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Chera

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Der Pharao war tot. Die Fanfaren verkündeten es. Das Volk trauerte und Chera trauerte mit ihm. Doch sie weinte nicht nur um den Pharao, der ein guter und gerechter Mann gewesen und vom Volk wie kein anderer vor ihm geliebt worden war, sondern auch um ihr eigenes Leben, das mit dem Tod des Pharaos verwirkt war.

Sie legte ihre Arbeit nieder und erhob sich, um an eines der großen Fenster zu treten. Von hier konnte sie zum großen Balkon hinübersehen, der zu den Gemächern des Pharaos gehörte. Gerade traten die Priester heraus, um dem Volk zu verkünden, was die Trompeten bereits angekündigt hatten.

Chera fröstelte, doch es lag nicht an den dicken Mauern, die die Hitze der ägyptischen Sonne nie in den Palast vordringen ließen, und auch nicht an dem dünnen Gewand, das ihren Körper umschmeichelte. Es war das Wissen, dass ihre Dienerschaft auch mit dem Tod des Pharaos nicht zu Ende war. Sie war ihm verpflichtet, über den Tod hinaus. Sie würde ihn begleiten auf seiner Reise in die Welt der Götter, würde ihm auch dort dienen. Sie und dreihundert andere.

Verzweiflung keimte in Chera auf. Sie wusste um die Ehre, die ihr dadurch zuteilwurde. Und doch konnte sie nichts gegen die Angst tun, die in diesem Moment der Verkündung ihr Herz erfasste. Sie hatte diese Angst schon einmal verspürt. Damals hatte sie erfahren, dass der Pharao ihr die Gunst erwiesen hatte. Er hatte ihren Namen auf die Liste seiner letzten Gefährten setzen lassen. Er hatte sie gemocht, sehr gemocht sogar … mehr als alle anderen seiner Dienerinnen. Seitdem war sie sich der giftigen Blicke der anderen Frauen stets bewusst gewesen. Sie hatten bösartig jeden ihrer Schritte beäugt, neidisch ihre wunderschönen Augen und ihre langen schwarzen Haare begafft, die wie Seide glänzten. Was wussten diese dummen Weiber schon. Zu gerne hätte Chera mit einer von ihnen getauscht, hätte ihre Stellung gerne an eine von ihnen abgegeben. Doch die Entscheidung eines Pharaos war unumstößlich.

Bereits damals hatte Chera sich gefürchtet, doch damals war alles noch weit entfernt gewesen, der Gedanke an das tatsächliche Sein nur ein beunruhigender Gedanke an die Zukunft. Der Pharao war jung, Chera hatte seine Zärtlichkeiten genossen, ohne ahnen zu können, dass der junge Regent eine Krankheit in sich trug, gegen die auch die gelehrten Priester nichts tun konnten. Die Götter riefen ihn viel zu früh in ihren Kreis.

Aus Angst wurde Übelkeit. Cheras Gedanken begannen zu rasen. Die Priester würden bald kommen, um sie zu holen. Den Pharao erwartete nun eine siebzigtägige Zeit der Vorbereitung, bevor er endgültig ins Reich der Toten eintreten konnte, und sie wusste der er wollte , dass seine Diener ihn dort erwarteten.

Sie kannte um ihre Pflicht, aber der Überlebensdrang war stärker. Gab es eine Möglichkeit für sie, ihrem Schicksal zu entrinnen? Was wäre, wenn sie nun einfach hinausging, den Palast verließ, Theben verließ … den Nil entlang … einfach irgendwohin, wo niemand sie kannte? Noch während sie dies dachte, begann Chera zu laufen. Den Saal hinaus, die schmale dunkle Treppe hinunter bis nach draußen. Die bunten Wände des weitläufigen Hofes schienen sie plötzlich zu erdrücken, ihr Herz raste. Sie musste nur noch den Vorhof erreichen und zum Schluss durch das große Tor hinaus in die Stadt. Vielleicht würde sie niemand erkennen. Sie zog den Schleier ins Gesicht. Jetzt hatte sie den Vorhof halb überquert. Die Menschen um sie herum waren mit sich selbst beschäftigt, mit ihrer Trauer. Der junge Pharao war tot. Niemand bemerkte sie. Dort vorne sah sie das Tor, jetzt waren es nur noch wenige Schritte. Angst verwandelte sich in Euphorie. Sie schöpfte Hoffnung. Sie konnte einfach ein neues Leben beginnen, sie brauchte nicht mehr dem Pharao zu dienen. Chera fühlte sich frei, freier als jemals zuvor in ihrem Leben.

Jemand packte sie grob am Arm. Ein Schmerzenslaut kam über ihre Lippen, als sie herumgerissen wurde. Sie sah die kahl rasierten Schädel der Priester. Es war vorbei. Es gab doch kein Entrinnen. Sie zerrten sie zurück, über den Hof, zum Tempel, wo die anderen Dienerinnen des Pharaos bereits auf ihr Schicksal warteten. Sie mussten sich beeilen, der Pharao war bereits auf dem Weg ins Totenreich . Jedes Gefühl in Chera schwand, wich einer lähmenden Taubheit. Sie war die Dienerin des Pharaos, sie hatte ihrem Herrn zu folgen.



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