Читать книгу Weibsstücke - Nadine T. Güntner - Страница 7

Cordelia

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Als Cordelia erwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie sich befand. Es war dunkel, nur durch einen schmalen Spalt weit über ihr drang ein wenig fahles Mondlicht. Die Luft war feucht und roch übel. Sie lag auf dem Boden, das Gesicht im modrigen Stroh. Sie versuchte, sich zu bewegen und es schmerzte. Sie konnte jeden Knochen spüren, sogar das Atmen verursachte ihr Qualen. Während sie versuchte, sich aufzusetzen, kehrten die Erinnerungen zurück. Langsam wurde sie sich wieder ihrer misslichen Lage bewusst. Sie befand sich im Hexenturm. Wie viel Zeit war wohl vergangen? War es noch dieselbe Nacht oder war es Tage her, seitdem die Männer zu ihr gekommen waren? Es waren mindestens ein Dutzend gewesen, sie hatten Fackeln bei sich gehabt und sie aus ihrem kleinen, bescheidenen, aber gemütlichen Häuschen etwas abseits des Dorfes gezerrt. An viel konnte sich Cordelia nicht erinnern. Es war alles so schnell gegangen. Sie hatten sie zu Boden geworfen, sie getreten und geschlagen, bis ihr ganzer Körper schmerzte. Sie hatten sie angebrüllt und – sie hatten sie Hexe genannt. Sie hatte nur hin und wieder die Gesichter der Männer erblicken können. Es waren Männer des Dorfes, Männer, die sie schon seit Jahren kannte, die sie von ihren Krankheiten geheilt hatte. Der Bürgermeister war unter ihnen gewesen und auch der Pfarrer, der unentwegt einen lateinischen Gesang von sich gab und sein Kruzifix schwenkte, um das Böse der Hexe zu bannen. Cordelia konnte sich nicht wehren, konnte nichts tun, um sich zu verteidigen. Irgendwann hatte sie schützend den Kopf unter den Armen vergraben und alles über sich ergehen lassen. Sie hatte auf den Tod gewartet, doch die Erlösung kam nicht. Dann hatten sie ihr Haus angezündet. Das kleine Häuschen aus Holz und Stroh brannte in kürzester Zeit lichterloh. Cordelia konnte einen letzten Blick darauf werfen, als sie sie an den Haaren ins Dorf zum Hexenturm zerrten.

Nun saß sie hier, die Beine dicht an den Körper gezogen, obwohl es schmerzte, und die Arme schützend um die Knie gelegt, und konnte ihr Schicksal nicht fassen. Sie fühlte sich betäubt und leer, es reichte nicht mal mehr für Angst. Ihr Haus war verbrannt, alles, was sie besessen hatte, war zerstört. Ihr war nichts geblieben.

Was hatte sie getan? Womit hatte sie dieses Schicksal verdient? Seit fast zwanzig Jahren war sie die Kräuterfrau des Dorfes. Jeder hatte ihre Hilfe erbeten, ihren Rat gesucht. Ihr war stets ein gewisser Respekt entgegengebracht worden. Warum jetzt? Warum diese Wendung? Doch noch während sie sich diese Frage stellte, wurde ihr die Antwort klar. Sie hatte den hasserfüllten Blick des Bürgermeisters gesehen. Nicht nur in der Nacht, als sie sie holten, schon zwei Tage zuvor hatte er sie so angesehen. In seinen Augen war nicht die zu erwartende Trauer gewesen, sondern nur kalter Hass. Dabei trug nicht sie die Schuld am Tod seiner Frau und ihres ungeborenen Kindes. Es war Gottes Wille gewesen. Das Kind lag falsch herum, auch all ihre Künste und ihr Wissen hatten nichts daran ändern können. Sie hatte Tränke und Salben angewendet, doch das Kind wollte sich nicht gebären lassen. Irgendwann hatte die Tortur ihren Tribut verlangt und die Frau des Bürgermeisters war an Entkräftung gestorben. Sie hatte nichts dagegen tun können. Niemand hätte etwas tun können!

Jetzt hatte sie keinen Zweifel mehr. Der Bürgermeister hatte sie hierher gebracht. Er wollte Rache. Er war kein dummer Mann, wahrscheinlich glaubte er nicht mal selbst an die Anklage. Doch er war einflussreich und er hatte den Pfarrer hinter sich. Und der glaubte. Und die Dorfbewohner, einfache Bauern und Handwerker, würden glauben, was man ihnen sagte.

Cordelia versuchte, sich auszumalen, was wohl mit ihr geschehen würde. Welches Schicksal würde sie nun erwarten? Sie würden ihr sicher den Prozess machen, als Hexe. Sie schauderte. Würde sie auf dem Scheiterhaufen enden? Es gab nicht viele Hexenprozesse in dieser Gegend. Sie hatte selbst niemals einen miterlebt, doch sie wusste, dass sie niemals gut endeten.

Doch vor dem Scheiterhaufen würde noch etwas anderes stehen – die Hexenprobe. Das Gottesurteil. Für den Moment schöpfte Cordelia neu Hoffnung. Niemand konnte sie verurteilen, wenn sie die Probe bestehen würde. Und das würde sie. Gott wusste, dass sie keine Hexe war. Er wusste, dass ihre Kunst nichts Übernatürliches war, dass sie niemals jemandem etwas Böses wollte. Sie würde die Probe bestehen und alles würde gut werden. Die anderen würden es sehen und an ihre Unschuld glauben.

Diese Erkenntnis reichte nicht aus, um die Angst und Verzweiflung aus Cordelia zu vertreiben, aber die neue Hoffnung gab ihr Kraft, dem Kommenden entgegenzublicken. Sie wandte sich an den Einzigen, der ihr jetzt noch helfen konnte, und begann zu beten.

Der Tag war hereingebrochen, als sie kamen, um sie zu holen. Durch das winzige Fenster fiel das trübe Licht eines bewölkten Tages. Sie zerrten ihren geschundenen Körper durch die aufgeweichten Straßen hin zum Dorfteich. Trotz des schlechten Wetters schien alles auf den Beinen zu sein. Es gab nicht viel Aufregendes für die Bauern in dieser Gegend und so wurde alles, was ein wenig Abwechslung versprach, gerne angenommen. Zu Cordelias Bestürzung schien niemand ihre Schuld anzuzweifeln. Die Menge war in Aufruhr, sie traten und spuckten nach ihr, während sie durch den Schlamm geschleift wurde. Cordelia wusste nicht, welcher Probe man sie unterziehen würde. Erst als sie den Dorfteich erreichten, wurde es ihr klar. Der Pfarrer und der Bürgermeister erwarteten sie bereits, während der Pöbel ihnen folgte. Wieder faselte der Pfarrer in einem fortwährenden lateinischen Gesang, im Versuch, das Böse zu bannen, und schwenkte dabei sein Kruzifix, während der Bürgermeister das Wort erhob und sich an die gespannte Menschenmenge wandte. »Wir sind hier zusammengekommen, um diese Frau der Hexerei zu überführen. Ihre ketzerischen Taten sind allgemein bekannt. Nun ist es an Gott, sie als Hexe zu entlarven.« Cordelia bekam die Worte des Bürgermeisters nur am Rande mit. Ihr geschundener Körper peinigte sie und sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Trotzdem versetzte es ihr einen tiefen Stich ins Herz, dass ein zustimmendes Gemurmel ausbrach, als der Bürgermeister auf ihre Fähigkeiten zu sprechen kam. Sie hatten nichts Ketzerisches an sich. Die meisten dieser Leute hatte sie bei dem einen oder anderen Leiden behandelt, sie hatte ihre Kinder zur Welt gebracht. Wie konnten sie nur so ungerecht sein?

Während Cordelia endgültig ihren Glauben an die Menschheit verlor, fuhr der Bürgermeister mit seiner Rede fort. »Die Wasserprobe wird ihre Schuld beweisen. Wir werden sie ins Wasser werfen und sie Gottes Hand übergeben. Sollte die Hexe auf dem Wasser schwimmen, dann ist sie ihrer Taten überführt und wird noch heute auf dem Scheiterhaufen brennen. Sollte Gott aber gnädig sein und sie im Wasser verschwinden, dann ist ihre Unschuld bewiesen und ihr wird das Leben geschenkt.«

Noch während der Bürgermeister sprach, wurden Cordelia die Hände auf den Rücken gebunden und ihre Beine verschnürt. Panik ergriff sie und ließ ihr Herz rasen. Sie glaubte, ihr Kopf würde zerspringen. Sie wollte schreien, aber dafür brachte sie nicht mehr die Kraft auf. Sie spürte, wie sie auf den Steg gezerrt wurde. Langsam wurde ihr klar, wie das alles enden würde. Verzweifelt versuchte sie, so viel Luft wie möglich in ihren Lungen zu sammeln. Sollte Gott sich gnädig erweisen, würde sie sie brauchen.

Dann stießen sie sie in Wasser. Die Kälte war ein Schock. Das trübe Wasser umschloss sie und Cordelia verlor sofort die Orientierung. Für einen kurzen, aber beängstigenden Augenblick glaubte sie, sie würde nach oben treiben, doch als sie den Grund des Teiches erreicht hatte, wusste sie, dass sie gesunken war. Sie war unschuldig. Die Zeit schien sich ins Unendliche zu dehnen. Ihre Lungen schmerzten, der Drang zu atmen wurde immer stärker. Panik erfasste sie. Verzweifelt versuchte sie, sich zu bewegen, doch die Verschnürung hielt. Warum kamen sie nicht, um sie zu holen? Sie war unschuldig! Mit Entsetzen wurde Cordelia klar, dass sie so schnell nicht kommen würden, um sie zu retten. Der Drang, Luft zu holen, war kaum noch zu bändigen. Es ging nicht mehr. Der Körper gewann die Oberhand über den Verstand. Sie atmete und spürte im selben Moment, wie das Wasser in ihre Lungen drang. Sie war verloren. Mit einem Mal fiel alle Panik von ihr ab und ihr Denken wurde messerscharf. Sie würde sterben, aber jeder würde wissen, dass sie unschuldig war. Im letzten Augenblick ihres Lebens verspürte sie Genugtuung. Gott war gnädig. Er rief sie zu sich.


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