefen auf dem Dachboden, wo auch Getreide und Heu lagerten und den man durch eine Sprossenleiter erreichen konnte. Cecilia hatte sich auf meinen Schlafplatz verzogen, der, wie alle Schlafplätze im Haus, aus einem Fell und Stroh bestand. Mutter und Vater sahen es nicht gern, wenn Cecilia bei mir schlief.

„Alleine hat sie mehr Ruhe“, sagten sie. Doch sie atmete gleichmäßiger, wenn sie in meiner Nähe war. Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass sie sich sicher bei mir fühlte. Ich hauchte ihr an diesem Morgen einen Kuss auf das Haar, und obwohl ich müde war, war ich noch nie so glücklich gewesen, die ersten Sonnenstrahlen zu sehen.

Nach dem Frühstück und einer Unterrichtsstunde, die Abigail dieses Mal allein übernahm, brachen die Kinder zur Feldarbeit auf. Meine Pflichten sahen anders aus. Der Grundherr verlangte nach mir.

„Besser gesagt, seine Frau Eve will dich sehen. Du sollst das Silberbesteck putzen. Sie erwarten am Wochenende Gäste. Mach uns keine Schande, sei fleißig!“, befahl Vater, der im Hof mit Mutter Holz schichtete.

„Natürlich, Vater. Die Herrschaften können sich auf mich verlassen.“ Wie konnte er nur Anderes annehmen? Sein Misstrauen kränkte mich, aber ich ließ es mir nicht anmerken.

Großmutter war mit dem Einsammeln von Eiern beschäftigt und winkte mir zum Abschied. Ich trug mein weit geschnittenes Tageskleid, dazu Lederschuhe mit Absatz, die mir Eve Ruven geschenkt hatte und in die ich eigentlich sonst nur für den Gottesdienst schlüpfte. Aber heute erschien es mir richtig. Dass die Grundherrin mich sehen wollte, änderte meine Gemütsverfassung, denn auf sie freute ich mich. Ich hoffte, dass Ruven nicht da sein würde, was ich kaum glaubte. Die Hälfte des Weges zu seinem Anwesen führte durch ein Waldstück. Die Kronen der Laubbäume bildeten ein schützendes Dach, durch das Sonnenstrahlen drangen. Vögel zwitscherten auf den Ästen. Ich atmete die würzige Luft in meine Lunge und versuchte, die Gedanken über das, was Cecilia mir erzählt hatte, weit von mir zu schieben. Das knöchellange Kleid warf Falten um meine Beine. Trotz der Wärme, die in den Tag strahlte, hatte ich mir Strümpfe angezogen. Am liebsten hätte ich auch mein Gesicht vor Leonard Ruven verschleiert. Das lange rötliche Haar hatte ich zu einem strengen Knoten zusammengebunden und unter einer Haube verborgen, so wie Mutter es tagsüber fast immer trug. Vielleicht war es ganz gut, durchfuhr es mich, dass ich letzte Nacht so wenig Schlaf gefunden hatte. So sah ich sicher zerknittert aus und Ruven würde seine Annäherungen dieses Mal unterlassen, sobald Misses Eve ihm den Rücken kehrte. Er fand immer einen Weg, dass sie dies tat. Dass es Absicht war, konnte er dabei geschickt vor ihr verbergen. Es war mir mehr als unangenehm und tat mir unendlich leid für sie. Einmal war ich kurz davor gewesen, ihr davon zu berichten. Doch ich wusste, ihr Gatte hätte sich herausgeredet, das konnte er sehr gut – reden und überzeugen.

Das große weiße Haus der Ruvens stand auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von kräftig gewachsenen Platanen und sattem Grünland. Eine Veranda zierte die Südseite. Zwei große Scheunen dienten als Lagerraum für wertvolle Güter wie Getreide und Gerätschaften. Hinter dem Herrenhaus befand sich ein kleines Nebenhaus, in dessen Fassade unzählige Holzwürmer wohnten. Dort nächtigten die Angestellten auf Matratzen aus Stroh. Sie hatten mit dem Nötigsten auszukommen, teilten sich eine Waschschüssel, das Essen und eine Feuerstelle. Es gab Tage, an denen Ruven sogar das störte. Dann verbot er ihnen, Feuer zu machen und brüllte herum, dass sie nur unnötig Holz verbrauchten. Es würde mich nicht wundern, wenn einer seiner Bediensteten eines Tages durchdrehen würde und das Herrenhaus in Flammen aufgehen ließe.

Plötzlich hörte ich ein Knacken in unmittelbarer Nähe. Ein gebrochener Ast, durchfuhr es mich. Oder ein Reh, Fuchs oder Hase. Dennoch schlug mein Herz wie wild, und die dunklen Gedanken, die sich augenblicklich in den Vordergrund drängten, taten ihr Übriges. Ich stoppte unwillkürlich, ein Zittern durchwanderte mich von den Zehen bis zu den Haarspitzen. Erst da bemerkte ich, dass ich stehen geblieben war. Das Geräusch war von rechts aus dem Wald gekommen. Ich wollte gerade die Beine in die Hand nehmen, da waberte ein weiteres Geräusch zu mir, dieses Mal von der anderen Seite. Ich schluckte schwer, konnte mich aber nicht mehr bewegen. Als ich meinen Blick linker Seite in den Wald tauchen ließ, glotzte mir von dort aus ein Augenpaar entgegen. Die Augen waren hellblau und leuchteten so klar wie Sternenlicht. Sie faszinierten mich. Der junge Mann, dem sie gehörten, besaß eine perlengleiche, schimmernde Haut. Er war in dunkle Kleidung gehüllt. Sie ähnelte der, die feine Herren trugen. Sein schwarzes Haar trug er wie der Mann, den ich in der Stadt gesehen hatte. Ich schätzte, dass den Fremden und mich höchstens 20 Schritte trennten ‒ und noch weitaus mehr, ein Geheimnis. Wir wagten, in die Augen des anderen zu tauchen, wobei mir auffiel, dass mein Gegenüber kein einziges Mal blinzelte. Beinahe hätte ich das neue Geräusch, das aus einer unbestimmten Richtung aus dem Wald drang, ignoriert, so gefangen war ich von seinem Anblick. Wer war er? Am liebsten hätte ich ihn gefragt, aber meine Stimme schien wie eingefroren. Das Geräusch ertönte erneut. Dieses Mal lauter, anders. Es glich einem Knurren. Ich zuckte zusammen. Ehe ich mich‘s versah, stob der junge Mann in Lichtgeschwindigkeit dicht an mir vorbei und tauchte in die andere Seite des Waldes ein. Das Knurren wurde lauter. Erneut knackten Äste.

Mein Instinkt versetzte mir einen inneren Hieb. Meine Blicke schärften sich. Ich machte drei Silhouetten in unmittelbarer Nähe aus, die miteinander kämpften. Geschickt jonglierten sie sich um die Stämme der Bäume herum, flogen nahezu durch den Wald. Halleluja, das sind keine Menschen, durchfuhr es mich. Die Angst und Faszination, die mich bis dahin gleichermaßen gelähmt hatten, ließen von mir ab und gaben nur noch meinem Überlebensdrang Raum. Das Adrenalin war mein Antrieb. Ich rannte, ohne mich noch einmal umzudrehen, bis ich keuchend das Anwesen der Ruvens erreichte. Schweiß rann mir über die Stirn und den Rücken, meine Füße brannten, mein Brustkorb hob und senkte sich heftig. Ich schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende. Dann sah ich Leonard Ruven, der ruhig auf der Veranda verweilte. Wartete er dort etwa auf mich? Er zwirbelte an seinem Ziegenbart und kniff die kleinen Augen zusammen. Herablassend starrte er mich an. Er trug eine gelbbraune Weste zu seinen ledernen Kniehosen.

„So außer Atem, Rose Walsh?“, fragte er und ließ die Zungenspitze langsam über seine Lippen gleiten. In seinen Augen tauchten Blitze auf, die mir entgegenschleuderten.

„Ja, ich … ich dachte, ich komme zu spät, Sir“, gebrauchte ich eine Notlüge und warf einen Blick über die Schulter.

Wie es aussah, war mir niemand gefolgt, was mich aufatmen ließ. Sollte ich Ruven von meiner Beobachtung erzählen? Nein, lieber nicht. Am Ende würde er darauf bestehen, mit mir in den Wald zu gehen und nachzusehen, mich vielleicht, sollte er dort nichts von dem, was ich erzählte, antreffen, in ein Irrenhaus stecken lassen. Außerdem wollte ich nicht zurück und schon gar nicht mit ihm. Ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper bei der Vorstellung, welche Fantasien ihm bei meinem Anblick durch den Kopf geisterten. Zudem waren da auch noch die Gedanken an den seltsamen Kampf. Zu gern hätte ich gewusst, wer der junge Mann war, der mich auf seltsame Weise bezauberte. Ich kam zu dem Schluss, dass er ein Adliger sein musste. Er war anmutig, etwa so groß wie Leonard Ruven und damit gut zwei Köpfe größer als ich. Was wollten die Angreifer von ihm? Noch nie hatte ich einen Mann dermaßen anziehend gefunden, dass ich mir wünschte, er hätte mich sofort berührt und geküsst. Scham stieg in mir auf. Ich betete, er möge seinen Angreifern entkommen sein. Vielleicht war aber er der Böse? Nein! Das konnte nicht sein. Das war doch alles zu verrückt.

„Was ist denn, Rose?“ Mit strengem Blick schritt Leonard Ruven auf mich zu.

„Eure Frau …“, setzte ich an.

„Sie hat sich noch einmal hingelegt. Es ist alles ein wenig viel für sie. Ist die Aufregung und Vorfreude bezüglich der baldigen Feier. Aber sie hat das Besteck schon hergerichtet, damit du es polieren kannst. Ich zeige dir, wo es ist.“ Sein rechter Mundwinkel zuckte, und die grauen Augen schärften sich. „So zugeknöpft. Ist dir nicht warm, Rose?“, wollte er wissen.

Bei der Frage beschleunigte sich mein Herzschlag.

Ich räusperte mich. „Nein, im Gegenteil, Sir. Ich friere.“

Er streckte eine Hand aus und fuhr mit der Innenseite des Daumens über meine Stirn. „Du schwitzt eher, kleine Rose.“

Ich war nicht klein. Nett und freundlich bleiben, Rose, sagte ich mir. Doch das kostete viel Kraft. Noch einmal leckte er sich über die Lippen, packte mich an einem Arm und zog mich näher an sich. Ich konnte den herben Duft seines Parfüms riechen, das sich mit dem von Schweiß vermischte. Eine Mischung, die mir übel aufstieß.

In dem Zusammenhang fiel mir wieder ein, dass ich vorhin im Wald auch etwas gerochen hatte. In der Sekunde, als der junge Mann mich passierte. Rosen, ja, er hatte nach Rosen gerochen, die ich aus Misses Eves Garten kannte. In Gedanken kompensierte ich diesen Duft und lächelte.

Der Grundherr holte mich sofort in die Wirklichkeit zurück. „Es wird Zeit“, zischte er mir ins Ohr.

„Für was, Sir?“, fragte ich verdutzt und versuchte, den anschwellenden Kloß in der Kehle hinunterzuschlucken.

Er kam so nahe, dass meine Brüste seinen Oberkörper berührten und ich etwas Hartes durch den Stoff des Kleides an den Beinen spürte. Es musste das sein, wovon sich die Dirnen so gern erzählten. Ich hatte schon einiges davon aufgeschnappt, wenn ich in der Stadt unterwegs gewesen war. Manche von ihnen nannten es die „männliche Schlange“ und „harte Rute“. Hitzewellen von unangenehmer Intensität überkamen mich. Großer Gott, bitte lass es das doch nicht sein und verzeih mir meine Gedanken und die Neugierde, die sich wegen der Berührungen zwischen Mann und Frau in mir regte, als ich den jungen Mann sah. Doch vor allem interessierte mich seit der Begegnung mit dem Fremden im Wald mehr denn je, wie sich der Kuss zwischen Liebenden anfühlte oder die Liebe überhaupt.

„Spürst du das?“, fragte Ruven und keuchte leise.

Meine Befürchtung bewahrheitete sich. Aber der liebe Gott erhörte mich. Ich stammelte ein Danke, als ich Eve Ruvens Stimme von der Veranda aus hörte.

„Rose! Wie schön, dass du schon da bist.“

Sofort ließ mich der Grundherr los und biss sich auf die Unterlippe. Er drehte sich nicht nach seiner Frau um.

„Rose wäre fast gestürzt, Liebes. Schön, dass du schon wieder da bist!“, rief er und lächelte unecht.

Misses Eve war eine gutmütige, ruhige Seele, die ihm alles zu glauben schien. „Oh, es geht dir doch gut, Rose?“, wollte sie sofort wissen, und eine gewisse Unruhe schlich sich in ihr Gesicht.

Ich sah an ihrem Mann vorbei und nickte. „Danke, ja.“

Schon winkte sie mich zu sich. „Ich war so müde vorhin nach dem Frühstück. Ich musste mich ein wenig hinlegen. Aber nun geht es wieder. Komm mit mir, Rose.“

Ich sah flüchtig zu Ruven auf.

Er zog eine seiner buschigen Brauen nach oben und nickte. „Ja, geh. Bis später“, sagte er mit einer seltsamen Betonung, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Schnell eilte ich zu Misses Eve, die mich mit einer Umarmung empfing. Unterdessen marschierte der Grundherr in Richtung des Waldes. Mein Wunsch, er möge nie wieder daraus zurückkehren, erschreckte mich. Für mich wäre Eve Ruven die bessere Grundherrin gewesen. Sie hatte geschäftliches Geschick und das Herz am rechten Fleck. Ihre Eltern waren angesehene Geschäftsleute. Vor allem deshalb hatte Ruven sie wohl geheiratet. Ihre Angestellten behandelte sie stets gerecht. Ihr Mann hingegen zückte ihnen gegenüber gern mal die Peitsche zur Züchtigung, vornehmlich, wenn seine Gattin nichts davon mitbekam. Das hatte ich schon mehrfach durch Zufall beobachtet, und es zerriss mir jedes Mal das Herz im Leib.

Misses Eve sah hinreißend aus in ihrem fliederfarbenen, eng geschnürten Kleid mit Spitzenbesatz an den Ärmeln, was mich an das ebenfalls mit Spitze besetzte Dekolleté der Städterin erinnerte. Sie lächelte, was den kleinen Leberfleck, den sie rechtsseitig über der Lippe hatte, ein wenig verzog, sodass er einem Herzen glich. Sie stellte sich hinter mich und ließ eine Bürste durch mein Haar gleiten. Dazu summte sie eine Melodie vor sich hin. Ich polierte das Besteck, das auf dem großen ovalen Esstisch auf einem weißen Tuch platziert lag. Das Haus mit den vielen großen Räumen wurde, dank der großen Fenster, von Licht durchflutet. Misses Eve hatte stets frische Blumen auf den Tischen oder manchen Fensterbänken stehen, vornehmlich Rosen aus dem Garten. Manchmal holte sie Abigail zu sich, um die Beete zu säubern und alte Blütenköpfe zu entsorgen. Ich staunte jedes Mal aufs Neue, wenn ich hier ins Haus trat, denn alles war blitzblank.

An den Wänden hingen Gemälde, die von Eve Ruven selbst stammten. Sie mochte es, mit Öl zu malen, am liebsten Landschaftsbilder. Ihre größte Leidenschaft aber galt der Musik. In einer Ecke des Wohnzimmers stand ein pechschwarzer Flügel. Es war ein Wunder, dass der Gutsherr es duldete, dass sie mir das Spielen beibrachte, ohne etwas dafür zu verlangen, zum Beispiel weitere Abgaben von meiner Familie. Es war ein pures Vergnügen, die Tasten zum Klingen zu bringen, und nicht nur das, sondern ihnen in der richtigen Abfolge eine Melodie zu entlocken. Misses Eve zeigte mir jedes Mal ein neues Lied aus ihrem Schatzkästchen. Ich nannte die Musik Zauberei, denn nichts anderes war sie für mich. Meine Seele liebte sie.

Vater und Mutter konnten leider mit Musik nichts anfangen. Vater hatte sogar geschimpft, als er von dem gelegentlichen Spiel auf dem Flügel gehört hatte. Auch Leonard Ruven war kein Mensch, der Musik viel abgewinnen konnte. Immer hatte ich die Worte Vaters im Hinterkopf, wenn ich mich wieder an den Flügel setzte. Doch sobald die Melodie erklang, verschwanden sie. „Eines Tages wirst du dafür bezahlen müssen. Ich hab es im Gespür. Hör auf damit, sag ich dir“, ermahnte er mich. Doch das konnte ich nicht. Misses Eve bemerkte meinen teils nachdenklichen, teils sehnsüchtigen Blick und setzte sich zu mir. Sie legte selbst Hand an das Besteck, das sie, wie sie sagte, von ihrer Großmutter mütterlicherseits geerbt hatte.

„Nicht doch. Ich mache schon schneller, Misses Eve.“

Sie wollte, dass ich sie beim Vornamen nannte. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie wohl auch das Misses weggelassen. Sie sah in mir eine Art Tochter, weil sie selbst keine Kinder bekommen konnte. Das hatte sie mir einmal anvertraut. Das rührte mich, machte mich aber auch traurig. Sie hatte mir gesagt, dass ihr Gatte ihr die Schuld für die Unfruchtbarkeit zuschob. An ihm konnte es seiner Meinung nach nicht liegen, denn er war ein Mann ohne Makel.

„Zusammen geht es schneller, Kind. Dann haben wir noch Zeit für das Spiel auf dem Flügel. Mein Mann möchte, dass du später noch auf einem der Felder mithilfst. Ich konnte ihn leider nicht davon abbringen“, räumte sie ein. Sie legte das Besteck zur Seite und betrachtete meine Finger. „So zart. Sie sind viel zu schade für harte Arbeit.“

Eve Ruven hob den Blick und lächelte. Ihre Augen besaßen die Sanftheit von Sonnenstrahlen, die am späten Nachmittag auf ein Blumenfeld fielen. Ihre Haut war so hell wie die des jungen Mannes, den ich im Wald gesehen hatte. Ich spürte, wie ich bei dem erneuten Gedanken an ihn rot wurde, und senkte den Blick.

„Was ist denn?“ Misses Eve lachte ein wenig, und ich fühlte mich ertappt.

„Nichts, alles ist wunderbar.“

Sie nahm eine meiner Hände. „Du hast eine wundervolle Gabe und ein großes Herz, Kind.“

Sie nannte mich oft Kind. Für mich war sie wie eine zweite Mutter.

„Danke“, entgegnete ich und lächelte.

Sie ließ meine Hand los und hob mein Kinn mit einem Finger an, so vorsichtig, als könnte ich zerbrechen.

Unsere Blicke trafen sich. Und dann erwiderte sie mein Lächeln. „Du bist etwas ganz Besonderes, Rose. Vergiss das nie. Egal, was passiert. Glaube an deine Talente. Und noch etwas: Dein großes Herz wird dich tragen. Durch alle Nebel dieser Welt.“ Ihr Lächeln glitt von den Lippen, der Ausdruck in ihren großen grün-braunen Augen wurde eindringlicher. „Verliere nie den Glauben an das Gute, egal, wie viel Schlechtes dir auch begegnen mag. Am Ende siegt immer die Liebe.“

Sie legte so viel Betonung und Kraft in diese Worte, dass ich sie glauben wollte. Auf jeden Fall berührten sie mich tief. Sie umarmte mich kurz. Danach setzten wir unsere Arbeit gemeinsam fort, während in mir nachhallte, was sie gesagt hatte.

„Verdammt!“, rief Ruven, als er später bei uns im Raum erschien. Seine Augen waren rot unterlaufen und erinnerten mich an den tollwütigen Hund, den ein Nachbar vor einem Jahr erschießen musste, weil er von einem Fuchs gebissen worden war. Danach hatte er sich verzogen und war erst zurückgekommen, als er schon krank war. Ruven verzerrte das Gesicht und hielt sich die Hand. Blut tropfte durch seine Finger auf den Boden. Misses Eve und ich erhoben uns erschrocken, wobei ihr Stuhl nach hinten kippte und polternd zu Boden fiel.

„Verdammter Mist“, zischte Ruven.

„Was ist denn passiert, Leonard?“, rief seine Frau.

„Irgendein verdammtes Vieh hat mich auf dem Weg zu den Feldern von hinten angesprungen. Ich bin auf den Boden gestürzt, habe um mich geschlagen. Da hat es mich gebissen.“ Er zog die gehäkelte, eierschalfarbene, kleine Decke vom Wohnzimmertisch und band sie sich um die Hand. Entgeistert starrte ich ihn an. Die Nackenhaare stellten sich mir auf.

„Mein Gott“, stieß Eve aus und rief nach Sarah, einer Bediensteten, die sogleich ankam. „Hol einen richtigen Verband, Alkohol und reines Wasser. Los, los!“

Die junge, dünne Frau nickte verdattert und verschwand wieder.

Leonard Ruven verzog erneut das Gesicht. „Es brennt wie Feuer. Wenn ich den kriege, dann Gnade ihm Gott“, zischte er.

Mir wurde schwindlig und übel. Aber ich musste mich zusammenreißen. Ruven sah mich an, Schweiß benetzte sein Gesicht. „Du wirst die Wunde säubern.“ Dann deutete er mit einem Finger auf seine Frau. „Eve, geh raus. Ich will nicht, dass du es siehst.“

„Aber …“, erwiderte sie.

„Kein aber. Ich kenne dich doch. Du kannst keine Wunden sehen. Am Ende fällst du mir noch in Ohnmacht“, schnitt er ihr grob das Wort ab.

Schließlich nickte sie gehorsam. Bevor sie den Raum verließ, warf sie noch einen Blick über die Schulter. Für einen Moment kam es mir vor, als wüsste sie um die ehebrecherischen Gedanken ihres Mannes. Aber nein, gewiss galt ihre Sorge ihm.

Nun war ich allein mit Ruven.

„Seid Ihr sicher, dass es ein Tier war, Sir?“, fragte ich ihn, wobei meine Stimme kippte.

Ruven besah sich noch einmal seine Hand. „Nicht nur eins. Aber eins davon hat mir das Leben gerettet. Aber wohl auch nur, weil es Beute in dem anderen witterte. Keine Ahnung. Mir auch egal“, entgegnete er schroff.

Nicht nur eins? Das ist ja schrecklich, durchfuhr es mich.

Der Grundherr biss die Zähne aufeinander, seine Gesichtsmuskeln zuckten. Sarah kam mit einer Schale Wasser zurück, die sie auf den Tisch vor das Sofa stellte, auf dem Ruven sich niederließ. Sie drückte mir die Tücher und eine Flasche Schnaps in die Hände. Schon winkte Ruven sie fort. „Raus, husch, husch.“

Sarah wirkte eingeschüchtert, was kein Wunder war bei dem Herrn. Ich versorgte seine Wunde, so gut es mir möglich war. Man konnte tatsächlich tiefe Bissspuren sehen. Ein schlimmer Anblick. Fast hätte ich den Gutsherrn gefragt, ob er auch einen jungen Mann im Wald gesehen hatte, unterließ es dann aber.

„Vielleicht sollte man es besser nähen, Sir?“

Ruven knurrte. „Nein, nichts da. Es wird so heilen. Ich bin ein harter Knochen. Wenn du es richtig machst, wird nichts passieren.“

Dass er das von mir abhängig machte, gefiel mir ganz und gar nicht. Nachdem ich seine Hand verbunden hatte, hielt er mich fest und zwang mich auf die Knie, direkt vor sich. Mit zwei Fingern packte er mich grob am Kinn. Der Schmerz war weniger schlimm als die Härte und Brutalität, die aus seinem Gesicht zu mir sprachen.

„Dein Vater hat bald wieder Abgaben zu leisten. Ein paar schuldet er mir zudem noch. Er kann Eve danken, dass ich so nachsichtig mit euch bin. Das weißt du ja.“ Seine Augen glänzten wie im Fieber. Ich nickte hastig und schluckte schwer. Er drückte fester zu. Der stechende Schmerz erfüllte mich, aber ich schaffte es, keinen Laut von mir zu geben. Es hätte ihm wahrscheinlich noch gefallen, denn es war ein offenes Geheimnis, dass er Gewalt mochte.

„Ich könnte ihm das Vieh lassen, das ich ihm nehmen wollte, Rose. Er hängt daran, das weißt du“, schnurrte er dann.

Hörte ich richtig? Freuen konnte ich mich nicht. Die Bedingung war mir klar. Leonard Ruven überschritt gerade die Grenze, die ich gehofft hatte beibehalten zu können. Bitte seien Sie still, sagen Sie nichts mehr, betete ich.

Ruvens dünne Lippen verzogen sich zu einem widerlichen Lächeln. „Du müsstest dich mir nur …“

„Leonard? Wie geht es dir jetzt?“ Eves Stimme war wie eine Erlösung.

Ruven verdrehte die Augen, ließ mich auf der Stelle los und stieß mich zurück. Ich landete auf dem Po, stand sogleich auf und starrte an ihm vorbei. Leise seufzend erhob er sich und wandte sich zu seiner Frau um, die ihn besorgt, aber auch erstaunt ansah, jedoch Abstand hielt.

„Was ist denn los?“, fragte sie.

„Nichts. Sagte ich nicht …“, stieß er hervor.

Sie musterte mich. „Alles gut?“, erkundigte sie sich dann. Ich nickte.

Sie wandte sich wieder ihrem Mann zu.

„Geht es dir also besser?“

„Ja.“

„Mir ist eingefallen, es gibt Kräuter, die die Blutung schnell stoppen können und desinfizierend wirken“, sagte Eve.

„Brauch ich nicht. Aber danke.“ Leonard ging mit großen Schritten auf seine Frau zu. Im Vorbeigehen drückte er ihr einen flüchtigen Kuss auf eine Wange. „Muss noch was erledigen, Liebes. Bin aber gleich wieder da.“

Misses Eve sah ihm kurz nach, dann blickte sie wieder zu mir. „Du hast seine Wunde bestimmt gut versorgt, Rose. Ich bin nur immer zu besorgt. Da hat mein Mann schon recht. Aber sag, ist die Wunde schlimm?“, wollte sie von mir wissen und kam auf mich zu.

Ich räumte die Verbandssachen zusammen. „Ich verstehe nichts von Medizin. Es sieht mir aber tatsächlich nach einer Bisswunde aus. Ich war vor zwei Jahren eine Zeit lang mit einer Heilerin aus der Stadt unterwegs und bin ihr zur Hand gegangen. Dabei habe ich eine Menge gelernt und ein bisschen Geld verdient. Ich glaube, die Wunde müsste genäht werden. Wichtig ist nur, dass sie sich nicht entzündet“, erklärte ich Misses Eve ruhig, um sie nicht noch mehr zu ängstigen.

Sie schauderte. „Ja, das weiß ich. Ich werde zur Sicherheit einen der Diener aussenden, den Medicus zu holen. Ob Leonard will oder nicht. Was war das nur im Wald? Ein Ungeheuer? Man muss es fangen, wenn nötig töten.“

Sanft legte sie ihre Hände auf meine Schultern. „Danke. Ich weiß, du hast dein Bestes getan, Kind.“ Sie lächelte. „Das Spielen auf dem Flügel müssen wir wohl leider verschieben. Heute wäre ich keine gute Lehrerin. Nach dem, was passiert ist.“

Ich nickte. „Das verstehe ich. Ich poliere das Besteck zu Ende, dann muss ich sowieso aufs Feld. Und später werde ich noch meinen Eltern auf dem Hof helfen.“

Misses Eve runzelte die Stirn. „Was ist mit deinem Kinn?“

Vorsichtig strich sie mit einem Finger darüber. „Ach das. Ich habe mich nur gekratzt. Nicht weiter schlimm“, wiegelte ich rasch ab.

Misses Eve bestand darauf, den Kratzer mit frischem Wasser zu kühlen, danach sandte sie einen ihrer schnellsten und stärksten Männer nach Woodshire, auch wenn der Gutsherr dagegen protestierte. Ich machte mich an die Arbeit und war heilfroh, dass der Grundherr mich in Ruhe ließ. Misses Eve spielte mir nebenbei ein Stück auf dem Flügel vor. Die neue Melodie war Balsam für meine Seele. Sie war sanft, und je intensiver ich mich auf sie einließ, desto mehr trug sie mich in den Himmel. Ein Stück, das ich liebte und mir fest einprägte. Das gelang mir bei Stücken, die mein Herz berührten, oft auf Anhieb. In regelmäßigen Abständen lächelte sie mir zu, als hätte sie meine Gedanken erraten. Als ich gehen musste, küsste sie mich auf die Stirn und rief zwei ihrer Bediensteten herbei.

„Du wirst zurückreiten, und sie begleiten dich bis zum Feld.“ Misses Eve ließ sich nicht umstimmen. Auch nicht von Ruven, der es gehört hatte. Mein Brustkorb zog sich zusammen, als er zu uns kam. Seine Augen waren noch stechender und glänzender als vorhin, und er wirkte gänzlich verschwitzt. Er winkte die Männer weg, sobald sie einen schwarzen Hengst gebracht hatten.

„Ich bin flink und kann auf mich aufpassen“, räumte ich ein. Aber egal, was ich sagte, Eve Ruven ließ sich nicht beirren.

„Nein, nein. Das lasse ich nicht zu. Leonard, hol bitte die Männer wieder her.“ Zum ersten Mal, seit ich sie kannte, klang ihre Stimme bestimmt und fest, mit einem wütenden Unterton.

Der Grundherr hob merklich erstaunt die Brauen, erwiderte aber nichts. Nur seine Gesichtszüge wurden härter.

„Ich habe eine andere und bessere Idee. Auf mich ist am ehesten Verlass. Also werde ich Rose Walsh begleiten“, sagte er und warf mir einen Seitenblick zu.

Sofort erstarrte ich. Bitte nicht.

„Ihr seid verletzt, Sir“, erinnerte ich ihn.

Misses Eve stimmte mir zu, aber er winkte ab.

„Ich muss auf den Feldern nach dem Rechten sehen. Ungeheuer hin oder her. Und, verdammt noch mal, es war kein Ungeheuer.“

Misses Eve schüttelte den Kopf. „Ich dachte, du hättest es nicht gesehen. Und du sagtest, es waren mehrere“, entgegnete sie erstaunt.

Ruven verdrehte die Augen so, dass es seine Frau nicht sah. Aber ich tat es. Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Lieber ging ich allein zu Fuß zurück, als mit Ruven an meiner Seite. Denn wenn es ein Ungeheuer gab, dann war er es.

„Bring mir einen Gaul, Nichtsnutz!“, rief er einem vorbeieilenden Bediensteten zu. Der nickte. „Jawohl, Sir, sofort.“

Ich atmete auf. Im ersten Moment dachte ich, er würde mich auf sein Pferd mit aufsitzen lassen. Anscheinend entschied er sich wegen seiner Frau anders. Wohl hätte sie es seltsam gefunden.

„Leonard!“, sagte Eve Ruven mit nun fast flehender Stimme, während sie seinen Blick suchte. Dieses Mal ging er auf sie ein, strich ihr über den Rücken und zwinkerte ihr zu. „Ich bin ein Held, kein Feigling. Ich werde eine Steinschloss-Pistole mitnehmen. Und mein Messer. Mach dir bitte keine Sorgen, Liebes.“

Misses Eve seufzte und gab ihm schließlich nach, als er ihr einen Kuss auf die Lippen hauchte. Dabei schielte er zu mir.

Schnell drehte ich mich weg. Der Bursche brachte eine weiße Stute. „Die beste im Stall, Sir.“

„Ich weiß, du Trottel. Ich kenne meine Pferde besser als du. Oder wolltest du damit gerade etwas anderes behaupten?“ Er deutete eine Ohrfeige an, da ging Misses Eve dazwischen.

„Nicht doch, Leonard“, bat sie.

Ungläubig sah Ruven auf seine Frau herunter. „Zügel dich, Liebes“, flüsterte er und saß auf. Mit einem Nicken bedeutete er mir, auf die Stute zu steigen. „Oder soll ich dich doch auf meinem Pferd mitnehmen?“ Er lachte.

„Sie kann sehr gut reiten, das weißt du“, erinnerte ihn Misses Eve.

Er sah sie ernst an. „Ich weiß. Du hast es ihr beigebracht.“

Sie nickte und lächelte mir zu. Ich dachte zu gern an die kleinen Ausritte über die Wiesen und Waldwege, die ein Stückchen Freiheit für mich bedeuteten.

„Wenn der sich einen Fuß bricht, dann hältst du dem Grundherrn deinen Rücken für Peitschenhiebe hin“, hatte Mutter einmal gesagt, als sie Eve Ruven und mich dabei gesehen hatte. Sie traute auch ihr nicht.

„Pass auf dich auf, Kind. Bis bald.“ Eve winkte mir.

„Bis bald, Misses Eve.“

Leonard Ruven verdrehte abermals die Augen. Sicher war ihm bewusst, wie wichtig ich seiner Frau war und warum. Ich war froh, dass er vorn ritt, und hielt fünf Armlängen Abstand. Langsam näherten wir uns dem Waldstück. Würzige Gerüche begleiteten uns neben einem fast wolkenlosen Himmel. Der Wald spendete wohltuenden Schatten. Auf der Mitte des Weges stoppte der Grundherr die Stute und lauschte. Es war seltsam, ich hörte keinen einzigen Vogel mehr. Hatten sie das Singen verlernt oder waren sie eingeschlafen, gar geflüchtet?

„Dort drüben war es“, sagte Ruven. Er zeigte zwischen zwei Bäumen hindurch, auf jene Stelle, an der ich den jungen Mann gesehen hatte. Ich musste aschfahl sein, denn Ruven fragte mich, ob mir übel sei.

„Nein, Sir.“

„Hast du etwa Angst?“ Er lachte. Bildete ich es mir nur ein oder unterdrückte er ein Zittern? Seine Haut glich zunehmend der Farbe von Mondlicht. Einerseits anmutig, andererseits erschreckend kalt.

„Antworte, Herrgott.“

„Entschuldigung, Sir. Ein wenig, Sir“, entgegnete ich rasch.

Er mochte es nicht, wenn man eine seiner Fragen unbeantwortet ließ, und ich wollte ihn keinesfalls herausfordern, sondern nur schnell zurück nach Hause. Ich ließ meinen Blick über die Umgebung wandern, in der Hoffnung, den jungen Mann von vorhin irgendwo zu entdecken. Je öfter ich seinen Anblick vor dem inneren Auge wiederholte, desto sicherer wurde ich, dass er mir nichts Böses gewollt hatte. Doch er schien fort zu sein, womöglich für immer. Der Gedanke betrübte mich.

„Hier ist nichts mehr. Alles ruhig. War wohl nur ein Wolf auf der Durchreise. Auf der Suche nach einer Wölfin, die es ihm richtig besorgen kann, vermute ich.“ Ruven lachte dreckig.

Ich tat, als hätte ich die Worte nicht gehört, und trieb mein Pferd zum Galoppieren an, da rief er: „He! Was soll das?“

Erschrocken zuckte ich zusammen und hielt die Stute an. Ruven holte mich ein und sah mich an, als würde er mir am liebsten mit seinen Blicken die Kleider vom Leib reißen und in Gedanken bereits die Peitsche zücken.

„Absteigen“, befahl er, und sein Blick wurde dunkler als das Pech, mit dem Vater unlängst die Holzwände des Hauses behandelt hatte, um sie vor Schädlingen zu schützen.

Sollte ich den Rest ohne seine Begleitung gehen? Dann gut. Sogleich sprang ich von der Stute. Die kleinen Steinchen des Weges knirschten unter meinen Sohlen. Ruven saß ebenfalls von seinem Pferd ab und band meine Stute und seinen Hengst an einem Baum am Waldrand fest. Mit Schaudern beobachtete ich ihn dabei.

Sobald er fertig war, kam er mit großen Schritten auf mich zu, wischte sich mit einer Hand über das Gesicht und keuchte, als wäre er gerade ein ganzes Stück gerannt. Dann packte er mich an einem Arm und zog mich mit sich zur anderen Waldseite. Seine Blicke flogen nach rechts und links.

„Schön die Augen offen halten“, zischte er.

Das tat ich, während ich mich fragte, was er vorhatte. Einer meiner Schweißtropfen verirrte sich in mein rechtes Auge, was mich kurz blinzeln ließ. Ruven stoppte und drückte mich an den dicken Stamm einer Eiche. Dann stellte er sich dicht vor mich. Ein wenig schwer atmend nahm er meine Hände, hob sie über meinen Kopf und drückte sie an die raue Rinde. Ich schüttelte den Kopf, wollte etwas sagen, da presste er sich der Länge nach gegen mich und seinen Mund so fest auf meine Lippen, dass ich seine Zähne spüren konnte. Er schmeckte nach Knoblauch und Tabakrauch. Aber das war nicht das Schlimmste. Vielmehr waren es seine Berührungen und dieses lustvolle Keuchen.

Eine gefühlte Ewigkeit später ließ er wenigstens von meinen Lippen ab. „Ich hab mich lang genug zurückgehalten. Wegen Eve. Weil du ihr etwas bedeutest. Aber was soll‘s, dachte ich dann. Du wirst es ihr nicht erzählen oder du und deine Familie werdet eures Lebtags nicht mehr glücklich werden.“

Während er redete, spritzte mir sein Speichel ins Gesicht. Dabei drängte er sich noch fester gegen mich, sodass ich kaum noch Luft bekam. Mit der freien Hand begann er, meinen Rock nach oben zu schieben. Dabei atmete er noch schneller, lauter.

„Fass mich an. Los, Rose!“

Ich wusste, er meinte die Schlange. Niemals, dachte ich. Er stöhnte auf.

„Zeigen wir dem Ungeheuer was Schönes.“ Er lachte, wurde aber sofort wieder ernst. Sein Körper bebte inzwischen.

„Bitte lasst das, Sir“, bettelte ich und versuchte, mich aus seiner Umklammerung zu winden.

Die Finger seiner freien Hand berührten meine Hüfte unter dem Rock und wanderten dann weiter. Verdammt, ich gehörte ihm nicht. Nicht so. In Gedanken bündelte ich all meine Kräfte, kniff die Augen zusammen und schrie aus Leibeskräften auf, was Ruven kurz irritierte.

„Halt dein Maul, Rose!“, keifte er. Wenigstens wich er ein Stückchen zurück.

Dann lächelte er widerwärtig. „Du kennst das noch nicht, oder? Nein, du bist noch Jungfrau. Nicht wahr? Ich bin der Erste.“

Ich nickte nur.

„Ja! Eine unschuldige Jungfrau, die sich für den richtigen aufgehoben hat. Hier bin ich nun. Ich zeig dir, wie sagenhaft es ist, von mir geliebt zu werden. Du bist so schön, Rose, so schön. Gib mir ein Stück deiner Liebe.“

Was war das? Seine letzten Worte klangen nahezu verzweifelt. Er konnte mich nicht täuschen. Ein kleiner Teil in Ruven schien wirklich so etwas wie Liebe für mich zu empfinden. Aber die sollte er besser seiner Frau schenken. Es gab also noch Hoffnung für ihn, aber ich konnte nicht seine Geliebte oder gar Dirne sein. Zudem war es falsch, dass er seine Frau betrog.

„Ich will das nicht. Lasst mich gehen, Sir“, sagte ich energisch und schüttelte den Kopf.

Als er mich noch einmal küssen wollte, schaffte ich es, all meine Kräfte zusammenzunehmen und mich aus seiner Umklammerung zu befreien. Zudem biss ich ihm in die große Nase, so fest ich nur konnte. Aufschreiend wankte der Grundherr zurück und schlug sich die Hände vor das Gesicht.

Ich drehte mich um und floh. Noch nie war ich so schnell gerannt wie an diesem Tag. Falls es noch andere Ungeheuer hier gab, war es mir egal. Das Größte hatte ich gerade besiegt. Fürs Erste zumindest.

Rose

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